Teil II des Interviews mit Nico Kempf

Chancen für und durch Inklusionsteams

Welche Chancen liegen – aus Spielersicht – in Inklusionsmannschaften?

Letztendlich bieten die Inklusionsteams den Spielern ohne Handicap große Chancen, weil sie soziale Kompetenzen gewinnen können. Sie lernen mit den Stärken und Schwächen des anderen umzugehen. Natürlich können sie dort auch Fußball spielen. Manchmal ist es so, dass Kinder ohne Handicap lieber in Inklusionsteams aktiv sind, weil sie dort regelmäßig zum Einsatz kommen. In herkömmlichen Teams wären sie vielleicht sogenannte Bankdrücker, wenn sie nicht so gut spielen. Es gibt aber auch das Motiv, dass Kinder ohne Handicap einfach ohne Leistungsdruck spielen möchten. Darüber hinaus gibt es Spieler, die gerne in Inklusionsteams kicken möchten, weil sie dort eine Führungsposition übernehmen können und so Verantwortungsbewusstsein erlernen. Für die Kinder mit Handicap sind Inklusionsmannschaften eine tolle Möglichkeit, Fußball zu spielen, ihrem Hobby nachzugehen. Sie nehmen zusätzlich sehr viel für ihr Alltagsleben mit. Die Vermittlung von Werten, wie Teamgeist oder Disziplin, spielt hierbei eine große Rolle. Ein Kind mit Down-Syndrom ist manchmal vielleicht sehr schnell eingeschnappt, weil es ggf. sehr feinfühlig ist. Aber es lernt durch den Fußball auch mit Misserfolgen umzugehen. Durch Inklusionsmannschaften können vielfältige Chancen für beide Seiten generiert werden.

Welche positiven Auswirkungen haben Inklusionsmannschaften auf das Vereinsleben?

Zunächst mal kann sich ein Verein über ein Inklusionsteam von anderen Vereinen differenzieren. Verein X beispielsweise spielt in der Kreisklasse und engagiert sich nicht im sozialen Bereich. Verein Y spielt auch in der Kreisklasse und engagiert sich im Bereich Behindertenfußball. Verein Y wird sicherlich viele positive Auswirkungen spüren. Die Fußballer mit Handicap werden das Vereinsleben bereichern. Alle Mitglieder werden sich ein Stück weit weiterentwickeln können durch neue Begegnungsmöglichkeiten, die ihren Horizont erweitern. Es ist die Vielfalt des Vereins. Zudem besteht die Chance, neue Mitglieder zu akquirieren. Vielleicht gewinnt er auch indirekt neue Mitglieder. Oft ist es bei Inklusionsteams der Fall, dass sich die Eltern der Kinder mit Behinderung aktiv im Verein engagieren, weil sie sehr dankbar sind, dass ihr Kind dort seinem Hobby nachgehen kann. Auch die Gewinnung von Sponsoren aufgrund des Engagements im Bereich Handicap-Fußball für den Gesamtverein ist keine Seltenheit. Die Chancen sind also immens. Man kann sie aktiv nutzen als Verein. Da spricht nichts dagegen, wenn es eine Win-Win-Situation für beide Parteien darstellt. Das Wohl und der Wille der Spieler sollte aber immer im Vordergrund stehen.

Wie schnell gewöhnen sich Menschen mit und ohne Handicap an ein Zusammenspiel?

Am Anfang gibt es manchmal Unsicherheiten. Sobald aber nach den ersten Trainingseinheiten ein paar Reibereien entstehen, dann ist es nicht mehr wie ein „mit Samthandschuhen anfassen“. Dann ist es wirklich Fußball. Es gelingt wirklich schneller, als man denkt. Das ist eigentlich das Wichtigste: Diese Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, es auszuprobieren. Man macht sich als Erwachsener, als Außenstehender, meist mehr Gedanken als die Kinder und Jugendlichen selbst. Diese haben oft gar keine Berührungsängste. Deshalb ist es umso wichtiger, möglichst früh mit diesen Spielformen anzufangen. Denn ein Kind hat noch überhaupt keine Vorurteile, da ist alles ganz „normal“ in dem Sinne.

 

Auf‘m Platz: Eigene Erfahrungen mit Handicap-Fußball

Welche Arten von Handicap-Fußball haben Sie schon selbst ausprobiert?

Ich habe alle verschiedenen Formen mitgemacht, weil ich es wichtig finde, dass man das einfach auch selbst mal gespielt hat und in die andere Perspektive eingetaucht ist. Kürzlich habe ich Gehörlosenfußball ausprobiert. Es war insbesondere in Anbetracht der einzigartigen Kommunikation ein sehr interessantes Erlebnis. Man arbeitet mit Händen und Füßen und bemerkt sofort diese verbindende Sprache, diese Fußballsprache. Für mich war es eine spannende Erfahrung. Facetten, die ich bisher noch nicht spielen konnte, sind die die Formen des Rollstuhlfußballs, wie Wheel-Soccer oder E-Rolli-Fußball.

Wie ging es Ihnen, als Sie mit beim Blindenfußball mit Augenbinde gespielt haben?

Das war schon eine riesen Umstellung. Wenn man das selbst ausprobiert, merkt man, welch starke Leistung die Spieler bringen und welchen Respekt sie verdienen. Nach einer gewissen Zeit erkennt man kleine Fortschritte. Aber es ist natürlich schon schwierig. Vor allem, wenn man in die Zweikämpfe geht, dann kommt die Angst dazu. Man muss sich das erstmal trauen und den Mut haben, da einfach loszustürmen, wenn vor einem ein Abwehrspieler steht und quasi auf der Suche nach dem Ball auf dich eindrischt und dir auch mal gegen das Schienbein tritt. Man muss schon robust sein und das ganze aushalten können. Da kracht man schon mal gegen die Banden. Es ist ein äußerst körperbetontes Spiel.

Worin liegt der Unterschied zwischen Blindenfußball und Sehbehindertenfußball?

Zunächst mal muss ich dazu sagen, dass Sehbehindertenfußball noch ziemlich unpopulär in Deutschland ist. Beim Blindenfußball werden die Augen der Spieler komplett abgedunkelt, auch, wenn sie einen sehr geringen Sehrest haben. Sie spielen mit einem Ball, der rasselt und orientieren sich so anhand ihres Gehörsinns. Beim Sehbehindertenfußball hingegen werden die Augen nicht verbunden. Der Ball rasselt nicht und ist einfach farbig – so, wie man sich einen Ball vorstellt, mit dem im Winter im Schnee gespielt wird. Im Blindenfußball gibt es eine Bundesliga. Gespielt wird hier 2 x 25 Minuten auf einem Feld mit Banden. Es gibt 4+1 Spieler und der Torwart ist sehend. Er hat nur einen kleinen Strafraum, in welchem er bleiben muss. Der Torhüter ist sehr, sehr wichtig, weil er die Abwehr dirigiert. Zudem gibt es sogenannte Guides. Das beginnt beim Torwart. Zusätzlich hat jedes Team noch einen Guide, der das Geschehen im Mittelfeld dirigiert und vor dem gegnerischen Tor gibt es einen Guide, der letztendlich den Offensivspielern hilft, indem er ihnen zuruft.

In Brasilien beispielsweise spielen sehr viele Amputierte Fußball. Gibt es in Deutschland die Möglichkeit für Amputierte, mit ihresgleichen zu spielen?

Ja, die gibt es. Aktuell gibt es in Deutschland vier Trainingsstandorte sowie eine deutsche Auswahlmannschaft, welche unser Land bei internationalen Turnieren vertritt.

Welche Erfahrungen haben Sie – vor allem mit der Kraft – im Amputiertenfußball gemacht?

Die physische Belastung ist sehr hoch. Die Anstrengung für den Oberkörper, insbesondere für die Oberarme, ist enorm. Aber auch für das eine Bein, mit welchem man spielen und sich immer vom Boden wegdrücken muss. Physisch ist die Sportart wirklich äußerst anspruchsvoll.

Wenn ein Verein Interesse hat, ein Handicap-Fußball-Team zu gründen: Wie soll er am besten vorgehen, an wen soll er sich wenden?

Am besten ist es, wenn sich die Klubs als Erstes an die Inklusionsbeauftragten der Landesverbände wenden. Diese dienen als Ansprechpartner, können vernetzen und praxisnahe Tipps zum Aufbau einer Handicap-Mannschaft geben. Zudem können die Vereine auch bei Teams aus ihrer Region vorbeischauen, um sich direkt vom Handicap-Fußball begeistern zu lassen. Eine Liste dieser Teams findet man in der Handicap-Börse auf dfb.de.

Waren es eher einzelne Spielerinnen und Spieler, die sich bei Ihnen gemeldet haben, oder die Vereine?

Das war ganz unterschiedlich. Wenn Vereine auf mich zugekommen sind, dann war es meistens so, dass schon Berührungspunkte vorhanden waren. Das heißt, dass beispielsweise ein Vater eines Kindes mit Behinderung schon in einem Verein war, und dessen Kind Fußball spielen wollte. Dann wollte der Vater, dass das Kind in seinem Club spielt und hat mich deshalb kontaktiert. Manchmal war es auch so, dass wir für Spieler/-innen bei den Vereinen angerufen haben, weil es doch anders auf unerfahrene Vereine wirkt, wenn der Verband anruft.

 

Trainerfortbildung zu Handicap-Fußball

Könnten Sie bitte einen kleinen Ausblick bzgl. der kommenden Monate geben?

Im Juni (vom 20.-22.6.; Anm. von Lisa Schatz) findet in der Sportschule Oberhaching eine Fortbildung für Trainer im Handicap-Fußball statt. Das ist schon eine kleine Besonderheit und zugleich ein riesen Schritt. Die Fortbildung ist für alle Trainer im BFV als Lizenzverlängerung anrechenbar. Weiteres dazu erfahren sie bei meiner Nachfolgerin, Kristina Höhn, deren Kontaktdaten auf der Internetseite des Bayerischen Fußball-Verbandes zu finden sind. Außerdem findet am 26. Mai ein Inklusionsturnier in der Allianz-Arena statt, was eine Leuchtturmveranstaltung für den gesamten Handicap-Fußball in Deutschland darstellt.

Gibt es eine Botschaft, die Sie den Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben wollen?

Ich möchte ihnen auf jeden Fall gerne mitgeben, dass sie sich in ihrer Umgebung über Möglichkeiten des Handicap-Fußballs informieren sollten. „Schaut, wo gespielt wird und seht wirklich mal zu. Und dann bin ich mir sicher, dass ganz viele von euch ein Stück weit angefixt werden, begeistert sind und sich engagieren wollen. Da merkt man einfach die ehrliche Freude am Sport und man sieht den Fußball, wie er leibt und lebt. Das sollte wirklich jeder einmal machen.“

Vielen, vielen Dank für das Interview.

Gerne.