Christian Heidel: Vorstand, Groundhopper und positiv Fußballverrückter

Christian Heidel vor dem Logo des 1. FSV Mainz 05 in seinem Büro. Foto: Lisa Schatz [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung]

Mainz. „Der Club ist größer als der Einzelne“, steht in großen Lettern an der Wand im Wartebereich der Vorstandsetage von Mainz 05. Diese Aussage zieht sich durch den ganzen Verein. Das ist keine leere Worthülse. Christian Heidel, der mehr als zwei Jahrzehnte lang als Manager für den Verein fungierte und dort nach vier Jahren Unterbrechung seit gut einem Jahr als Vorstandsmitglied tätig ist, lebt das. Erzählt er von der Geschichte des Vereins, spricht er immer wieder von „wir“ und betont mehrfach, dass er das, was in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist, ja nicht alleine zu verantworten habe. Mich hat interessiert, wie es dazu kam, dass er als Ehrenamtlicher zum Manager und schließlich zum Vorstand wurde. Denn seine Geschichte ist im deutschen Profimännerfußball einzigartig. Zudem hat er mir erklärt, wie man sich einen Arbeitstag eines Vorstands für Strategie, Sport und Kommunikation vorstellen kann. Doch so sehr wir uns über die Sonnenseiten des Lebens unterhalten haben, so sehr haben wir auch über die Schattenseiten gesprochen: Christian Heidel äußerte sich sehr offen über seine Schlaganfälle. Aber eine echt coole, witzige und positiv fußballverrückte Geschichte, bei dem seine Augen zu strahlen begannen, als ob sie gerade erst geschrieben worden sei, hatte er dann genauso parat. Mögen euch die beiden Interviewteile neue Eindrücke schenken und zur Fastnacht auch ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubern. Für euch gefragt, für euch geschrieben und nun für euch zum Eintauchen in die große, weite Fußballwelt…

„Gott hat die Erde nur einmal geküsst, genau an dieser Stelle, wo der Bruchweg ist“, lautet ein Zitat aus dem Lied „Wir alle sind Mainzer“ von Se Bummtschacks. Was denkst du, wenn du das hörst und was bedeutet dir dieses Bruchwegstadion?

Puh, da wird’s ja fast schon emotional gleich. Also, ich muss dazu sagen, dass ich seit 1992 mit einer Unterbrechung bei Mainz 05 bin. Aber ich war das erste Mal 1971 hier im Stadion und man kann’s kaum glauben, ich war als Kind fast auf jedem Spiel hier. Also zu Beginn noch teilweise bei Partien vor 2.000 bis 3.000 Zuschauern, später in der Oberliga kamen selten 1.000.

Bist du über deinen Papa hergekommen?

Ja, mein Papa hat mich irgendwann mal mitgenommen. Ich habe die erste große Zeit von Mainz 05, die Saison 1972/73, miterlebt. Da wurden wir Meister der Regionalliga Südwest. Das war damals der ganze Unterbau mit fünf oder sechs Regionalligen, also das war zu der Zeit wie die zweite Liga heute und es gab noch eine Bundesliga-Aufstiegsrunde. Da war ich als Kind auf jedem Spiel. Also, ich weiß noch alle Gegner: St. Pauli, Karlsruhe, Fortuna Köln, Blau-Weiß 90 und wir. Das war eine Gruppe. Und wir haben hier gegen Fortuna 0:0 gespielt vor 20.000 Zuschauern in diesem sehr speziellen Stadion und sind am Ende eigentlich Zweiter geworden. Das letzte Spiel haben wir gegen Blau-Weiß verloren… Wir sind Dritter geworden, wären normalerweise Zweiter gewesen. Also, ich habe diese Zeiten miterlebt. Deshalb: Ich kann nicht im Ansatz sagen, bei wie vielen Spielen ich in diesem Stadion war, aber gefühlt jedes Jahr bei 17, 18 Spielen und das 50 Jahre lang. Deswegen verbindet mich mit diesem Stadion natürlich sehr viel, auch weil es dreimal verändert wurde. Dreimal war ich dabei beim Verändern bzw. hab es sogar mit inszeniert.  Deshalb ist das schon einfach ein Stück Heimat für mich – dieser Verein. Ich habe drei Viertel meines Lebens mit Mainz 05 verbracht.


„Die Dramen, die sind alle hier im Bruchwegstadion passiert“

Wenn du das Stadion mit der MEWA-Arena vergleichen müsstest…

Die Diskussion führe ich sehr oft. Das Problem ist, also jetzt insbesondere hier, da hat ja hier noch eine Tribüne gestanden, das war ja ein Bundesligastadion für uns. Und hier haben wir natürlich ganz besondere Stunden verlebt, zwei Aufstiege, und auch diese Sensationssaison, in der wir wochenlang Tabellenführer waren in der Bundesliga. Mit diesem Stadion verbinde ich natürlich viel mehr als mit der MEWA-Arena. Aber ich erkläre den Leuten immer: Uns gäb’s heute nicht mehr, wenn wir noch hier spielen würden, weil das wirtschaftlich einfach nicht darstellbar ist. Man sieht ja: Der SC Freiburg ist jetzt auch den letzten Schritt gegangen, ein paar Jahre nach uns, weil sie einfach gemerkt haben, sie kommen nicht mehr mit. Deswegen war das hier sicherlich emotionaler und irgendwie auch viel spezieller und es war natürlich schon zum Totlachen, wenn die Bayern hier eingelaufen sind. Die wussten ja auch nicht, wo sie grad hier reinkommen.

In der MEWA-Arena fehlen noch die Geschichten. Die Dramen, die sind alle hier im Bruchwegstadion passiert. Deswegen darf man die Frage nicht stellen, weil die nicht funktioniert, in welche Richtung: „Das oder das?“. Es geht nur das.

Was ist für dich das Besondere an Mainz 05, wenn du es mit anderen Vereinen vergleichst? Du hast schon so ein bisschen in die Richtung „gestichelt“ mit Bayern und Freiburg…

Ich würde es mal so formulieren: Das ist ja für jeden Menschen ein bisschen anders. Wenn wir irgendwo hingekommen sind und dann hast du eben an den Kopf geknallt bekommen – bekommst du heute teilweise noch – „ja, ihr seid ja kein Traditionsverein und da fallen dir ja gar keine Geschichten ein“. Dann sage ich: „Ja, das stimmt, aber  wir haben einen Riesenvorteil. Wir schreiben unsere Geschichte selbst. Ihr erzählt nur die Geschichte, ihr wart aber gar nicht selbst dabei.“

Wenn du mit einem Kaiserslauterer redest, dann redet er über Fritz Walter. Ja, den haben wir nie gesehen. Aber wir, wir haben die ganze Geschichte der Neuzeit, in der Mainz plötzlich im großen Fußball dabei war, alle gemeinsam mitgeschrieben. Also jetzt nicht nur ich, auch die Leute hier, die Zuschauer. Du kannst mit vielen Zuschauern reden und die waren dann eben 1980, 1990 dabei. Vorher gab’s uns ja gefühlt überhaupt nicht. Und das ist glaube ich dieses Besondere an Mainz 05: Die Verbindung der Menschen zu diesem Club, weil sie alle dabei waren. Sie haben miterlebt, wie der Verein früher war und wo er hin marschiert ist. Wir haben in der Amateuroberliga Südwest angefangen und waren 20 Jahre später in Europa. Also das war so ein bisschen innerhalb kurzer Zeit die Geschichte dieses Clubs. Das ist, finde ich, auch schon so dieses Verrückte. Ich kenne im Stadion fast jeden persönlich. Ich bin auch in der Stadt geboren. Da hat man eine besondere Beziehung zu allem, das mit Mainz zusammenhängt.

Also würdest du sagen, dass Mainz 05 vor allem für dieses Bodenständige steht?

Ja, das glaube ich schon. Das ist aber natürlich auch ein bisschen dieses Wesen der Mainzer: Sich gerne mal selber auf den Arm nehmen. Und ich glaube wir sind sehr, sehr gastfreundlich. Ab und zu ist es mir fast zu gastfreundlich im Stadion. Bei einem Heimspiel habe ich ab und zu gesagt: „Ihr müsst mal giftiger sein auf der Tribüne“. Aber da habe ich dann gleich 50 E-Mails bekommen.

Wir hatten im November zum 25-jährigen Jubiläum ein Treffen der Mannschaft von 1996. Sehr viele Spieler von damals wohnen in Mainz, die sind hier nicht mehr weggegangen. Unsere Spieler bauen sehr schnell eine Beziehung zu dieser Stadt auf und wenn die Karriere zu Ende ist, kommen sie entweder zurück, also nicht alle, aber viele. Oder sie gehen hier gar nicht mehr weg und beenden die Karriere in Mainz und bleiben hier wohnen. Es sind wirklich viele ehemalige Spieler, die in Mainz ansässig geworden sind. Das eine ist der Verein und das andere ist die Stadt. Eine Studentenstadt an einem großen Wasser, das ist einfach etwas Besonderes!

Nun wieder ein Zitat. Auf der Vorstellungs-Pressekonferenz hat Sportdirektor Martin Schmidt gesagt: „Vorwärts zu den Wurzeln“. Was bedeutet das für dich im Zusammenhang mit Mainz 05?

Das Problem ist, das kann man als Vorwurf sehen. Als Vorwurf an die Leute, die in den letzten Jahren hier agiert haben und so war es nie gemeint. Ich glaube von Martin nicht und auch von mir nicht.

So wie ich es verstanden habe: Es heißt in die Zukunft zu blicken und nicht zu vergessen, woher man kommt.

So kann man das sehen. Es hängt damit zusammen, das sich der Verein natürlich sehr verändert hat und sehr, sehr viele Leute jetzt auch im Verein arbeiten, die Mainz gar nicht kennen, weil sie nicht aus Mainz sind. Dazu kann ja niemand was und das ist null Vorwurf. Und dieser Verein wurde ja 25 Jahre von Leuten geprägt, die fast alle in Mainz geboren waren. Also wir waren und sind wirklich Mainzer.

Mainzer sehnen sich danach weiterhin ein Teil des Ganzen zu sein, denn sie waren auch beim Anfang dabei. Wir müssen nahbar sein und bleiben. Dazu gehört es dann auch in der Stadt präsent zu sein, mit den Menschen zu reden und zu diskutieren. Das ist in den letzten Jahren ein wenig verlorengegangen. Früher war es klar, dass man nach dem Spiel in die überfüllte Vereinskneipe „Zum Hasekasten“ geht. Ob du 4:0 gewonnen oder 0:4 verloren hast. Da wurde gestritten und gelacht. Wie oft bin ich da auch mit Fans verbal aneinandergeraten, wenn es halt mal gar nicht gelaufen ist. Aber wir haben auch gemeinsam auf den Tischen gestanden und die Siege gefeiert. Das ist Mainz 05. Da müssen wir wieder hin. Die Menschen fangen. Ich glaube wir sind wieder auf einem ganz guten Weg. Wir stehen wieder viel enger zusammen. Viele Dinge im Verein wurden in den letzten Jahren weiterentwickelt und vieles professioneller. Das ist top. Aber echte Gefühle, Emotionen und Authentizität gehören in Mainz einfach dazu.


Ein Bischof als Schiedsrichter und ein Ehrenamtlicher als Vereinsmanager im Profifußball…

Christian Heidel erzählte mir u.a. vom Beginn seiner Zeit bei Mainz 05. Foto: Bernd Legien; bearbeitet von Lisa Schatz

Jetzt zu deiner Person. Es gibt ja mittlerweile einige Abteilungen. Als du vor 30 Jahren angefangen hast, war das ja noch ganz anders. Vor allem hast du ehrenamtlich bei Mainz 05 begonnen. Wie ist das damals wirklich abgelaufen, also wie bist du in dieses Amt „hineingeschlittert“? War das durch den Kauf der vielen Tickets bedingt [Christian Heidel hatte für sein Autohaus alle Tickets für das Stadion gekauft; Anm. von LS]?

Ich war totaler Fußballfan und einer der ganz wenigen totalen Mainz 05-Fans. Früher hatten wir hier eine Stehplatztribüne und da habe ich immer in der Mitte gestanden. Wenn das Stadion aufgemacht hat, war ich schon da. Hatte eine Fahne mitgebracht, trug eine Jeansjacke mit 05-Logo drauf. Bei jedem Spiel. Ich habe selber immer ein bisschen gekickt und deshalb konnte ich nur sonntags nicht immer.

Du hattest noch eine richtige Kutte? (überrascht)

Ja, wie das früher so war: eine Jeansjacke und meine Mama hat da so einen 05-Aufnäher draufgenäht. Damals haben hier 30, 40 Fans gestanden. Mehr waren das ja nicht. Ähnlich wie in Regensburg [in Anspielung darauf, dass LS aus Regensburg kommt und das auch noch von den alten Zeiten in Regensburg kennt; Anm. von LS] (lacht).

Ja, wirklich! (lacht auch und schwelgt kurz in Erinnerungen ans altehrwürdige Jahnstadion…)

Ja, ja, du weißt es ja. Dann bin ich im Beruf sehr aufgegangen und habe aber nie den Bezug zu Mainz 05 verloren. Irgendwann kam mir die Idee, dass der Verein einfach mal einen kleinen Schub bekommen müsste. Ich wollte die Firma, bei der ich damals Geschäftsführer war, einfach bekannter machen und dann habe ich dem Verein den Vorschlag gemacht, dass ich alle Karten kaufe. Ins Stadion gingen 15.000 rein, ich kaufte also wirklich alle 15.000 Karten. Der Zuschauerschnitt lag bei 1.100. Heute würden die Ultras hier auf die Barrikaden gehen. (lacht) Das war schon sehr kommerziell. Mir war klar, dass wir die Karten nicht alle verkaufen. Aber ich wollte den Verkauf steuern, ich wollte ein Rahmenprogramm haben. Nebenan war früher ein Ascheplatz. Da haben wir Attraktionen für Kinder aufgebaut und eine Autoausstellung gemacht.

Das größte war das Halbzeitspiel: Wir haben Fußbälle mit Nummern ins Publikum geschossen. Anschließend wurden fünf Nummern gezogen und die Fünf mit den Nummern durften auf den Rasen und mussten versuchen von der Mittellinie aus ins Tor zu schießen, ohne dass der Ball aufdotzt. Der Polizeipräsident und der Bischof haben an der Linie gestanden und waren die Schiedsrichter. Der erste schießt den rein und der hat einen 3er BMW gewonnen für 30.000 damals! (begeistert) Ja, das ging nun überall rum, der Wunderschuss von Mainz! Das war für mich die beste Werbung. Ich hatte es versichert über Lloyd‘s in England, also das war alles nicht dramatisch. An dem Tag waren fast 6.000 Zuschauer im Stadion und ich habe durch meine Aktion die Verantwortlichen von Mainz 05 kennengelernt. Harald Strutz & Co. sind noch am Abend zu mir gekommen und haben mich gefragt, ob ich nicht hier mitarbeiten wolle. Sie haben gesagt: „Du kannst ja in den Vorstand kommen“ und so weiter… Aber das war 1990, da war ich 27 Jahre alt und habe selbst noch Fußball gespielt. Also habe ich gemeint: „Nö, das ist mir ein bisschen früh.“ Aber sie haben dann immer wieder angerufen. Harald Strutz hat nicht locker gelassen und zwei Jahre später habe ich schließlich gesagt: „Okay, ich komme“.

Zuerst war ich für die Amateurmannschaft tätig. Die stand in der untersten Klasse, in der Kreisklasse C, auf dem siebten Platz. Wir sind dann ab 1994 fast jedes Jahr aufgestiegen. Bis in die Dritte Liga sind wir hochmarschiert! (begeistert) Unsere zweite Mannschaft war die schlechteste zweite Mannschaft eines Profivereins in Deutschland. Keine zweite Mannschaft hat so niedrig gespielt wie wir, und zehn Jahre später waren wir die beste. Wir waren damals die einzige Profimannschaft in der dritten Liga, also als Zweitvertretung. Ich kam 1992 und nach einem halben Jahr war ich mit Peter Arens schon für die Profis verantwortlich. Es war ein fließender Übergang.

Also ist der Plan von Herrn Strutz & Co. aufgegangen…

Ja, das hat sich so ergeben. Wir hatten damals nur eine Halbtagskraft. Das war die eine einzige Angestellte in diesem Verein. Es gab zunächst überhaupt keine Hauptamtlichen, deswegen haben wir das alle ehrenamtlich gemacht. Über die Jahre kamen dann aber immer Leute hinzu und ab 2005 hatte ich dann, nach 13 Jahren, wirklich mein erstes Büro bei Mainz 05 und war von morgens bis abends, also auch hauptberuflich, da. Inzwischen waren wir in der Bundesliga angekommen. Es war eine überragende Zeit, was wir hier alles erlebt haben! (begeistert) Das war schon sehr, sehr besonders.

Das ist ein sehr besonderer und einzigartiger Weg. Du hast im Ehrenamt begonnen. Wie wichtig sind Ehrenamtliche heute im Fußball und im Profifußball im Speziellen?

Im Fußball im Allgemeinen sind Ehrenamtliche sehr wichtig, weil es ohne sie gar nicht geht. Im Profifußball wird inzwischen ein anderer Weg gegangen. Da brauchst du auch mal Helfer. Gerade in dieser Coronazeit, da geht’s nicht ohne. Da haben wir jetzt Leute gebraucht, die die Impfausweise kontrolliert haben und den Leuten Bändchen drangemacht haben. Da brauchst du schon immer Ehrenamtliche, aber natürlich nicht mehr so wie das bei uns damals war. In den führenden Funktionen ist das heute nicht mehr möglich. Wir waren damals wirklich so „Mädchen für alles“ und im Endeffekt für alles zuständig. Wir haben im Vorstand jeden zweiten Montag zwei Stunden zusammengesessen und haben ein bisschen diskutiert und dann haben wir wieder agiert. Mein Arbeitsplatz war 300 Meter von hier entfernt. Deswegen bin ich morgens bis abends immer hin- und hergependelt. Zum Glück war das keine Entfernung. Es wurde fast alles bei mir im Betrieb abgewickelt. (lacht) Heute undenkbar.

Nun zu deiner jetzigen Position als Vorstand Strategie, Sport und Kommunikation. Du hast viele verschiedene Aufgaben und bestimmt ist jeder Tag anders, aber könntest du bitte mal beispielhaft einen Tag herausgreifen und ein bisschen die Struktur beschreiben? Wie ist der Ablauf, wie kann man sich deine Aufgaben vorstellen? Also, wie würdest du einem Fan antworten, der sich fragt: „Was macht ein Vorstand eigentlich genau?“

Zunächst einmal darf man das, was auf der Visitenkarte steht – ich habe übrigens noch gar keine, irgendwie kam ich bis heute noch nicht dazu (wir lachen) – nicht überbewerten.

Um es mal ganz ehrlich zu sagen: Vorher war ja nicht geplant, dass ich Vorstand Sport werde. Es ist dazu gekommen, weil sich Rouven Schröder entschieden hat gehen zu wollen, und ich habe mich eigentlich mit Händen und Fußen dagegen gewehrt, Vorstand Sport zu werden, weil in den Gesprächen klar war: Es ging mir in allererster Linie um Strategie und Kommunikation. Das war ein bisschen im Argen geblieben, insbesondere Kommunikation. Dass die Leute wieder eine klare Richtung erkennen. Es darf nicht jeder quatschen. Das bedeutet nicht, dass ich quatsche. Aber ich möchte gern sagen: Der quatscht. Es sollte wieder alles geordnet sein.

Christian Heidel ist es wichtig, dass die Leute wieder eine klare Richtung des Vereins erkennen. Foto: Mainz 05

Hinsichtlich der Strategie hatte ich während meiner Zeit nach Schalke, als ich die Hälfte des Jahres in Mainz verbracht habe, gemerkt, wie der Verein die Leute ein bisschen verloren hat. Deswegen Strategie. Diese sollte eigentlich nicht lauten: „Wir möchten gerne in zehn Jahren im Europapokal spielen“, sondern: „Wir möchten in zehn Jahren die ganze Stadt hinter uns haben“.

Es war mir viel wichtiger, dass dieses Gefühl von früher zurückkommt. Wenn ich über den Marktplatz gegangen bin, ist mir aufgefallen, dass die Leute geredet haben: „Ja, die 05er haben so und so gespielt“. Und ich habe mich eben sofort mal aufs übelste beleidigt gefühlt, weil „die 05er“, das sagt man nicht, wenn man Mainzer ist. Da sagt man „wir“. Und das ist ein bisschen verloren gegangen. Früher haben die Leute von „wir“ gesprochen, obwohl sie gar nicht ins Stadion gegangen sind. Und dann merkt man, ob man wirklich in dieser Stadt zu Hause ist. Und da ging’s um Strategie. Rouven hatte sich dann leider entschieden den Verein zu verlassen und ich mich überreden lassen eben doch Vorstand Sport zu werden. Bedingung war aber: „Ich möchte jemanden an meiner Seite haben“. Was ich nicht mehr will und wollte, ist, jeden Tag im Fernsehen, in den Medien, an der „Front“ sein etc. Zum Glück habe ich den Martin dazu gewinnen können. Für ihn war das ja auch ein komplett neuer Job, aber ich wusste, dass er sowas mal machen wollte. Und dann ging’s darum: Jetzt brauchen wir noch einen passenden Trainer. Da hatte ich auch eine klare Meinung. Wenn ich Bo nicht als Trainer hätte verpflichten können, weiß ich gar nicht, ob ich gekommen wäre. Denn ich glaube, dass das hier sonst nicht mehr zu stemmen gewesen wäre. Bei Bo hatte ich das Gefühl: Wir drei zusammen, wir können da schon etwas bewegen. Ob es dann am Ende reicht… Das haben wir gehofft. Ja, wenn’s dann nicht langt, dann haben wir Pech gehabt, dann gehen wir halt in die zweite Liga und machen nochmal einen Neuaufbau. Aber in der Konstellation sind wir es angegangen.

So, und ja, wie sieht man meinen Tag dann aus? Der ist sehr, sehr unterschiedlich. Die Melanie [Assistentin von CH; Anm. von LS] knallt mir den Terminkalender voll. Ich guck ab und zu morgens rein: „Was steht denn heute eigentlich alles auf dem Programm?“ Beispielsweise läuft das so ab: Du wolltest mit mir einen Termin machen. Dann gucke ich mir das an und sage: „Hier, mach da mal bitte einen Termin aus“. Sie ist dann wie meine Managerin. Sie schaut jetzt: „Wo kann man das einplanen?“. Da sind Tage blockiert, die blockiere ich, dann geht’s da eben nicht. An anderen Tagen bin ich da und sie managed das. Es gibt Tage, da geht’s teilweise gar nicht um Fußball, weil mich viele, viele Dinge interessieren, die mit dem Fußballspiel auf dem Rasen gar nichts tun haben. Da sind wir bei Strategie. Wohin wollen wir auf welchem Weg?

Termine mit der Medienabteilung, Vorstandssitzungen, Sitzungen mit dem Aufsichtsrat. Das geht dann schon teilweise bis in den späten Abend. Es geht oft um Fußball, aber auch oft um das Drumherum. Mittagessen gibt’s bei mir eher selten.

Leider hat in Coronazeiten vieles digital stattgefunden. Der persönliche Draht, insbesondere zu den eigenen Leuten, fehlt dann schon sehr. Mit vielen habe ich bis heute noch nicht persönlich gesprochen. Die meisten sind seit Monaten im Homeoffice.

Aber auch das Nachwuchsleistungszentrum ist etwas, das mich sehr beschäftigt und interessiert. Ich führe sehr, sehr viele Gespräche mit Volker Kersting, dem Leiter Nachwuchsleistungszentrum. Der Nachwuchs ist unsere Zukunft. Unser NLZ ist wirklich top. Jedes Jahr entwickeln wir hier Bundesligaspieler. Ich träume davon, dass wir irgendwann nicht nur unsere Spieler sondern auch unsere Trainer ausbilden und entwickeln. Trainer mit Mainz 05-DNA, die unsere Philosophie umsetzen.

Die Philosophie …

Martin Schmidt, Christian Heidel und Bo Svensson (von links nach rechts) bilden seit 2021 ein Team. Foto: Mainz 05

Genau, dass sie den Verein kennen und vielleicht durchaus irgendwann auch mal die Chance haben, hier Profitrainer zu werden. Natürlich führe ich die meisten Gespräche mit Martin Schmidt, also wir gehen die Kader durch, wir gehen die Planung durch. Das machen wir bei mir im Büro an der Wand. Das passt perfekt. Ich weiß nicht, wie oft wir hier im ersten halben Jahr nach zwölf Uhr nachts wieder raus sind. Das war schon verrückt, aber es hat auch richtig Spaß gemacht, weil du natürlich gemerkt hast, es kommt etwas an, wir haben Erfolg. Dann war das halbe Jahr natürlich alles wie im Traum. Da hat alles funktioniert. Da hast du auch insgesamt so ein Glück gehabt, dass die Entscheidungen, die wir getroffen haben, gepasst haben. Und ich muss sagen: Bo, Martin und ich, das passt einfach sehr, sehr gut zusammen. Das macht auch riesig Spaß. Fakt ist aber genauso, dass wir bisher noch keine ganz schwierigen Phasen haben durchleben müssen. 2021/2022 ist nicht viel falsch gelaufen. Die große Bewährungsprobe kommt, wenn Krisenzeiten kommen. Es gibt keinen Verein ohne Krisen. Das wird auch bei Mainz 05 so sein und dann werden wir merken, wie stabil das alles wieder ist.


„EINER entscheidet, ABER BIS ZUR ENTSCHEIDUNG HÖRE ICH MIR ALLES AN!“

Was macht dir am meisten Spaß oder Freude an deinen Aufgaben?

Pläne und Ideen entwerfen und entwickeln, dann durch- und umsetzen. Mit wem musst du reden, wen führst du zusammen? Dieses Managen liegt mir schon immer, aber – und das ist der große Trugschluss – da ich ja früher immer alleine war, haben die Leute immer alle geglaubt, der Heidel entscheidet alles. Die Leute, die mich kennen, sagen, dass ich ein ganz großer Teamplayer bin. Ich bin aber auch für eine klare Hierarchie und die zwei Dinge müssen sich nicht beißen. Ohne Kollegen, ohne Mitarbeiter, ohne Team funktioniert gar nichts. Nur irgendeiner muss den Hut aufhaben und auch den Kopf hinhalten. Meine Tür ist immer offen, außer wenn jemand im Büro ist. Dann kann diejenige oder derjenige zu mir kommen und sagen: „Ich hab hier ‘ne geile Idee!“. Dann höre ich mir das an, egal wer das ist. So sind wir im Verein auch einfach groß geworden. Also, das wächst ja nicht alles auf meinen Mist, was hier passiert ist, sondern da haben viele, viele Leute einen großen Anteil daran.

Aber ich glaub, das ist auch das Gute, dass du dafür offen bist. Ich denke nicht, dass es bei allen Vereinen so ist. Da hat man diese Kreativität dann nicht…

Ja, das kann sein. Ich glaube, man muss den Leuten aber auch den Freiraum und das Lob rüberbringen. Alle Leute erzählen mir ich hätte Thomas Tuchel entdeckt. Und egal in welchem Interview sage ich: „Nein, Volker Kersting aus dem Nachwuchsleistungszentrum hat mir den irgendwann mal gebracht als Jugendtrainer. Aber er hat mich sofort interessiert. Und dann habe ich gesagt: Also auf den gebe ich Acht.“ Nach dem ersten Gespräch dachte ich mir: „Ho, was ist denn das!“. Ein Jahr später war er Profitrainer bei uns. Aber ich hab ihn nicht nach Mainz geholt. Ich habe ihn zum Profitrainer gemacht, aber ich habe ihn nicht nach Mainz geholt.


„Ab und zu steh ich da auch hinter der Theke und zapfe mit, wenn viel los ist.“

Jetzt ein anderes Thema. Du hast vorher schon von der berühmten Hasekaste erzählt. Seit Jahrzehnten gehst du immer wieder in den Hasekessel bzw. inzwischen in den Hasekaste und hältst Kontakt zu den Fans. Wie wichtig ist dir das und warum ist dir das so wichtig? Welche Gesprächsthemen habt ihr dort? Ist dort auch schon mal eine positiv verrückte Idee entstanden, die ihr umgesetzt habt, oder wie kann man sich das vorstellen?

Man muss sehen: Das hat irgendwann vor knapp 30 Jahren angefangen. Da waren wir ja nicht so viele Zuschauer hier und dann war’s völlig normal. Da gehst du nach dem Spiel in die Kneipe, in den Hasekessel, weil ja, wo sollst’n hingehen? Dann hast du da noch ein Bier getrunken. Mit der Zeit wurden es immer mehr Menschen und der Platz hat nicht mehr ausgereicht. Dort standen also nach dem Spiel noch 2.000, 3.000 Leute mit dem Schobbeglas und für mich war es völlig normal, dass ich da hingehe. Am Anfang waren es eben wenige, später waren es viele.

Ich quatsch da mit jedem. Damals waren auch teilweise Fans vom Gegner da und die konnten überhaupt nicht glauben, dass ich da mittendrin stehe. Das ist einfach gewachsen, da gab es überhaupt keinen strategischen Plan. Gar nicht. Mit meinen Kumpels, mit meinen Freunden geh ich dahin. Am neuen Stadion hat’s natürlich eine völlig neue Dimension. Den Wirt, Milan, bis heute einer meiner sehr, sehr guten Freunde, habe ich vom Bruchweg in die MEWA-Arena, damals noch Coface-Arena, mitverfrachtet. Er hat dann eben dort ein Lokal aufgemacht. Ab und zu steh ich da auch hinter der Theke und zapfe mit, wenn viel los ist. Da triffst du jeden. In Mainz weiß das jeder. Wenn ein Fan mit mir quatschen will, geht er nach dem Spiel in den Hasekasten. Und dann kommt er zu mir und wir reden über alles. Ich geh da einfach rein, weil’s mir Spaß macht. Ich muss es nicht machen, aber ich mach es einfach. Kürzlich bin ich nach dem Spiel bis halb Zwölf dortgeblieben. Du kriegst schon ein bisschen mit: Wie ist die Stimmung, wie ist das Gefühl? Momentan ist das sehr, sehr gut. Aber ich geh auch rein, wenn wir 0:5 verloren haben.

Für die Leute dort ist das nichts Besonderes mehr. Sie wissen das. Sie wissen sogar, an welchem Tisch ich immer stehe. Das ist ganz normal und das ist jetzt auch nicht so, dass sie sagen: „Jaaa, Herr Heidel!“ Das ist für sie normal, dass ich da bin. Ab und zu mache ich noch ein Foto, aber die meisten haben eh schon eines. Man bekommt ein Gefühl, ein Gespür. Aber ich mach es nicht deswegen, dass die Leute sagen: „Ja, der Heidel ist normal“. Da hab ich nie einen Hintergedanken gehabt, weil’s für mich einfach komplett normal ist. Es macht Spaß. Ich streite mich auch und das gehört dazu. Aber es wurde noch nie eine Grenze überschritten. Aber ich mag dies Atmosphäre. Ich gehe vorher immer eine halbe Stunde in den VIP-Raum, aber nach der halben Stunde gehe ich dann für zwei oder drei Stunden in den Hasenkasten.


Christian Heidel, Jürgen Klopp und ein Kasten Bier…

Christian Heidel (Mitte) und Jürgen Klopp (rechts), hier im Gespräch mit Martin Schmidt, lachen noch heute über Anekdoten aus ihrer gemeinsamen Zeit in Mainz. Foto: Mainz 05

Welche Anekdote oder Geschichte möchtest du gern erzählen? Du hast ja jede Menge erlebt, aber welche ist so eine, die du gerne herausgreifen würdest? Vielleicht eine, die noch nicht so bekannt ist…

Puh! Ganz, ganz schwierig, weil ich hier so viel erlebt hab. Ich muss sagen, die Zeit mit Kloppo [Jürgen Klopp; Anm. von LS], das war schon das intensivste, bei allem, was wir später erlebt haben. Aber da ist ja der Verein so langsam von unten nach oben marschiert. Also diese Zeit, als Kloppo Trainer wurde – am Rosenmontag natürlich – bis zum Zeitpunkt, als wir noch die Klasse gehalten haben. Das war so emotional, das ist eigentlich nicht zu toppen gewesen.

Und ich erinnere mich wirklich immer gerne an die Geschichte: Wir hatten das letzte Saisonspiel bei Waldhof Mannheim. Wir hatten uns schon am vorletzten Spieltag gerettet. Die Zuschauer hatten super mitgezogen, vor allem im vergangenen halben Jahr. Man hat gespürt, dass da etwas entstanden ist. Deshalb wollten wir uns  bedanken. Ich hab also das größte Schiff, das auf dem Rhein rumfahren darf – ich glaub, 3.000 Leute gingen drauf – komplett gechartert und wir haben organisiert, dass die Fans mit 60 oder 70 Bussen nach Mannheim gefahren werden und dann mussten die 70 Busse die Mainzer nach dem Spiel ans Rheinufer bringen. Erstmal war das logistisch der Wahnsinn. Die Mannheimer Polizei war überhaupt nicht begeistert. Jetzt muss man wissen: Waldhof Mannheim konnte an diesem Tag in die erste Bundesliga aufsteigen. Waldhof hat uns 4:0 abgeschossen und wir waren so schlecht wie sonstwas. Das war uns völlig egal. Aber ich glaub Sankt Pauli hätte in Nürnberg nicht gewinnen dürfen, die haben aber gewonnen. Somit ist Waldhof Mannheim nicht aufgestiegen. Und bei uns haben dreieinhalb Tausend Fans gefeiert und – naja, Mannheim und Mainz, das ist jetzt nicht gerade eine Liebesbeziehung. Dann sind die über die Zäune geklettert und sind sich schon gegenübergestanden auf’m Rasen. Also, das war hart an der Grenze alles, und dann mussten noch Dreieinhalbtausend an den Rhein gekarrt werden. Wir hatten noch Dopingkontrolle, sind danach mit dem Mannschaftsbus – also die ganze Mannschaft ist mitgefahren mit dem Schiff – runtergefahren. Da kamst du dann da unten an. Damals war das mit der Pyro noch nicht so wie es heute ist. Das ganze Schiff hat gebrannt, also mit Pyrofackeln und 3.000 Mainzer sangen auf dem Schiff: „Wieder alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“. Vor dem Schiff beschimpften uns 3.000 Mannheimer und zwischendrin 500 Polizisten. Dann kamen wir mit dem Mannschaftsbus. Das war Gänsehaut pur. Zum Glück blieb es friedlich.

Auf dem Schiff haben drei oder vier Bands gespielt. Man fährt länger als man glaubt von Mannheim nach Mainz, ich glaub zweieinhalb Stunden. Wir sind den ganzen Rhein entlang und überall haben die Leute am Ufer gestanden, weil die Pyro am Schiff ja gebrannt hat von hier bis nach Mainz. Also ich glaub, da wurde die Ultrabewegung in Mainz gegründet. (lacht) Und wir hatten die Dinger auch in der Hand. Das war damals nicht verboten, muss man klar sagen. Irgendwann kam Kloppo zu mir und hat gesagt: „Komm, wir müssen uns mal ein bisschen in Ruhe unterhalten“. Wenn du da mit so vielen Menschen drin bist, ist das sehr laut. Also hat der Kapitän gemeint, wir dürften uns vorne auf die Spitze des Schiffs setzen. Das war so ein riesiges Schiff mit einer ganz langen Schnauze. Kloppo und ich haben einen Kasten Bier mitgenommen und sind dann da vorne drübergeklettert, ja. Wir haben den Kasten Bier hingestellt, er links, ich rechts, ganz vorne an der Spitze des Schiffs. Und dann haben wir, ich glaube innerhalb von einer Stunde, den Kasten Bier leergetrunken. Und wir haben nur über dieses halbe Jahr erzählt, was da alles passiert ist und haben uns kaputtgelacht. (begeistert)

Der Mainzer Dom war nicht nur bei der Nichtabstiegsfeier 2001 in Sichtweite, sondern auch, als Christian Heidel 2009 mit Mainz 05 den Aufstieg in die 2. Bundesliga feierte. Foto: Mainz 05

Dann ist das Schiff, voller Leute mit brennender Pyro in den Händen, ich glaub es war elf Uhr, am Abend in Mainz vorm Rathaus und mit dem Dom im Hintergrund eingelaufen. Das war schwer emotional. (man merkt er hat die Bilder im Kopf) Wir sind dann natürlich alle noch in die Kneipen und irgendwann am nächsten Nachmittag wieder nach Hause. So haben wir den Nichtabstieg in Mainz gefeiert. Aber die Stunde mit Kloppo (seine Augen leuchten) auf dem Schiff da vorne drauf, das werd ich nie vergessen und er auch nicht. Vor kurzem war er vier Wochen bei mir auf Mallorca, in der Sommerpause. Da haben wir sehr oft zusammengesessen und stundenlang Anekdoten aus dieser Zeit erzählt. Unsere Frauen haben nur noch den Kopf geschüttelt. Es gibt so viele Geschichten, da kann man gar keine herausheben.

(Ich muss schmunzeln, weil das ja schon eine tolle Geschichte war – oder wie geht’s euch, liebe Leser*innen?) Die ist ja auch schon mal sehr schön.

Und eben weil die Geschichte so schön war und der zweite Teil des Interviews durchaus ernster wird, folgen hier der Cut und ein Fragen-Potpourri in Form eines Videos. Teil 2 des Interviews könnt ihr ab morgen an dieser Stelle (bitte auf den Link klicken) nachlesen.

Fragen-Potpourri mit Christian Heidel:

Christian Heidel beantwortete das Fragen-Potpourri. Video: Lisa Schatz [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung]

Hinweis: Bitte beachtet, dass dieses Interview vor den schrecklichen Ereignissen in der Ukraine geführt wurde. Im Jahr 2022 findet in Mainz kein Rosenmontagsumzug sowie keine Fastnachtsfeier statt.

Den zweiten Teil des Interviews findet ihr hier.

Drei Jahre „Quergedacht by Lisa Schatz“

LFC
Dieses Foto ist an einem der beeindruckendsten Fußballabende, die ich je erlebt habe, an der Anfield Road in Liverpool entstanden. Foto: Lisa Schatz

Liebe Fußballbegeisterte aus aller Welt!

Es ist unglaublich, aber wahr: Heute darf ich voller Freude mein dreijähriges Blogjubiläum verkünden. Es ist unglaublich, wie sich das hier alles entwickelt hat. Anfangs habe ich einfach ins Blaue hinein begonnen, einen Blog zu schreiben. Meine Idee war ursprünglich, einen „Fußball-, Kultur- und Reiseblog“ zu starten. Doch – welch Überraschung 😉 – das ganze lief dann doch mal wieder in Richtung rundes Leder…

Ich möchte mich bei allen bedanken, die mich im Rahmen meines Fußballblogs bisher unterstützt haben und freue mich, dass ich durch meinen Blog „a wengl was“ im Fußball mitbewegen durfte und darf. Denn es gibt unglaublich viele Themen in dieser vielseitigen und spannenden Sportart und meines Erachtens auch einige Bereiche, in denen noch vieles weiterentwickelt und verbessert werden kann und sollte.

Die Faszination Fußball bietet eine unglaubliche Bandbreite an „Kapiteln“ – so viele verschiedene Blickwinkel sind möglich: Aus der Fan-, Trainer- und der Forschungsperspektive. Und die der SportpsychologInnen, MentaltrainerInnen, sportlichen LeiterInnen usw… 🙂

Mein Ideenbuch ist seitenweise vollgeschrieben, sodass ich eigentlich genug topics für die kommenden Jahre hätte… Da ich natürlich nicht von diesem Fußballblog hier lebe und hauptberuflich anderweitig beschäftigt bin, kann ich logischerweise nicht über all das bloggen, was mir fußballbezogen so in den Sinn kommt (auch, wenn das evtl. recht cool sein könnte…).

Somit geht’s einfach weiter wie bisher: Quergedacht, unregelmäßig, vielseitig, spannend und verschiedene Blickwinkel beleuchtend zu unterschiedlichen Fußballthemen. Lasst euch überraschen :-). Wer Anmerkungen oder Anregungen hat, kann mir natürlich gerne schreiben – ich freue mich immer über Feedback, wenn es fair ist.

Was mir noch ganz wichtig ist zu formulieren – und zwar am Schluss dieses Beitrags, damit es möglichst lange im Gedächtnis bleibt: DANKE an alle, die an mein positiv verrücktes Fußballbuchprojekt geglaubt haben und daran glauben! Vielen Dank an alle Ehrenamtlichen, die mitgemacht haben bzw. mitmachen – ohne Euch wäre das so nie möglich gewesen!!! Es war viel Arbeit, das ganze vorzubereiten und starten zu können, aber der Aufwand hat sich meiner Ansicht nach gelohnt: Wir konnten starten und können – sofern alles klappt – mit dem Buch etwas für gute Zwecke tun. In den vergangenen Monaten hat das Fußballbuch international Menschen aus dem Fußballbereich miteinander ins Gespräch gebracht. Kürzlich wurde das Buch wieder weitergegeben – genauere Infos folgen bald :-). Ich hoffe, dass alles klappt und dass das Buch weiterhin einige hundert Kilometer – bzw. ein paar Tausend – „zurücklegen“ wird… Seien wir gespannt!

Sportliche Grüße und bis bald

eure

Lisa Blue

Gerrit Meinke über Arminia Bielefeld, seinen Nebenjob und die Wettbewerbsfähigkeit im Profifußball

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Gerrit Meinke fungiert seit ca. eineinhalb Jahren als Geschäftsführer der DSC Arminia Bielefeld GmbH & Co. KGaA. Foto: Schatz

DSC Arminia Bielefeld. Gerrit Meinke ist Ex-Fußballprofi. Er hat u.a. für Arminia Bielefeld und den SC Paderborn gespielt. Seit Juni 2013 (seit 2013 ALM KG, seit 2015 KGaA) ist der ehemalige Stürmer als Geschäftsführer des DSC tätig. Nebenberuflich arbeitet Meinke als Assistent von Tom Bartels und flüstert ihm die wichtigsten Daten zum Spielgeschehen ein. Ich wollte von ihm u.a. wissen, welche Aufgaben er in seinen Jobs hat, inwieweit sich der Profi- und der Amateurfußball voneinander entfernen und wie er sich den DSC in fünf oder zehn Jahren wünscht. Herausgekommen ist ein umfangreiches Interview, das über den Tellerrand der zweiten Liga hinausgeht und die eine oder andere Anekdote für euch bereit hält…

Herr Meinke, zunächst eine Frage zu Ihrem Job als Geschäftsführer. Welche Aufgaben haben Sie genau und was gefällt Ihnen daran am besten?

Das schöne ist die Vielfältigkeit, die Abwechslung. Da ich auch Geschäftsführer der Stadiongesellschaft bin, bin ich ja auch eine Art Immobilienmakler: Wir haben hier Büros, die wir gewerblich vermieten. Auf der anderen Seite bin ich als oberster Personalchef immer ein Stück weit Pädagoge. Personalführung ist das interessanteste, aber andererseits auch das schwerste. Für Personalführung wird es keinen Studiengang geben, es gibt aber auch keinen Studiengang Geschäftsführer. Was ich damit sagen will: Der Geschäftsführer kommt ja aus einer gewissen Kernkompetenz, die bei mir eben „Finanzen“ ist. Ich habe diesem Thema, weil ich das bei uns in der Buchhaltung in sehr guten Händen weiß, zunächst weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Das hätte ich mir vorher nie vorstellen können. Ich werde darüber selbstverständlich informiert und spreche natürlich mit meinen Mitarbeitern darüber. Bei mir war es so: Als ich 2015 hier Geschäftsführer der KGaA wurde, habe ich mich insbesondere mit den Themen befasst, die nicht meine Kernkompetenz sind, z. B. die Pressearbeit oder der sportliche Bereich, vor allem die Kaderzusammenstellung und die Suche nach einem neuen Trainer.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Der Beruf ist sehr abwechslungsreich, ich habe mit dem Hobby Fußball zu tun und bin natürlich auch Fan. Was genauso interessant ist, ist die Arbeit im Nachwuchsbereich, wo ich eher Gespräche mit jüngeren Menschen führe. Darüber hinaus sieht jeder Tag anders aus. Ich meine, es ist viel durchgetaktet mit Terminen. Das kenne ich aus meinem vorherigen Arbeitsleben nicht so in dieser Art. Das ist aber auch total spannend. Heute Morgen habe ich harte Verhandlungen geführt, jetzt gebe ich ein lockeres Interview, kürzlich habe ich einige Begrüßungsworte an Erstsemester gerichtet… Es ist so mannigfaltig.

Dann bin ich abends wieder auf einer Sponsorenveranstaltung, wo ich viel Smalltalk und Gespräche hinter den Kulissen führe, Eröffnungsworte spreche. Oder ich bin auf einer Sponsorenmesse oder schaue an einem spielfreien Wochenende beim Frauenfußball in der SchücoArena zu. Das macht mir einfach viel Spaß und ich finde es total cool.

Sie selbst sind Ex-Profi. Inwieweit kennt man sich als solcher mit all den Formalitäten aus? Haben Sie sich auch ein bisschen von Samir Arabi einarbeiten lassen, zum Beispiel bei der Trainersuche? Ich denke, dass er da nochmal eine ganz andere Perspektive hat.

Da ist er auch der maßgebliche Mann. Er hat damals das erste Gespräch mit Rüdiger Rehm geführt, ist zu mir gekommen und meinte: „Ich hab ein gutes Gefühl“. Dann sind wir ein zweites Mal zusammen hingefahren. Das ist genauso, wenn es um Spielerverpflichtungen geht. Wenn Samir sagt: „Bei dem Spieler sind wir jetzt schon ein bisschen weiter, das könnte einer für uns sein“, dann schaue ich mir auch mal Videosequenzen an. Das möchte er auch. Natürlich habe ich nicht so viel Wissen wie er in dem Bereich. Aber ich war ja Profi und hab auch einen Nebenjob im Fußballbereich (als Assistent von TV-Kommentator Tom Bartels; Anm. von LS) und kann das ein wenig beurteilen. Ich schaue mir die Spiele an und gebe meine Expertise dazu. Die Meinung von Samir ist entscheidend. Ich sage letztendlich – da ich Geschäftsführer Finanzen bin – ob die Verpflichtung wirtschaftlich möglich ist. Umgekehrt ist es so: Wenn es um irgendwelche Finanzthemen geht, involviere ich ihn genauso. Das klappt ganz gut. Für mich ist der Job als Geschäftsführer hier schöner als vorher, als ich nur Geschäftsführer der Stadiongesellschaft war, da ich nun viel näher dran bin. Jetzt fahre ich morgens auch mal zum Training, spreche mit Spielern und dem Trainer. Das hat natürlich einen gewissen Charme.

 

„Wettbewerbsfähigkeit ist das höchste Gut im Fußball“

Jetzt möchte ich einen großen Schwenk machen. Inwieweit entfernen sich der Profi- und der Amateurfußball voneinander? Vor allem, wenn Sie sich jetzt die wirtschaftlichen Aspekte anschauen.

Was diese Sache anbelangt, differenziere ich zwischen zwei Themen. Das eine ist die wirtschaftliche Schere und zwar sowohl international als auch national. Und das andere ist das Spiel an sich, was ich ein Stück weit kritisiere. Dass in der ersten Liga besser gespielt wird als in der Kreisliga ist völlig normal. Und dass die Qualität dort besser ist, auch. Aber ich behaupte: Der Fußball, diese Massenfaszination lebt davon, dass das Spiel in der Champions League genau dasselbe ist wie in der Kreisliga. Was ich damit meine: Es fängt damit an, dass in der Champions League mittlerweile sechs Schiedsrichter eingesetzt werden. Die Torrichter kann man vergessen. Nach meiner Wahrnehmung hat noch keiner eine richtige Entscheidung getroffen, wenn es um „Tor“ oder „kein Tor“ ging. Dann diese Geschichten mit dem Videobeweis. Da wird sicherlich demnächst noch ein Challenge kommen mit Spielunterbrechungen. Ich kann verstehen, dass man die Technik einsetzen will, um höchstmögliche Genauigkeit zu haben. Das ist klar. Wir können alle sagen: „Ja, aber der Fußball lebt doch davon, dass am Stammtisch darüber diskutiert wird, ob es Abseits war oder nicht“. Da sage ich: Falsch. Es ist vollkommen richtig, die Technik, die wir haben, einzusetzen. Dafür geht’s um zu viel Geld. Aber wir müssen aufpassen, dass das Spiel in der ersten oder zweiten Liga, in der Champions League, bei den Weltmeisterschaften, nicht ein anderes wird als in der Kreisliga. Denn: Wir haben so viele aktive Spieler, auch bei uns hier im Stadion, die den Fallrückzieher, den Fabian Klos beim nächsten Spiel macht, in der Kreisliga nachmachen wollen. Das ist genau der Punkt. Darin sehe ich echt eine Gefahr. Der Fußball lebt einfach davon, dass das hier dasselbe ist wie in der Kreisliga. Das ist meine Meinung.

Der zweite Punkt ist der wirtschaftliche Faktor. Die Bayerns und Dortmunds dieser Welt proklamieren, dass wir international wettbewerbsfähig bleiben müssen. Klar: Wenn ich mir Real Madrid, Manchester United oder Paris St. German angucke, hätte ich als BVB oder FC Bayern auch irgendwie die Befürchtung, dass sie mir weglaufen. Bisher geht’s ja noch. Die englischen Clubs machen ja gerade alles verkehrt, was man verkehrt machen kann. Aber irgendwann kommen sie vielleicht auch noch auf die Idee, gute Nachwuchsleistungszentren zu bauen. Sie haben grundsätzlich Recht, nur besteht aus meiner Sicht wieder die Gefahr: Wir müssen den schmalen Grat hinbekommen, dass wir sowohl international als auch national wettbewerbsfähig bleiben – und zwar nicht nur Borussia Dortmund und der FC Bayern – sondern idealerweise z. B. auch noch Gladbach und Wolfsburg. Im nationalen Fußball besteht diese finanzielle Lücke zwischen der ersten und zweiten Liga, welche noch einigermaßen in Ordnung ist. Wobei es auch immer schwerer wird: Also, die Relegation 1./2. Liga wird ja grundsätzlich nur von den Erstligisten gewonnen. Sonst wäre der HSV ja schon …. Und – was jedoch zeigt, dass Geld nicht alles ist – die Lücke zwischen der zweiten und dritten Liga ist prozentual noch größer. Nicht absolut, aber prozentual ist sie doch größer. Die Relegation zwischen der zweiten und dritten Liga wird meist von den Drittligisten gewonnen, was wiederum heißt, dass es sportlich nicht divergiert. Was will ich damit sagen? Wenn wir im nächsten Jahr hoffentlich am neuen Fernsehvertrag partizipieren dürfen, kann ich bzw. will ich da nicht zuviel Geld davon verwenden, um es in die Mannschaft zu investieren. Sicherlich einen Teil, aber im Sinne der Nachhaltigkeit und der dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit halte ich es mittelfristig für sinnvoller, es ins Nachwuchsleistungszentrum zu investieren, oder arminia-spezifisch, in die Infrastruktur.

Dort liegen meine Befürchtungen. Der Fußball lebt immer vom Wettbewerb. Eigentlich sollte es bei jedem Spiel so sein, dass es anfangs 0:0 steht und ich nicht weiß, wie es ausgeht. Es wird immer Spiele geben wie bei Real Madrid gegen Bate Borisov. Da wird Real immer zu 95 Prozent siegen. Das ist ok. Aber wenn ich in der Vorrunde der Champions League gefühlt 95 Prozent der Spiele vorhersehen kann, dann macht es keinen Spaß mehr. Das ist die große Gefahr. Da muss man aufpassen. Geld schießt am Ende des Tages Tore – nicht kurzfristig, aber mittel- und langfristig auf jeden Fall. Wettbewerbsfähigkeit ist das höchste Gut im Fußball.

Wenn Sie jetzt nur auf Deutschland blicken: Inwieweit sollten die DFL und der DFB diesbezüglich mit Regularien eingreifen? Wenn wir jetzt z. B. auf die Vertragsverlängerung mit Toni Kroos schauen: Denken Sie, dass es in Hinsicht auf die Gehälter eine Grenze geben sollte?

Ein Salary Cap (Gehaltsobergrenze; Anm. von LS) wäre wünschenswert, ist aber arbeitsrechtlich nicht durchsetzbar. Never. Keine Chance. Das wurde ja wieder von Herrn Holzhäuser aufgeworfen. Die Amerikaner machen es da einfach gut. Aber ok, da habe ich einen Draft (spezielles Auswahlverfahren für Nachwuchsspieler; Anm. von LS), wobei der schlechteste Verein der Vorsaison die besten Picks (pick= Auswahl eines Spielers; Anm. von LS) bekommt. Dann mache ich einen Salary Cap. In Europa ist das leider nicht durchsetzbar. Man kann ja viel verteufeln, was die Amerikaner machen, gerade auch im Sport. Aber das ist Wettbewerbsfähigkeit: Der, der letztes Jahr als Letzter abgeschlossen hat, kann im nächsten Jahr theoretisch Meister werden. Das ist bei uns nicht möglich. Die Ausnahmen sind meines Wissens schon eine Weile her, als Kaiserslautern aufstieg und als Aufsteiger Deutscher Meister wurde. Wenn heute Darmstadt 98 aufsteigt und Deutscher Meister werden würde, ist das utopisch. Das geht nicht.

 

Arminia und die Amateurvereine

Themenwechsel. Wie gut sind heutzutage die Kontakte zwischen den Profi- und Amateurvereinen? Was tut beispielsweise Arminia Bielefeld dafür, um die Kontakte zu kleinen Vereinen herzustellen und zu halten?

Sehr viel läuft über unsere 22 Partnerstädte, wo wir auch immer ein, zwei Spiele pro Saison spielen. Der Gedanke ist, dass nicht immer die Fans zu Arminia kommen, sondern auch mal Arminia zu den Fans. Ich glaube da machen wir schon relativ viel. Zudem spielen wir in der Saisonvorbereitung die ersten drei, vier Spiele immer gegen niederklassige Vereine. Wir haben sehr viele gute Kontakte zu kleinen Clubs in Bielefeld. Zudem spielen wir jedes Jahr bei Fichte Bielefeld, das Derby ist Tradition. Zum VfL Theesen haben wir einen sehr guten Kontakt und die Damen spielen jetzt in Quelle, weil wir schon immer einen guten Draht zu Quelle hatten. Zur Einweihung des Kunstrasenplatzes werden wir dort spielen. Wir suchen schon immer den Kontakt zur Basis. Ich glaube, dass wir da gut aufgestellt sind und dass das nicht bei allen Profivereinen so gelebt wird, wie wir das hier tun. Meiner Auffassung nach sind wir schon ein ganz geerdeter Verein, der da an die Basis herantritt.

Sie haben gerade die Fans angesprochen. Was bekommen Sie als Geschäftsführer von den Arminiafans mit, wo haben Sie Kontakt zu ihnen?

Das übliche Medium kennen wir ja alle, das ist fb. Aber es würde keinen Sinn machen, dass ich mich da anmelde. Das werde ich nicht tun. Es ist zudem so, dass ich ab und an E-Mails oder Briefe erhalte, in der Stadt angesprochen werde oder im Stadion. Ich glaube, dass ich das Feedback der Fans, wie deren Stimmungslage ist, wie sie die Situationen sehen, schon ganz gut einschätzen kann. Ich gebe zu, dass ich mir die Kommentare auf Facebook angucke. Es ist schon ein gutes Tool dafür, ein paar Tendenzen herauszuhören. Auch wenn es teilweise extrem ist. Wenn man es für sich gut filtert, dann kann man es gut nutzen.

 

Gerrit Meinkes Arbeit auf der Pressetribüne

Nun von Ihrem Hauptberuf zum Nebenjob „Einflüstern fürs Fernsehen“. Wie bekommen Sie das unter einen Hut? Ist das gut zu managen oder wie kann man sich das ganze vorstellen?

Ja, das ist gutes Zeitmanagement (lacht). Grundsätzlich nehme ich mir für diese Aktionen Urlaub. Wenn z. B. am Abend ein Spiel in Dortmund ist, das übertragen wird, dann gehe ich um 16 Uhr los. Aber grundsätzlich nehme ich für Turniere – wie in diesem Jahr in Frankreich – meinen Jahresurlaub. Von daher geht da schon eine Menge Urlaub drauf. Das ist manchmal schwer, das meiner Frau zu vermitteln. Aber sie weiß, wie gerne ich das mache. In der Regel findet so ein großes Turnier auch „nur“ alle zwei Jahre statt. Wobei nächstes Jahr ein Confed-Cup mit deutscher Beteiligung ansteht. Da bin ich nah dran, abzusagen. Drei Jahre hintereinander, das wäre mir zu viel. Das kann ich meiner Frau nicht mehr antun. Aber grundsätzlich ist ein gutes Zeitmanagement wichtig. Ich weiß immer relativ früh, ca. acht Wochen vorher, wann ich mit Tom Bartels eingeteilt bin und dann lässt sich das ganz gut planen. So viel Zeit geht da nicht drauf. Wenn ich bei einem Spiel in München bin, bin ich insgesamt nur einen halben Tag weg. Ich fliege um 14 Uhr los, lande um 15 Uhr, am Abend ist das Spiel und am nächsten Morgen sitze ich wieder um 10 Uhr im Büro.

Ist das für Sie Stress?

Für mich ist das ein super Ausgleich. Das ist wirklich so. Dass eine gewisse Anspannung da ist, ist völlig normal. Ein Spiel, das ich mit Tom Bartels anschaue, kann ich neutral betrachten. Da kann ich völlig relaxed im Stadion sitzen, wer gewinnt ist mir im Grunde genommen gleich. Der bessere soll gewinnen, sag ich mal, und wir sind die Hobby-Analysten.

Was reizt Sie an Ihrer Arbeit auf der Pressetribüne?

Das schöne ist, dass ich in der Branche bleibe. Ich erweitere dadurch mein Netzwerk. Man lernt neue Leute kennen, die im Fußball arbeiten, aber vielleicht „auf der anderen Seite“, weil sie z. B. im Journalismus tätig sind. Darüber hinaus ist es angenehm, ein Spiel ohne irgendwelchen Druck  anzuschauen. Ich kann mich wirklich darauf konzentrieren, wie das Spiel läuft, kann auf Dinge wie die Taktik achten. Es ist natürlich auch schön, einen der besten Kommentatoren Deutschlands unterstützen zu dürfen.

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Gerrit Meinke (li.) arbeitete auch während der EM 2016 als „Einflüsterer“ mit TV-Kommentator Tom Bartels zusammen. Foto: Meinke

Wie kann man sich Ihre Arbeit für das Fernsehen vorstellen? Ist das viel Vorbereitung, müssen Sie viel mitschreiben oder wie läuft das ab? Worauf achten Sie am genauesten?

Als ich noch nicht Geschäftsführer bei Arminia war und ein bisschen mehr Zeit hatte, habe ich mit Tom Bartels eine Art Vereinbarung getroffen. Es gibt in der Regel vor jedem Spiel 80 bis 100 Seiten von einem Unternehmen, das Fußballdaten generiert. Ich habe diese immer alle brav durchgelesen und wusste irgendwann, dass ich von den vielen Informationen höchstens zehn Prozent verwenden könnte. Die 10 Prozent schreibe ich mir heraus und kann den Stapel weglegen. Tom war derselben Auffassung. Ich habe irgendwann gesagt: „Ich kann mir das nicht mehr komplett durchlesen“. Er antwortete nur: „Musst du auch nicht. Ist gut“.

Wir sitzen vor den Spielen immer zusammen, um uns abzusprechen. Tom sagte: „Du hast Ahnung von Fußball, mehr brauche ich von dir nicht. Ich weiß, dass ich mich auf deine fachliche Expertise verlassen kann. Du musst mich nicht mit Statistiken zuballern“. Zwischendurch sagt er schon: „Schreib dir mal noch zusätzlich diese Chance gerade auf“. Klar. Natürlich bin ich auch der Schreiber und sage bei Toren z. B. „in der 33. Müller, in der 37. Lewandowski und 58. Thiago“. Was ich damit meine: Der Job beginnt mit dem Anpfiff. Ich soll einfach gucken, wie das Spiel läuft, und aufpassen, ob er mit seiner Bewertung richtig liegt. Das Schöne ist, dass wir uns seit fast 40 Jahren kennen. Wir sind schon zusammen in den Kindergarten gegangen und verstehen uns wirklich blind. Und das ist – gerade, wenn man auf diese Art und Weise zusammenarbeitet – total wertvoll. Dann weiß man, wie der andere tickt.

Vielleicht eine kleine Anekdote zwischendurch: WM 2010, letztes Vorrundenspiel, Deutschland gegen Ghana. Da sitzt du im Soccer City Stadium, 80.000 Zuschauer, die Pressetribüne ist direkt unterm Dach. Dort wurde es schon relativ schwer, die Spieler zu identifizieren und dann: Deutschland – Ghana. Weltklasse. Ich hatte Gott sei Dank immer noch diesen Monitor. Zum Glück konnte ich auf‘s Spielfeld gucken. Tom konnte das nicht. Klar, er musste auf den Monitor blicken. Er musste schließlich das kommentieren, was der Zuschauer sah. Wir kamen also auf die Pressetribüne, weit oben, und ich habe gesagt, ich könne die Deutschlandspieler kaum auseinanderhalten, ich könne die Nummern kaum erkennen. Da dachte ich mir: „Gut, oben hab ich ja einen schönen Monitor“. Dann stand oben so ein kleiner Bildschirm. In schwarz-weiß! Kurz vor Schluss schoss Özil das 1:0, Tom sagte: „1:0“, guckte mich an, und ich flüsterte „Özil, Öööööööziiiiiiiiiiiiiiil!“ (lacht). So ging das. Noch ein kleines Anhängsel hintendran: Das Spiel war vorbei, wir sind in die Innenstadt von Johannisburg gefahren. Zwei Stunden später stand das nächste Spiel an. Wir haben dort eine Sportsbar gefunden. Überall hingen diese typisch südafrikanischen Screens, wohinter die Fans saßen, darunter auch deutsche. Das nächste Spiel kam und ein Fan fragte: „Wieso sieht der Kommentator das nicht???“ und ich dachte mir nur: „Hey, hast du eine Ahnung…!“ (schüttelt den Kopf und lacht). Manchmal ist es schon echt schwer, die Spieler zu erkennen. Bevor du da etwas Falsches sagst, sagst du lieber gar nichts.

Jetzt zu Ihrer Vergangenheit als Ex-Profi. Haben Sie damals schon ein bisschen in die Richtung geschielt, nach Ihrer aktiven Karriere bei einem Club zu arbeiten?

Nein, gar nicht. Ich habe nie eine Karriere als Fußballfunktionär geplant. Das hat sich alles irgendwie entwickelt. Selbst als ich Profi geworden bin, wusste ich, ich muss nach meiner Profikarriere irgendetwas machen, weil ich nicht so viel Geld haben würde, dass ich komplett davon leben könnte. Das war mir klar. Deswegen habe ich Betriebswirtschaft studiert. Als ich das Studium – noch während meiner Fußballerlaufbahn – fertig hatte, war ich sehr froh und habe versucht, während dessen schon den Berufseinstieg zu finden. Weil man natürlich als Fußballprofi Kontakte hat ergab es sich für mich, dass der SC Paderborn meine letzte Station wurde und ich zugleich bei Finke (Möbelgeschäft in Paderborn; Anm. von LS) anfangen konnte zu arbeiten. Als ich mit dem Fußball aufgehört habe, habe ich nur noch für Finke gearbeitet. Als der SCP 2005 in die zweite Liga aufgestiegen ist, kam der Verein auf mich, weil er auf Grund der DFL-Regularien einen hauptberuflichen Finanzverantwortlichen brauchte. Aber irgendwie war mir das zu unsicher, weil ich dachte, dass der Verein wieder absteigen könnte. Deshalb sagte ich: „Ich mach das erstmal für ein Jahr“. Dann haben sie’s geschafft, relativ souverän, und ich entschied mich noch ein zweites Jahr zu bleiben, meinte: „Wenn das nicht klappt, dann möchte ich aber wieder zu Finke zurück“. Und im dritten Jahr hat Finke gesagt, ich könne bei ihm bleiben und so bin ich da ein Stück weit meinen Weg gegangen.

Irgendwann kam der Anruf von Marcus Uhlig, der nach einem Geschäftsführer für die Stadiongesellschaft suchte. Also: Geplant war’s nie, aber ich bin glücklich. Parallel kam Tom Bartels 2004 auf mich zu. Das erste Spiel, das wir zusammen gemacht haben, war – wie es der Zufall so will, hier: Bielefeld gegen Bremen. Wahnsinn, echt (strahlt)! Das war damals noch für Premiere. Noch zu Paderborner Zeiten hatte ich gesagt: „Ich möchte keinen Beruf mehr ausüben, der nichts mit Fußball zu tun hat. Jetzt will ich auch in der Fußballbranche bleiben“. Selbst wenn mit Fußball nichts mehr wäre, schließt das nicht aus, dass ich wieder in meinen alten Job als Controller, in den Finanzbereich, gehen könnte. Aber nun will ich eigentlich schon bis zur Rente Fußball machen. Weil ich das cool finde und so schön und weil es mir so viel Spaß macht.

Sehen Sie das Spiel an sich durch Ihren Nebenjob schematischer als vorher?

Ich glaube, dass es mir nicht schwerfällt, den Fußball weiterhin nicht zu analytisch zu betrachten. Weil ich dieses natürliche am Fußball, weil ich gerade das so liebe. Die Spiele sind einfach geil, weil man nicht weiß, wie sie ausgehen. Selbst, wenn Bayern gegen Darmstadt spielt, kann mal einer ausrutschen und Manuel Neuer bekommt einen rein. Das kann natürlich trotzdem passieren.

Wir haben auch viele Länderspiele übertragen. Da bin ich nicht mehr neutral. Wenn wir jetzt ein Pokalspiel zwischen Bayern und Augsburg besuchen, habe ich keine Emotionen. Wenn wir mit Arminia einen Tag vorher gegen Dresden spielen, schon. Bitte nicht falsch verstehen: Ich finde es super, wenn ich in München ein Pokalspiel sehen darf, Bayern gegen Augsburg, 70.000 Zuschauer. Ich finde die Atmosphäre toll, das macht mir Spaß. Das ist für mich immer ein Stück weit Abwechslung und auch Erholung. Deswegen mache ich das total gerne.

 

Stamford Bridge: „Krass, heftig, Wahnsinn – einfach cool“

Welches ist Ihr Lieblingsstadion?

Ich würde schon sagen das in Dortmund. Das ist schon überragend. Es ist so wie hier, man ist einfach sehr nah am Spielfeld. Jetzt ist das noch dreimal größer als hier, das lieb ich – auch diese alten englischen Stadien wie Highbury, Arsenal. Es liegt mitten im Wohngebiet, wie die SchücoArena, und die Stadionuhr dort finde ich cool. Da bin ich ein Stück weit Fußballromantiker, das gebe ich zu. Ich habe einige Welt- und Europameisterschaften mitgemacht. Was mich da mittlerweile nervt ist, dass gefühlt jedes Stadion gleich aussieht. Ehrlich. Auch bitte nicht falsch verstehen – es ist immer ein Highlight. Aber wenn ich schon sehe: Es  ist überall gleich gebranded, das ist überall gleich. Ab und an gibt es Abweichungen, aber manchmal denkst du, das sind alles solche „Plastikpaläste“. Ich kann das verstehen. Rein wirtschaftlich müssten wir eigentlich auch so einen Palast an der A33 haben, nicht hier. Rein wirtschaftlich betrachtet. Aber das Stadion hat so viel Charme. Das kommt daher, dass es so ist, wie es ist und weil es im Wohngebiet liegt.

Wie haben Sie die Stimmung in den englischen Stadien erlebt?

Ich habe im Fußball schon wirklich viele und wichtige Spiele gesehen, aber ich habe noch nie so ein lautes Stadion erlebt wie in Chelsea, Stamford Bridge. Das war beim Champions League-Viertelfinale, Rückspiel gegen Barcelona. Ich habe meine Kopfhörer abgenommen, weil ich es nochmal im Original hören wollte. Ich habe gesagt: „Das gibt’s nicht, das ist so laut! Krass, heftig, Wahnsinn – einfach cool!“.

Von Chelsea back to Arminia. Was zeichnet den DSC Ihres Erachtens aus? Inwieweit trifft „Stur, hartnäckig, kämpferisch“ auf den Club zu?

Dieses Leitmotto finde ich besonders wichtig. Es hat aus meiner Sicht ein Alleinstellungsmerkmal. Ich wüsste keinen Verein oder ich könnte mir keinen anderen Verein vorstellen, der sich zumindest das Wort „stur“ auf die Fahnen schreibt. Das schöne ist, dass man sich damit ganz klar abgrenzen kann. Und natürlich sehen wir das positiv besetzt. Aber „stur“ hat eben auch damit etwas zu tun, dass wir stur daran festhalten – und dies hängt stark mit der Historie zusammen – dass wir an uns glauben. Wir fallen zwar immer wieder hin, aber wir stehen auch immer wieder auf. Dasselbe wie für „stur“ gilt für „hartnäckig“ und „kämpferisch“.

Wir sind Wanderer zwischen den Welten. Was wir hier schreiben, ist großes Theater: Entweder himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt. Das zieht sich hier wie ein roter Faden durch und ich denke nicht, dass sich das ändern wird. Man wünscht sich manchmal weniger Herzinfarktrisiko, keine Frage. Aber am Ende des Tages bietet Arminia Bielefeld – zumindest hat es das bisher immer geboten – das, was der Fan letztendlich will. Ohne, dass es vielleicht Arminia Bielefeld immer wollte. Aber letztendlich war es so. Das ist einfach das, was den Verein ausmacht und ich glaube, dass diese drei Wörter das einfach exakt treffen und uns von allen anderen Vereinen abgrenzen.

 

Zukunftswünsche für den DSC

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Was wird sich in fünf oder zehn Jahren bei Arminia verändert haben?

Was ich glaube, dass sich bei Arminia verändert haben wird oder wie ich es mir wünsche?

Sie können das auch gern differenzieren…

Das allererste, was ich mir für die Zukunft in fünf oder zehn Jahren wünsche ist, dass wir wirtschaftlich viel besser da stehen. Damit steht oder fällt letztendlich alles. Im Moment haben wir diese hohen Verbindlichkeiten und die schweben immer wie so ein Damoklesschwert über uns. Eigentlich beeinflussen sie jede Entscheidung. Man wünscht sich als Geschäftsführer, dass man Entscheidungen völlig frei davon fällen könnte. Wenn ich mir etwas für 2021 oder 2026 wünsche, dann ist es, schuldenfrei zu sein. Oder zumindest wirtschaftlich solide aufgestellt und damit zukunftsfähig zu sein. Damit einhergehend natürlich eine gewisse sportliche Stabilität im Profifußball, was für mich gar nicht unbedingt mit der ersten Liga gleichgesetzt werden muss. Aber, was wir uns auf die Fahnen geschrieben haben: Unter den ersten 25 zu sein. Selbst, wenn wir in zehn Jahren sagen würden, wir hätten zwei Jahre Bundesliga und acht Jahre zweite Liga gespielt. Dann würde ich meinen, dass das auch eine Entwicklung wäre. Ein stabiler Zweitligist wäre für mich vollkommen in Ordnung.

Was mir sehr am Herzen liegt, ist, dass wir unseren gesamten Jugendmannschaften – von der U10 bis zur U23 – eine vernünftige, angemessene Heimstadt mit ausreichend Trainingsplätzen und Umkleidekabinen bieten können. Sodass man feststellen kann: Das ist neben dem Stadion das Herz von Arminia Bielefeld. Dort halten sich alle auf, dort wird trainiert und dort können idealerweise unsere Jugendspieler bei den Profis zuschauen. Meine Idealvorstellung ist, dass jeder Nachwuchsspieler an der Abteilung der Profis vorbeigeht und sagt: „Da will ich auch mal rein“. Das ist Motivation. Das hieße dann: „Da dürft ihr erst rein, wenn ihr’s geschafft habt“. Das fände ich klasse: Wenn man ein Areal hätte, mit acht Plätzen und schöne Funktionsgebäude mit Kabinen. Das wäre super. Wenn man diese Bedingungen hätte, da könnte man richtig was aufbauen.

Wie eng arbeiten Sie mit der Nachwuchsabteilung zusammen?

Ich habe mit der Leitung wöchentliche jour fixes, wo wir uns regelmäßig austauschen. Samir Arabi ist immer dabei. Ich würde mir noch gerne mehr Spiele von der U23, U19, U17 ansehen, aber alles kann man einfach nicht. Zwischendurch hat man auch noch ein Privatleben. Diese Saison hatte ich vor, mir mehr Spiele anzuschauen. Bisher hat es leider noch nicht funktioniert. Insgesamt finde ich, dass wir auf einem guten Weg sind. Aber gut, das Thema Finanzen ist schwer. Es ist ein echter Klotz am Bein und wir müssen nicht blauäugig sein: Das lässt sich in den nächsten fünf Jahren nicht lösen. Da brauchen wir viel Geduld und Durchhaltevermögen, einfach einen langen Atem. Aber den haben wir.

Wie viele Stunden Arbeitszeit für den DSC kommen bei Ihnen in etwa pro Woche zusammen?

Ich glaube im Schnitt sechzig Stunden, wenn ich alles dazu nehme. Aber das ist das Maximum. Ich lerne immer sehr viel von unserem Aufsichtsratsvorsitzenden Hartmut Ostrowski, der sehr viel Erfahrung im Managementbereich hat und dann noch bei Bertelsmann. Er sagt immer: „Herr Meinke, kein Mensch kann mehr als zehn Stunden am Tag konzentriert arbeiten. Kann kein Mensch. Geht nicht. Aber arbeiten Sie lieber konzentriert neun Stunden am Tag und machen dann Feierabend. Das ist echt besser. Und gehen Sie dann auf den Golfplatz“. Ich antworte darauf: „Ja, da muss ich erstmal anfangen mit Golf spielen“. Dafür habe ich jetzt wirklich nicht die Zeit. Nein, Golf spiele ich nicht (lacht).

Wer sind Ihres Erachtens die wichtigsten Menschen, die an den Spieltagen hier arbeiten?

Der wichtigste ist der Veranstaltungsleiter, weil er den Hut aufhat. Wenn hier irgendetwas passiert oder es echt einen Spielabbruch geben müsste, bin ich raus aus der Nummer. Da habe ich gar nichts zu sagen. Das entscheidet er. Er ist am Spieltag der wichtigste Mann. Wir wissen alle um die Wichtigkeit des Themas Sicherheit. Unser Sicherheitsbeauftragter, André Windmann, ist bedeutend, keine Frage. Das ist natürlich immer ein superwichtiges Thema: die Sicherheit. Ich habe jetzt als Geschäftsführer noch einmal mehr gemerkt, wie viel da dahintersteckt, auch die Kooperationen mit den Behörden. Was wir hier an Polizei haben, Feuerwehr, den Sanitätsdienst – auch die Verkehrswegeführung um das Stadion – was hier jedes Mal drum herum passiert, das ist der Wahnsinn, das ist wirklich unglaublich. Letzten Endes sind aber die Spieler die wichtigsten im Stadion. Was ich damit sagen will ist, dass für einen Geschäftsführer – die Erfahrung habe ich gemacht – neben dem Ergebnis, was natürlich immer wichtig ist, das Wichtigste ist, dass nichts passiert ist. Dass alles vernünftig seinen Gang gegangen ist. Dass es zu keinen Komplikationen, Verletzungen, geschweige denn zu irgendwelchen Unfällen gekommen ist.

Das hatte ich vorher nie so auf der Kappe, muss ich ehrlich gestehen. Wir unterliegen der Veranstaltungsordnung. Da sind ja etliche Richtlinien und Regularien einzuhalten und mit diesen muss man sich letztendlich befassen. Dabei erkennt man die Wichtigkeit der Menschen, die da dahinterstehen. Das bekommen die Stadionbesucher/-innen in der Regel nicht mit. Der kriegt es nur mit, wenn es nicht läuft. Alle Menschen, die dafür sorgen, dass ein Spieltag reibungslos über die Bühne geht, sind von großer Bedeutung. Das machen meine Mitarbeiter hier sehr gut, sie haben einen super Draht zu den Behörden. Auch als Geschäftsführer muss man Präsenz zeigen. Und wenn man einfach nur dabei ist. Wie gesagt: Keiner wird als Geschäftsführer geboren. Ich habe das am Anfang unterschätzt, man muss bei einigen Terminen einfach nur dabei sein. Ich finde mich selbst gar nicht so wichtig. Das war ein Lernprozess für mich.

Was bekommen Sie von den Bielefelder Ultras mit?

Ich gestehe gerne, dass ich von ihnen eigentlich nichts direkt mitkriege. Aber ich tausche mich regelmäßig mit unserem Fanbeauftragten Thomas Brinkmeier aus, der da einen guten Draht hat. Sie mögen auch andere Auffassungen in Bezug auf Fußball haben als ich. Ich hätte bei einem Spiel wie gegen RB Leipzig kein solches Plakat gemacht. Aber gut. Das ist eine andere Geschichte. Das, was sie für Arminia machen, ist überragend. Ich habe mich oft in der Fandiskussion gefragt: „Was ist eigentlich, wenn wir die auf der Süd nicht haben?“. Dann haben wir hier tote Hose. Das gilt nicht nur für uns. Ich glaube einfach, dass die Menschen wegen dieser Stimmung ins Stadion gehen. Das Stadionerlebnis, die Atmosphäre, das schaffen nur Ultras & Co.! Mal abgesehen von dem, was sie hier an Choreos gebracht haben. Das ist einfach überragend. Und wie sie sich in ihrer Freizeit engagieren, wie viel Zeit sie in Choreographien investieren und mit welcher Akribie sie da dran sind, das ist schon bemerkenswert. Absolut. Da kann man nur den Hut vor ziehen.

 

Gerrit Meinkes prägendstes DSC-Erlebnis

Gibt’s noch irgendetwas, das Sie loswerden möchten? Vielleicht eine weitere Anekdote?

Eine meiner ersten Erfahrungen mit Arminia, als ich noch ein kleiner Junge war. Ich bin ja in Melle groß geworden. Melle ist noch in Niedersachsen und hat eigentlich eine größere Affinität zur Stadt Osnabrück und deshalb zum VfL. Als ich so Zehn, Zwölf, Vierzehn war, bin ich immer nach Osnabrück gegangen. Irgendwann, als ich Fünfzehn, Sechzehn war, ist Arminia in die erste Liga aufgestiegen und dann fand ich das natürlich viel cooler. Ich hatte aber kein Auto. Dann musste uns immer irgendein Vater am Wochenende hier herbringen und dann auch wieder abholen. Vollkommen irre, nicht wahr? Der hat uns abgesetzt, ist nach Hause gefahren und ich glaube, als er zu Hause war, konnte er gleich wieder losfahren, aber egal (lacht). Wie dem auch sei. Einmal sind wir– mein Vater mit uns vier Jugendlichen – über Borgholzhausen gefahren, an einem Hotel vorbei. Davor stand der Arminiabus: „Hey, da müssen wir stehen bleiben, da müssen wir rein, da sind die Spieler!“. Wir sind hineingegangen und haben sie beim Mittag essen gesehen. Mein Vater ist immer relativ pragmatisch. Er traf damals den damaligen Präsidenten Dr. Jörg auf der Heide und sprach ihn an: „Herr auf der Heide, ich bin jetzt auf dem Weg nach Bielefeld, aber die Jungs können ja auch hier im Bus mitfahren. Also, das ist ja viel einfacher?!“. Der Präsident antwortete: „Nee, das geht ja nicht, die Spieler müssen unter sich sein“. „Aber“, sagte er, „die Jungs, die können mit mir mitfahren. Ich bin mit meinem Privatauto da“. Dann sind wir ins Auto eingestiegen und mit dem Präsidenten von Arminia direkt hier vorgefahren. Das war total super. Das war mein prägendstes Erlebnis mit Arminia. Genau. Und da hab ich gesagt: „Boah, ein Verein mit so einem Präsidenten – das ist ja geil!“. Und dann bin ich nicht mehr nach Osnabrück gegangen, sondern nur noch nach Bielefeld (lacht).

Vielen Dank für Ihre detaillierten Antworten und die tollen Anekdoten, Herr Meinke.

Sehr gerne.