Almuth Schult: Profi mit klaren Forderungen für den Fußball

In der Saison 2022/2023 spielte Almuth Schult für den Angel City FC. [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung]
Foto: Angel City FC

Mit dem VfL Wolfsburg hat sie die Deutsche Meisterschaft, den DFB-Pokal und die Champions League gewonnen. Mit dem Nationalteam wurde sie Europameisterin, U20-Weltmeisterin und Olympiasiegerin: Almuth Schult. Doch vor allem ist sie eine starke Persönlichkeit mit klaren Forderungen und Ansichten, die sich auch abseits des Platzes für die Fortschritte im Fußball einsetzt. Sei es als Teil der Initiative „Fußball kann mehr“ oder als Trainerin der Bambinis in ihrer Heimat. Sie hat viel erlebt und eine Menge zu sagen. Almuth zeigt uns eine Vielzahl an aktuellen Themen auf. Dieses Gespräch kann uns alle zum Nachdenken anregen: Warum wurde das WM-Eröffnungsspiel in ein anderes Stadion verlegt? Welche Potenziale wurden im Fußball noch nicht genutzt? Warum lässt die VDV keine Frauen als aktive Mitglieder zu – und dies im Jahr 2023? Weshalb arbeitet keine Sportdirektorin im Profifußball der Männer?
Doch es gibt noch deutlich mehr Fragen, die wir uns stellen können. Das Interview ist sehr umfangreich geworden, weshalb ihr Almuths Ausführungen in zwei Teilen nachlesen könnt. Denn hier gibt es den Raum für solch relevante Themen. Die zweite Hälfte findet ihr hier. Und jetzt „Anpfiff für die erste Interviewhalbzeit…“

Kommen wir gleich zur Weltmeisterschaft. Wie groß ist deine Freude hinsichtlich der WM – auch, wenn du diesmal auf Grund eines schönen Grunds [Almuth Schult ist schwanger; Anm. von LS] nicht mitspielst? Wie verfolgst du die Spiele? Was ist dein Plan? Der kann sich ja eventuell ein bisschen anders entwickeln (lacht)?!

Ich bin sehr gespannt. Natürlich werde ich versuchen, so viele Spiele wie möglich zu verfolgen. In der Vorbereitung haben die Spiele ein paar überraschende Ergebnisse gebracht. Wenn wir uns Deutschland gegen Sambia angucken. Aber auch Haiti oder Marokko haben ein bisschen aufhorchen lassen. Es war mal die Frage: Können die „Kleinen“ denn auch mithalten? Von den Vorbereitungsspielen her würde man sagen: Ja. Und jetzt ist man gespannt, was bei der WM herauskommt. Von daher: Gucken wir mal. Es ist nur ein bisschen komisch, dass die Spiele am Vormittag laufen, das sind wir Europäer oftmals anders gewohnt Auf jeden Fall ungewöhnlich für die Spielerinnen sind die Temperaturen vor Ort, denn es ist Winter am anderen Ende der Welt.

Zumindest ist die Ausrichtung in Australien und Neuseeland besser als ein Stattfinden in Katar, wenn man auf die WM 2022 zurückblickt…

Das auf jeden Fall. Stattdessen würde man sich mit dem, was dahintersteht, vielleicht eine WM in Frankreich wünschen, bei welcher die Anstoßzeiten zur Primetime wären.

„Die Verlegung eines WM-Eröffnungsspiels hat es zuvor noch nie gegeben“

Was wünscht du dir von dem „Drumherum“, wenn du jetzt auf die EM 2022 zurückblickst, wie du sie erlebt hast? Gerade wie sich der Fußball der Frauen entwickelt. Wie denkst du kommt die Euphorie, die Atmosphäre in Australien und Neuseeland an, und was wird sich unabhängig vom Abschneiden des deutschen Teams bei uns im Land tun?

In Australien und Neuseeland ist das ein riesen Ding. Schon seit Jahren, seitdem die Vergabe dort hingegangen ist. Die Matildas [Bezeichnung für das australische Nationalteam; Anm. von LS] bemerken eine 100-prozentige Steigerung, also es wird wohl letztendlich eine 400-prozentige Steigerung von Zuschauern sein, die da in den letzten Jahren stattgefunden hat. Da ist ein großer Hype, was auch gut so ist. Und das hat man ja schon im Vorfeldgesehen: Die Verlegung des Eröffnungsspiels – das hat es so bei einer WM noch nie gegeben! Das hab‘ ich auch bei den Männern noch nie gehört, dass das passiert ist: Dass man einfach gesagt hat: „Ok, dann gehen wir in ein größeres Stadion und passen uns an die Potenziale an.“ Das finde ich super und es zeigt, dass sie bedarfsgerecht agieren und nicht so festgefahren sind als Organisator, sondern diese ganze Sache leben und sich zudem gesellschaftspolitisch eingemischt haben. Das Organisationskomitee hat Saudi-Arabien als Sponsor abgelehnt. Das ist meines Wissens nach das allererste Mal gewesen, dass das ein Ausrichter eines Großsportereignisses gemacht hat. Von daher sehe ich eine super Grundlage für ein tolles Turnier. Auch von der Stimmung her. Das Einzige, was man sieht: In Neuseeland, gerade auf der Südinsel, ist das Wetter nicht WM-gerecht. Es können 4 Grad herrschen, plus Regen.

Mit einer dicken Jacke im Stadion zu sitzen – da stellt man sich dann doch etwas anderes vor. Die Mädels können  froh sein, dass sie rund um Sydney unterwegs sind, dass dann vielleicht mal ein T-Shirt- und kurze-Hosen-Wetter aufkommt. In Deutschland liegt trotzdem ein Fokus auf diesem Turnier. Das haben auch die Spielerinnen gemerkt: Hinsichtlich des Presseaufkommens und der Sponsoren. Ich hoffe, dass wieder dieser Funke von der Mannschaft überspringt. Der war in den beiden Vorbereitungsspielen leider noch nicht komplett da. Aber letztes Jahr bei der EM konnten sich die Menschen mit der Art und Weise, wie wir auf dem Platz auftreten, wie wir als Mannschaft auftreten, identifizieren. Und diese Identifikation ist das, was vielen in der Bevölkerung irgendwie ein bisschen fehlt. Sowohl mit der Männer-Nationalmannschaft als auch zum Teil mit der Männer-Bundesliga. Obwohl diese Saison durch das Schwächeln der Bayern etwas spannender war – aber diese Identifikation… Es wäre schön, wenn wir die in Deutschland wieder spüren würden. Dann wäre es ein erfolgreiches Turnier. Dann kann das wieder ein Schritt nach vorne sein in der Sportart.

Nach eurer Rückkehr von der EM in England haben einige von euch gesagt, dass sie das von England aus ganz anders wahrgenommen haben, also welche Euphorie ihr in Deutschland entfacht habt. Ihr wart wieder hier und habt diese Begeisterung erlebt. Inwieweit ihr danach zu den Vereinen an der Basis Kontakte und gesehen, was sich dort bewegt hat im Hinblick auf die steigenden Zahlen an Mädels, die in die Vereine eintreten wollten? Als der DFB „ach so überrascht war“ und wohl auch komplett überrollt wirkte, dass so viele Mädels Fußball spielen wollten und m. E. ziemlich überfordert wirkte oder war dies eher so: „Ok, man hat es ein bisschen über die Medien mitbekommen“. Wie hast du das wahrgenommen?

Ganz unterschiedlich natürlich. Es gibt Spielerinnen unter uns, die Kontakt in die Heimatregion haben und diese sehr engagiert ist und dort etwas entstanden ist. Genauso gibt es welche, die das nicht mitbekommen haben. Es gibt Vereine, die sagen: „Bei uns ist überhaupt nichts angekommen. Alle reden immer vom Aufschwung, aber bei uns ist das eigentlich rückläufig und es werden Mannschaften abgemeldet“. Das stimmt leider ebenso. Das würde ich überhaupt nicht bestreiten. Es ist nicht in jeder Region so, sondern es kommt auf den Landesverband an. Es ist davon abhängig: Wie engagiert sind Kreisverbände? Es ist vielleicht auch durch das Engagement von Sponsoren bedingt, von denen ein Antrieb kommen kann. Und von den handelnden Personen in den Vereinen. Deshalb gibt es Regionen, die einen richtigen Aufschwung erlebt haben, und es gibt leider welche, in denen der Trend fortgesetzt wurde und noch weniger Frauen und Mädchen am Spielbetrieb beteiligt sind.

Aktuelle Effekte im Fußball der Frauen

Ich habe es durch die neu gegründete Bambinigruppe bei mir im Heimatverein, die ich mittrainiere, am eigenen Leib erfahren. Dort ist der Mädchenanteil sehr hoch, 50/50 schätze ich. Das kann vielleicht damit zusammenhängen, dass ich Trainerin bin. Das weiß ich nicht. Aber hier sieht man, dass es nicht nur einzelne Mädels sind, die Fußball spielen wollen, sondern dass sich wirklich eine ganze Gruppe zusammenfindet und es den Kindern vollkommen egal ist, ob es Jungs oder Mädchen sind. Die wollen einfach zusammen Sport machen und Spaß haben. Und man sieht es genauso auf anderen Ebenen: Wenn man auf die Landesverbandsebene geht. Ich war ganz begeistert von den Aufstiegsspielen Regionalliga / 2. Bundesliga, wie viele Zuschauer vor Ort waren. Bei Viktoria Berlin genauso wie beim Hamburger SV. Dass beide Heimspiele ausverkauft waren. Gladbach hat im Borussiapark gespielt, Elversberg hatte ein volles Stadion. Dann kommen dazu auch Landespokalfinals. Also Hamburg beispielsweise mit St. Pauli war einfach mit 3.882 Zuschauern ausverkauft beim Landespokalfinale. So etwas hat’s vorher noch nicht gegeben. Da sehe ich auch einen Effekt. (freut sich) Diese Effekte gibt es auf verschiedenen Ebenen, aber noch nicht überall. Ich bin froh, dass es sie gibt und hoffe, dass es so weitergeht. Aber es tut mir auch immer leid um die Vereine, die selbst sagen, sie spüren den Effekt nicht.

Oder so ein Fall wie Turbine Potsdam…

Ja, aber das mit Potsdam lag nicht an der Europameisterschaft, sondern Jahre zurück, wie die Weichen dort gestellt bzw. nicht gestellt worden sind. Das hat sich dann angekündigt. Eigentlich war die Saison davor mit der Fast-Qualifikation für die Champions League eine Überraschung.

Für Andernach und Potsdam ist das schon schwierig… Da die Balance zu finden.  

(Almuth lacht, winkt und blickt an der Kamera vorbei)

Sind deine Zwillinge grad draußen unterwegs?

Nein, meine Mutter, die durch den Garten läuft. (wir lachen)

Wenn du Bayern, Wolfsburg, Frankfurt und Hoffenheim anschaust: Ich sehe diese Lücke zu den anderen Vereinen und bin gespannt, wie sich das entwickelt.

Frankfurt hat sehr aufgeschlossen. Sie haben die Saison letztendlich auf einem guten Platz abgeschlossen, haben sehr viele Punkte gesammelt und entwickeln sich infrastrukturell stark weiter. Da bin ich gespannt, was noch an Transfers passiert. Man hat jetzt einige Nachrücker, die gerne noch etwas machen wollen, die es vielleicht ernster nehmen, also beispielsweise mit Leipzig. Ich bin gespannt und habe eher das Gefühl, dass der Abstand geschlossen wird. Du hast immer zwei Vereine, die vornewegmarschieren. Es gab Zeiten, wo es Potsdam und Frankfurt waren. Dann waren es Potsdam und Duisburg. Aber es gab stets zwei Vereine, auch vor Bayern und Wolfsburg, die unter sich den Titel ausgemacht haben. Vielleicht maximal drei. Und jetzt sehe ich Potenzial, dass sich die Liga ein bisschen auffächert. Dass es spannender wird. Weil Hoffenheim schon mal in der Champions League mitgespielt hat. Und jetzt hat man mit Frankfurt jemanden – mit dem man – nicht bis zum letzten Spieltag, aber davor – stark konkurriert hat. Bei anderen Vereinen wie bei Leipzig oder Köln sehe ich Potenzial, dass diese Bemühungen langfristig bleiben könnten.

Ich meinte jetzt eher auf die Bundesligaclubs Sand, Andernach und Potsdam bezogen – die jetzt da nicht derart die Möglichkeiten haben mit den Vereinen, bei denen die Männerteams schon lange in der Bundesliga spielen, in der nahen Umgebung…

Ja, das ist so. Aber man muss sagen: Da fehlte vielleicht auch der Mut, zu investieren. Klar haben sie einen anderen Hintergrund als die Lizenzvereine. Aber auch bei Essen merkt man, dass sie etwas tun wollen, dass sie im Austausch sind, um sich hinsichtlich neuer Trainingsanlagen und eines Leistungszentrums mit der Stadt abzustimmen. Potsdam hatte jahrelang Vorsprung vor Bayern, Wolfsburg und Co. Allein mit ihrem Internat. Sie haben nun im Nachhinein nicht genug aus diesen Möglichkeiten gemacht und man kann bei Potsdam nicht sagen, dass sie die Sponsoren in der Region nicht gehabt hätten. Sie haben schon vor zehn Jahren infrastrukturell und vom Gehalt her Dinge geschaffen, die viele erst aufholen mussten. Sie sind bloß einfach in ihrer Entwicklung stehen geblieben und waren eher mit Auseinandersetzungen beschäftigt – auch mit Babelsberg –  anstatt vielleicht lösungsorientiert zu handeln. Das ist schade. Aber man darf sich nicht immer nur dahinter verstecken: Ja, die Lizenzvereine. Man hat das mitunter selbst in der Hand.

Auch der 1. FFC war so weit vorneweg in Frankfurt. Da sind vielleicht ein paar Investitionen in die falsche Richtung gelaufen. Ansonsten hätte man das gar nicht aufholen können. Ich meine: Fast die ganze Nationalmannschaft hat beim 1. FFC Frankfurt gespielt. Wenn man das schon mal gehabt hat, verschwindet das nicht auf einen Schlag. Es hat nicht am Geld gelegen, sondern daran, dass sich infrastrukturell nichts bewegt hat..

„Für einen professionellen Spielbetrieb braucht es ein Mindestgehalt“

Fußballprofi Almuth Schult fordert: Für einen professionellen Spielbetrieb braucht es ein Mindestgehalt“. Foto: DFB

Wo siehst du generell noch Potenzial? Was würdest du dir vom DFB wünschen für den Fußball der Frauen, oder von den Landesverbänden und von den Vereinen?

Für den Profibereich müssen sie einfach mal Lizenzauflagen erstellen, die einen professionellen Spielbetrieb gewährleisten. So wie es in England oder in den USA der Fall ist. Dass Regularien erlassen werden über ein Mindestgehalt, über höhere Mindestanforderungen, über eine gewisse  Infrastruktur an die Vereine. Auch mit einer guten Qualität. Das ist wichtig.

Im Hinblick auf die Landesverbände etc.: Es geht um eine gleichberechtigte Förderung von Mädchen und Jungen in allen Bereichen. Egal, ob das in den Stützpunkten ist. Egal, ob es in den Auswahlmannschaften ist. Es darf nicht passieren, dass man bei der Kreisauswahl bei den Jungs Fahrgeld gibt und bei den Mädchen nicht. Oder dass irgendwo bei den Mädchen keine Trainingsklamotten zur Verfügung gestellt werden. Dass die Vereine darauf schauen, dass jeder Trainer eine Aufwandsentschädigung bekommt und nicht nur die der männlichen Teams. Man sollte den gemeinnützigen Auftrag der Vereine auch in dem Zusammenhang leben und nicht nur nach der Generierung von Profit gehen.

(Fehlende) Frauen im Profifußball der Männer

Der Bayerische Fußballverband fördert aktuell Trainerinnen. So wurde ein B-Lizenz-Lehrgang für Frauen von der UEFA und vom Verband finanziert. Wenn du jetzt ein bisschen die Perspektive wechselst: Wie nimmst du das wahr, dass vielleicht auch Frauen in Managementpositionen kommen könnten?
Was mir in der Medienwelt fehlt: Es wird meist über die Trainerinnenpositionen geschrieben. Aber dass Frauen im Profifußball der Männer auch in Managementpositionen vorangehen? Mir hat das immer gefehlt. Bis auf Katja Kraus…

Man muss jetzt einmal unterscheiden zwischen Management, Sportdirektion und Geschäftsführung. Im Management an sich, im Teammanagement sind ein paar Frauen. Bei Bayern etc.
Es ist bloß wirklich so: Die GeschäftsFÜHRUNG ist vakant. Da gibt es soweit ich weiß keine Geschäftsführerin in der 1. und 2. Liga. Mittlerweile gibt es Präsidentinnen oder weibliche Aufsichtsräte. Aber in der Geschäftsführung an sich oder vor allem auch in der sportlichen Leitung gibt es keine Frauen. Das meinst du wahrscheinlich damit?

Ja, genau.

Das wäre wichtig, das sehe ich auch so. Ich hoffe, dass mal ein Verein den Mut hat und sagt: „Jo, ich stelle jetzt mal eine Geschäftsführerin ein“.
Bisher gibt es nur solche Plätze wie Finanzvorstand etc., die von einer Frau besetzt werden. Zum Beispiel bei Schalke…

Und bei Darmstadt 98.

Aber diese wirklich leitende sportliche Position ist noch nie von einer Frau im Profifußball der Männer besetzt worden.

Denkst du, dass dahingehend Hürden bestehen? Mein Eindruck ist, dass es oft diese Bedenken gibt – jetzt sind wir beim Thema: „Teilzeit und Kinder“…
Ich persönlich habe das Gefühl, dass hier mehr als 100 Prozent erwartet werden. Also quasi mehr als 24/7 nur für den Verein. Da fliegt man dann auch mal mitten im Urlaub für ein Spiel [s. Beispiel im Interview mit Christian Heidel] zurück. Dass das noch in den Köpfen „dieser Generation Männer“ drinnen ist? Wobei da ja Jüngere nachkommen.

Ganz sicher! Man sucht als Mensch zwangsläufig immer – wenn man von sich selbst überzeugt ist, dass man einen guten Job gemacht hat – nach jemandem mit dem gleichen Profil. Wenn die Männer dies tun, dann fällt halt das andere Geschlecht schon mal raus. Da ist die Frage: Wer bestimmt die Nachfolge und wie ist sie gestaltet? Da sind wir doch in einem sehr konservativen Prozess im Fußball. Und da müssen einem vielleicht die Augen geöffnet werden: Manchmal sind es Kleinigkeiten, sind es Erfahrungen, die dann helfen, etwas zu ändern. Ich hoffe darauf. Man merkt, dass ein kleiner Wandel stattfindet. Auch im Fußball. Obwohl der Fußball in vielen Dingen noch nicht so weit ist, wie er immer selber denkt.

„Die VDV lässt keine Frauen als aktive Mitglieder zu. Und das im Jahr 2023.“

Nun ein kleiner Bruch. Ich habe dich über die Plattform „Fußball kann mehr, Wir können mehr“ kontaktiert. Was hältst du von Initiativen wie dieser? Soweit mir bekannt ist, gab es von euch Spielerinnen einen Zusammenschluss. Was hat sich diesbezüglich bewegt? Welche Punkte wollt ihr angehen? Wünscht ihr euch mehr Mitbestimmung?

Zusammenschlüsse können viel bewirken „Fußball kann mehr“ hat auch schon ein bisschen was bewegt. Selbst wenn’s nur die Wahrnehmung in so manchem Verband oder Verein ist.

In Richtung Spielerinnen: Es ist nun mal so, dass wir im internationalen Vergleich deutlich hinterherhinken. Nahezu jedes Land hat eine Spielerinnengewerkschaft, Spielerinnenvereinigung, wie auch immer man dies nennen möchte – also eine Players‘ Union. Und das auf allen Ebenen: sowohl auf der der Liga als auch auf der der Nationalmannschaft. Wir haben das in dem Sinne nicht. In Deutschland wird immer kolportiert, dass die VDV [Vereinigung deutscher Vertragsfußballer; Anm. LS] da ist. Aber die VDV lässt keine Frauen als stimmberechtigte Mitglieder zu. Und das im Jahr 2023. Was ziemlich peinlich ist. Wir waren mit der VDV im Austausch. Dies hat aber nicht zu einer fruchtbaren Partnerschaft geführt. Aus diesem Grund sind wir jetzt dabei uns selbst zu organisieren, auch mit der Erfahrung, die man in anderen Ländern gesammelt hat. Weil wir Spielerinnen haben, die international gespielt , und gesagt haben, DIE Gewerkschaft ist die Stimme der Spielerinnen, die etwas transportiert, die sich für Sachen einsetzt und die genau diesen Effekt von einer gemeinsamen Meinung abbildet. Wenn man einzeln losgeht, kann man einzeln bestraft werden und vielleicht wird man dann auch nur einzeln gehört. Das soll nicht der Fall sein. Jemand muss sich für die Belange der Spielerinnen einsetzen. Das ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten wirklich zu kurz gekommen.

Den zweiten Teil des Interviews mit Almuth Schult findet ihr unter diesem Link.

Teil III. Unglaublich: „629 Spiele hintereinander haben wir entweder gewonnen, unentschieden gespielt oder mit nur einem Tor Unterschied verloren“

Lassen Sie uns zu einem anderen Thema kommen. Sie haben so viele Erfahrungen gesammelt. Die Weltmeisterschaft 1991 und so weiter… Was war für Sie das schönste Erlebnis weltweit? Es ist ziemlich schwer, nur eines herauszugreifen, aber vielleicht können Sie es versuchen… Auf welches Erreichte sind sie am meisten stolz?

Ehrlich gesagt ist die Weltmeisterschaft 1991 einer der Höhepunkte, denn das gefällt mir natürlich am besten: Wir haben die Welt in ihrem eigenen Spiel geschlagen. Das ist wunderbar. Und wir haben es früh geschafft: Wir haben es bei der ersten Weltmeisterschaft geschafft. Für mich war das also ein wunderbar befriedigender Moment. Aber es gibt noch andere Dinge, über die ich mich freue. Wir haben vorhin über den Competitive Cauldron gesprochen. Ich bin sehr stolz darauf, und ich denke, das ist eine wahre Aussage. Ich glaube, in 629 aufeinander folgenden Spielen mit meiner College-Mannschaft haben wir entweder gewonnen, unentschieden gespielt oder mit nur einem Tor Unterschied verloren. Also 629 Spiele hintereinander…

Das ist unglaublich…

Anson Dorrance beobachtet seine Mannschaft. Der Trainer hat viele Ideen, wie man das Fußballspiel an sich positiv verändern kann.
Foto: Athletic Department, University of North Carolina

Das heißt, wir haben in jedem Spiel bis zur letzten Sekunde gekämpft. Was ich an dieser Statistik liebe, ist: Sie zeigt, dass man Wettkampfhärte trainieren kann. Immer wenn ich mit meinen Spielerinnen über neun verschiedene Qualitäten spreche, spreche ich über Selbstdisziplin, über Kampfgeist, über Selbstvertrauen, über die Liebe zum Ball, über die Liebe zum Spiel, zum Zuschauen, über Einsatzbereitschaft, über Trainierbarkeit und über Verbundenheit. Und Verbundenheit ist – wie beantwortest du das – ob du deine Mitspieler liebst und ob sie dich lieben. Und das Wichtigste ist bei all diesen Diskussionen in diesen neun verschiedenen Kategorien: Der Ring, der sie alle beherrscht, ist das Feuer des Wettbewerbs. Und das, worauf ich am meisten stolz bin, ist die Tatsache, dass wir 629 Spiele in Folge entweder gewonnen, unentschieden gespielt oder nur mit einem Tor Unterschied verloren haben. Das zeigt, dass wir mithalten können, denn natürlich gibt es Tage, an denen wir nicht gut gespielt haben, aber trotzdem haben wir durchgehalten. Es gab Tage, da spielten wir gegen Teams, die besser sind. Aber sie konnten nicht gegen uns in Führung gehen, und das ist für mich eine außergewöhnliche Statistik. Ich würde also sagen, die Weltmeisterschaft und diese Serie.

Im Jahr 2012 hatte meine Frau ein Autoimmunproblem und lag sozusagen im Sterben. Das Team hat sich zusammengetan, um für sie zu spielen. In den Vereinigten Staaten bekommt man natürlich einen Ring, wenn man eine nationale Meisterschaft auf Collegeniveau, aber auch auf Profiebene, gewinnt. Ich habe also 22 nationale Meisterschaften gewonnen, aber ich trage nur einen Ring: Der Ring, den ich trage, ist der Ring, den das Team für erspielt hat. (strahlt über das ganze Gesicht und zeigt mir den Ring) Auf der Innenseite des Rings steht: „Dieser Ring ist für dich, M’Liss“, denn auf dem Band, das jede Spielerin um das Handgelenk trug, stand M’Liss‘ Name drauf. Die Mannschaft kam vor dem Halbfinalspiel zu mir und sagte mir, dass sie ihr die diesjährige Meisterschaft widmen würden. Dann haben wir das Halbfinale und schließlich das Finale gewonnen. Das bedeutete für mich einfach die Welt. Ich trage also einen Meisterschaftsring. Es war der Ring, den das Team für meine kranke Frau erspielt hat. Sie hat sich erholt. Sie hatte eine Nierentransplantation und es geht ihr jetzt viel besser. Aber im Grunde würde ich sagen, die Weltmeisterschaft, die nationale Meisterschaft 2012 und dann diese Reihe von Spielen, die wir entweder gewonnen, unentschieden gespielt oder nur mit einem Tor Unterschied verloren haben.

Wow, tolle Geschichte und tolle Geste von Ihrem Team.

Internationale Eindrücke

Sie haben mir erzählt, dass Sie von Land zu Land gezogen sind. Wenn Sie über Fußball nachdenken: Gab es einen Eindruck von den Unterschieden zwischen den Kulturen, der Sie sehr stark gesprägt hat?

Ja, ich denke, was mich beeindruckt hat, ist: Ich liebe die Menschen in jedem Land, in dem wir gelebt haben. Es ist irgendwie interessant, weil ich als Katholik geboren und aufgewachsen bin. Also war ich überall, wo ich gelebt habe, auf katholischen Schulen. Die Schule, die ich in Fribourg in der Schweiz besuchte, war eine Marienschule. Die Brüder und Schwestern von Maria. Meine Erzieher, meine Professoren waren also wunderbar. Sie waren im Grunde Brüder und Priester der Gesellschaft Marias. Ich habe in meinem Leben nur zwei akademische Preise gewonnen. Der eine Preis war der Englischpreis an der St. Joseph’s Schule in Addis Abeba in Äthiopien. Das lag daran, dass ich das einzige Kind in der Klasse war, das zu Hause Englisch sprach. Es war eine katholische Schule, aber eine afrikanische Schule, und es wurde auf Englisch unterrichtet. Ich habe also den Englischpreis gewonnen. Und warum? Weil ich natürlich Englisch gesprochen habe. (wir lachen) Das Beste an diesem Preis war, dass der Mann, der mir den Preis überreichte, Haile Selassie war, der „Lion of Judah“. Für mich war es also eine außergewöhnliche Auszeichnung, die ich gewonnen hatte.

Immer, wenn mein Vater die Geschichte erzählte, wurde sie als Scherz erzählt. (lacht) Ich habe den Preis nicht gewonnen, weil ich ein besonders guter Schüler war. Sondern nur, weil ich zu Hause Englisch gesprochen habe. Also, ja, ich sprach ziemlich fließend Englisch. Der einzige andere akademische Preis, den ich gewonnen habe, war der Religionspreis der Villa St. Jean [Privatschule; Anm. von LS] in Fribourg, Schweiz. Und das war wirklich interessant: Als ich an dieser Schule war, wurde ich für das Priesteramt rekrutiert. Und was dazu gehörte: Ich führte heftige Debatten mit meinen Religionslehrern und all diesen Religionsklassen. Dabei ging es immer darum, wie man in der katholischen Kirche gerettet werden kann. Denke daran, das war in den späten 60er Jahren. Man musste irgendwie zum Katholizismus konvertieren oder – du weißt schon – seine Liebe zu Jesus Christus bekennen. Für mich war das absolut schwer zu begreifen. Denn wie sollte ein Mensch in Äquatorialafrika jemals einem Missionar begegnen, der ihn bekehren würde? Was sie mir also sagen wollten, war: Jeder, der nicht mit unserer Kirche in Berührung kommt, ist dann verdammt. Ich hatte also diese wütenden Debatten. Und es war nicht nur Äquatorialafrika. Ich meine, der Äquator trifft fast die Insel Singapur. Und die Bevölkerung von Singapur besteht im Wesentlichen aus Chinesen, Malaien und Indern.

Ich habe dort ein paar Monate gelebt und kenne Singapur sehr gut. 

Du weißt also, wovon ich spreche. Sie alle verurteilten die Person, und ich konnte es einfach nicht glauben. Und ganz plötzlich: Dieser Missionar aus der Gegend von Chapel Hill besuchte mich und meine Frau. Ich hörte mir ihre Lektionen an. Plötzlich fingen sie an, mit mir über die Taufe für den Tod zu sprechen. Und was mir am mormonischen Glauben gefiel: Sie verurteilen niemanden. Denn sie nehmen die Tatsache an. Es kann sein, dass man mit Jesus Christus oder irgendetwas anderem nicht in Berührung gekommen ist. Deshalb gibt es in unserer Kirche die Zeremonie, in der wir den Tod taufen. Man hat die Möglichkeit, sich für Christus zu entscheiden. Damit war dieses Problem für mich gelöst, über das ich früher heftige Debatten geführt hatte.

Ich habe den Religionspreis in La Villa de St. Jean gewonnen. Wie auch den Englischpreis an der St. Joseph’s School in Addis Abeba in Äthiopien. Den Religionspreis habe ich als bester Verfechter gewonnen. Was ich an meinen Religionslehrern wirklich schätzte, war folgendes: Ich weiß, dass ich in ihrem Unterricht eine absolute Nervensäge war. Sie wussten, dass ich diese Debatten und Diskussionen mit ihnen voller Leidenschaft führte. Dementsprechend war ich im Religionsunterricht stets engagiert und diskutierte die meiste Zeit mit ihnen. Und ich war gewiss nicht schüchtern und widersprach bei allem, was sie sagten und womit ich nicht einverstanden war. Dadurch lernte ich sehr viel über alle Strömungen unseres Glaubens. Aber dann konvertierte ich zur „Church of Jesus Christ of Latter-day Saints”, weil es hier einen kleinen Grundsatz gibt, nämlich dass niemand verdammt wird. Das ist der Standpunkt, den wir meiner Meinung nach in jeder aktuellen Religion einnehmen müssen. Denn du kannst sicher nachvollziehen, dass eine andere Religion, die dich verurteilt, wenn du ihr nicht angehörst, außerordentlich unzusammenhängend oder unaufrichtig ist. Kann es noch lächerlicher werden als das? 

Deshalb bin ich an die UNC [University of North Carolina; Anm. von LS] gekommen, um Philosophie zu studieren, denn für mich sind diese Debatten entscheidend. Und anders als in meinem Grundstudium in Englisch und Philosophie. Diese Elemente waren für mich also sehr wichtig, als ich aufgewachsen bin. Wie du sehen kannst, respektiere ich die Grundwerte und lehre junge Männer und Frauen, ein Leben zu führen, das von Prinzipien geprägt ist. Für mich ist das unsere Mission. Das ist unsere Aufgabe als menschliche Wesen: Einander dabei zu helfen, dass wir alle ein Leben führen, das von Prinzipien geprägt ist.

Ich bin nur beeindruckt, weil die Einflüsse aus so vielen verschiedenen Ländern wie Äthiopien und Singapur so breit gefächert sind. Wenn ich das nur vergleiche, ist es verrückt.

Gibt es auch eine lustige Geschichte, die Sie durch den Fußball erlebt haben? Vielleicht während einer Ihrer Auslandsreisen?

Normalerweise ist es eine lustige Geschichte auf Kosten eines Spielers. Ich glaube, meine Lieblingsgeschichte, als ich die Männer trainierte, ist: Natürlich ist das ein Kontaktsport. Was ich an der EPL [Premier League; Anm. von LS] im Moment hasse, ist: Jedes Mal, wenn jemand im Strafraum angeschossen wird, fällt er um, als hätte ihn ein Scharfschütze getroffen, und ich hasse die Leistung in diesen Spielen. Denn um Fußball zu spielen, muss man sehr zäh sein, und man muss ständig treffen und trainieren, und diese Leute, die im Training getroffen werden, rollen nicht sechs oder sieben Mal weiter. Um sechs oder sieben Mal eine Rolle zu machen, braucht man übrigens unglaublich viel Kraft. Glaub‘ mir also, wenn man wirklich schwer verletzt ist, macht man nicht sechs oder sieben Umdrehungen. Man rollt nur einmal und dann hört man auf. Und das ist das Problem. Was ich also nicht mag, ist, all diesen Spielern dabei zuzusehen, wie sie über den Platz rollen. Das macht mich verrückt.

Anson Dorrance’ Ideen, wie das Spiel positiv verändert werden könnte

Das kommt viel öfter bei Fußballspielen der Männer vor, oder? Das ist mein Eindruck. Frauen stehen sofort wieder auf, auch teilweise, wenn sie im Zweikampf direkt mit den Köpfen zusammengestoßen sind. Und die Männer bleiben oft am Boden liegen, obwohl nichts passiert ist. Unglaublich!

Es ist unglaublich und du hast Recht. Aber das Spiel der Frauen ist – naja, wir spielen nicht so viel wie die Männer. Das Spiel der Frauen ist ein ehrenhafteres Spiel. Ich stimme dir wirklich zu, denn ich bin angewidert von der Entwicklung des Fußballs der Männer. Ich denke, wir sollten anfangen, die Regeln zu ändern. Ich meine, wir sollten die Sündenbank einführen. Die Sündenbank ist das, was im Eishockey passiert, wenn ein gewalttätiger Spieler für zwei Minuten vom Eis genommen wird, weil er zu aggressiv war. Ich denke, wir müssen unseren Schiedsrichtern mehr Möglichkeiten geben, und wir müssen auch die Regeln für die Strafbank ändern. Denn wenn ein Spieler, der vom Tor wegdribbelt, von jemandem am Fuß erwischt wird und in der hinteren Ecke des Strafraums zusammenbricht, während er vom Tor wegdribbelt, dann gibt es einen Strafstoß. Das ist ein Elfmeter. Wollt ihr mich verarschen? Da war keine Gerechtigkeit im Spiel! Ich bin der Meinung: Damit es zu einem Elfmeter kommt, muss es eine Torchance gegeben haben. Und es muss eine Absicht des Verteidigers vorliegen!

Wie lautet Ihre Meinung zum VAR (Video Assistant Referee) in der Bundesliga?

Ich denke, er kommt der Wahrheit auf die Spur. Also, ich habe kein Problem mit dem VAR. Aber was mich stört ist die Anzahl der Elfmeter, die gegeben werden. Das sind richtige Strafstöße, die werden gewertet. Es gibt keine echte Torchance. Ich denke, das ist ein Problem für mich. Aber wir geben den Schiedsrichtern auch nicht genügend Instrumente an die Hand. Der Schiedsrichter muss in der Lage sein, einen Spieler vom Platz zu verweisen. Und er kann den Spieler aus allen möglichen Gründen vom Feld verweisen. Meiner Meinung nach ist das ein wichtiger Punkt: Der Trainer muss darüber nachdenken, was zu tun ist, und die Spieler müssen das auch tun. Jetzt sind sie also ein Mann weniger. Wie kann man das ausnutzen? Ich liebe das alles. Ich hasse Elfmeterschießen, die das Spiel entscheiden. Ich denke, wenn man in die Verlängerung gehen will, gefällt mir vor allem die amerikanische Lösung: Golden Goal. Sobald man ein Tor schießt, ist das Spiel vorbei. Man muss also nicht 30 Minuten nachspielen, um zu sehen, wer der Sieger ist. Und wenn es dann immer noch unentschieden steht, gibt es ein Elfmeterschießen – nein! Jemand schießt ein Tor, BANG, das Spiel ist vorbei. Aber ich denke auch, dass man alle fünf Minuten einen Spieler vom Feld nehmen sollte. Bei beiden Mannschaften. Und sobald die Nachspielzeit beginnt, sollte das Abseits abgeschafft werden. Nach fünf Minuten steht es dann 10 gegen 10. Nach zehn Minuten heißt es 9 gegen 9. Nach fünfzehn Minuten heißt es 8 gegen 8. Und weil das so interessant ist, würde mir Folgendes gefallen: Als Trainer würde ich gerne entscheiden, wen ich aus dem Spiel nehme und wen ich im Spiel lasse und wie meine Formationen aussehen werden, denn denk daran… Kein Abseits mehr!

Das wäre sehr interessant, ganz anders.

Das wäre ein unglaubliches Spiel, denn es geht um die Räume!

Und auch für die Zuschauenden interessant, die Trainer zu beobachten, wie sie dann entscheiden. Denn man hat den Druck. Man hat nicht viel Zeit, sich zu entscheiden!

Ja! (begeistert) Die Zuschauenden werden es lieben und sie alle werden anderer Meinung sein als der Coach. Die Kommentierenden werden sich nach dem Spiel über die Entscheidungen, die die Trainer*innen getroffen haben, auslassen. Aber auch das Spiel endet mit dem Ergebnis. Man sollte das Abseits abschaffen und es würde ein frühes Tor geben. Man sollte Spieler*innen herausnehmen, denn ich hasse Elfmeter. Ich habe so viel Zeit damit verbracht, eine arme, liebe junge Frau zu schützen, die dafür gesorgt hat, dass wir eine nationale Meisterschaft verloren haben, weil sie das Tor verfehlt hat. Es ist nicht ihre Schuld. Lasst uns einen anderen Weg finden, bei dem das Team verliert, nicht eine Spielerin. Ich hasse es einfach. Aber ich mag auch die Anzahl der Strafen nicht, die derzeit verhängt werden. Das ist lächerlich! Keine Torchance. Ich mag den Schiedsrichter, weil er der Wahrheit auf den Grund geht. Und wenn der Schiedsrichter sagt, dass der Spieler eine Schwalbe gemacht hat, möchte ich, dass er vom Platz gestellt wird, weil ich das System der gelben Karten nicht mag.

Man muss die Karten immer nachzählen. Hat der Spieler jetzt fünf Karten?

Stimmt. Denn im Grunde ist die erste gelbe Karte keine Strafe. Oder ein anderer Spieler muss aufpassen. Wenn der Spieler ein grobes Foul begeht, muss man ihn bestrafen: Schmeißt ihn vom Feld! Also ja, eine gelbe Karte bedeutet, ihn für 20 Minuten vom Feld zu nehmen.

Haben Sie schon mit dem Fußballverband gesprochen und Ihre Ideen vorgeschlagen?

Die ganze Zeit. Ich habe mit allen gesprochen, auch mit den Journalisten, und sie sind einfach anderer Meinung als ich. Sie sind altmodisch. Ich hasse das. Wir sollten die Strafbank einführen! Den Schiedsrichtern mehr Möglichkeiten geben!

Oder einfach ein Pilotprojekt machen, um es auszuprobieren und ihnen die Vorteile zu zeigen?

Nun, ich leite jeden Sommer ein Fußballcamp. Dort waren Kinder, die alle zu uns gekommen sind, und wir haben natürlich Camp-Turniere veranstaltet. Im letzten Spiel des Camps spielen sie um den 1. Platz, den 3. Platz, den 5. Platz usw. usw. Wenn es am Ende eines Spiels unentschieden stand, spielten wir in der Verlängerung ohne Abseits und mussten sofort alle fünf Minuten eine*n Spieler*in vom Platz stellen. Und wenn es dann 5 gegen 5 stand, gab es in der Regel schon ein Ergebnis.

Was haben die Spieler*innen gesagt?

Sie lieben es! Und die Eltern lieben es, denn die Spannung ist unglaublich! Kein Abseits! Keiner schreit wegen Abseits oder wegen irgendetwas anderem. Und wen lässt man auf dem Spielfeld zurück? Dann ist es wie bei den Gladiatoren. Wer sind deine Gladiatoren? Ich liebe es. Schließlich bleiben zwei Spieler*innen übrig, eine*r von jedem Team. Wer ist der Gladiator? Das sind Dinge, über die wir alle reden können. Und für mich ist es eine so einfache Lösung. Und sie beendet alles. Es ist wie beim Drei-Punkte-Wurf im amerikanischen Basketball. Der war eine großartige Ergänzung zum Basketball. Und so, ja, lasst uns den Fußball immer spannender machen. Hören wir also mit dem Elfmeterschießen auf, reden wir über den langweiligsten und schrecklichsten Moment im Spiel. Das ist furchtbar. Es macht keinen Spaß, zuzusehen. Es ist peinlich anzuschauen. Und die einzigen, die zufrieden aus dem Elfmeterschießen herausgehen, sind die, die gewinnen. Niemand freut sich über den Zweiten.

Nein, es ist furchtbar für sie.

Es ist schrecklich für sie, aber auch für die/den arme*n Spieler*in, der verschossen hat.

Ich denke da nur an Bastian Schweinsteiger im Champions-League-Finale, als sie 2012 in München verloren haben. Er sagte, dass er sehr lange darüber nachgedacht hätte.

Ich hasse das. Denn ich mag meine Spielerinnen und ich möchte nicht, dass sie dadurch eingeschüchtert werden.

Ich verstehe das. In meinen Augen ist es eine gute Idee, es auszuprobieren.

Es gibt so viel über Fußball zu reden, die ganze Zeit.

Ich stimme voll und ganz zu, dass dieses Spiel ein wunderbares Spiel ist, an dem man teilhaben kann.

Wissen Sie schon, an wen Sie das Buch weiterreichen möchten?

Ich habe das Buch bereits Madi Pry gegeben. Der Grund, warum ich es Madi gegeben habe, ist, dass Madi wegen ständiger Verletzungen nicht mehr für uns gespielt hat. Also habe ich es ihr gegeben, weil sie so schön schreibt und ich sie wirklich respektiere, und sie wird es innerhalb unseres Teams weitergeben.

Das ist großartig. Vielen Dank für Ihre Zeit.

Ich danke dir, Lisa. Ich bin begeistert von diesem Gespräch. Viel Glück für dich.

Part III. Unbelievable: ‘629 games in a row, we either won, tie or lost by just one goal’

Let’s come to another topic. You have got so many experiences. The World Cup Championship in 1991 and so on… What has been the best experience for you around the world? It’s quite hard to grab just one but maybe you can try… What are you proud of at most what you’ve reached?

Honestly, the 1991 World Championship is one of the highlights, because obviously what I like most about it is: We beat the world in its own game. And that’s wonderful. And we did it early. We did it in the first World Cup. So for me, that was a wonderfully satisfying moment. But honestly there are other things that I am excited about. We talked earlier about the competitive cauldron. I am very proud of it and I think this is a true statement. I think for 629 games in a row with my college team, we either won, tied or lost by just one goal. So for 629 games in a row…

It’s unbelievable…

Anson Dorrance beobachtet seine Mannschaft. Der Trainer hat viele Ideen, wie man das Fußballspiel an sich positiv verändern kann.
Foto: Athletic Department, University of North Carolina

Which meant we were still competing in every game until the last second. What I love about this statistic is: It shows you can train competitive fire. Whenever I talk with my players about nine different qualities, I talk about self-discipline, I talk about competitive fire, I talk about self believe, I talk about love of the ball, I talk about love of playing the game, watching the game, we talk about grit, about coachability and we talk about connection. And connection is – how you answer this question – do you love your teammates and do they love you. And the most important thing in all those discussions in those nine different categories: The ring that rules them all is competitive fire. And so the thing I am most proud of is that stretch for 629 games in a row, we either won, tied or just lost by one goal. So that is our capacity to compete because obviously, there are days where we didn’t play well but still we hung in there. There are days when we play against teams that are better. But they couldn’t stretch the lead against us and so for me, that’s just an extraordinary statistic. So, I would say the World Championship, I would say that streak.

And then in 2012, my wife has an autoimmune issue and she was basically dying. And the team rallied to play for her. Obviously, in the United States, when you win a National Championship at a college level, but also a pro level, you get a ring. So, I’ve had 22 National Championships but I only wear one ring: The ring I wear is the ring that basically the team played for her. (beams all over his face and shows me the ring) Inside the ring, it says: ‘This one is for you, M’Liss’, because on the tape around each girl’s wrist, they put M’Liss’ name on there. The team came up to me before the semi-final game and told me that they were committing this year’s Championship to her. Then, we won the semifinal and then we won the final. That just meant the world to me. So, I wear one Championship ring. It was the ring where the team played for my sick wife. She did get better. She had a kidney transplant and she is doing much better now. But basically, I would say the World Championship, the 2012 National Championship, and then that run of games where we either won, tie or just lost by one goal.

Wow, great story and great gesture from your team.

International impressions

You told me that you have moved from country to country. When you think about soccer: Has there been one impression about the differences between the cultures which has impressed you very, very much?

Yeah, I guess what impressed me is: I love the people in every country we lived in. It’s sort of interesting because I was born and raised a catholic. So, wherever I lived, I was at catholic schools. The school I went to in Fribourg, Switzerland, was a Mary’s school. The brothers and sisters of Mary. So, my educators, my professors were wonderful. They were basically brothers and priests of the society of Mary. I only won two academic awards in my life. One award was the English award at St. Joseph’s school in Addis Ababa in Ethiopia. That was because I was the only kid in the class that spoke English at home because it was an African school. It was a catholic school, but an African school and it was taught in English. So, I won the English Award. Why? Because obviously, I spoke English. (we laugh) The best part of that award was that the guy that gave me the award was Haile Selassie, the Lion of Judah. So for me, that was an extraordinary award to win.

Whenever my father told the story, they told it as a joke. (laughes) I won the award not because I was a particularly good scholar. It was just because I spoke English at home. So, yeah, I was pretty fluent in English. The only other academic award I have won, was the religion award at La Villa St. Jean in Fribourg, Switzerland. And that was really interesting: When I was at this school, I was recruited into the priesthood. And a part of that was: I would have raging debates with my professors and all these religion classes. And the debates always centered around how to be saved in the Catholic church back on that day. Keep in mind, this is in the late 60s. You had somehow convert to Catholicism or you know, profess your love for Jesus Christ. For me, this was absolutely insane. Because how could some person in Equatorial Africa ever run into a missionary that would convert them? And so what you telling me is: Everyone that doesn’t have any exposure to our church is then condemned. So I would have these raging debates. And it wasn’t just Equatorial Africa. I mean the Equator almost hits the island of Singapore. And the population in Singapore is basically, you know, Chinese and Malay, and Indian.

I lived there for a few months, so I know this very well.  

So, you know what I am talking about. They were all condemning the person so I just couldn’t believe it. And all of a sudden: This missionary around Chapel Hill came to visit me and my wife. I was listening to their lessons. All of a sudden, they started talking with me about baptism for the death. And the thing I loved about the Mormon faith: They condemn no one. Because they embrace the fact. You might not have any exposure of Jesus Christ or anything else. So this is why there is the ceremony in our church where we baptize the death. Staying in the opportunity to choose Christ. So that solved this issue for me that I used to have raging debates with.

I won the religion award in La Villa of St. Jean. That along with the English award at St. Joseph’s school in Addis Ababa in Ethiopia. I won the religion award for the highest advocate. So, what I really appreciated about my religion professors is this: I know I was an absolutely pain in the ass in their classes. They knew I was passionate about these arguments and discussions I would have with them. As a result, I was engaged in every religion class and most of the time through debate. And I was certainly not shy and I would attack anything they said that I disagreed with. As a result, I became very, very comfortable with all the tendencies in our faith. But then converted to the church of Jesus Christ of Latter-day Saints because of this one little caveat which is no one is condemned. Which is the position I think we have to take in any current religion. Because surely, you can understand the extraordinary disconnect or disingenuousness other religion that condemns you if you aren’t exposed to it. Can it become any more ridiculous than that?

Which is why I came to UNC to study philosophy, because for me, these debates are critical. And different from my undergraduate English and Philosophy degree. So these elements for me were very important growing up. Honestly, as you can see for my respect for core values and teaching young men and women to live principle centered lives. For me, this is our mission. This is our mission as human beings: To help each other get to that place where we are all living principle centered lives.

I am just impressed because it is such a broad range of influences from so many different countries like Ethiopia and Singapore. If I just compare it, it’s crazy.

Have you got also a funny story that you’ve experienced about soccer you can tell? Maybe during one of your trips abroad?

Usually, it’s funny story at the expense of a player. I guess my favorite story when I was coaching the men is: Obviously, this is a contact sport. The thing I hate about watching the EPL right now is: Anytime anyone is nicked in the box, they roll over like they had been shot by a sniper and I just hate the performance now in these matches. Because to play football, you got to be very tough and you hit all the time and practice and these people that are hit in the practice don’t roll six or seven times. By the way, to roll six or seven times, it takes an incredible amount of effort. So trust me, if you are really hurt badly, you are not rolling six or seven times. You’re rolling once. And then you stop and then basically, that’s the issue. So what I don’t like is watching all these players roll all over the place. It drives me crazy.

Anson Dorrance’s ideas on how the game could be changed with positive impacts

This is much more in men’s soccer, right? That’s my impression. Women immediately get up again, even in part when they have directly collided heads in a duel. And the men often remain lying on the ground, although nothing has happened. That’s unbelievable!

It is unbelievable and you are right. But the women’s game is – well, we aren’t acting as much as the men. The women’s game is a more honorable game. I really agree with you because I am disgusted with where the men’s game it going. I think we should start to change the rules. I mean, we should introduce the sin bin. The sin bin is what happens in ice-hockey where a violent player is thrown off the ice for two minutes for being too aggressive. I think we have to give our referees more tools and we also have to change the rules in the penalty box. Because if the guys dribbling away from the goal and someone nicks his foot and he collapses on the far corner of the penalty box dribbling away from the goal. It’s a penalty kick. Are you freaky kidding me? There was no justice in there! I think for a penalty kick to occur there has to be a scoring chance. And it has to be intentional by the defender!

What’s your opinion about the German VAR (Video Assistant Referee) in the Bundesliga?

Actually, I have no issue with the VAR. I think that gets to the truth. So, I have no issue with the VAR. But what I have issue with is the amount of penalties that are called they are real penalties, they are scored. There is no real scoring chance. So, I think that’s an issue for me. But also we don’t give the referees enough tools. So what the referee has to be able to do is to basically throw a player off the field. And he could throw the player off the field for anything. I think a lot about that is: The coach has to think about what to do and so do the players. So, now you are a man down. How do you take advantage of it? So, I love all that. I hate penalty kicks to decide the game. I think, you want to go to overtime – first of all, I like the American solution: Golden Goal. As soon as you score a goal, the game is over. So you don’t play addition 30 minutes post game to see who the winner is. And then go to penalty kicks if still tied – no! Someone scores a goal, BANG, game over. But I also think every five minutes, you should throw a player off the field. Both teams. And as soon as the overtime begins, you eliminate offside. After five minutes, it’s 10 against 10. After ten minutes, it’s 9 against 9. After fifteen minutes, it’s 8 against 8. And here’s what I love because this is so interesting: As a coach I would love to decide who I throw off and who I leave on and what my formations going to be, because keep in mind: No offsides anymore!

Would be very interesting, very different.

That would be an incredible game because talk about space!

And also interesting for the spectators to watch the coaches how they decide then. Cause you’ve got the pressure. You haven’t got a lot of time to decide!

Yes! (enthusiastic) The spectators will love it and they will all disagree with the coach. All of a sudden the commentators after the game would have a field day with the decisions they made. But also the game ends with the result. You eliminate offside and there’s going to be an early goal. You eliminating players because I hate penalty kicks. I have spent so much of my time to protect a poor, sweet girl that caused us to lose a National Championship because she missed the goal. It’s not their fault. Let’s figure out a different way where the team loses, not a player loses. And I just hate it. But also, I don’t like the number of penalties right now. Ridiculous! No scoring chance. I like the AR cause the AR is getting to the truth. And if the AR is saying that that guy took a dive, I want that player to be thrown off the field because I don’t like the yellow card system.

You always have to count the cards. Does the player have five cards now?

I feel it. Because basically, the first yellow card is not a penalty. Or another player has to be careful. If the guy has a horrendous foul, penalize him: Throw him off the field! So yeah, have a yellow card means throw him off the field for 20 minutes.

Did you already talk to the Soccer Association and suggest your ideas?

I talked to everyone all the time, also to the journalists, and they just disagree with me. They are traditionalized. I hate it. We should introduce the sin bin! Give the referees more tools!

Or just making a pilot project just to try it and showing them the prejudices?

Well, I run a soccer camp each summer. These were kids and they were all coming in and we have camp tournaments, of course. In the final game at the camp, they play for the 1st place, 3rd place, 5th place etc etc etc. If there was a tie at the end of a game, we were immediately started with no offsides and immediately, every five minutes, throw a player off. And usually, by the time it gets to 5 against 5, there was a result.

What did the players say?

They love it! And the parents love it because the excitement is incredible! No offsides! No one is yelling about offsides or screaming about anything. And, who are you leaving on the field? And then it’s like gladiators. Who are your gladiators? I love it. Finally, there is two players left, one on each team. Who is the gladiator? These are things we can all talk about. And so for me, it’s such a simple solution. And it ends everything. It’s like a three-points-shot in American basketball. That was such a great addition to basketball. And so, yes, let’s keep making soccer more and more exciting. So let’s stop the penalty kick, talk about the most boring and terrifying moment in the game. That’s horrible. It’s not fun to watch. It’s embarrassing to watch. And the only people to leave penalty kicks with satisfaction is the ones who win. No one is excited about the second.

No, it’s horrible for them.

It’s horrible for them, but also for the poor player that missed.

I just remember Bastian Schweinsteiger in the Champions League Final when they lost in Munich 2012. He thought about it a very long time, he said.

I hate that. Because I love my players and I don’t want them to be scared by this.

I understand. Great idea in my eyes to try it out.

There is so much to talk about soccer all the time.

I totally agree, that game is a wonderful game to be part of it.

Do you know to whom you wanna give the book to?

I already gave the book to Madi Pry. The reason I gave it to Madi is, that Madi retired from playing for us because of constant injuries. So I gave it to her because she writes beautifully and I really respect her, and she is going to have it circulating through our team.

It’s great. Thank you so much for your time.

Thank you, Lisa. I am into this conversation. Good luck to you.