Interview mit Kim Krämer und Uli Hofmann vom FC Bayern-Fanclub Rollwagerl 93 e.V.

In der aktuellen Ausgabe des BBAG-Magazins habe ich einen Artikel über den Rollwagerl 93 e.V. veröffentlicht. Da die Themen „behindertenfreundliche Stadionausstattung“ und „Tickets für Fans mit Behinderung“ sehr bedeutend und vielseitig sind, habe ich mich entschieden, noch ein ausführliches Interview mit dem aktuellen und ehemaligen Fanclub-Vorsitzenden Kim Krämer und Uli Hofmann zu führen. Im Folgenden erfahrt ihr also noch mehr über den Rollwagerl 93 e.V….

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Kim Krämer (l.) und Uli Hofmann sprachen mit mir über den Rollwagerl 93 e.V. und darüber, was andere Bundesligisten bzgl. ihrer behindertengerechten Stadioneinrichtung noch verbessern können. Foto: Lisa Schatz

Lisa Schatz: Servus Kim und Uli, in eurem zweiten Zuhause, der Allianz Arena. Bitte beschreibt zunächst einmal euren Fanclub. Was zeichnet den Rollwagerl 93 e.V. aus?

Kim Krämer: Unser Fanclub ist wie eine Familie. Man ist mittendrin statt nur dabei. Bei uns ist es so: Wenn jemand etwas machen will, dann versuchen wir, denjenigen ins Boot zu holen. Ersen Tekin, unser TV-Melder, wollte etwas machen. Wir haben also eine Seite auf unserem Internetauftritt installiert, auf der er eingeben kann, wann und wo die Spiele des FC Bayern bzw. deren Zusammenfassungen übertragen werden. Zudem sind wir einer der zwei größten Behinderten-Fußballfanclubs in Europa. Der MUDSA (Manchester United Disabled Supporters‘ Association) hat aktuell (Stand: 10.02.2019) auch ca. 900 Mitglieder.

Uli Hofmann: Der Rollwagerl 93 e.V. ist eine wichtige Ergänzung in der Fanszene und für den FC Bayern an sich, weil die Damen und Herren dort nicht wissen können, worauf es ankommt. Wenn irgendetwas gemacht werden muss, was die Rollstuhlfahrer betrifft, kannst du fragen, wen du willst beim FC Bayern: Jeder verweist mittlerweile auf uns. Da halten sie sich komplett raus. Das ist ein guter Vertrauensbeweis.

Lisa Schatz: Könntest du bitte ein konkretes Beispiel nennen, um das den Leser*innen genauer zu verdeutlichen, Uli?

Uli Hofmann: Bis hin zum Klopapier haben wir uns um alles gekümmert. Diese Haltebügel links und rechts an den Behindertentoiletten mit dem angebauten Klorollenhalter haben den Vorteil, dass sie mit einer einzigen Hand bedient werden können, ohne dass das Papier herunterfällt und wegrollt. Diese Klorollenhalter wurden angebracht, da manche Menschen mit Behinderung Einschränkungen in der Fingerfunktion haben. Zwischendurch wurden große „Turborollen“ verwendet, wie sie auf den Standard-Toiletten üblich sind. Diese zeichnen sich jedoch durch einen großen Durchmesser und passen nicht auf diese speziellen Klorollenhalter. Diese Rollen kann man auf den gängigen Toiletten hernehmen, nicht aber auf den Behindertentoiletten. Die zuständigen Bediensteten haben anfangs gefühlte sieben Kilometer abgerollt, bis die jeweilige Rolle zunächst darauf passte. Das nutzte aber nichts, weil die inliegende Papprolle einen größeren Durchmesser hatte als die Steckvorrichtung. Somit konnten die Menschen mit der entsprechenden Einschränkung das Klopapier nicht einhändig abrollen. Außerdem fiel die Rolle mangels Halt ständig auf den Boden. Wir haben dann erfolgreich das Gespräch mit den Entscheidungsträgern gesucht. Heute wird nur noch geeignetes Klopapier (d.h. Standard-Rollen) dafür verwendet.

Lisa Schatz: Wie ist es mit den anderen Stadien?

Kim Krämer: Mit der „Toilette für alle“ sind in Deutschland nur die Allianz Arena, die Wirsol Rhein-Neckar-Arena und die Mercedes-Benz Arena ausgestattet. Wichtig für uns ist natürlich auch die Sicht aufs Spielfeld und die Anzahl der Plätze. In Hoffenheim beispielsweise wäre eigentlich alles in Ordnung, aber dort sitzen Menschen direkt vor dir. Sie stehen oft auf und dann sieht man nichts mehr. Ein großes Problem ist zudem: Wenn bei Auswärtsfahrten die zehn-Prozent-Regel gilt, dann stünden uns in Hoffenheim nur vier Tickets zu. Deshalb müssen wir immer mit dem jeweiligen Behindertenfanbeauftragten sprechen, ob man nicht noch Tickets dazu nehmen kann. Es wäre schließlich schwierig, eine Fahrt mit einem Reisebus zu machen, und nur vier oder fünf Rollifahrer mitnehmen zu können. Da ist Berlin natürlich erste Sahne. Im dortigen Olympiastadion sind alle Rollstuhlfahrerplätze im Block der Gastmannschaft. Das heißt, da bekommt Bayern dann an die 30. Berlin ist für uns also immer ganz toll. Dorthin haben wir schon Fahrten mit zwei Reisebussen gemacht. Die Planung ist immer enorm aufwendig für vier Tage. Auch finanziell, wo wir inzwischen ein super Netzwerk zu Sponsoren und zum Sozialreferat aufgebaut haben. Der FC Bayern und die Allianz Arena sowie der AUDI-Fanclub FC Bayern und Rehability sponsern uns. Zudem zahlt unser langjährigster und größter Unterstützer Raimond Aumann auch noch einen Bus. In einen Bus passen zehn bis elf Rollifahrer, je nachdem, wie er ausgestattet ist.

Uli Hofmann: In Bezug auf die Sicht aufs Feld sind wir in München wirklich Vorreiter.

Wenn man nach Dortmund blickt: Dort wurde immer wieder nachgerüstet. Zum Beispiel für die WM 2006. Damals wurden neue VIP-Zonen und eine neue Ebene für die Presseplätze errichtet. Aber für Rollstuhlfahrer ist immer alles gleich geblieben. Das Stadion hat 81.000 Sitzplätze, davon sind 72 Rolliplätze. Das sind weniger als 0,1 Prozent. Ein Armutszeugnis.

Oder auch Schalke. Das Stadion in Gelsenkirchen ist noch relativ neu. Darin sieht ein Rollifahrer aber nichts, wenn die Fans vor ihm aufspringen. Es herrscht nach wie vor sehr viel Nachholbedarf, egal, wohin man blickt.

Lisa Schatz: Wie sieht es mit Hoffenheim aus?

Uli Hofmann:. Dort ist die Situation ähnlich wie in Berlin. Obwohl Dietmar Hopp sozial engagiert ist und auch eine Stiftung hat, wurde beim Neubau des Stadions einiges versäumt: Man sieht auch hier nichts vom Spielgeschehen, wenn die Zuschauer vor einem kollektiv aufspringen! Bei unserer ersten Auswärtsfahrt dorthin habe ich nichts vom Tor gesehen. Wenn da ein Tor gefallen ist, und die Fans vor mir aufgesprungen sind, habe ich nur den Jubel gehört. Ich war total frustriert. Beim nächsten Mal hat deren Behindertenbeauftragter persönlich mit den Fans in der Reihe vor uns Kontakt aufgenommen und sie gebeten, sitzen zu bleiben, damit wir etwas sehen. Das hat sehr gut funktioniert.

Lisa Schatz: Lasst uns zu eurem Fanclub kommen. Wer kann bei euch Mitglied werden und wie funktioniert das?

Kim Krämer: Bei uns kann jeder Mitglied werden, inzwischen sogar online. Man kann eine Online-Maske ausfüllen und ist dann direkt im System registriert. Im Anschluss erhält man eine Benachrichtigung per E-Mail.

Lisa Schatz: Nun zu eurem Ticketingsystem. Wie wurden die Tickets früher vergeben und wie hat sich das Ganze entwickelt?

Kim Krämer: Unser Fanclub wurde ja auf Grund der schlechten Kartenverteilung gegründet. Das erste Ticketingsystem von Peter Czogalla war rein telefonisch. Das war eine Katastrophe für seine Frau, weil das Telefon den ganzen Tag klingelte. 2005 hat Uli Hofmann den Vereinsvorsitz und das Ticketing übernommen. Er hat eingeführt, dass die Bestellung der Tickets nur noch per Anrufbeantworter, Fax, E-Mail und Post läuft. Ich habe das Ganze dann 2008 fortgeführt. Zunächst habe ich nichts verändert,  dann jedoch an einem Konzept gearbeitet, dass wir online und automatisiert Tickets anbieten können. Das steht jetzt. Wir sind nun der erste Fanclub eines Bundesligisten, der Online-Ticketing speziell für Menschen mit Behinderung anbietet. Auch keiner der Bundesligavereine selbst macht dies.

Lisa Schatz: Wie läuft euer Online-Ticketing im Detail ab?

Kim Krämer: Die Bestellfrist startet einen Monat vor dem Spieltag und endet zwei Wochen vor dem Spieltag. In diesen zwei Wochen kann man sich online bewerben.  Wer Mitglied ist, muss einfach auf unsere Ticketingseite gehen, dort seinen Namen und seine Mitgliedsnummer eingeben. Wenn man seine Bestellung abgeschickt hat, erhält man direkt im Browser eine Nachricht: „Ihre Auftragsnummer ist XY. Sie werden rechtzeitig informiert“. Der Kunde sitzt am PC, schickt seine Bewerbung ab, und wir haben zeitgleich die Anfrage als Kundenauftrag im System. In dem Ticketingsystem „add on“ von SAP Business One, das 5.500 € gekostet hat, sind alle Heimspiele verzeichnet mit jeweils 50 Tickets auf der Ost- und auf der Westseite in der Allianz Arena. Ich kann diese dann zuweisen und sehe direkt, ob jemand die letzten drei Heimspiele schon gesehen hat, oder zwei davon. Umso mehr jemand von den vergangenen drei Heimspielen gesehen hat, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass derjenige eine Absage für das folgende bekommt. Hat man im vergangenen Spiel eine Absage erhalten, ist es in der Regel so, dass man für das darauf folgende Spiel wieder eine Zusage bekommt. Es sei denn, es geht auf das Ende des Jahres zu, und Dortmund und Real Madrid spielen beispielsweise hintereinander in der Allianz Arena. Die Karten für diese Gegner sind sehr gefragt. Dann kann es passieren, dass jemand zwei Absagen hintereinander erhält. Das System wird sehr gut angenommen: Aktuell kommen noch ca. fünf Bestellungen pro Spiel per E-Mail, der Rest macht alles online.

Lisa Schatz: Wie viele Anfragen habt ihr in etwa pro Spiel vorliegen und wie viele Plätze könnt ihr vergeben?

Kim Krämer: Wir sind immer ausgebucht. Sollten einmal nicht alle Tickets an unsere Mitglieder vergeben worden sein, so stehen wir mit Einrichtungen in Kontakt, von deren Seite Interesse besteht, und an die wir die Tickets dann verteilen. Insgesamt gibt es in der Allianz Arena 227 Plätze für Menschen mit Behinderung. Davon hat der Rollwagerl-Fanclub 100. Den Rest verwaltet der FC Bayern.

Lisa Schatz: Unternehmt ihr auch Fahrten zu Auswärtsspielen?

Kim Krämer: Wir versuchen immer, wenn es finanziell machbar ist, mehrtägige Auswärtsfahrten zu machen und im Rahmen der Reisen ein Kulturprogramm anzubieten. Das ist uns sehr wichtig: Nicht nur Fußball, sondern auch Kultur. Wir haben Mitglieder, die im Heim wohnen, in der Lebenshilfe. Für sie sind die Fahrten von großer Bedeutung, um aus ihrem Alltag und der Isolation herauszukommen, und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Auf den Fahrten können sie sich gemeinsam freuen und auch zusammen trauern. Das ist zudem ein prägender Punkt hinsichtlich unserer Gemeinnützigkeit. Allein durch die Vergabe von Heimspieltickets wird man nicht gemeinnützig, sondern wegen solchen Auswärtsfahrten.

Lisa Schatz: Wo wart ihr bislang und wie lief das Ganze ab?

Kim Krämer: Unsere erste inklusive Auswärtsfahrt haben wir nach Hoffenheim gemacht. Zuvor hatte ich eine Schulung zum Thema „Kompetent für Inklusion“ begonnen und wir hatten den Auftrag, eine Projektarbeit zu machen. Hier entstand die Idee. Wir hatten schon Erfahrung mit Auswärtsfahrten, aber noch nicht mit inklusiven. Bei dieser Fahrt hatten wir Gehörlose dabei und eine syrische Familie – ein ganz schwerer Fall – mit Folter. Für die Gehörlosen hatten wir eine Dolmetscherin, die immer abends zu unserer Gesprächsrunde ins Hotel kam. Wir waren auch im Technikmuseum in Sinsheim und hatten zudem ein Treffen mit dem integrativen Fanclub der TSG Hoffenheim im alten Dietmar-Hopp-Stadion. Daran haben auch Raimond Aumann und zwei Profis von Hoffenheim teilgenommen. Seitdem machen wir ausnahmslos inklusive Auswärtsfahrten. Unser nächstes Ziel ist Düsseldorf.

Lisa Schatz: Wie viele Auswärtsfahrten macht ihr pro Saison?

Kim Krämer: In der Regel zwei. Auf Grund der Softwareeinführung haben wir jetzt zwei Jahre hintereinander jeweils nur eine gemacht und eine Tagesfahrt. Die Tagesfahrten sind immer abhängig von Stuttgart und Nürnberg. Wenn die nicht in der Liga sind, können wir keine Tagesfahrten machen.

Lisa Schatz: Welche Schwierigkeiten oder Hürden sind bisher hinsichtlich eurer Auswärtsfahrten aufgetreten?

Kim Krämer: Bei uns ist immer alles ins Detail geplant. Während den Fahrten ist meist alles in Ordnung. Jedoch gestaltet sich die Planung als schwierig: Man muss sich direkt an dem Tag, an dem der Spielplan herauskommt, die Spiele heraussuchen, zu denen man auswärts fahren will. Dann wird gleich das Hotel angefragt. Damit ist der Großteil erledigt. Anschließend werden die Einladungen verschickt, die Rückmeldungen ausgewertet und die jeweiligen Zu- und Absagen versandt. Daraufhin werden das Essen bzw. die Restaurants organisiert oder reserviert. Im Anschluss stelle ich das Programm zusammen. Was auch wichtig ist: Zu prüfen, ob an dem Spieltag eine Messe in der Stadt stattfindet. Wichtig sind vor allem auch unsere 20 bis 25 ehrenamtlichen Helfer, die uns auch bei den Auswärtsfahrten, beim Einkaufen und Brötchen schmieren für die Busfahrt usw. unterstützen.

Lisa Schatz: Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem FC Bayern, wie sieht die Unterstützung durch den Bundesligisten aus?

Kim Krämer: Vor dem Bau der Allianz Arena wurden wir auf unsere Nachfrage hin zu einem runden Tisch eingeladen. Damals haben wir gemeinsam mit Peter Czogalla, Uli Hofmann und Jürgen Muth, dem Geschäftsführer der Allianz Arena, eine Begehung gemacht. Wir haben die Plätze begutachtet und Tipps gegeben, dass man hier doch investieren sollte und darauf achtet, dass die Rollis freie Sicht aufs Spielfeld haben, auch wenn die Fans vor ihnen aufstehen.

Bezüglich der Sicht ist Folgendes zu sagen: Auf unserer Seite im Westen befinden sich die Presseplätze. Die Journalisten stehen sowieso nicht auf, da gibt es kein Problem. Aber im Osten wurden zwei Sitzplatzreihen herausgebaut und ein L-Block gebildet. Das heißt: Wenn die Fans in der Reihe vor den Rollifahrern aufstehen, sind deren Köpfe auf Höhe der Füße der Rollifahrer. Ohne diese Maßnahme gäbe es dort zwei Reihen mehr: Das sind auf 10 Jahre gerechnet Einnahmen in der Höhe von ca. 10 Millionen Euro, auf die der FC Bayern verzichtet, damit die Rollstuhlfahrer freie Sicht haben.

Bezüglich unserer Auswärtsfahrten haben wir mit dem FC Bayern vereinbart, dass wir immer das volle Kontingent an Rolli-Tickets bekommen, dazu 4 Tickets zusätzlich für Begleitpersonen. Das klappt seit Jahren sehr gut.

Lisa Schatz: Gibt es noch eine Geschichte, die du erzählen möchtest, Kim?

Kim Krämer: Unser Mitglied Martin Bauer habe ich auf der Auswärtsfahrt nach Hannover kennen gelernt. Wir waren zweimal in einer Autobahnraststätte beim Pause machen – auf der Hin- und auf der Rückfahrt, in der gleichen wie Martin. Wir sind ins Gespräch gekommen. Eine Woche später kam Martin in den Rollwagerl Shop und wurde Mitglied. Er unterstützt uns finanziell, unseren Soli. Das ist bei uns sozusagen das „Sozialticket“. Denjenigen, die sich keine Tickets bzw. Auswärtsfahrten leisten können, werden die Fahrten und Karten durch unseren sog. Solitopf ermöglicht. Normalerweise liegt der Eigenanteil an Auswärtsfahrten bei 80 € – Fahrt, Ticket für das jeweilige Spiel und Übernachtungskosten inbegriffen. Martin unterstützt uns immer und hinterlegt auch ArenaCards, damit sich die Mitglieder, die es sich sonst nicht leisten können, auch hier etwas zu essen und zu trinken kaufen können. Bei uns ist das Sozialticket ein fester Bestandteil. Maximal dreißig Mitglieder nehmen es in Anspruch. Auch dreißig Tickets werden aus dem Solitopf bezahlt. Zudem gibt es ermäßigte Beiträge für die Mitgliedschaft. Diese Gruppe zahlt den halben Preis, um Mitglied zu sein. Früher waren die Auswärtsfahrten „Jugendherberge und McDonalds“, ohne Kultur. Jetzt übernachten wir in barrierefreien Hotels und haben ein Kulturprogramm. Uns war es wichtig, das alles zu verbessern. Die Sponsoren sollen auch sehen, dass wir eine gute Arbeit leisten. Das hat irgendwann eine Eigendynamik entwickelt. Uns ist Zuverlässigkeit absolut wichtig.

Lisa Schatz: Vielen Dank, dass ihr euch so viel Zeit für das Interview genommen habt.

Kim Krämer und Uli Hofmann: Natürlich gerne.

Weitere Informationen für einen barrierefreien Stadionbesuch sind – auch in leichter Sprache und mit Hörservice – unter https://www.barrierefrei-ins-stadion.de/ zu finden.

(M-)Ein perfekter (Fußball-)Tag in München

Ein sportliches „Servus“ an alle Fußballbegeisterten auf diesem Planeten!

Dieser Blogbeitrag ist wohl so ziemlich der spontanste, den ich je geschrieben habe. Gestern war für mich einer dieser Tage, die man wohl als „perfekt“ bezeichnet. Und das möchte ich der Welt nun einfach mal mitteilen…;-)

Um ca. 9 Uhr machte ich die Augen auf und sah die Sonne zwischen den Bäumen durchblinseln. Schnell nahm ich ein paar Schlucke Wasser, streifte mir die Sportklamotten über, schnürte meine Laufschuhe. Schlüssel und Handy sowie das MVV-Ticket in die Hosentaschen, Stöpsel in die Ohren und rein in eine andere Welt! Es ging raus an die frische Luft. Bei strahlendem Sonnenschein und wolkenlosem Himmel. Einfach nur traumhaft!

Mich zog es durch Harlachings Straßen, mal wieder. Ich liebe es, durch Seitenstraßen zu laufen und Neues zu entdecken: Vorbei an wunderbaren Gärten, den Fliederdurft in der Nase – so à la „Frühling lässt sein blaues Band…“. Ich biege ab, Naupliastraße. „Weiter, weiter“ denke ich mir, und überquere die St. Magnus-Straße. Wie ein Magnet steuere ich auf ein Ziel zu  – geradeaus, lächelnd, motiviert: die Säbener Straße. Jetzt kennen meine Füße kein Halten mehr: Tack, tack, tack, im Takt der Musik. Ich werde gepusht von meinen Lieblingssongs, laufe an den Jungs des FC Sportfreunde München e.V. vorbei, merke diese Energie, die der Fußball ausstrahlt, und bin noch motivierter. Denn wo befinde ich mich? Im Münchner „Fußballviertel“, wie ich es bezeichne. Gut gelaunt jogge ich an der Geschäftsstelle des FC Bayern München vorbei. Niemand ist hier. Ungewohnte Leere. Langsam merke ich, dass es für heute reicht mit dem Laufen und begebe mich auf den Weg zur Tram, die mich fast nach Hause bringt.

Schnell fertig gemacht und das Wichtigste in die Tasche geschmissen. Next stop: Westpark. Der Grund? Lachyoga (und ja, ihr dürft jetzt gerne lachen!). Vor einigen Jahren habe ich das erstmals ausprobiert und ich finde es weltklasse:-). Es macht unheimlich viel Spaß gemeinsam zu lachen und sich auch ein bisschen „zum Affen zu machen“ bzw. zum „Huhn“. Je nach Übung natürlich;-). Heute waren wir rund 40 Lachbegeisterte unterschiedlichsten Alters und es gab viele freudestrahlende Gesichter. Wer sich nichts unter Lachyoga vorstellen kann oder das als zu verrückt empfindet, der möge es selbst ausprobieren und sich von den positiven Auswirkungen überzeugen! Nach dem Lachyoga begab ich mich zurück in Richtung U-Bahn. Auf dem Weg sah ich einige Mädels und Jungs im Park kicken. Die ganze Familie machte mit – wunderbar!

Pizza, Fußball und Sonnenschein...Was will man mehr
Fußball, Pizza und Sonnenschein…Was will man mehr? Foto: Lisa Schatz

Das steigerte schon meine Vorfreude auf den Nachmittag, denn da stand das Spiel des FC Bayern-Damenteams gegen Turbine Potsdam an. An der Silberhornstraße holte ich mir noch schnell eine Pizza und begab mich auf den Weg in Richtung Grünwalder Stadion. Eine tolle Strecke, wie ich finde. Vorbei am Gießinger Grünspitz und bei schönstem Fußballwetter zu diesem nostalgischen Stadion, mit dem ich einige tolle Erinnerungen verbinde.

Dort angekommen, begann ich mit der Sonne um die Wette zu strahlen: Was für eine Atmosphäre! Rund um das Stadion gab es verschiedene Aktionen: Kickern, Torwandschießen, alles, was sich das Fanherz wünscht. Auch, wenn ich kein Fan des FC Bayern oder von Turbine Potsdam bin – die Stimmung

Grünwalder Stadion
Das Städtische Stadion an der Grünwalder Straße. Foto: Lisa Schatz

war fantastisch, grandios! Die verletzten FCB-Spielerinnen schrieben geduldig Autogramme und ließen sich mit ihren Fans fotografieren. Sie mischten sich unter die Menge. Im Männerfußball hab ich so eine Fannähe und einen solchen Umgang mit den Fans im Stadion nur selten erlebt – die Profis heute waren sehr geduldig und sogar während des Spiels wurden der einen und anderen Nachwuchskickerin Autogramme gegeben.

Dann das Spiel: Ich will hier keinen Spielbericht schreiben, nur so viel: Der FC Bayern gewann mit 5:0 gegen Turbine Potsdam! Der Mann, der die Tafel mit dem jeweiligen Spielstand aufhing, kam gegen Spielende kaum noch hinterher… (ja, das ist eben auch das gute, alte Stadion an der Grünwalder Straße…;-)).

Zwei Plätze neben mir saß ein älterer Herr, der sich mit mir fast das komplette Spiel über über Fußball und die Welt unterhielt. Er ist seit rund 50 Jahren Mitglied des FC Bayern, wohnt um die Ecke des Stadions, und erzählte mir vom FC Bayern der 50er Jahre. Zudem redeten wir über den englischen Fußball, Fußballfilme, den SSV Jahn und über den 1. FC Kaiserslautern in den 50er Jahren. Einmal „Fußball querbeet“ sozusagen.

Während des Spiels bekam ich Gänsehaut. Mir schoss das Wasser in die Augen, Freude pur. Die Fans haben eine super Stimmung gemacht, die Spielerinnen zelebrierten einen tollen Fußball, und – im Gegensatz zu meinen häufigen Feststellungen im Männerfußball – keine einzige der Spielerinnen lag minutenlang und das Gesicht verzerrend auf dem Boden und wartete, bis der Schiri dem Gegner Gelb gab oder Ähnliches. Die Zweikämpfe waren fair, es war einfach nur toll zuzusehen. Und vor allem die kleinen Fans waren derart begeistert, dass es einfach nur eine Freude war, im Stadion zu sein. Auf der Tribüne gab es kein Gemurre oder Rumgenörgel, alle waren einfach gut drauf und feuerten die Mädels an.

Lisa vorm Grünwalder
Es war ein perfekter Fußballtag für mich. Foto: Lisa Schatz

Was für ein geiler Fußballtag! Ich weiß wirklich nicht, wann ich das letzte Mal so viel Spaß beim Fußball gucken hatte. Mir bleibt nur „Danke“ zu sagen an alle, die diesen Nachmittag im Grünwalder Stadion so wunderbar haben werden lassen!!! Es war ein sommerliches Fußballfest, ein Torefestival, so viele freundliche und friedliche Fans, so familienfreundlich und eine derart gute Stimmung auf der Tribüne – vorbildlich! Einfach SUPER!!!

Im Anschluss an das Spiel flanierte ich noch mit einem Limone-Basilikum-Eis in der Hand durch Giesing und genoss das Sommerwetter. Danach ging es zum Ausklang des Wochenendes an die Isar, wo ich meine Erlebnisse Revue passieren ließ.

Der perfekte Tag? Sieht für mich so aus wie…HEUTE!

Sportliche Grüße und einen guten Wochenstart euch allen

Lisa Blue

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Rouven Sattelmaier: „Ich würde wieder nach England gehen“

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Rouven Sattelmaier nahm sich nach dem Training Zeit für ein Interview. Foto: Lisa Schatz

Bradford. Meinen diesmaligen Gesprächspartner, Rouven Sattelmaier, und mich verbindet eine kleine Geschichte. Von 2007 bis 2010 spielte Rouven für den SSV Jahn, von dem ich zu dieser Zeit selbst Fan war. Danach zog es ihn in die große Fußballwelt: Zum FC Bayern München. Es folgten die Stationen 1. FC Heidenheim und Stuttgarter Kickers. Inzwischen spielt er im englischen Bradford. Als ich meinen Englandurlaub plante, kam mir der Einfall, bei seinem Training vorbeizuschauen und ihn zu interviewen. Trotz meines 2008 im Fanschießen gegen ihn verwandelten Elfmeters erklärte er sich dazu bereit und erzählte mir von seinen Eindrücken des englischen Fußballs…

Rouven, wie hast du dich in Bradford eingelebt?

Im Verein ganz gut. Es gibt definitiv einen großen Unterschied zu Deutschland. Von der Lebensqualität und von der Lebensart her zwar kaum. Aber das Wetter! Was fehlt, ist die Sonne. Es ist oft grau hier. Der Winter war extrem mild, wir mussten nur dreimal auf Kunstrasen trainieren. Ansonsten hatten wir immer sechs, sieben, acht Grad.

Wie schnell wurdest du von der Mannschaft selbst integriert?

Das ging fix. Es ist auch wieder eine andere Art. In Deutschland geht man oft essen bei den kleineren Vereinen. Hier frühstücken wir gemeinsam: Toast, Cereals und Eier können wir uns selbst machen. Also nix besonderes. Dann haben wir Training und Mittag gegessen wird auch mit dem Team, das ist Pflicht. Da hat man dann schon Kontakt.

Wie gefällt dir die Stadt von der Kultur her, bekommst du da überhaupt etwas mit?

Von Bradford selbst wenig. Kein Spieler von uns wohnt in Bradford. Das ist eine ganz andere Mentalität als in Deutschland. Dort ziehen meist alle in den Ort, in dessen Verein sie spielen. Hier ist es aber so, dass so viele Vereine innerhalb einer Stunde Fahrtzeit erreichbar sind, sodass alle Spieler ihr eigenes Haus haben. Die meisten fahren rund eine Stunde zum Training. Drei Spieler von uns wohnen in Leeds: Tim (Timothée Dieng; Anm. von LS), Mark (Marshall; Anm. von LS) und ich. Alle anderen kommen aus Manchester, aus dem Norden. Sie denken: „Nee, ich habe ein eigenes Haus. Ich brauche hier keine Wohnung“. Sie sagen, dass es eben zwanzig Vereine innerhalb einer Stunde zur Auswahl gebe, weil die Städte so nah zusammen seien. In Deutschland kann man froh sein, wenn man mal vier Vereine innerhalb einer Stunde erreicht. Im Westen geht’s. Da hat man vier, fünf Clubs.

Was war für dich die größte Umstellung, als du nach England gekommen bist?

Definitiv die Sprache. Die habe ich komplett unterschätzt, gerade mit dem Akzent. Das habe ich mir viel einfacher vorgestellt. Ich dachte: „Ja, Englisch, kein Problem. Die basics habe ich in der Schule gelernt, danach auch noch und ich habe die Sprache immer wieder im Urlaub angewandt“. Aber wenn man hier ist, hat das mit dem gelernten Englisch gar nichts mehr zu tun. Die Menschen haben einen so krassen Akzent und sie reden deutlich schneller. Es ist wirklich gar kein Oxford-Englisch, wie man es kennt. In den Staaten ist es einfacher, die Menschen zu verstehen.

Was gefällt dir hier gut, was eher nicht?

Die Stadt Leeds ist schon schön. In Manchester war ich auch schon, in Liverpool nur zu den Spielen. Aber Leeds ist wirklich extrem busy. Dort leben knapp 60.000 Studierende. Da ist immer was los. Stellenweise ist die Stadt zu voll, aber zum Leben ist es dort echt super, wenn man so eine Stadt mag. Was nervt, ist der Stau. Ab zwei Uhr ist alles dicht. Wenn wir länger oder zweimal am Tag trainieren und ich danach heimfahre, brauche ich fast eine Stunde. Es ist echt besser, mit dem Zug zu fahren, da ist man gleich in der Innenstadt von Leeds (22 Minuten; Anm. von LS). Das ist aber nur nach dem Training so. Die Hinfahrt morgens ist super, da brauche ich zwanzig Minuten.

„Im vergangenen Jahr habe ich gelernt, wie dreckig der Fußball sein kann“

Wenn man sich deine Laufbahn anschaut: Du bist von Regensburg zum FC Bayern München gewechselt, von dort aus nach Heidenheim und zu den Stuttgarter Kickers. Im Anschluss ging’s nach England. Wie hast du dich an den einzelnen Stationen charakterlich weiterentwickelt?

Ich glaube, man nimmt von überall etwas mit: Von den Trainern, von vielen Mitspielern. Oder auch, was in der nahen Vergangenheit passiert ist: Ich glaube, dass das vergangenen Jahr für mich von extremen Höhen und Tiefen geprägt war. Also, was da abging! Da habe ich nochmal sehr viel gelernt im Fußball. Vor allem auch nochmal, wie dreckig das Geschäft sein kann. Das natürlich auch. Das war echt vogelwild. So wie meine letzte Saison in Deutschland lief – das hört sich jetzt vielleicht hart an – aber es war vielleicht gerecht, dass wir mit den Stuttgarter Kickers abgestiegen sind, auch wenn es nur wegen eines Tors war und wir eigentlich eine super Rückrunde gespielt haben und sich die Mannschaft den Klassenerhalt verdient gehabt hätte. Aber wenn man’s im Nachhinein betrachtet, sollte es einfach nicht sein. Wenn man so absteigt, also mit einem Tor, ist das schon bitter. Und das wirklich in der letzten Sekunde. Und wenn man dann sieht, wie viele klare Torchancen wir das ganze Jahr über hatten und die nicht genutzt haben! Wenn man überlegt: Nur ein Tor in 34 Spielen, ist das eigentlich Wahnsinn. Aber: Das ist Fußball.

„Ich würde definitiv wieder ins Ausland gehen“

Würdest du jedem Spieler raten – wenn er die Chance hat – ins Ausland zu gehen?

Eine ganz schwierige Frage. Viele haben mir geschrieben: „Oh, super, cooler Wechsel, würde ich sofort machen“. Manche haben mir mitgeteilt: „Junge, was ist mit dir los? Wie kannst du das machen?“. Es war komplett unterschiedlich. Man muss der Typ dafür sein. Ich war sofort derjenige, der wusste, ich mache das, weil ich das schon immer irgendwie wollte. Ich weiß nicht warum, aber ich wollte schon immer in England Fußball spielen. Weil es eben doch irgendwie magnetisiert. Ich würde es definitiv wieder machen.

Worin sich der englische Fußball vom deutschen unterscheidet…

Was hast du in Bradford nochmal mitbekommen, inwiefern sich der Fußball hier vom deutschen Fußball unterscheidet? Vielleicht auch dahingehend, was du an der Anfield Road mitbekommen hast?

Die Premier League kann man mit der League One gar nicht vergleichen, aber ich glaube, dass die Championship auch nochmal ein riesen Unterschied zu den beiden ist. Wir spielen einen sehr einfachen Fußball in Bradford, wenn das ein deutscher Fußballfan anschauen würde. Wir versuchen das Spiel – wie im deutschen Fußball – auf Ballbesitz zu halten und wir dominieren ihn mit einfachen Mitteln. Die anderen Mannschaften – es ist wirklich kick and rush – haben super Plätze, da wären die deutschen Vereine neidisch. Aber es wird halt trotzdem nur Langholz gespielt. Selbst, wenn der Innenverteidiger frei ist, interessiert das keinen. Der Torwart haut das Ding vor, am besten soweit es geht, am besten noch in die gegnerische Box. Und wenn der gegnerische Torwart den Ball abfängt, applaudiert der Trainer noch und sagt: „Super langer Ball“. Da würde sich ja jeder Trainer in Deutschland an den Kopf fassen und sagen: „Junge, wenn du das noch zweimal machst, dann nehm ich dich raus, weil wir sonst jeden Ball verlieren“. Aber das ist eine andere Mentalität. Bei den anderen Mannschaften ist auch viel auf die Körpergröße ausgelegt. Bei uns weniger, weil wir versuchen zu spielen. Aber uns fehlt der Killerinstinkt. Also, wir haben zwar viel im Ballbesitz dominiert. Wir hatten gar kein Spiel, in welchem wir keine Chance gehabt hätten. Aber uns fehlt es einfach, den Ballbesitz, den wir mehr haben, in Tore umzusetzen. Das war das ganze Jahr über unser Problem und das sind auch die Punkte, die uns fehlen.

Inwieweit oder hat sich überhaupt dein Blickwinkel auf den Fußball verändert, seitdem du in England bist? Hier ist der Fußball ja eher „Religion“…

Er ist hier schon anders. Es ist schwer zu erklären. Ich glaube, man muss einfach mal eine Zeit lang in England sein und sich die Spiele angucken, um das zu verstehen. Das ist etwas ganz anderes. Auch von den Fans her. Im Vergleich zu Deutschland ist die Stimmung in den Stadien hier schlechter. Bei einem 0:0 oder in einem Spiel, bei dem es wenig Chancen gibt, ist die Atmosphäre hier furchtbar. Das erste Spiel, das ich mir in Liverpool angeschaut habe, war Liverpool gegen ManU. Das war grauenhaft. Erstens war es ein schlechtes Spiel, was ja mal vorkommen kann, aber auch von den Fans her… Hier fehlen die Ultras. Aber wenn ein Spiel gut läuft und es auf einer Seite sehr viele Chancen gibt, wie beim 4:1 von Liverpool gegen Stoke, dann gehen alle 60.000 im Stadion mit. Bei uns sind’s halt dann 18.000 Zuschauer, die mitjubeln. In Bradford gibt es einige ultraorientierte Fans, aber das ist kein Vergleich zu Deutschland. Sie versuchen zwar durchwegs Stimmung zu machen, aber es ist wirklich extrem abhängig vom Spielgeschehen, wie sie reagieren oder wie sie drauf sind. Sie kommen sehr kurzfristig vorm Spiel ins Stadion, am besten fünf Minuten davor. Wenn der Schiedsrichter abpfeift, ist das halbe Stadion oder mehr bereits leer. Das ist einfach eine komplett andere Mentalität. Auch bei den Spielern. Wir gehen nur ganz selten nach den Partien zu den Fans. Also nicht so, wie man das in Deutschland kennt: Wenn man gewinnt, läuft man zu den Vereinsanhängern.

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Rouven Sattelmaier unterhielt sich am Ende der Saison 2008/2009 mit einem Jahnfan. Foto: Lisa Schatz

Findest du das in Deutschland besser?

Das kommt natürlich darauf an: Wenn man gewinnt, macht man das gerne. Wenn man verliert, weniger (lacht). Ich bin der Meinung: Einerseits gehört’s dazu, aber die Engländer kennen’s halt einfach nicht. Die Fans fordern das somit gar nicht. In Deutschland wird’s ja erwartet: „Bedankt euch mal bei den Fans, die bezahlen hier Eintrittsgelder!“. Hier in England sind die Fans ja sofort weg. Da geht man zum Auslaufen und mindestens das halbe Stadion ist leer.

 

46 Spiele plus 3 Cups

Wie findest du das Training hier?

Es ist auch anders. Wir trainieren deutlich weniger, weil wir etliche Spiele übers Jahr verteilt haben. Es gab eine Zeit, da hatten wir sechs englische Wochen am Stück. Da kann man gar nicht trainieren. Man kann die Mannschaft im Endeffekt gar nicht mehr stark verändern oder umstellen oder irgendetwas Taktisches einüben, weil es schlichtweg nicht möglich ist. Weil man gar nicht die Zeit dafür hat. Dann ist es wirklich nur noch trainieren, regenerieren und dann ist man schon wieder unterwegs. Ich glaube das ist ein riesengroßer Unterschied zu Deutschland. Es gibt ja auch keine Winterpause. Für mich war das interessant. Meine Teamkameraden kennen es gar nicht anders, die sind es gewohnt. Ich bin bislang nicht in meiner Heimat gewesen, es gab zeitlich keine Möglichkeit, weil wir nicht frei hatten. Wir haben jedes Wochenende gespielt, plus die englischen Wochen. In der Liga hatten wir 46 Spiele plus drei Cups. Das war Wahnsinn. Wir haben teils freitags oder samstags und am je darauf folgenden Montag gespielt. So etwas würde es in Deutschland nicht geben.

Nun zum Leben an sich in Leeds. Wie lief die Phase des Einlebens?

Wie gesagt: Ich habe über den Club schnell Leute kennen gelernt. Da hat man es in der Branche schon einfacher, als wenn man im Büro sitzen würde. Bradford ist schon eine reine Arbeiterstadt. Nach dem, was ich gehört habe, war es vor einigen Jahren sehr schwierig in der Stadt. Ihr und dem Verein ging’s gar nicht gut. Jetzt ist es besser, alles befindet sich gerade im Aufbruch. Bradford verändert sich, es wird investiert und der Verein entwickelt sich auch weiter. Das sieht man jetzt an den schon mehr als 17.000 verkauften Dauerkarten für die kommende Saison.

Leeds ist eine super Stadt. Man hat alles: Etliche Restaurants und Bars. Die Mentalität der Menschen ist ein bisschen anders. Sie gehen mehr nach draußen. Was ganz extrem ist und was mir jeder gesagt hat: Anfang des Monats ist die Stadt immer rappelvoll, weil alle ausgehen, sobald sie Geld bekommen. Da gehen sie alle essen. Zum Ende des Monats merkt man: „Oh, jetzt wird’s knapp“ und es ist nicht mehr so viel los. Wenn man um 17 Uhr durch die Stadt läuft, ist es in den Pubs irre voll. Wenn man in meiner deutschen Heimatstadt durch die Innenstadt geht, sind vielleicht sechs, sieben Pubs in einer Straße. In Leeds sind alle nebeneinander und diese sind alle voller Leute. Ja, so eine Ausgehmentalität ist schon vorhanden.

„Im Fußball gewöhnt man sich an alles sehr schnell“

Wie war die Umstellung für dich? Du kamst vom FC Bayern nach Heidenheim und nach Stuttgart. Jetzt bist du bei einem kleinen englischen Verein. Wie schnell konntest du dich anpassen?

Die Umstellung von Regensburg zum FC Bayern war wirklich extrem, weil ich damals wirklich in das Business reingekommen bin. Da ist der Fußball dann echt nur noch Business. Da zähle nur noch ich selbst. Fertig, aus. Das war – ganz ehrlich – am Anfang auch mein Problem, weil ich das aus Regensburg nicht gewohnt war. Dort waren wir eine Mannschaft, haben uns gegenseitig geholfen, ob privat oder beruflich. Dann kam ich zum FC Bayern und dort zählte nur ich. Einzelkämpfer. Aber im Fußball gewöhnt man sich an alles schnell. Man gewöhnt sich daran, dass man jede Woche vor 3.000 Menschen trainiert. Das geht extrem schnell. Genauso schnell habe ich mich jetzt hier an England und die Art hier gewöhnt. Ich meine, das liegt an mir selbst, wie ich bin. Andere haben da vielleicht größere Probleme, aber ich hatte da jetzt nie ein Problem damit: Mich zu motivieren – beim Wechsel vom FC Bayern nach Heidenheim zum Beispiel. Eigentlich gar nicht. Heidenheim war wieder eine neue Herausforderung, weil wir aufsteigen mussten. Das ist immer wieder etwas anderes.

Wie hast du die Zeit in Heidenheim erlebt und was hast du daraus mitgenommen?

Der 1. FC Heidenheim ist ein top geführter Verein, wenn nicht einer der am besten geführten Vereine in ganz Deutschland. Ich bin auch felsenfest davon überzeugt, dass der Verein immer weiter erfolgreich sein wird und immer seinen Weg gehen wird, weil dort einfach jeder Hand in Hand arbeitet. Dort gibt’s niemanden, der aus der Reihe tanzt oder sowas in der Art, sondern da wird immer alles dem Erfolg untergeordnet. Das ist extrem und ich glaube, dass es das selten gibt, dass wirklich jeder Einzelne im Verein alles für diesen gibt. Da gibt’s eine ganz klare Hierarchie, die niemand bricht. Wenn sie jemand brechen würde, wäre das Thema für denjenigen erledigt, dann wäre er gleich raus. Und deswegen funktioniert das da auch. Es ist ein wirklich kleiner Verein und eine kleine Stadt, aber was die Menschen da auf die Beine stellen, das zollt absolut hohen Respekt. Das sage ich ganz ehrlich. Für mich war’s definitiv eine tolle Zeit dort.

Warum Sportpsychologen Rouven eher verwirrten…

Jetzt möchte ich auf das Thema Mentaltraining zu sprechen kommen. Wie sind dahingehend deine Erfahrungen, wie war das hier und auch bei deinen früheren Vereinen? In welchen Clubs hast du mit Sportpsychologen zusammengearbeitet?

Beim FC Bayern hatten wir damals den Philipp Laux. Aber er hat mich als jungen Spieler, wenn er mich angesprochen hat, ein bisschen verwirrt. Ich dachte halt: „Jetzt macht er einen auf Psycho“. Wenn das jetzt der Fall wäre, würde ich ganz anders darüber denken. Dann wäre ich viel relaxter und würde einfach mal über meine aktuelle Situation reden, fertig, aus. Aber damals fragte ich mich: „Stimmt jetzt irgendetwas nicht mit mir oder was passt jetzt nicht?“. In dem Moment hat es mich echt verwirrt. Ich bin aus dem Gespräch herausgekommen und habe mir Gedanken gemacht. Aber je älter man wird (lacht)… Ich glaube, je früher man mit der Thematik in Kontakt kommt, umso mehr ist man daran gewöhnt. Für mich war das damals das allererste Mal. Ich hatte noch nie zuvor mit einem Psychologen Kontakt.

Ich würde das jetzt nicht nur auf Psychologen reduzieren. Wenn du an Elfmeter denkst: Die kannst du ja nicht richtig gut trainieren, aber man kann ja mit Mentaltraining arbeiten…

Ich find’s sehr schwer, einen Spieler dahingehend zu ändern. Vielleicht gibt’s da einen Trick, aber da kenn ich mich wirklich zu wenig aus…

Ich habe mal gelesen, wie das funktioniert mit dem Mentaltraining. Es heißt, wenn man die Augen schließt und an eine saure Zitrone denkt, hat man den Geschmack im Mund. Probier’s mal aus (Rouven schließt kurz die Augen und verzieht das Gesicht; Anm. von LS). Und, schmeckst du’s, dass es sauer ist?

Ja, so leicht (lacht). Aber gut, das machen ja viele. Oder allgemein viele Spieler sprechen davon, dass sie visualisieren. Was wir oft hatten: Also, ich hatte die und die Spielszene schon mal im Kopf. Das gibt’s natürlich schon. Aber wenn man es dann erzwingt, weiß ich es auch nicht. Also, ich glaube, das ist ein ganz, ganz schwieriges Feld im Fußball. Wie gesagt, mich hat es damals eher ein wenig verwirrt (lacht).

In Heidenheim und Stuttgart hatten wir so etwas gar nicht. Es war auch nicht so, dass es geheißen hätte: „Ja, jetzt kommt ein Mentaltrainer für zwei Wochen“. Ich finde, dass das nochmal mehr verwirrt. Dann wird man umso mehr daran erinnert: „Oh, jetzt läuft da irgendetwas schief“, oder: „Wir machen irgendetwas falsch“. Wenn man es gewohnt ist, also vielleicht die jungen Spieler, die jetzt in der U18 oder U19 bei größeren Vereinen spielen, ist das anders. Ich glaube schon, dass der Kopf viel beeinflusst. Man merkt auch bei sich selbst: Man hat eine gute Fähigkeit oder fühlt sich sogar besser als vor zwei, drei Wochen und auf einmal läuft’s nicht: „Ja, warum?“. Dann denkt man: „Hä, ich fühl‘ mich körperlich besser, ich habe doch auch mehr trainiert. Warum läuft’s nicht? Wie ist das möglich?“. Es kann ja nur der Kopf sein, der da entscheidet. Und da die richtige Stellschraube zu finden ist glaub ich echt schwer.

Zukunftspläne

Was hast du für die Zeit nach deiner aktiven Karriere geplant? Hast du einen „Plan B“, studierst du?

Ich hatte ein Fernstudium begonnen und abgebrochen. Bei der Euro-FH. Europäische Betriebswirtschaftslehre. Aber das war wirklich zu krass. Allein das Problem: Ok, ich gehe morgens in die Uni, setze mich von 8 Uhr bis mittags hinein und haue dann ab zum Training. Aber wenn man sich morgens hinsetzt und anfängt, schreibe die ersten Teamkameraden: „Was machst du? Gehen wir Kaffee trinken? Komm früher, gehen wir in den Kraftraum…“. Dann war das Thema durch. Zudem bestand das Problem mit den Prüfungen. Diese waren immer in Duisburg und die offiziellen fanden sogar samstags statt. Es gab Ersatztermine, aber ich hatte genau da zum Teil Spiele. Dann war ich mit dem Lernstoff fertig und musste warten, bis ich den Test schreiben konnte. Ich fing mit dem zweiten Lernstoff an und vergaß wieder einen Teil des ersten. Während meiner Zeit in Heidenheim habe ich entschieden, dass das nicht geht: „Jetzt aktuell ist es unmöglich, da irgendetwas zu machen, um offen und ehrlich zu sein“.

Was planst du für danach oder hast du noch keine konkrete Idee?

Ich strecke meine Fühler ein bisschen aus. Ich lege mich nicht auf den Fußball fest, halte meine Augen und Ohren für alles offen. Es wäre vermessen zu sagen: „Ja, ich werde Trainer“. Wenn man sieht, wie es da läuft… Wenn ich denken würde: „Ach, der nimmt mich dann schon mit, wenn er geht“. Darauf kann man sich nicht verlassen. Wenn es dann passiert, ja, gut. Aktuell könnte ich mir nicht vorstellen, auf die Schnelle einen Trainerschein zu machen.

Danke für die interessanten Ausführungen, Rouven.

Gerne.