Christian Heidel über seine Schlaganfälle, Reha-Erfahrungen und einen Fußballkurztrip mit Übernachtung am Flughafen

Christian Heidel geht offen mit seinen Schlaganfällen um – auch, um anderen Menschen dadurch zu helfen. Foto: Bernd Legien

Nun ein ziemlich krasser Schnitt, ein totaler Themensprung. Zu dir selbst. Zu deinem Schlaganfall 2019. Du gehst ja sehr offen damit um. Inwiefern lebst du seitdem anders oder bewusster?

Ich gehe da sehr, sehr offen mit um. Auch, weil ich den Leuten da gerne helfen würde. Dass ihnen das, was ich da erlebt habe, möglichst erspart bleibt. Und das kann ich auch gerne sagen: Ich habe die Ratschläge der Ärzte nicht so ganz ernst genommen, weil wir es mir eigentlich recht gut ging. Das Einzige, was ich hatte, war ab und zu ein Vorhofflimmern oder Herzrhythmusstörungen. So, und dann wirfst du ein Tablettchen ein und glaubst dann ist alles gut. Es ist auch meistens wieder gut nach einer halben Stunde. Wie ich das das erste Mal hatte, hab ich gedacht ich sterbe und habe schon überlegt. Ich war gerade in Wiesbaden und mein größtes Problem war: „Wie komme ich ganz schnell mit dem Krankenwagen nach Mainz? Weil: Ich will in Mainz sterben und nicht in Wiesbaden sterben.“ (lacht)

Das war damals wirklich so, also das war völlig verrückt. Meine Frau ist bald durchgedreht damals. Und dann kamen drei Krankenwagen angefahren und unseren Mannschaftsarzt hab ich auch angerufen. „Mein Puls – ach du lieber Gott!“ Da war für mich klar: „Ich sterbe jetzt. Aber ich will nach Mainz!“ Dann hat sich der Krankenwagen noch verfahren, weil die eigentlich nicht nach Mainz fahren dürfen. So und dort hat sich herausgestellt, dass ich so ein bisschen Herzrasen hatte, also Vorhofflimmern, und das haben sie schnell in den Griff bekommen. Das Problem war, dass das immer wieder kam. Auf einmal. Von heute auf morgen kam das. Ich habe dann Tablettchen eingeworfen und habe zweimal versucht, es mit einer kleinen Operation wegzubekommen.

Wie hast du das eigentlich gemerkt?

Das ist ganz schwer zu beschreiben. Es ist nicht so, dass du Herzrasen bekommst, sondern das Herz schlägt nicht mehr im üblichen Rhythmus. Das macht mal: Dapp-dapp, dapp-dapp-dapp-dupp, dapp-dapp. Einfach ein bisschen verrückt. Das ist sehr unangenehm. Du merkst, dass du nicht mehr so diese Kraft hast. Also diese Power fehlt dir auf einmal. Zum Beispiel, wenn du das hast und gehst Treppen hoch, da läufst du wie ein alter Mann, weil das Herz das in diesem Rhythmus irgendwie nicht hinbekommt. Aber das Hauptproblem ist: Nach einer Zeit ist das normal. Also, wenn ich jetzt mal irgendwo eine Rede gehalten habe, und das hat angefangen… Es war sau unangenehm. Du stehst da vor den Leuten und merkst „Orrrrhhh“. (verzieht das Gesicht) Mit einer Tablette hat es meist eine halbe Stunde gedauert, bis das wieder weg war. Aber ich Idiot hab mich halt irgendwie dran gewöhnt. Die Ärzte hatten schließlich zweimal eine sogenannte Appladierung [Dies ist der Fachbegriff für das Veröden von krankhaften oder überzähligen Leitungsbahnen / Erregungsherden am Herzen mit Hilfe eines Katheters. Ziel ist die Beseitigung von Herzrhythmusstörungen; Anm. von LS] gemacht. Das hat nicht funktioniert. Es kam immer wieder. Also habe ich gedacht: „Okay, dann lebe ich halt damit“. Was mir nicht so bewusst war: Wenn du das auf Dauer hast, ist das Risiko eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts viel, viel größer. So. Hätte mir das vorher mal jemand deutlich gesagt! Ich bin ja eh der größte Hypochonder, also ich habe immer alle Krankheiten. Ich kann im Fernsehen keine Krankenhausserie gucken, da muss ich sofort umschalten, sonst hab ich das gleich alles.

Hätte mir das jemand deutlich gesagt, hätte ich mich wohl mehr drum gekümmert. Das habe ich nicht gemacht. Und dann: Aus dem Nichts, ohne jegliche Vorwarnung, in der Türkei im Urlaub, gehe ich völlig ausgeruht mit meiner Tochter am Strand spazieren und auf einmal hab ich gedacht, mir fährt grad ein Laster durch die Birne! Keine Schmerzen, gar nix. Aber so „rrrrrrrrrrrrrrratz“ hat’s gemacht und anschließend habe ich nur gemerkt: Ich muss umgefallen sein. Mir war schwindelig, irgendwas stimmte nicht. Aber ich konnt‘s gar nicht beschreiben. Dann bin ich zu unserer Liege und habe zu meiner Frau gesagt: „Ich glaube, ich hatte einen Schlaganfall eben“. Panik. Ich wusste ja gar nicht, wie sich sowas anfühlt, ein Schlaganfall. Es war irgendwie so ein Gefühl. Die Ärzte kamen und ich wurde ins Krankenhaus gebracht. Dort haben sie es leider bestätigt. Ich hatte leider sogar zwei Schlaganfälle. Und ja, dann liegst du da in der Türkei im Krankenhaus. Wenn du das von außen gesehen hättest: „Ach du lieber Gott!“ Aber ich hatte einen überragenden Arzt. Der kam zu mir: „Mein Name ist Emerly Türkeliy“. Da hab ich erstmal gedacht: „Oje“. Aber das war ein Schweizer, der von der Schweiz in die Türkei ausgewandert war. Er war super, super! Ich war in den allerbesten Händen und bin zwei Tage später mit Hilfe von Clemens Tönnies mit dem Flieger nach Mainz gebracht worden und war dann hier zehn Tage in der Uniklinik. Nach elf Tagen war ich wieder auf Mallorca. Also das ging ratzfatz.


Schlaganfall oder Tumor – „Ich glaub, noch nie hat sich jemand so über einen Schlaganfall gefreut.“

Und jetzt zu der eigentlichen Frage: „Was hat sich geändert?“. Als ich im Krankenhaus gelegen habe… Da kommst du ins MRT, wirst in diese Röhre reingefahren, und dann kommen die Ärzte raus und sagen dir: „Ja, Sie haben da zwei dunkle Stellen im Gehirn“. Ich hab gesagt: „Ja, prima, und was heißt das jetzt?“. Sie müssten das genauer untersuchen, aber: „Schlaganfall oder Tumor“. Also ich hab mich noch nie so über einen Schlaganfall gefreut, als die Diagnose kam. Das erste, was ich gemacht habe: Ich habe noch in der Nacht meinen Notar in Mainz angerufen und erstmal mein Testament gemacht. Weil für mich wieder klar war: Ja, das war’s jetzt. Habe also für mich völlig, ganz merkwürdige Entscheidungen getroffen. Und dann redet man mit sich selber: „Also, wenn das alles gut geht, das machst du alles nimmer, und das machst du jetzt“. Und ich habe gesagt, „ich gehe jetzt in den Dom anschließend und ich spende“ und „Du veränderst dein Leben. Nimmer so hektisch alles.“ Also ich hab mir alles selbst versprochen und am Anfang fast alles eingehalten. Da war ich sehr geläutert, weil ich froh war, dass ich noch lebe und dass das ich das gut überstanden habe.

Und dann geht es leider los: Je länger dieses Ereignis zeitlich nach hinten rückt, ertappst du dich dabei, dass du vieles wieder über Bord wirfst. Aber ich glaube, wie ich mich verändert habe, ist, dass ich nicht mehr alles so dramatisch nehme. Das ist so, weil ich jetzt einfach mitbekommen habe, was wirklich dramatisch ist. Ich habe inzwischen starke Probleme mit dem Begriff „Schicksalsspiele“. Wir reden immer noch über Fußball, über Sport. Also Schicksal ist etwas anderes. Es gibt Menschen, die es viel härter getroffen hat als mich. Aber ich habe das auf einmal so ein bisschen gespürt, also wie schnell etwas aus dem Nichts beendet sein kann, und ich hatte das große Glück, dass es bei mir ja überhaupt keine Folgeerscheinungen gab. Ich habe ein ganz kleines Problem mit einem Auge, weil das eine Ding in die Sehrinde reingeknallt ist, aber das merke ich im normalen Leben nahezu gar nicht. Ich hatte null Sprachprobleme, Mobilitätsprobleme. Im Vergleich zu anderen hatte ich sehr viel Glück. (wirkt nachdenklich und dankbar)

Und, das ist auch eine ganz nette Geschichte: Ich habe in Mallorca eine Reha gemacht. Eigentlich hat die Krankenkasse gesagt, dass ich gar nicht in eine Reha müsste, weil ich fit sei. Ich meinte aber, dass ich eine Reha machen möchte, dass ich ein bisschen was für mich selbst tun möchte. In Mallorca habe ich dann gesucht und ein Krankenhaus gefunden. Durch eine riesige Glasscheibe konntest du von dort aus direkt aufs Meer schauen. Was ich nicht gewusst hab: Da war kein einziger Deutscher drin, sondern nur Spanier. Und mein Spanisch umfasst maximal die Speisekarte. (lacht) Dort waren alle Schlaganfallpatienten, die wieder aufgebaut wurden. Jetzt muss ich dazu sagen, dass ich derjenige war, der am wenigsten hatte. Ich hab auch ein solches Programm gemacht mit einem Trainer, also Fahrrad fahren usw. Ich hatte am Anfang große Probleme mit den Augen. Mit der rechten Seite habe ich nicht richtig gesehen. Das wurde so ein bisschen bearbeitet. Irgendwann war das auch wieder weg. Sonst war ich viel auf dem Laufband, auf dem Ergometer, immer unter ärztlicher Aufsicht.

Dann waren da schon viele Leute mit Mobilitätsproblemen, mit Sprachproblemen, einige waren halbseitig gelähmt. Da habe ich gemerkt, wie gut es mir wieder ging. Aber das lustige war: Sie haben immer geglaubt, ich sei ein Arzt, weil ich als einziger herumgelaufen bin als ob ich nichts hätte. Ich war vier Wochen dort und mit der Zeit habe ich sie alle kennengelernt. Ich wusste ihre Namen und ich habe immer viel Spaß mit ihnen gemacht, obwohl wir gar viel nicht miteinander reden konnten. Irgendwie bekam ich den Spitznamen „Doctore“. Ich habe ihnen zum Teil geholfen. Zum Beispiel gab es dort Manolo. Der hat den ganzen Tag nichts anderes gemacht als die Wasserflaschen von dem einen Wasserkasten in den anderen Wasserkasten umzusortieren. Wenn der zweite Kasten voll war, ging das wieder andersherum. Er musste das trainieren. Ich hab also einen Spaß gemacht und gefragt, weshalb er denn keinen Bierkasten nehme. Und dann sagte er immer „Cerveza, cerveza“ [=“Bier“ auf Spanisch] und wir haben uns wieder totgelacht. Da habe ich so ein richtiges Verhältnis zu allen aufgebaut und bin dann auf einmal jeden Morgen da hin. Ich musste eigentlich nur alle zwei Tage kommen. Jeden Morgen bin ich also da hingefahren und habe meist zwei, drei Stunden mit den anderen gearbeitet.

Dann habe ich diese Reha freiwillig auf eigene Kosten verlängert. Ich hätte gar nicht mehr hingehen müssen, aber mir hat das richtig Spaß gemacht. Ich habe es selbst bezahlt, die Krankenkasse wollte das nicht mehr. Insgesamt war ich drei Monate dort. Es waren viele ältere Menschen, aber auch junge Menschen, die das Schicksal da erlitten haben… Irgendwann kam der letzte Tag und sie haben das alle gewusst: Also, der „Doctore“ kommt jetzt. Und das war so süß! Ich wusste schon: Die hecken irgendetwas aus, da war so eine komische Stimmung. Man hat dort schon ein bisschen gearbeitet. Ich bin also duschen gegangen. Als ich rauskam, standen sie alle Spalier. Jeder hat mir ein kleines Geschenk gegeben. Ich habe Rotz und Wasser geheult. Da gehst du da durch und alle klatschen. Also du hast da echt so ein Gefühl mit denen dort aufgebaut. Ab und zu bin ich dann noch hingefahren, aber mit der Zeit waren sie dann zum Glück auch alle entlassen.

Hast du dort auch Freunde gefunden, wenn sie auch aus der Gegend waren?

Ja, mit zwei, drei Leuten treffe ich mich ab und zu…

Manolo?

Nein, Manolo kam aus Ibiza. Der musste wieder dorthin zurück. Mit ein paar Leuten treffe ich mich im Lokal auf ein Glas Wein. Den meisten geht’s jetzt besser, aber bei vielen wurde es nicht mehr hundertprozentig so wie vorher. Es war eine sehr, sehr nette Zeit, angenehme Zeit, aber auch eine bewegende Zeit, die mir persönlich viel gebracht hat. Du gehst dann raus und denkst nicht darüber nach: „Wieso das Auge? Wieso fehlen dir da zehn Prozent?“ Das interessiert dich überhaupt gar nicht, wenn du siehst, was wirklich Schicksale sind. Es war eine sehr, sehr gute Entscheidung, dort hinzugehen. Heute geht es mir gut, ich habe gar nichts mehr. Also ich hatte da riesiges Glück und da bin ich auch wirklich sehr, sehr dankbar, dass ich das so gut überstanden habe.


 Über die Bedeutung seiner Familie, Fußballreisen und eine spontane Nacht- und Nebelaktion

Hast du eine Art Bucket List, wovon heutzutage immer wieder gesprochen wird? Also, was du unbedingt nochmal im Leben machen willst – vielleicht gibt es noch einen Ort, an den du reisen willst?

Hm, das hört sich blöd an, aber ich bin eigentlich sehr, sehr glücklich und zufrieden, so wie es ist. Ich hab mir meinen Traum, Teile meines Lebens im Warmen zu verbringen, also auf Mallorca, erfüllt. Das war schon immer etwas Besonderes für mich. Das hat auch gut geklappt. Wir haben jetzt zwei Lebensmittelpunkte. Das Problem ist, dass wir die meiste Zeit leider nicht zusammenleben. Meine kleine Tochter, sie ist acht Jahre alt, und meine Frau, leben jetzt in Mallorca. Vier Wochen bevor ich nach Mainz zurück bin, sind wir gerade innerhalb von Mallorca umgezogen. In ein neues Haus und das ist jetzt noch nicht mal komplett eingerichtet. Daran erkennt man, dass das alles ganz anders geplant war. Wir haben dort wirklich einen schönen Lebensmittelpunkt mit tollen Freunden gefunden und fühlen uns da total wohl. Für mich ist schon längst beschlossen: Wenn das Kapitel Mainz 05 irgendwann beendet ist, dann werde ich wieder fest nach Mallorca gehen, weil das Leben dort schon einfach viel lockerer ist. Du hast schönes Wetter, du sitzt im Freien. Das ist einfach etwas ganz Besonderes. Und was die meisten Leute überhaupt nicht verstehen, ist: Da redest du über Mallorca und dann fangen sie alle mit dem Ballermann an. Also ich war noch nie auf dem Ballermann – ok, als junger Kerl war ich jedes Jahr am Ballermann. Aber nicht heute.

Mallorca ist viel mehr als Ballermann. Also wir haben mit dem Ballermann überhaupt nichts zu tun, sondern wir leben da! Man lebt, wenn man dort wohnt, anders, als wenn man dort in den Urlaub fährt. Die Leute glauben jetzt: Du bist in Mallorca und morgens holst du das Handtuch raus und legst dich dort auf eine Liege. Ich hab in zwei Jahren vielleicht zehn Mal auf einer Liege gelegen. Das machst du gar nicht, weil du da ganz normal deinen Tagesablauf hast. Das Einzige ist: Du gehst am Abend öfter als wenn du hier in Mainz bist, schön essen, gehst ans Meer, isst Fisch. Das ist einfach ein anderes Leben. Aber ansonsten machst du das gleiche, als ob du in Deutschland leben würdest. Nur in einem wesentlich angenehmeren Ambiente. Auch wenn Mainz sehr schön ist – ich liebe diese Stadt – also das will ich nicht schlecht machen. Deswegen habe ich mir diesen Wunschtraum erfüllt und wenn es irgendwann in Richtung Lebensabend – ich hoffe das dauert noch ein bisschen – gehen sollte, würde ich das gerne mit der Familie auf Mallorca machen.

Für meine Tochter ist das ihr Zuhause, sie hat alle ihre Freunde auf Mallorca. Sie spricht inzwischen fließend Deutsch, Spanisch und Englisch und das nach drei Jahren Schule. Sie ist dort auf einer überragenden internationalen Schule. Sie spielt Klarinette, spricht mehrere Sprachen, lernt jetzt in einem Sonderfach noch Chinesisch, entwickelt sich einfach überragend und deswegen bleibt die Familie auch auf Mallorca. Wir haben lange darüber diskutiert: „a) Mache ich das überhaupt mit Mainz?“, und „b) Wenn ich es mache, wie machen wir das?“ Aber ich hätte ein ganz, ganz schlechtes Gewissen gehabt, hätten wir jetzt entschieden, wir gehen wieder komplett nach Mainz und die Kleine muss die Schule verlassen. Sie ist dort glücklich und deshalb kann ich das nicht machen. Deswegen jetzt diese räumliche Trennung. Ja, ich habe auch gesagt, dass ich jede Woche komme. Da war aber der Wunsch Vater des Gedanken. Ich versuche zweimal im Monat für drei Tage hinzufliegen, aber das klappt nicht immer. Das Problem ist, dass sie nie nach Mainz kommen können, weil meine Tochter Schule hat. Sie haben im Sommer drei Monate Schulferien und dann haben sie gar keine Ferien mehr bis zum Winter. Da gibt es also keine Möglichkeiten und die Schule steht jetzt im Vordergrund. Deswegen ist das das Einzige, was mir im Moment am Leben nicht ganz so gut gefällt, aber das haben wir natürlich gewusst. Da müssen wir durch.

So, jetzt zu den Reisen. Ich war fast auf der ganzen Welt und zwar, muss ich sagen, nicht als Funktionär von Mainz 05, sondern als ganz normaler Fußballfan, weil ich hier einen sehr netten und guten Freundeskreis habe. Wir fliegen und fahren seit Mitte der 80er Jahre eigentlich zu jeder Fußball-EM und Fußball-WM. Wir waren in Spanien, Mexiko, Italien, in den USA, in Frankreich, Japan und in Deutschland sowieso. Wir waren überall unterwegs und haben bis auf wenige Teile der Welt alles kennengelernt. Ich war auch öfters in Asien, in China, Singapur, also ich bin überall rum, in Afrika, Südafrika. Auch bei der WM in Südafrika waren wir. Ich habe sehr viel erlebt. Ich war nicht in Australien, aber ich muss jetzt nicht unbedingt nach Australien. Ich will irgendwann nochmal einen USA-Ausflug machen. Aber da hab ich jetzt nichts, worüber ich sage: Also das muss ich jetzt noch erleben. Ich habe zum Glück die Möglichkeit gehabt sehr, sehr viel zu sehen und jetzt geht’s mir einfach darum, irgendwann mal wirklich ein schönes Leben zu haben, die Dinge zu machen, die mir Freude bereiten. Wenn ich irgendwann auf die Idee komme, dass ich mal nach Australien muss, hoffe ich, dass ich dann in der Lage bin, mir diesen Wunsch zu erfüllen. Ansonsten: Ich habe zwei erwachsene Kinder, die ich sehr, sehr vernachlässigt habe. Als sie klein waren, war ich nie mit ihnen im Urlaub.

Nie? (überrascht)

Sie sind immer mit ihrer Mutter allein in den Urlaub gefahren. Ein oder zwei Mal war ich im Urlaub mit dabei. Bei dem einen Mal war ich mit ihnen auf Mallorca. Wir hatten an diesem Wochenende aber ein Spiel in Lübeck, das weiß ich heute noch, mit Mainz 05, Trainer Wolfang Frank – ich hatte meiner Familie versprochen, dass wir in den Urlaub fahren und ich mal ich nicht zum Spiel gehe. Doch es kam wirklich zu einer Nacht- und Nebelaktion. In der Nacht zum Samstag konnte ich nicht schlafen und habe beschlossen, dass ich doch abhaue. Dann habe ich meiner Frau wirklich erzählt, dass ich joggen gehe, habe aber in der Nacht schon mein Täschchen gepackt, und bin wirklich gejoggt, aber nur bis zum Taxistand, und bin zum Flughafen gefahren. Meine Frau, die hat schon gewusst: Der geht joggen, dann trifft er jemanden, geht in die Kneipe… Ich habe dann wirklich drei Stunden später aus Hamburg angerufen. Denn ich wollte nicht mit ihr diskutieren in der Zeit, als ich noch auf Mallorca war, weil es einen Aufstand gegeben hätte. Also hab ich mich erst wieder aus Hamburg gemeldet. Als ich ihr gesagt habe, ich sei in Hamburg, naja, da hat das Telefonat nicht so lange gedauert…

Und dann habe ich noch den Rückflug verpasst. Deshalb musste ich noch einen Tag in Hamburg am Flughafen verbringen. Ich war von Hamburg nach Lübeck und dann wieder nach Hamburg gereist und habe eben dort den Flieger verpasst. Als ich zurück kam, war der Urlaub nicht mehr ganz so schön… Ich habe da vieles falsch gemacht, als ich noch sehr jung war, und habe gedacht ich müsse überall dabei sein, und habe die Kinder schon sehr vernachlässigt. Wir haben heute ein überragendes Verhältnis, aber ich habe heute ab und zu ein schlechtes Gewissen. Wenn ich jetzt mit meiner kleinen Tochter zusammen bin, dann überlege ich: „Wie habe ich das eigentlich mit den großen gemacht?“ Das will ich jetzt nicht noch mal falsch machen, ja und was mache ich? Ich hau ab und bin in Mainz und sie sind auf Mallorca. Das will ich aber wieder gut machen, ja, das ist mir extrem wichtig, da steht Familie schon sehr im Vordergrund. Wenn das hier mal erledigt ist, dann wird sich glaub vieles um meine Familie drehen.

Vielen Dank für deine Zeit, Christian.

Gerne, hat Spaß gemacht.

Christian Heidel: Vorstand, Groundhopper und positiv Fußballverrückter

Christian Heidel vor dem Logo des 1. FSV Mainz 05 in seinem Büro. Foto: Lisa Schatz [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung]

Mainz. „Der Club ist größer als der Einzelne“, steht in großen Lettern an der Wand im Wartebereich der Vorstandsetage von Mainz 05. Diese Aussage zieht sich durch den ganzen Verein. Das ist keine leere Worthülse. Christian Heidel, der mehr als zwei Jahrzehnte lang als Manager für den Verein fungierte und dort nach vier Jahren Unterbrechung seit gut einem Jahr als Vorstandsmitglied tätig ist, lebt das. Erzählt er von der Geschichte des Vereins, spricht er immer wieder von „wir“ und betont mehrfach, dass er das, was in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist, ja nicht alleine zu verantworten habe. Mich hat interessiert, wie es dazu kam, dass er als Ehrenamtlicher zum Manager und schließlich zum Vorstand wurde. Denn seine Geschichte ist im deutschen Profimännerfußball einzigartig. Zudem hat er mir erklärt, wie man sich einen Arbeitstag eines Vorstands für Strategie, Sport und Kommunikation vorstellen kann. Doch so sehr wir uns über die Sonnenseiten des Lebens unterhalten haben, so sehr haben wir auch über die Schattenseiten gesprochen: Christian Heidel äußerte sich sehr offen über seine Schlaganfälle. Aber eine echt coole, witzige und positiv fußballverrückte Geschichte, bei dem seine Augen zu strahlen begannen, als ob sie gerade erst geschrieben worden sei, hatte er dann genauso parat. Mögen euch die beiden Interviewteile neue Eindrücke schenken und zur Fastnacht auch ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubern. Für euch gefragt, für euch geschrieben und nun für euch zum Eintauchen in die große, weite Fußballwelt…

„Gott hat die Erde nur einmal geküsst, genau an dieser Stelle, wo der Bruchweg ist“, lautet ein Zitat aus dem Lied „Wir alle sind Mainzer“ von Se Bummtschacks. Was denkst du, wenn du das hörst und was bedeutet dir dieses Bruchwegstadion?

Puh, da wird’s ja fast schon emotional gleich. Also, ich muss dazu sagen, dass ich seit 1992 mit einer Unterbrechung bei Mainz 05 bin. Aber ich war das erste Mal 1971 hier im Stadion und man kann’s kaum glauben, ich war als Kind fast auf jedem Spiel hier. Also zu Beginn noch teilweise bei Partien vor 2.000 bis 3.000 Zuschauern, später in der Oberliga kamen selten 1.000.

Bist du über deinen Papa hergekommen?

Ja, mein Papa hat mich irgendwann mal mitgenommen. Ich habe die erste große Zeit von Mainz 05, die Saison 1972/73, miterlebt. Da wurden wir Meister der Regionalliga Südwest. Das war damals der ganze Unterbau mit fünf oder sechs Regionalligen, also das war zu der Zeit wie die zweite Liga heute und es gab noch eine Bundesliga-Aufstiegsrunde. Da war ich als Kind auf jedem Spiel. Also, ich weiß noch alle Gegner: St. Pauli, Karlsruhe, Fortuna Köln, Blau-Weiß 90 und wir. Das war eine Gruppe. Und wir haben hier gegen Fortuna 0:0 gespielt vor 20.000 Zuschauern in diesem sehr speziellen Stadion und sind am Ende eigentlich Zweiter geworden. Das letzte Spiel haben wir gegen Blau-Weiß verloren… Wir sind Dritter geworden, wären normalerweise Zweiter gewesen. Also, ich habe diese Zeiten miterlebt. Deshalb: Ich kann nicht im Ansatz sagen, bei wie vielen Spielen ich in diesem Stadion war, aber gefühlt jedes Jahr bei 17, 18 Spielen und das 50 Jahre lang. Deswegen verbindet mich mit diesem Stadion natürlich sehr viel, auch weil es dreimal verändert wurde. Dreimal war ich dabei beim Verändern bzw. hab es sogar mit inszeniert.  Deshalb ist das schon einfach ein Stück Heimat für mich – dieser Verein. Ich habe drei Viertel meines Lebens mit Mainz 05 verbracht.


„Die Dramen, die sind alle hier im Bruchwegstadion passiert“

Wenn du das Stadion mit der MEWA-Arena vergleichen müsstest…

Die Diskussion führe ich sehr oft. Das Problem ist, also jetzt insbesondere hier, da hat ja hier noch eine Tribüne gestanden, das war ja ein Bundesligastadion für uns. Und hier haben wir natürlich ganz besondere Stunden verlebt, zwei Aufstiege, und auch diese Sensationssaison, in der wir wochenlang Tabellenführer waren in der Bundesliga. Mit diesem Stadion verbinde ich natürlich viel mehr als mit der MEWA-Arena. Aber ich erkläre den Leuten immer: Uns gäb’s heute nicht mehr, wenn wir noch hier spielen würden, weil das wirtschaftlich einfach nicht darstellbar ist. Man sieht ja: Der SC Freiburg ist jetzt auch den letzten Schritt gegangen, ein paar Jahre nach uns, weil sie einfach gemerkt haben, sie kommen nicht mehr mit. Deswegen war das hier sicherlich emotionaler und irgendwie auch viel spezieller und es war natürlich schon zum Totlachen, wenn die Bayern hier eingelaufen sind. Die wussten ja auch nicht, wo sie grad hier reinkommen.

In der MEWA-Arena fehlen noch die Geschichten. Die Dramen, die sind alle hier im Bruchwegstadion passiert. Deswegen darf man die Frage nicht stellen, weil die nicht funktioniert, in welche Richtung: „Das oder das?“. Es geht nur das.

Was ist für dich das Besondere an Mainz 05, wenn du es mit anderen Vereinen vergleichst? Du hast schon so ein bisschen in die Richtung „gestichelt“ mit Bayern und Freiburg…

Ich würde es mal so formulieren: Das ist ja für jeden Menschen ein bisschen anders. Wenn wir irgendwo hingekommen sind und dann hast du eben an den Kopf geknallt bekommen – bekommst du heute teilweise noch – „ja, ihr seid ja kein Traditionsverein und da fallen dir ja gar keine Geschichten ein“. Dann sage ich: „Ja, das stimmt, aber  wir haben einen Riesenvorteil. Wir schreiben unsere Geschichte selbst. Ihr erzählt nur die Geschichte, ihr wart aber gar nicht selbst dabei.“

Wenn du mit einem Kaiserslauterer redest, dann redet er über Fritz Walter. Ja, den haben wir nie gesehen. Aber wir, wir haben die ganze Geschichte der Neuzeit, in der Mainz plötzlich im großen Fußball dabei war, alle gemeinsam mitgeschrieben. Also jetzt nicht nur ich, auch die Leute hier, die Zuschauer. Du kannst mit vielen Zuschauern reden und die waren dann eben 1980, 1990 dabei. Vorher gab’s uns ja gefühlt überhaupt nicht. Und das ist glaube ich dieses Besondere an Mainz 05: Die Verbindung der Menschen zu diesem Club, weil sie alle dabei waren. Sie haben miterlebt, wie der Verein früher war und wo er hin marschiert ist. Wir haben in der Amateuroberliga Südwest angefangen und waren 20 Jahre später in Europa. Also das war so ein bisschen innerhalb kurzer Zeit die Geschichte dieses Clubs. Das ist, finde ich, auch schon so dieses Verrückte. Ich kenne im Stadion fast jeden persönlich. Ich bin auch in der Stadt geboren. Da hat man eine besondere Beziehung zu allem, das mit Mainz zusammenhängt.

Also würdest du sagen, dass Mainz 05 vor allem für dieses Bodenständige steht?

Ja, das glaube ich schon. Das ist aber natürlich auch ein bisschen dieses Wesen der Mainzer: Sich gerne mal selber auf den Arm nehmen. Und ich glaube wir sind sehr, sehr gastfreundlich. Ab und zu ist es mir fast zu gastfreundlich im Stadion. Bei einem Heimspiel habe ich ab und zu gesagt: „Ihr müsst mal giftiger sein auf der Tribüne“. Aber da habe ich dann gleich 50 E-Mails bekommen.

Wir hatten im November zum 25-jährigen Jubiläum ein Treffen der Mannschaft von 1996. Sehr viele Spieler von damals wohnen in Mainz, die sind hier nicht mehr weggegangen. Unsere Spieler bauen sehr schnell eine Beziehung zu dieser Stadt auf und wenn die Karriere zu Ende ist, kommen sie entweder zurück, also nicht alle, aber viele. Oder sie gehen hier gar nicht mehr weg und beenden die Karriere in Mainz und bleiben hier wohnen. Es sind wirklich viele ehemalige Spieler, die in Mainz ansässig geworden sind. Das eine ist der Verein und das andere ist die Stadt. Eine Studentenstadt an einem großen Wasser, das ist einfach etwas Besonderes!

Nun wieder ein Zitat. Auf der Vorstellungs-Pressekonferenz hat Sportdirektor Martin Schmidt gesagt: „Vorwärts zu den Wurzeln“. Was bedeutet das für dich im Zusammenhang mit Mainz 05?

Das Problem ist, das kann man als Vorwurf sehen. Als Vorwurf an die Leute, die in den letzten Jahren hier agiert haben und so war es nie gemeint. Ich glaube von Martin nicht und auch von mir nicht.

So wie ich es verstanden habe: Es heißt in die Zukunft zu blicken und nicht zu vergessen, woher man kommt.

So kann man das sehen. Es hängt damit zusammen, das sich der Verein natürlich sehr verändert hat und sehr, sehr viele Leute jetzt auch im Verein arbeiten, die Mainz gar nicht kennen, weil sie nicht aus Mainz sind. Dazu kann ja niemand was und das ist null Vorwurf. Und dieser Verein wurde ja 25 Jahre von Leuten geprägt, die fast alle in Mainz geboren waren. Also wir waren und sind wirklich Mainzer.

Mainzer sehnen sich danach weiterhin ein Teil des Ganzen zu sein, denn sie waren auch beim Anfang dabei. Wir müssen nahbar sein und bleiben. Dazu gehört es dann auch in der Stadt präsent zu sein, mit den Menschen zu reden und zu diskutieren. Das ist in den letzten Jahren ein wenig verlorengegangen. Früher war es klar, dass man nach dem Spiel in die überfüllte Vereinskneipe „Zum Hasekasten“ geht. Ob du 4:0 gewonnen oder 0:4 verloren hast. Da wurde gestritten und gelacht. Wie oft bin ich da auch mit Fans verbal aneinandergeraten, wenn es halt mal gar nicht gelaufen ist. Aber wir haben auch gemeinsam auf den Tischen gestanden und die Siege gefeiert. Das ist Mainz 05. Da müssen wir wieder hin. Die Menschen fangen. Ich glaube wir sind wieder auf einem ganz guten Weg. Wir stehen wieder viel enger zusammen. Viele Dinge im Verein wurden in den letzten Jahren weiterentwickelt und vieles professioneller. Das ist top. Aber echte Gefühle, Emotionen und Authentizität gehören in Mainz einfach dazu.


Ein Bischof als Schiedsrichter und ein Ehrenamtlicher als Vereinsmanager im Profifußball…

Christian Heidel erzählte mir u.a. vom Beginn seiner Zeit bei Mainz 05. Foto: Bernd Legien; bearbeitet von Lisa Schatz

Jetzt zu deiner Person. Es gibt ja mittlerweile einige Abteilungen. Als du vor 30 Jahren angefangen hast, war das ja noch ganz anders. Vor allem hast du ehrenamtlich bei Mainz 05 begonnen. Wie ist das damals wirklich abgelaufen, also wie bist du in dieses Amt „hineingeschlittert“? War das durch den Kauf der vielen Tickets bedingt [Christian Heidel hatte für sein Autohaus alle Tickets für das Stadion gekauft; Anm. von LS]?

Ich war totaler Fußballfan und einer der ganz wenigen totalen Mainz 05-Fans. Früher hatten wir hier eine Stehplatztribüne und da habe ich immer in der Mitte gestanden. Wenn das Stadion aufgemacht hat, war ich schon da. Hatte eine Fahne mitgebracht, trug eine Jeansjacke mit 05-Logo drauf. Bei jedem Spiel. Ich habe selber immer ein bisschen gekickt und deshalb konnte ich nur sonntags nicht immer.

Du hattest noch eine richtige Kutte? (überrascht)

Ja, wie das früher so war: eine Jeansjacke und meine Mama hat da so einen 05-Aufnäher draufgenäht. Damals haben hier 30, 40 Fans gestanden. Mehr waren das ja nicht. Ähnlich wie in Regensburg [in Anspielung darauf, dass LS aus Regensburg kommt und das auch noch von den alten Zeiten in Regensburg kennt; Anm. von LS] (lacht).

Ja, wirklich! (lacht auch und schwelgt kurz in Erinnerungen ans altehrwürdige Jahnstadion…)

Ja, ja, du weißt es ja. Dann bin ich im Beruf sehr aufgegangen und habe aber nie den Bezug zu Mainz 05 verloren. Irgendwann kam mir die Idee, dass der Verein einfach mal einen kleinen Schub bekommen müsste. Ich wollte die Firma, bei der ich damals Geschäftsführer war, einfach bekannter machen und dann habe ich dem Verein den Vorschlag gemacht, dass ich alle Karten kaufe. Ins Stadion gingen 15.000 rein, ich kaufte also wirklich alle 15.000 Karten. Der Zuschauerschnitt lag bei 1.100. Heute würden die Ultras hier auf die Barrikaden gehen. (lacht) Das war schon sehr kommerziell. Mir war klar, dass wir die Karten nicht alle verkaufen. Aber ich wollte den Verkauf steuern, ich wollte ein Rahmenprogramm haben. Nebenan war früher ein Ascheplatz. Da haben wir Attraktionen für Kinder aufgebaut und eine Autoausstellung gemacht.

Das größte war das Halbzeitspiel: Wir haben Fußbälle mit Nummern ins Publikum geschossen. Anschließend wurden fünf Nummern gezogen und die Fünf mit den Nummern durften auf den Rasen und mussten versuchen von der Mittellinie aus ins Tor zu schießen, ohne dass der Ball aufdotzt. Der Polizeipräsident und der Bischof haben an der Linie gestanden und waren die Schiedsrichter. Der erste schießt den rein und der hat einen 3er BMW gewonnen für 30.000 damals! (begeistert) Ja, das ging nun überall rum, der Wunderschuss von Mainz! Das war für mich die beste Werbung. Ich hatte es versichert über Lloyd‘s in England, also das war alles nicht dramatisch. An dem Tag waren fast 6.000 Zuschauer im Stadion und ich habe durch meine Aktion die Verantwortlichen von Mainz 05 kennengelernt. Harald Strutz & Co. sind noch am Abend zu mir gekommen und haben mich gefragt, ob ich nicht hier mitarbeiten wolle. Sie haben gesagt: „Du kannst ja in den Vorstand kommen“ und so weiter… Aber das war 1990, da war ich 27 Jahre alt und habe selbst noch Fußball gespielt. Also habe ich gemeint: „Nö, das ist mir ein bisschen früh.“ Aber sie haben dann immer wieder angerufen. Harald Strutz hat nicht locker gelassen und zwei Jahre später habe ich schließlich gesagt: „Okay, ich komme“.

Zuerst war ich für die Amateurmannschaft tätig. Die stand in der untersten Klasse, in der Kreisklasse C, auf dem siebten Platz. Wir sind dann ab 1994 fast jedes Jahr aufgestiegen. Bis in die Dritte Liga sind wir hochmarschiert! (begeistert) Unsere zweite Mannschaft war die schlechteste zweite Mannschaft eines Profivereins in Deutschland. Keine zweite Mannschaft hat so niedrig gespielt wie wir, und zehn Jahre später waren wir die beste. Wir waren damals die einzige Profimannschaft in der dritten Liga, also als Zweitvertretung. Ich kam 1992 und nach einem halben Jahr war ich mit Peter Arens schon für die Profis verantwortlich. Es war ein fließender Übergang.

Also ist der Plan von Herrn Strutz & Co. aufgegangen…

Ja, das hat sich so ergeben. Wir hatten damals nur eine Halbtagskraft. Das war die eine einzige Angestellte in diesem Verein. Es gab zunächst überhaupt keine Hauptamtlichen, deswegen haben wir das alle ehrenamtlich gemacht. Über die Jahre kamen dann aber immer Leute hinzu und ab 2005 hatte ich dann, nach 13 Jahren, wirklich mein erstes Büro bei Mainz 05 und war von morgens bis abends, also auch hauptberuflich, da. Inzwischen waren wir in der Bundesliga angekommen. Es war eine überragende Zeit, was wir hier alles erlebt haben! (begeistert) Das war schon sehr, sehr besonders.

Das ist ein sehr besonderer und einzigartiger Weg. Du hast im Ehrenamt begonnen. Wie wichtig sind Ehrenamtliche heute im Fußball und im Profifußball im Speziellen?

Im Fußball im Allgemeinen sind Ehrenamtliche sehr wichtig, weil es ohne sie gar nicht geht. Im Profifußball wird inzwischen ein anderer Weg gegangen. Da brauchst du auch mal Helfer. Gerade in dieser Coronazeit, da geht’s nicht ohne. Da haben wir jetzt Leute gebraucht, die die Impfausweise kontrolliert haben und den Leuten Bändchen drangemacht haben. Da brauchst du schon immer Ehrenamtliche, aber natürlich nicht mehr so wie das bei uns damals war. In den führenden Funktionen ist das heute nicht mehr möglich. Wir waren damals wirklich so „Mädchen für alles“ und im Endeffekt für alles zuständig. Wir haben im Vorstand jeden zweiten Montag zwei Stunden zusammengesessen und haben ein bisschen diskutiert und dann haben wir wieder agiert. Mein Arbeitsplatz war 300 Meter von hier entfernt. Deswegen bin ich morgens bis abends immer hin- und hergependelt. Zum Glück war das keine Entfernung. Es wurde fast alles bei mir im Betrieb abgewickelt. (lacht) Heute undenkbar.

Nun zu deiner jetzigen Position als Vorstand Strategie, Sport und Kommunikation. Du hast viele verschiedene Aufgaben und bestimmt ist jeder Tag anders, aber könntest du bitte mal beispielhaft einen Tag herausgreifen und ein bisschen die Struktur beschreiben? Wie ist der Ablauf, wie kann man sich deine Aufgaben vorstellen? Also, wie würdest du einem Fan antworten, der sich fragt: „Was macht ein Vorstand eigentlich genau?“

Zunächst einmal darf man das, was auf der Visitenkarte steht – ich habe übrigens noch gar keine, irgendwie kam ich bis heute noch nicht dazu (wir lachen) – nicht überbewerten.

Um es mal ganz ehrlich zu sagen: Vorher war ja nicht geplant, dass ich Vorstand Sport werde. Es ist dazu gekommen, weil sich Rouven Schröder entschieden hat gehen zu wollen, und ich habe mich eigentlich mit Händen und Fußen dagegen gewehrt, Vorstand Sport zu werden, weil in den Gesprächen klar war: Es ging mir in allererster Linie um Strategie und Kommunikation. Das war ein bisschen im Argen geblieben, insbesondere Kommunikation. Dass die Leute wieder eine klare Richtung erkennen. Es darf nicht jeder quatschen. Das bedeutet nicht, dass ich quatsche. Aber ich möchte gern sagen: Der quatscht. Es sollte wieder alles geordnet sein.

Christian Heidel ist es wichtig, dass die Leute wieder eine klare Richtung des Vereins erkennen. Foto: Mainz 05

Hinsichtlich der Strategie hatte ich während meiner Zeit nach Schalke, als ich die Hälfte des Jahres in Mainz verbracht habe, gemerkt, wie der Verein die Leute ein bisschen verloren hat. Deswegen Strategie. Diese sollte eigentlich nicht lauten: „Wir möchten gerne in zehn Jahren im Europapokal spielen“, sondern: „Wir möchten in zehn Jahren die ganze Stadt hinter uns haben“.

Es war mir viel wichtiger, dass dieses Gefühl von früher zurückkommt. Wenn ich über den Marktplatz gegangen bin, ist mir aufgefallen, dass die Leute geredet haben: „Ja, die 05er haben so und so gespielt“. Und ich habe mich eben sofort mal aufs übelste beleidigt gefühlt, weil „die 05er“, das sagt man nicht, wenn man Mainzer ist. Da sagt man „wir“. Und das ist ein bisschen verloren gegangen. Früher haben die Leute von „wir“ gesprochen, obwohl sie gar nicht ins Stadion gegangen sind. Und dann merkt man, ob man wirklich in dieser Stadt zu Hause ist. Und da ging’s um Strategie. Rouven hatte sich dann leider entschieden den Verein zu verlassen und ich mich überreden lassen eben doch Vorstand Sport zu werden. Bedingung war aber: „Ich möchte jemanden an meiner Seite haben“. Was ich nicht mehr will und wollte, ist, jeden Tag im Fernsehen, in den Medien, an der „Front“ sein etc. Zum Glück habe ich den Martin dazu gewinnen können. Für ihn war das ja auch ein komplett neuer Job, aber ich wusste, dass er sowas mal machen wollte. Und dann ging’s darum: Jetzt brauchen wir noch einen passenden Trainer. Da hatte ich auch eine klare Meinung. Wenn ich Bo nicht als Trainer hätte verpflichten können, weiß ich gar nicht, ob ich gekommen wäre. Denn ich glaube, dass das hier sonst nicht mehr zu stemmen gewesen wäre. Bei Bo hatte ich das Gefühl: Wir drei zusammen, wir können da schon etwas bewegen. Ob es dann am Ende reicht… Das haben wir gehofft. Ja, wenn’s dann nicht langt, dann haben wir Pech gehabt, dann gehen wir halt in die zweite Liga und machen nochmal einen Neuaufbau. Aber in der Konstellation sind wir es angegangen.

So, und ja, wie sieht man meinen Tag dann aus? Der ist sehr, sehr unterschiedlich. Die Melanie [Assistentin von CH; Anm. von LS] knallt mir den Terminkalender voll. Ich guck ab und zu morgens rein: „Was steht denn heute eigentlich alles auf dem Programm?“ Beispielsweise läuft das so ab: Du wolltest mit mir einen Termin machen. Dann gucke ich mir das an und sage: „Hier, mach da mal bitte einen Termin aus“. Sie ist dann wie meine Managerin. Sie schaut jetzt: „Wo kann man das einplanen?“. Da sind Tage blockiert, die blockiere ich, dann geht’s da eben nicht. An anderen Tagen bin ich da und sie managed das. Es gibt Tage, da geht’s teilweise gar nicht um Fußball, weil mich viele, viele Dinge interessieren, die mit dem Fußballspiel auf dem Rasen gar nichts tun haben. Da sind wir bei Strategie. Wohin wollen wir auf welchem Weg?

Termine mit der Medienabteilung, Vorstandssitzungen, Sitzungen mit dem Aufsichtsrat. Das geht dann schon teilweise bis in den späten Abend. Es geht oft um Fußball, aber auch oft um das Drumherum. Mittagessen gibt’s bei mir eher selten.

Leider hat in Coronazeiten vieles digital stattgefunden. Der persönliche Draht, insbesondere zu den eigenen Leuten, fehlt dann schon sehr. Mit vielen habe ich bis heute noch nicht persönlich gesprochen. Die meisten sind seit Monaten im Homeoffice.

Aber auch das Nachwuchsleistungszentrum ist etwas, das mich sehr beschäftigt und interessiert. Ich führe sehr, sehr viele Gespräche mit Volker Kersting, dem Leiter Nachwuchsleistungszentrum. Der Nachwuchs ist unsere Zukunft. Unser NLZ ist wirklich top. Jedes Jahr entwickeln wir hier Bundesligaspieler. Ich träume davon, dass wir irgendwann nicht nur unsere Spieler sondern auch unsere Trainer ausbilden und entwickeln. Trainer mit Mainz 05-DNA, die unsere Philosophie umsetzen.

Die Philosophie …

Martin Schmidt, Christian Heidel und Bo Svensson (von links nach rechts) bilden seit 2021 ein Team. Foto: Mainz 05

Genau, dass sie den Verein kennen und vielleicht durchaus irgendwann auch mal die Chance haben, hier Profitrainer zu werden. Natürlich führe ich die meisten Gespräche mit Martin Schmidt, also wir gehen die Kader durch, wir gehen die Planung durch. Das machen wir bei mir im Büro an der Wand. Das passt perfekt. Ich weiß nicht, wie oft wir hier im ersten halben Jahr nach zwölf Uhr nachts wieder raus sind. Das war schon verrückt, aber es hat auch richtig Spaß gemacht, weil du natürlich gemerkt hast, es kommt etwas an, wir haben Erfolg. Dann war das halbe Jahr natürlich alles wie im Traum. Da hat alles funktioniert. Da hast du auch insgesamt so ein Glück gehabt, dass die Entscheidungen, die wir getroffen haben, gepasst haben. Und ich muss sagen: Bo, Martin und ich, das passt einfach sehr, sehr gut zusammen. Das macht auch riesig Spaß. Fakt ist aber genauso, dass wir bisher noch keine ganz schwierigen Phasen haben durchleben müssen. 2021/2022 ist nicht viel falsch gelaufen. Die große Bewährungsprobe kommt, wenn Krisenzeiten kommen. Es gibt keinen Verein ohne Krisen. Das wird auch bei Mainz 05 so sein und dann werden wir merken, wie stabil das alles wieder ist.


„EINER entscheidet, ABER BIS ZUR ENTSCHEIDUNG HÖRE ICH MIR ALLES AN!“

Was macht dir am meisten Spaß oder Freude an deinen Aufgaben?

Pläne und Ideen entwerfen und entwickeln, dann durch- und umsetzen. Mit wem musst du reden, wen führst du zusammen? Dieses Managen liegt mir schon immer, aber – und das ist der große Trugschluss – da ich ja früher immer alleine war, haben die Leute immer alle geglaubt, der Heidel entscheidet alles. Die Leute, die mich kennen, sagen, dass ich ein ganz großer Teamplayer bin. Ich bin aber auch für eine klare Hierarchie und die zwei Dinge müssen sich nicht beißen. Ohne Kollegen, ohne Mitarbeiter, ohne Team funktioniert gar nichts. Nur irgendeiner muss den Hut aufhaben und auch den Kopf hinhalten. Meine Tür ist immer offen, außer wenn jemand im Büro ist. Dann kann diejenige oder derjenige zu mir kommen und sagen: „Ich hab hier ‘ne geile Idee!“. Dann höre ich mir das an, egal wer das ist. So sind wir im Verein auch einfach groß geworden. Also, das wächst ja nicht alles auf meinen Mist, was hier passiert ist, sondern da haben viele, viele Leute einen großen Anteil daran.

Aber ich glaub, das ist auch das Gute, dass du dafür offen bist. Ich denke nicht, dass es bei allen Vereinen so ist. Da hat man diese Kreativität dann nicht…

Ja, das kann sein. Ich glaube, man muss den Leuten aber auch den Freiraum und das Lob rüberbringen. Alle Leute erzählen mir ich hätte Thomas Tuchel entdeckt. Und egal in welchem Interview sage ich: „Nein, Volker Kersting aus dem Nachwuchsleistungszentrum hat mir den irgendwann mal gebracht als Jugendtrainer. Aber er hat mich sofort interessiert. Und dann habe ich gesagt: Also auf den gebe ich Acht.“ Nach dem ersten Gespräch dachte ich mir: „Ho, was ist denn das!“. Ein Jahr später war er Profitrainer bei uns. Aber ich hab ihn nicht nach Mainz geholt. Ich habe ihn zum Profitrainer gemacht, aber ich habe ihn nicht nach Mainz geholt.


„Ab und zu steh ich da auch hinter der Theke und zapfe mit, wenn viel los ist.“

Jetzt ein anderes Thema. Du hast vorher schon von der berühmten Hasekaste erzählt. Seit Jahrzehnten gehst du immer wieder in den Hasekessel bzw. inzwischen in den Hasekaste und hältst Kontakt zu den Fans. Wie wichtig ist dir das und warum ist dir das so wichtig? Welche Gesprächsthemen habt ihr dort? Ist dort auch schon mal eine positiv verrückte Idee entstanden, die ihr umgesetzt habt, oder wie kann man sich das vorstellen?

Man muss sehen: Das hat irgendwann vor knapp 30 Jahren angefangen. Da waren wir ja nicht so viele Zuschauer hier und dann war’s völlig normal. Da gehst du nach dem Spiel in die Kneipe, in den Hasekessel, weil ja, wo sollst’n hingehen? Dann hast du da noch ein Bier getrunken. Mit der Zeit wurden es immer mehr Menschen und der Platz hat nicht mehr ausgereicht. Dort standen also nach dem Spiel noch 2.000, 3.000 Leute mit dem Schobbeglas und für mich war es völlig normal, dass ich da hingehe. Am Anfang waren es eben wenige, später waren es viele.

Ich quatsch da mit jedem. Damals waren auch teilweise Fans vom Gegner da und die konnten überhaupt nicht glauben, dass ich da mittendrin stehe. Das ist einfach gewachsen, da gab es überhaupt keinen strategischen Plan. Gar nicht. Mit meinen Kumpels, mit meinen Freunden geh ich dahin. Am neuen Stadion hat’s natürlich eine völlig neue Dimension. Den Wirt, Milan, bis heute einer meiner sehr, sehr guten Freunde, habe ich vom Bruchweg in die MEWA-Arena, damals noch Coface-Arena, mitverfrachtet. Er hat dann eben dort ein Lokal aufgemacht. Ab und zu steh ich da auch hinter der Theke und zapfe mit, wenn viel los ist. Da triffst du jeden. In Mainz weiß das jeder. Wenn ein Fan mit mir quatschen will, geht er nach dem Spiel in den Hasekasten. Und dann kommt er zu mir und wir reden über alles. Ich geh da einfach rein, weil’s mir Spaß macht. Ich muss es nicht machen, aber ich mach es einfach. Kürzlich bin ich nach dem Spiel bis halb Zwölf dortgeblieben. Du kriegst schon ein bisschen mit: Wie ist die Stimmung, wie ist das Gefühl? Momentan ist das sehr, sehr gut. Aber ich geh auch rein, wenn wir 0:5 verloren haben.

Für die Leute dort ist das nichts Besonderes mehr. Sie wissen das. Sie wissen sogar, an welchem Tisch ich immer stehe. Das ist ganz normal und das ist jetzt auch nicht so, dass sie sagen: „Jaaa, Herr Heidel!“ Das ist für sie normal, dass ich da bin. Ab und zu mache ich noch ein Foto, aber die meisten haben eh schon eines. Man bekommt ein Gefühl, ein Gespür. Aber ich mach es nicht deswegen, dass die Leute sagen: „Ja, der Heidel ist normal“. Da hab ich nie einen Hintergedanken gehabt, weil’s für mich einfach komplett normal ist. Es macht Spaß. Ich streite mich auch und das gehört dazu. Aber es wurde noch nie eine Grenze überschritten. Aber ich mag dies Atmosphäre. Ich gehe vorher immer eine halbe Stunde in den VIP-Raum, aber nach der halben Stunde gehe ich dann für zwei oder drei Stunden in den Hasenkasten.


Christian Heidel, Jürgen Klopp und ein Kasten Bier…

Christian Heidel (Mitte) und Jürgen Klopp (rechts), hier im Gespräch mit Martin Schmidt, lachen noch heute über Anekdoten aus ihrer gemeinsamen Zeit in Mainz. Foto: Mainz 05

Welche Anekdote oder Geschichte möchtest du gern erzählen? Du hast ja jede Menge erlebt, aber welche ist so eine, die du gerne herausgreifen würdest? Vielleicht eine, die noch nicht so bekannt ist…

Puh! Ganz, ganz schwierig, weil ich hier so viel erlebt hab. Ich muss sagen, die Zeit mit Kloppo [Jürgen Klopp; Anm. von LS], das war schon das intensivste, bei allem, was wir später erlebt haben. Aber da ist ja der Verein so langsam von unten nach oben marschiert. Also diese Zeit, als Kloppo Trainer wurde – am Rosenmontag natürlich – bis zum Zeitpunkt, als wir noch die Klasse gehalten haben. Das war so emotional, das ist eigentlich nicht zu toppen gewesen.

Und ich erinnere mich wirklich immer gerne an die Geschichte: Wir hatten das letzte Saisonspiel bei Waldhof Mannheim. Wir hatten uns schon am vorletzten Spieltag gerettet. Die Zuschauer hatten super mitgezogen, vor allem im vergangenen halben Jahr. Man hat gespürt, dass da etwas entstanden ist. Deshalb wollten wir uns  bedanken. Ich hab also das größte Schiff, das auf dem Rhein rumfahren darf – ich glaub, 3.000 Leute gingen drauf – komplett gechartert und wir haben organisiert, dass die Fans mit 60 oder 70 Bussen nach Mannheim gefahren werden und dann mussten die 70 Busse die Mainzer nach dem Spiel ans Rheinufer bringen. Erstmal war das logistisch der Wahnsinn. Die Mannheimer Polizei war überhaupt nicht begeistert. Jetzt muss man wissen: Waldhof Mannheim konnte an diesem Tag in die erste Bundesliga aufsteigen. Waldhof hat uns 4:0 abgeschossen und wir waren so schlecht wie sonstwas. Das war uns völlig egal. Aber ich glaub Sankt Pauli hätte in Nürnberg nicht gewinnen dürfen, die haben aber gewonnen. Somit ist Waldhof Mannheim nicht aufgestiegen. Und bei uns haben dreieinhalb Tausend Fans gefeiert und – naja, Mannheim und Mainz, das ist jetzt nicht gerade eine Liebesbeziehung. Dann sind die über die Zäune geklettert und sind sich schon gegenübergestanden auf’m Rasen. Also, das war hart an der Grenze alles, und dann mussten noch Dreieinhalbtausend an den Rhein gekarrt werden. Wir hatten noch Dopingkontrolle, sind danach mit dem Mannschaftsbus – also die ganze Mannschaft ist mitgefahren mit dem Schiff – runtergefahren. Da kamst du dann da unten an. Damals war das mit der Pyro noch nicht so wie es heute ist. Das ganze Schiff hat gebrannt, also mit Pyrofackeln und 3.000 Mainzer sangen auf dem Schiff: „Wieder alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“. Vor dem Schiff beschimpften uns 3.000 Mannheimer und zwischendrin 500 Polizisten. Dann kamen wir mit dem Mannschaftsbus. Das war Gänsehaut pur. Zum Glück blieb es friedlich.

Auf dem Schiff haben drei oder vier Bands gespielt. Man fährt länger als man glaubt von Mannheim nach Mainz, ich glaub zweieinhalb Stunden. Wir sind den ganzen Rhein entlang und überall haben die Leute am Ufer gestanden, weil die Pyro am Schiff ja gebrannt hat von hier bis nach Mainz. Also ich glaub, da wurde die Ultrabewegung in Mainz gegründet. (lacht) Und wir hatten die Dinger auch in der Hand. Das war damals nicht verboten, muss man klar sagen. Irgendwann kam Kloppo zu mir und hat gesagt: „Komm, wir müssen uns mal ein bisschen in Ruhe unterhalten“. Wenn du da mit so vielen Menschen drin bist, ist das sehr laut. Also hat der Kapitän gemeint, wir dürften uns vorne auf die Spitze des Schiffs setzen. Das war so ein riesiges Schiff mit einer ganz langen Schnauze. Kloppo und ich haben einen Kasten Bier mitgenommen und sind dann da vorne drübergeklettert, ja. Wir haben den Kasten Bier hingestellt, er links, ich rechts, ganz vorne an der Spitze des Schiffs. Und dann haben wir, ich glaube innerhalb von einer Stunde, den Kasten Bier leergetrunken. Und wir haben nur über dieses halbe Jahr erzählt, was da alles passiert ist und haben uns kaputtgelacht. (begeistert)

Der Mainzer Dom war nicht nur bei der Nichtabstiegsfeier 2001 in Sichtweite, sondern auch, als Christian Heidel 2009 mit Mainz 05 den Aufstieg in die 2. Bundesliga feierte. Foto: Mainz 05

Dann ist das Schiff, voller Leute mit brennender Pyro in den Händen, ich glaub es war elf Uhr, am Abend in Mainz vorm Rathaus und mit dem Dom im Hintergrund eingelaufen. Das war schwer emotional. (man merkt er hat die Bilder im Kopf) Wir sind dann natürlich alle noch in die Kneipen und irgendwann am nächsten Nachmittag wieder nach Hause. So haben wir den Nichtabstieg in Mainz gefeiert. Aber die Stunde mit Kloppo (seine Augen leuchten) auf dem Schiff da vorne drauf, das werd ich nie vergessen und er auch nicht. Vor kurzem war er vier Wochen bei mir auf Mallorca, in der Sommerpause. Da haben wir sehr oft zusammengesessen und stundenlang Anekdoten aus dieser Zeit erzählt. Unsere Frauen haben nur noch den Kopf geschüttelt. Es gibt so viele Geschichten, da kann man gar keine herausheben.

(Ich muss schmunzeln, weil das ja schon eine tolle Geschichte war – oder wie geht’s euch, liebe Leser*innen?) Die ist ja auch schon mal sehr schön.

Und eben weil die Geschichte so schön war und der zweite Teil des Interviews durchaus ernster wird, folgen hier der Cut und ein Fragen-Potpourri in Form eines Videos. Teil 2 des Interviews könnt ihr ab morgen an dieser Stelle (bitte auf den Link klicken) nachlesen.

Fragen-Potpourri mit Christian Heidel:

Christian Heidel beantwortete das Fragen-Potpourri. Video: Lisa Schatz [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung]

Hinweis: Bitte beachtet, dass dieses Interview vor den schrecklichen Ereignissen in der Ukraine geführt wurde. Im Jahr 2022 findet in Mainz kein Rosenmontagsumzug sowie keine Fastnachtsfeier statt.

Den zweiten Teil des Interviews findet ihr hier.

Ankündigung des Interviews mit Christian Heidel

Hinweis: Bitte beachtet, dass dieser Text vor den schrecklichen Ereignissen in der Ukraine verfasst wurde und dass das Interview mit Christian Heidel auch vorher geführt und geschrieben wurde. Trotz der russischen Invasion habe ich mich entschieden, das Interview in diesen Tagen zu veröffentlichen. Auch, weil wir meines Erachtens nach all den schrecklichen Meldungen bzgl. des Krieges in den vergangenen Tagen und auf Grund der vielen negativen Nachrichten in den letzten zwei Jahren rund um Corona wieder ein paar positive Eindrücke brauchen. Geschichten, die uns Hoffnung und Mut geben, ein wenig Freude bereiten, positive Gedanken erzeugen und die uns – trotz der widrigen Umstände – ein bisschen Kraft und Stärke schenken.

In der Hoffnung, dass der grausame Krieg in der Ukraine schnellstmöglich ein Ende findet! Und mit viel Kraft sowie in Gedanken an die Menschen in der Ukraine!

Für Frieden!

Lisa Blue

Liebe Fußballfans rund um den Globus!

Die fünfte Jahreszeit rückt näher und ich darf euch ein besonderes Schmankerl präsentieren. Wie bereits angekündigt, hat es mich mal wieder in ein Bundesligastadion verschlagen. Ich habe ein Wochenende in Mainz genossen und jeden Moment „Freiheit“ aufgesaugt.

Der Grund für meine Reise entstand aus einer E-Mail, die ich nachts um Zwei an Mainz 05-Vorstand Christian Heidel schrieb. Der Betreff: „positiv Fußballverrückte an positiv fußballverrückten Vorstand“. Sechs Wochen später saß dann die positiv Fußballverrückte bei eben jenem positiv fußballverrückten Vorstand im Büro und durfte dort ein Interview mit ihm führen.

Herausgekommen ist ein unterhaltsames, aber auch bewegendes und wirklich mainzigartiges Gespräch, das meiner Meinung nach für kurzweilige Lesemomente bei euch sorgen dürfte.

Ich freue mich, morgen um 11:11 Uhr den ersten Teil des Interviews veröffentlichen zu dürfen. Teil 2 folgte am 01.03.2022 um 18:00 Uhr.

Sportliche Grüße und bleibt gesund!

Eure

Lisa Blue

 

Ein Mainzelmännchen auf Reisen. Foto: Lisa Schatz [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung]