Christian Heidel: Vorstand, Groundhopper und positiv Fußballverrückter

Christian Heidel vor dem Logo des 1. FSV Mainz 05 in seinem Büro. Foto: Lisa Schatz [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung]

Mainz. „Der Club ist größer als der Einzelne“, steht in großen Lettern an der Wand im Wartebereich der Vorstandsetage von Mainz 05. Diese Aussage zieht sich durch den ganzen Verein. Das ist keine leere Worthülse. Christian Heidel, der mehr als zwei Jahrzehnte lang als Manager für den Verein fungierte und dort nach vier Jahren Unterbrechung seit gut einem Jahr als Vorstandsmitglied tätig ist, lebt das. Erzählt er von der Geschichte des Vereins, spricht er immer wieder von „wir“ und betont mehrfach, dass er das, was in den vergangenen Jahrzehnten entstanden ist, ja nicht alleine zu verantworten habe. Mich hat interessiert, wie es dazu kam, dass er als Ehrenamtlicher zum Manager und schließlich zum Vorstand wurde. Denn seine Geschichte ist im deutschen Profimännerfußball einzigartig. Zudem hat er mir erklärt, wie man sich einen Arbeitstag eines Vorstands für Strategie, Sport und Kommunikation vorstellen kann. Doch so sehr wir uns über die Sonnenseiten des Lebens unterhalten haben, so sehr haben wir auch über die Schattenseiten gesprochen: Christian Heidel äußerte sich sehr offen über seine Schlaganfälle. Aber eine echt coole, witzige und positiv fußballverrückte Geschichte, bei dem seine Augen zu strahlen begannen, als ob sie gerade erst geschrieben worden sei, hatte er dann genauso parat. Mögen euch die beiden Interviewteile neue Eindrücke schenken und zur Fastnacht auch ein kleines Lächeln ins Gesicht zaubern. Für euch gefragt, für euch geschrieben und nun für euch zum Eintauchen in die große, weite Fußballwelt…

„Gott hat die Erde nur einmal geküsst, genau an dieser Stelle, wo der Bruchweg ist“, lautet ein Zitat aus dem Lied „Wir alle sind Mainzer“ von Se Bummtschacks. Was denkst du, wenn du das hörst und was bedeutet dir dieses Bruchwegstadion?

Puh, da wird’s ja fast schon emotional gleich. Also, ich muss dazu sagen, dass ich seit 1992 mit einer Unterbrechung bei Mainz 05 bin. Aber ich war das erste Mal 1971 hier im Stadion und man kann’s kaum glauben, ich war als Kind fast auf jedem Spiel hier. Also zu Beginn noch teilweise bei Partien vor 2.000 bis 3.000 Zuschauern, später in der Oberliga kamen selten 1.000.

Bist du über deinen Papa hergekommen?

Ja, mein Papa hat mich irgendwann mal mitgenommen. Ich habe die erste große Zeit von Mainz 05, die Saison 1972/73, miterlebt. Da wurden wir Meister der Regionalliga Südwest. Das war damals der ganze Unterbau mit fünf oder sechs Regionalligen, also das war zu der Zeit wie die zweite Liga heute und es gab noch eine Bundesliga-Aufstiegsrunde. Da war ich als Kind auf jedem Spiel. Also, ich weiß noch alle Gegner: St. Pauli, Karlsruhe, Fortuna Köln, Blau-Weiß 90 und wir. Das war eine Gruppe. Und wir haben hier gegen Fortuna 0:0 gespielt vor 20.000 Zuschauern in diesem sehr speziellen Stadion und sind am Ende eigentlich Zweiter geworden. Das letzte Spiel haben wir gegen Blau-Weiß verloren… Wir sind Dritter geworden, wären normalerweise Zweiter gewesen. Also, ich habe diese Zeiten miterlebt. Deshalb: Ich kann nicht im Ansatz sagen, bei wie vielen Spielen ich in diesem Stadion war, aber gefühlt jedes Jahr bei 17, 18 Spielen und das 50 Jahre lang. Deswegen verbindet mich mit diesem Stadion natürlich sehr viel, auch weil es dreimal verändert wurde. Dreimal war ich dabei beim Verändern bzw. hab es sogar mit inszeniert.  Deshalb ist das schon einfach ein Stück Heimat für mich – dieser Verein. Ich habe drei Viertel meines Lebens mit Mainz 05 verbracht.


„Die Dramen, die sind alle hier im Bruchwegstadion passiert“

Wenn du das Stadion mit der MEWA-Arena vergleichen müsstest…

Die Diskussion führe ich sehr oft. Das Problem ist, also jetzt insbesondere hier, da hat ja hier noch eine Tribüne gestanden, das war ja ein Bundesligastadion für uns. Und hier haben wir natürlich ganz besondere Stunden verlebt, zwei Aufstiege, und auch diese Sensationssaison, in der wir wochenlang Tabellenführer waren in der Bundesliga. Mit diesem Stadion verbinde ich natürlich viel mehr als mit der MEWA-Arena. Aber ich erkläre den Leuten immer: Uns gäb’s heute nicht mehr, wenn wir noch hier spielen würden, weil das wirtschaftlich einfach nicht darstellbar ist. Man sieht ja: Der SC Freiburg ist jetzt auch den letzten Schritt gegangen, ein paar Jahre nach uns, weil sie einfach gemerkt haben, sie kommen nicht mehr mit. Deswegen war das hier sicherlich emotionaler und irgendwie auch viel spezieller und es war natürlich schon zum Totlachen, wenn die Bayern hier eingelaufen sind. Die wussten ja auch nicht, wo sie grad hier reinkommen.

In der MEWA-Arena fehlen noch die Geschichten. Die Dramen, die sind alle hier im Bruchwegstadion passiert. Deswegen darf man die Frage nicht stellen, weil die nicht funktioniert, in welche Richtung: „Das oder das?“. Es geht nur das.

Was ist für dich das Besondere an Mainz 05, wenn du es mit anderen Vereinen vergleichst? Du hast schon so ein bisschen in die Richtung „gestichelt“ mit Bayern und Freiburg…

Ich würde es mal so formulieren: Das ist ja für jeden Menschen ein bisschen anders. Wenn wir irgendwo hingekommen sind und dann hast du eben an den Kopf geknallt bekommen – bekommst du heute teilweise noch – „ja, ihr seid ja kein Traditionsverein und da fallen dir ja gar keine Geschichten ein“. Dann sage ich: „Ja, das stimmt, aber  wir haben einen Riesenvorteil. Wir schreiben unsere Geschichte selbst. Ihr erzählt nur die Geschichte, ihr wart aber gar nicht selbst dabei.“

Wenn du mit einem Kaiserslauterer redest, dann redet er über Fritz Walter. Ja, den haben wir nie gesehen. Aber wir, wir haben die ganze Geschichte der Neuzeit, in der Mainz plötzlich im großen Fußball dabei war, alle gemeinsam mitgeschrieben. Also jetzt nicht nur ich, auch die Leute hier, die Zuschauer. Du kannst mit vielen Zuschauern reden und die waren dann eben 1980, 1990 dabei. Vorher gab’s uns ja gefühlt überhaupt nicht. Und das ist glaube ich dieses Besondere an Mainz 05: Die Verbindung der Menschen zu diesem Club, weil sie alle dabei waren. Sie haben miterlebt, wie der Verein früher war und wo er hin marschiert ist. Wir haben in der Amateuroberliga Südwest angefangen und waren 20 Jahre später in Europa. Also das war so ein bisschen innerhalb kurzer Zeit die Geschichte dieses Clubs. Das ist, finde ich, auch schon so dieses Verrückte. Ich kenne im Stadion fast jeden persönlich. Ich bin auch in der Stadt geboren. Da hat man eine besondere Beziehung zu allem, das mit Mainz zusammenhängt.

Also würdest du sagen, dass Mainz 05 vor allem für dieses Bodenständige steht?

Ja, das glaube ich schon. Das ist aber natürlich auch ein bisschen dieses Wesen der Mainzer: Sich gerne mal selber auf den Arm nehmen. Und ich glaube wir sind sehr, sehr gastfreundlich. Ab und zu ist es mir fast zu gastfreundlich im Stadion. Bei einem Heimspiel habe ich ab und zu gesagt: „Ihr müsst mal giftiger sein auf der Tribüne“. Aber da habe ich dann gleich 50 E-Mails bekommen.

Wir hatten im November zum 25-jährigen Jubiläum ein Treffen der Mannschaft von 1996. Sehr viele Spieler von damals wohnen in Mainz, die sind hier nicht mehr weggegangen. Unsere Spieler bauen sehr schnell eine Beziehung zu dieser Stadt auf und wenn die Karriere zu Ende ist, kommen sie entweder zurück, also nicht alle, aber viele. Oder sie gehen hier gar nicht mehr weg und beenden die Karriere in Mainz und bleiben hier wohnen. Es sind wirklich viele ehemalige Spieler, die in Mainz ansässig geworden sind. Das eine ist der Verein und das andere ist die Stadt. Eine Studentenstadt an einem großen Wasser, das ist einfach etwas Besonderes!

Nun wieder ein Zitat. Auf der Vorstellungs-Pressekonferenz hat Sportdirektor Martin Schmidt gesagt: „Vorwärts zu den Wurzeln“. Was bedeutet das für dich im Zusammenhang mit Mainz 05?

Das Problem ist, das kann man als Vorwurf sehen. Als Vorwurf an die Leute, die in den letzten Jahren hier agiert haben und so war es nie gemeint. Ich glaube von Martin nicht und auch von mir nicht.

So wie ich es verstanden habe: Es heißt in die Zukunft zu blicken und nicht zu vergessen, woher man kommt.

So kann man das sehen. Es hängt damit zusammen, das sich der Verein natürlich sehr verändert hat und sehr, sehr viele Leute jetzt auch im Verein arbeiten, die Mainz gar nicht kennen, weil sie nicht aus Mainz sind. Dazu kann ja niemand was und das ist null Vorwurf. Und dieser Verein wurde ja 25 Jahre von Leuten geprägt, die fast alle in Mainz geboren waren. Also wir waren und sind wirklich Mainzer.

Mainzer sehnen sich danach weiterhin ein Teil des Ganzen zu sein, denn sie waren auch beim Anfang dabei. Wir müssen nahbar sein und bleiben. Dazu gehört es dann auch in der Stadt präsent zu sein, mit den Menschen zu reden und zu diskutieren. Das ist in den letzten Jahren ein wenig verlorengegangen. Früher war es klar, dass man nach dem Spiel in die überfüllte Vereinskneipe „Zum Hasekasten“ geht. Ob du 4:0 gewonnen oder 0:4 verloren hast. Da wurde gestritten und gelacht. Wie oft bin ich da auch mit Fans verbal aneinandergeraten, wenn es halt mal gar nicht gelaufen ist. Aber wir haben auch gemeinsam auf den Tischen gestanden und die Siege gefeiert. Das ist Mainz 05. Da müssen wir wieder hin. Die Menschen fangen. Ich glaube wir sind wieder auf einem ganz guten Weg. Wir stehen wieder viel enger zusammen. Viele Dinge im Verein wurden in den letzten Jahren weiterentwickelt und vieles professioneller. Das ist top. Aber echte Gefühle, Emotionen und Authentizität gehören in Mainz einfach dazu.


Ein Bischof als Schiedsrichter und ein Ehrenamtlicher als Vereinsmanager im Profifußball…

Christian Heidel erzählte mir u.a. vom Beginn seiner Zeit bei Mainz 05. Foto: Bernd Legien; bearbeitet von Lisa Schatz

Jetzt zu deiner Person. Es gibt ja mittlerweile einige Abteilungen. Als du vor 30 Jahren angefangen hast, war das ja noch ganz anders. Vor allem hast du ehrenamtlich bei Mainz 05 begonnen. Wie ist das damals wirklich abgelaufen, also wie bist du in dieses Amt „hineingeschlittert“? War das durch den Kauf der vielen Tickets bedingt [Christian Heidel hatte für sein Autohaus alle Tickets für das Stadion gekauft; Anm. von LS]?

Ich war totaler Fußballfan und einer der ganz wenigen totalen Mainz 05-Fans. Früher hatten wir hier eine Stehplatztribüne und da habe ich immer in der Mitte gestanden. Wenn das Stadion aufgemacht hat, war ich schon da. Hatte eine Fahne mitgebracht, trug eine Jeansjacke mit 05-Logo drauf. Bei jedem Spiel. Ich habe selber immer ein bisschen gekickt und deshalb konnte ich nur sonntags nicht immer.

Du hattest noch eine richtige Kutte? (überrascht)

Ja, wie das früher so war: eine Jeansjacke und meine Mama hat da so einen 05-Aufnäher draufgenäht. Damals haben hier 30, 40 Fans gestanden. Mehr waren das ja nicht. Ähnlich wie in Regensburg [in Anspielung darauf, dass LS aus Regensburg kommt und das auch noch von den alten Zeiten in Regensburg kennt; Anm. von LS] (lacht).

Ja, wirklich! (lacht auch und schwelgt kurz in Erinnerungen ans altehrwürdige Jahnstadion…)

Ja, ja, du weißt es ja. Dann bin ich im Beruf sehr aufgegangen und habe aber nie den Bezug zu Mainz 05 verloren. Irgendwann kam mir die Idee, dass der Verein einfach mal einen kleinen Schub bekommen müsste. Ich wollte die Firma, bei der ich damals Geschäftsführer war, einfach bekannter machen und dann habe ich dem Verein den Vorschlag gemacht, dass ich alle Karten kaufe. Ins Stadion gingen 15.000 rein, ich kaufte also wirklich alle 15.000 Karten. Der Zuschauerschnitt lag bei 1.100. Heute würden die Ultras hier auf die Barrikaden gehen. (lacht) Das war schon sehr kommerziell. Mir war klar, dass wir die Karten nicht alle verkaufen. Aber ich wollte den Verkauf steuern, ich wollte ein Rahmenprogramm haben. Nebenan war früher ein Ascheplatz. Da haben wir Attraktionen für Kinder aufgebaut und eine Autoausstellung gemacht.

Das größte war das Halbzeitspiel: Wir haben Fußbälle mit Nummern ins Publikum geschossen. Anschließend wurden fünf Nummern gezogen und die Fünf mit den Nummern durften auf den Rasen und mussten versuchen von der Mittellinie aus ins Tor zu schießen, ohne dass der Ball aufdotzt. Der Polizeipräsident und der Bischof haben an der Linie gestanden und waren die Schiedsrichter. Der erste schießt den rein und der hat einen 3er BMW gewonnen für 30.000 damals! (begeistert) Ja, das ging nun überall rum, der Wunderschuss von Mainz! Das war für mich die beste Werbung. Ich hatte es versichert über Lloyd‘s in England, also das war alles nicht dramatisch. An dem Tag waren fast 6.000 Zuschauer im Stadion und ich habe durch meine Aktion die Verantwortlichen von Mainz 05 kennengelernt. Harald Strutz & Co. sind noch am Abend zu mir gekommen und haben mich gefragt, ob ich nicht hier mitarbeiten wolle. Sie haben gesagt: „Du kannst ja in den Vorstand kommen“ und so weiter… Aber das war 1990, da war ich 27 Jahre alt und habe selbst noch Fußball gespielt. Also habe ich gemeint: „Nö, das ist mir ein bisschen früh.“ Aber sie haben dann immer wieder angerufen. Harald Strutz hat nicht locker gelassen und zwei Jahre später habe ich schließlich gesagt: „Okay, ich komme“.

Zuerst war ich für die Amateurmannschaft tätig. Die stand in der untersten Klasse, in der Kreisklasse C, auf dem siebten Platz. Wir sind dann ab 1994 fast jedes Jahr aufgestiegen. Bis in die Dritte Liga sind wir hochmarschiert! (begeistert) Unsere zweite Mannschaft war die schlechteste zweite Mannschaft eines Profivereins in Deutschland. Keine zweite Mannschaft hat so niedrig gespielt wie wir, und zehn Jahre später waren wir die beste. Wir waren damals die einzige Profimannschaft in der dritten Liga, also als Zweitvertretung. Ich kam 1992 und nach einem halben Jahr war ich mit Peter Arens schon für die Profis verantwortlich. Es war ein fließender Übergang.

Also ist der Plan von Herrn Strutz & Co. aufgegangen…

Ja, das hat sich so ergeben. Wir hatten damals nur eine Halbtagskraft. Das war die eine einzige Angestellte in diesem Verein. Es gab zunächst überhaupt keine Hauptamtlichen, deswegen haben wir das alle ehrenamtlich gemacht. Über die Jahre kamen dann aber immer Leute hinzu und ab 2005 hatte ich dann, nach 13 Jahren, wirklich mein erstes Büro bei Mainz 05 und war von morgens bis abends, also auch hauptberuflich, da. Inzwischen waren wir in der Bundesliga angekommen. Es war eine überragende Zeit, was wir hier alles erlebt haben! (begeistert) Das war schon sehr, sehr besonders.

Das ist ein sehr besonderer und einzigartiger Weg. Du hast im Ehrenamt begonnen. Wie wichtig sind Ehrenamtliche heute im Fußball und im Profifußball im Speziellen?

Im Fußball im Allgemeinen sind Ehrenamtliche sehr wichtig, weil es ohne sie gar nicht geht. Im Profifußball wird inzwischen ein anderer Weg gegangen. Da brauchst du auch mal Helfer. Gerade in dieser Coronazeit, da geht’s nicht ohne. Da haben wir jetzt Leute gebraucht, die die Impfausweise kontrolliert haben und den Leuten Bändchen drangemacht haben. Da brauchst du schon immer Ehrenamtliche, aber natürlich nicht mehr so wie das bei uns damals war. In den führenden Funktionen ist das heute nicht mehr möglich. Wir waren damals wirklich so „Mädchen für alles“ und im Endeffekt für alles zuständig. Wir haben im Vorstand jeden zweiten Montag zwei Stunden zusammengesessen und haben ein bisschen diskutiert und dann haben wir wieder agiert. Mein Arbeitsplatz war 300 Meter von hier entfernt. Deswegen bin ich morgens bis abends immer hin- und hergependelt. Zum Glück war das keine Entfernung. Es wurde fast alles bei mir im Betrieb abgewickelt. (lacht) Heute undenkbar.

Nun zu deiner jetzigen Position als Vorstand Strategie, Sport und Kommunikation. Du hast viele verschiedene Aufgaben und bestimmt ist jeder Tag anders, aber könntest du bitte mal beispielhaft einen Tag herausgreifen und ein bisschen die Struktur beschreiben? Wie ist der Ablauf, wie kann man sich deine Aufgaben vorstellen? Also, wie würdest du einem Fan antworten, der sich fragt: „Was macht ein Vorstand eigentlich genau?“

Zunächst einmal darf man das, was auf der Visitenkarte steht – ich habe übrigens noch gar keine, irgendwie kam ich bis heute noch nicht dazu (wir lachen) – nicht überbewerten.

Um es mal ganz ehrlich zu sagen: Vorher war ja nicht geplant, dass ich Vorstand Sport werde. Es ist dazu gekommen, weil sich Rouven Schröder entschieden hat gehen zu wollen, und ich habe mich eigentlich mit Händen und Fußen dagegen gewehrt, Vorstand Sport zu werden, weil in den Gesprächen klar war: Es ging mir in allererster Linie um Strategie und Kommunikation. Das war ein bisschen im Argen geblieben, insbesondere Kommunikation. Dass die Leute wieder eine klare Richtung erkennen. Es darf nicht jeder quatschen. Das bedeutet nicht, dass ich quatsche. Aber ich möchte gern sagen: Der quatscht. Es sollte wieder alles geordnet sein.

Christian Heidel ist es wichtig, dass die Leute wieder eine klare Richtung des Vereins erkennen. Foto: Mainz 05

Hinsichtlich der Strategie hatte ich während meiner Zeit nach Schalke, als ich die Hälfte des Jahres in Mainz verbracht habe, gemerkt, wie der Verein die Leute ein bisschen verloren hat. Deswegen Strategie. Diese sollte eigentlich nicht lauten: „Wir möchten gerne in zehn Jahren im Europapokal spielen“, sondern: „Wir möchten in zehn Jahren die ganze Stadt hinter uns haben“.

Es war mir viel wichtiger, dass dieses Gefühl von früher zurückkommt. Wenn ich über den Marktplatz gegangen bin, ist mir aufgefallen, dass die Leute geredet haben: „Ja, die 05er haben so und so gespielt“. Und ich habe mich eben sofort mal aufs übelste beleidigt gefühlt, weil „die 05er“, das sagt man nicht, wenn man Mainzer ist. Da sagt man „wir“. Und das ist ein bisschen verloren gegangen. Früher haben die Leute von „wir“ gesprochen, obwohl sie gar nicht ins Stadion gegangen sind. Und dann merkt man, ob man wirklich in dieser Stadt zu Hause ist. Und da ging’s um Strategie. Rouven hatte sich dann leider entschieden den Verein zu verlassen und ich mich überreden lassen eben doch Vorstand Sport zu werden. Bedingung war aber: „Ich möchte jemanden an meiner Seite haben“. Was ich nicht mehr will und wollte, ist, jeden Tag im Fernsehen, in den Medien, an der „Front“ sein etc. Zum Glück habe ich den Martin dazu gewinnen können. Für ihn war das ja auch ein komplett neuer Job, aber ich wusste, dass er sowas mal machen wollte. Und dann ging’s darum: Jetzt brauchen wir noch einen passenden Trainer. Da hatte ich auch eine klare Meinung. Wenn ich Bo nicht als Trainer hätte verpflichten können, weiß ich gar nicht, ob ich gekommen wäre. Denn ich glaube, dass das hier sonst nicht mehr zu stemmen gewesen wäre. Bei Bo hatte ich das Gefühl: Wir drei zusammen, wir können da schon etwas bewegen. Ob es dann am Ende reicht… Das haben wir gehofft. Ja, wenn’s dann nicht langt, dann haben wir Pech gehabt, dann gehen wir halt in die zweite Liga und machen nochmal einen Neuaufbau. Aber in der Konstellation sind wir es angegangen.

So, und ja, wie sieht man meinen Tag dann aus? Der ist sehr, sehr unterschiedlich. Die Melanie [Assistentin von CH; Anm. von LS] knallt mir den Terminkalender voll. Ich guck ab und zu morgens rein: „Was steht denn heute eigentlich alles auf dem Programm?“ Beispielsweise läuft das so ab: Du wolltest mit mir einen Termin machen. Dann gucke ich mir das an und sage: „Hier, mach da mal bitte einen Termin aus“. Sie ist dann wie meine Managerin. Sie schaut jetzt: „Wo kann man das einplanen?“. Da sind Tage blockiert, die blockiere ich, dann geht’s da eben nicht. An anderen Tagen bin ich da und sie managed das. Es gibt Tage, da geht’s teilweise gar nicht um Fußball, weil mich viele, viele Dinge interessieren, die mit dem Fußballspiel auf dem Rasen gar nichts tun haben. Da sind wir bei Strategie. Wohin wollen wir auf welchem Weg?

Termine mit der Medienabteilung, Vorstandssitzungen, Sitzungen mit dem Aufsichtsrat. Das geht dann schon teilweise bis in den späten Abend. Es geht oft um Fußball, aber auch oft um das Drumherum. Mittagessen gibt’s bei mir eher selten.

Leider hat in Coronazeiten vieles digital stattgefunden. Der persönliche Draht, insbesondere zu den eigenen Leuten, fehlt dann schon sehr. Mit vielen habe ich bis heute noch nicht persönlich gesprochen. Die meisten sind seit Monaten im Homeoffice.

Aber auch das Nachwuchsleistungszentrum ist etwas, das mich sehr beschäftigt und interessiert. Ich führe sehr, sehr viele Gespräche mit Volker Kersting, dem Leiter Nachwuchsleistungszentrum. Der Nachwuchs ist unsere Zukunft. Unser NLZ ist wirklich top. Jedes Jahr entwickeln wir hier Bundesligaspieler. Ich träume davon, dass wir irgendwann nicht nur unsere Spieler sondern auch unsere Trainer ausbilden und entwickeln. Trainer mit Mainz 05-DNA, die unsere Philosophie umsetzen.

Die Philosophie …

Martin Schmidt, Christian Heidel und Bo Svensson (von links nach rechts) bilden seit 2021 ein Team. Foto: Mainz 05

Genau, dass sie den Verein kennen und vielleicht durchaus irgendwann auch mal die Chance haben, hier Profitrainer zu werden. Natürlich führe ich die meisten Gespräche mit Martin Schmidt, also wir gehen die Kader durch, wir gehen die Planung durch. Das machen wir bei mir im Büro an der Wand. Das passt perfekt. Ich weiß nicht, wie oft wir hier im ersten halben Jahr nach zwölf Uhr nachts wieder raus sind. Das war schon verrückt, aber es hat auch richtig Spaß gemacht, weil du natürlich gemerkt hast, es kommt etwas an, wir haben Erfolg. Dann war das halbe Jahr natürlich alles wie im Traum. Da hat alles funktioniert. Da hast du auch insgesamt so ein Glück gehabt, dass die Entscheidungen, die wir getroffen haben, gepasst haben. Und ich muss sagen: Bo, Martin und ich, das passt einfach sehr, sehr gut zusammen. Das macht auch riesig Spaß. Fakt ist aber genauso, dass wir bisher noch keine ganz schwierigen Phasen haben durchleben müssen. 2021/2022 ist nicht viel falsch gelaufen. Die große Bewährungsprobe kommt, wenn Krisenzeiten kommen. Es gibt keinen Verein ohne Krisen. Das wird auch bei Mainz 05 so sein und dann werden wir merken, wie stabil das alles wieder ist.


„EINER entscheidet, ABER BIS ZUR ENTSCHEIDUNG HÖRE ICH MIR ALLES AN!“

Was macht dir am meisten Spaß oder Freude an deinen Aufgaben?

Pläne und Ideen entwerfen und entwickeln, dann durch- und umsetzen. Mit wem musst du reden, wen führst du zusammen? Dieses Managen liegt mir schon immer, aber – und das ist der große Trugschluss – da ich ja früher immer alleine war, haben die Leute immer alle geglaubt, der Heidel entscheidet alles. Die Leute, die mich kennen, sagen, dass ich ein ganz großer Teamplayer bin. Ich bin aber auch für eine klare Hierarchie und die zwei Dinge müssen sich nicht beißen. Ohne Kollegen, ohne Mitarbeiter, ohne Team funktioniert gar nichts. Nur irgendeiner muss den Hut aufhaben und auch den Kopf hinhalten. Meine Tür ist immer offen, außer wenn jemand im Büro ist. Dann kann diejenige oder derjenige zu mir kommen und sagen: „Ich hab hier ‘ne geile Idee!“. Dann höre ich mir das an, egal wer das ist. So sind wir im Verein auch einfach groß geworden. Also, das wächst ja nicht alles auf meinen Mist, was hier passiert ist, sondern da haben viele, viele Leute einen großen Anteil daran.

Aber ich glaub, das ist auch das Gute, dass du dafür offen bist. Ich denke nicht, dass es bei allen Vereinen so ist. Da hat man diese Kreativität dann nicht…

Ja, das kann sein. Ich glaube, man muss den Leuten aber auch den Freiraum und das Lob rüberbringen. Alle Leute erzählen mir ich hätte Thomas Tuchel entdeckt. Und egal in welchem Interview sage ich: „Nein, Volker Kersting aus dem Nachwuchsleistungszentrum hat mir den irgendwann mal gebracht als Jugendtrainer. Aber er hat mich sofort interessiert. Und dann habe ich gesagt: Also auf den gebe ich Acht.“ Nach dem ersten Gespräch dachte ich mir: „Ho, was ist denn das!“. Ein Jahr später war er Profitrainer bei uns. Aber ich hab ihn nicht nach Mainz geholt. Ich habe ihn zum Profitrainer gemacht, aber ich habe ihn nicht nach Mainz geholt.


„Ab und zu steh ich da auch hinter der Theke und zapfe mit, wenn viel los ist.“

Jetzt ein anderes Thema. Du hast vorher schon von der berühmten Hasekaste erzählt. Seit Jahrzehnten gehst du immer wieder in den Hasekessel bzw. inzwischen in den Hasekaste und hältst Kontakt zu den Fans. Wie wichtig ist dir das und warum ist dir das so wichtig? Welche Gesprächsthemen habt ihr dort? Ist dort auch schon mal eine positiv verrückte Idee entstanden, die ihr umgesetzt habt, oder wie kann man sich das vorstellen?

Man muss sehen: Das hat irgendwann vor knapp 30 Jahren angefangen. Da waren wir ja nicht so viele Zuschauer hier und dann war’s völlig normal. Da gehst du nach dem Spiel in die Kneipe, in den Hasekessel, weil ja, wo sollst’n hingehen? Dann hast du da noch ein Bier getrunken. Mit der Zeit wurden es immer mehr Menschen und der Platz hat nicht mehr ausgereicht. Dort standen also nach dem Spiel noch 2.000, 3.000 Leute mit dem Schobbeglas und für mich war es völlig normal, dass ich da hingehe. Am Anfang waren es eben wenige, später waren es viele.

Ich quatsch da mit jedem. Damals waren auch teilweise Fans vom Gegner da und die konnten überhaupt nicht glauben, dass ich da mittendrin stehe. Das ist einfach gewachsen, da gab es überhaupt keinen strategischen Plan. Gar nicht. Mit meinen Kumpels, mit meinen Freunden geh ich dahin. Am neuen Stadion hat’s natürlich eine völlig neue Dimension. Den Wirt, Milan, bis heute einer meiner sehr, sehr guten Freunde, habe ich vom Bruchweg in die MEWA-Arena, damals noch Coface-Arena, mitverfrachtet. Er hat dann eben dort ein Lokal aufgemacht. Ab und zu steh ich da auch hinter der Theke und zapfe mit, wenn viel los ist. Da triffst du jeden. In Mainz weiß das jeder. Wenn ein Fan mit mir quatschen will, geht er nach dem Spiel in den Hasekasten. Und dann kommt er zu mir und wir reden über alles. Ich geh da einfach rein, weil’s mir Spaß macht. Ich muss es nicht machen, aber ich mach es einfach. Kürzlich bin ich nach dem Spiel bis halb Zwölf dortgeblieben. Du kriegst schon ein bisschen mit: Wie ist die Stimmung, wie ist das Gefühl? Momentan ist das sehr, sehr gut. Aber ich geh auch rein, wenn wir 0:5 verloren haben.

Für die Leute dort ist das nichts Besonderes mehr. Sie wissen das. Sie wissen sogar, an welchem Tisch ich immer stehe. Das ist ganz normal und das ist jetzt auch nicht so, dass sie sagen: „Jaaa, Herr Heidel!“ Das ist für sie normal, dass ich da bin. Ab und zu mache ich noch ein Foto, aber die meisten haben eh schon eines. Man bekommt ein Gefühl, ein Gespür. Aber ich mach es nicht deswegen, dass die Leute sagen: „Ja, der Heidel ist normal“. Da hab ich nie einen Hintergedanken gehabt, weil’s für mich einfach komplett normal ist. Es macht Spaß. Ich streite mich auch und das gehört dazu. Aber es wurde noch nie eine Grenze überschritten. Aber ich mag dies Atmosphäre. Ich gehe vorher immer eine halbe Stunde in den VIP-Raum, aber nach der halben Stunde gehe ich dann für zwei oder drei Stunden in den Hasenkasten.


Christian Heidel, Jürgen Klopp und ein Kasten Bier…

Christian Heidel (Mitte) und Jürgen Klopp (rechts), hier im Gespräch mit Martin Schmidt, lachen noch heute über Anekdoten aus ihrer gemeinsamen Zeit in Mainz. Foto: Mainz 05

Welche Anekdote oder Geschichte möchtest du gern erzählen? Du hast ja jede Menge erlebt, aber welche ist so eine, die du gerne herausgreifen würdest? Vielleicht eine, die noch nicht so bekannt ist…

Puh! Ganz, ganz schwierig, weil ich hier so viel erlebt hab. Ich muss sagen, die Zeit mit Kloppo [Jürgen Klopp; Anm. von LS], das war schon das intensivste, bei allem, was wir später erlebt haben. Aber da ist ja der Verein so langsam von unten nach oben marschiert. Also diese Zeit, als Kloppo Trainer wurde – am Rosenmontag natürlich – bis zum Zeitpunkt, als wir noch die Klasse gehalten haben. Das war so emotional, das ist eigentlich nicht zu toppen gewesen.

Und ich erinnere mich wirklich immer gerne an die Geschichte: Wir hatten das letzte Saisonspiel bei Waldhof Mannheim. Wir hatten uns schon am vorletzten Spieltag gerettet. Die Zuschauer hatten super mitgezogen, vor allem im vergangenen halben Jahr. Man hat gespürt, dass da etwas entstanden ist. Deshalb wollten wir uns  bedanken. Ich hab also das größte Schiff, das auf dem Rhein rumfahren darf – ich glaub, 3.000 Leute gingen drauf – komplett gechartert und wir haben organisiert, dass die Fans mit 60 oder 70 Bussen nach Mannheim gefahren werden und dann mussten die 70 Busse die Mainzer nach dem Spiel ans Rheinufer bringen. Erstmal war das logistisch der Wahnsinn. Die Mannheimer Polizei war überhaupt nicht begeistert. Jetzt muss man wissen: Waldhof Mannheim konnte an diesem Tag in die erste Bundesliga aufsteigen. Waldhof hat uns 4:0 abgeschossen und wir waren so schlecht wie sonstwas. Das war uns völlig egal. Aber ich glaub Sankt Pauli hätte in Nürnberg nicht gewinnen dürfen, die haben aber gewonnen. Somit ist Waldhof Mannheim nicht aufgestiegen. Und bei uns haben dreieinhalb Tausend Fans gefeiert und – naja, Mannheim und Mainz, das ist jetzt nicht gerade eine Liebesbeziehung. Dann sind die über die Zäune geklettert und sind sich schon gegenübergestanden auf’m Rasen. Also, das war hart an der Grenze alles, und dann mussten noch Dreieinhalbtausend an den Rhein gekarrt werden. Wir hatten noch Dopingkontrolle, sind danach mit dem Mannschaftsbus – also die ganze Mannschaft ist mitgefahren mit dem Schiff – runtergefahren. Da kamst du dann da unten an. Damals war das mit der Pyro noch nicht so wie es heute ist. Das ganze Schiff hat gebrannt, also mit Pyrofackeln und 3.000 Mainzer sangen auf dem Schiff: „Wieder alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“. Vor dem Schiff beschimpften uns 3.000 Mannheimer und zwischendrin 500 Polizisten. Dann kamen wir mit dem Mannschaftsbus. Das war Gänsehaut pur. Zum Glück blieb es friedlich.

Auf dem Schiff haben drei oder vier Bands gespielt. Man fährt länger als man glaubt von Mannheim nach Mainz, ich glaub zweieinhalb Stunden. Wir sind den ganzen Rhein entlang und überall haben die Leute am Ufer gestanden, weil die Pyro am Schiff ja gebrannt hat von hier bis nach Mainz. Also ich glaub, da wurde die Ultrabewegung in Mainz gegründet. (lacht) Und wir hatten die Dinger auch in der Hand. Das war damals nicht verboten, muss man klar sagen. Irgendwann kam Kloppo zu mir und hat gesagt: „Komm, wir müssen uns mal ein bisschen in Ruhe unterhalten“. Wenn du da mit so vielen Menschen drin bist, ist das sehr laut. Also hat der Kapitän gemeint, wir dürften uns vorne auf die Spitze des Schiffs setzen. Das war so ein riesiges Schiff mit einer ganz langen Schnauze. Kloppo und ich haben einen Kasten Bier mitgenommen und sind dann da vorne drübergeklettert, ja. Wir haben den Kasten Bier hingestellt, er links, ich rechts, ganz vorne an der Spitze des Schiffs. Und dann haben wir, ich glaube innerhalb von einer Stunde, den Kasten Bier leergetrunken. Und wir haben nur über dieses halbe Jahr erzählt, was da alles passiert ist und haben uns kaputtgelacht. (begeistert)

Der Mainzer Dom war nicht nur bei der Nichtabstiegsfeier 2001 in Sichtweite, sondern auch, als Christian Heidel 2009 mit Mainz 05 den Aufstieg in die 2. Bundesliga feierte. Foto: Mainz 05

Dann ist das Schiff, voller Leute mit brennender Pyro in den Händen, ich glaub es war elf Uhr, am Abend in Mainz vorm Rathaus und mit dem Dom im Hintergrund eingelaufen. Das war schwer emotional. (man merkt er hat die Bilder im Kopf) Wir sind dann natürlich alle noch in die Kneipen und irgendwann am nächsten Nachmittag wieder nach Hause. So haben wir den Nichtabstieg in Mainz gefeiert. Aber die Stunde mit Kloppo (seine Augen leuchten) auf dem Schiff da vorne drauf, das werd ich nie vergessen und er auch nicht. Vor kurzem war er vier Wochen bei mir auf Mallorca, in der Sommerpause. Da haben wir sehr oft zusammengesessen und stundenlang Anekdoten aus dieser Zeit erzählt. Unsere Frauen haben nur noch den Kopf geschüttelt. Es gibt so viele Geschichten, da kann man gar keine herausheben.

(Ich muss schmunzeln, weil das ja schon eine tolle Geschichte war – oder wie geht’s euch, liebe Leser*innen?) Die ist ja auch schon mal sehr schön.

Und eben weil die Geschichte so schön war und der zweite Teil des Interviews durchaus ernster wird, folgen hier der Cut und ein Fragen-Potpourri in Form eines Videos. Teil 2 des Interviews könnt ihr ab morgen an dieser Stelle (bitte auf den Link klicken) nachlesen.

Fragen-Potpourri mit Christian Heidel:

Christian Heidel beantwortete das Fragen-Potpourri. Video: Lisa Schatz [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung]

Hinweis: Bitte beachtet, dass dieses Interview vor den schrecklichen Ereignissen in der Ukraine geführt wurde. Im Jahr 2022 findet in Mainz kein Rosenmontagsumzug sowie keine Fastnachtsfeier statt.

Den zweiten Teil des Interviews findet ihr hier.

Vorgestellt: Die Uwe-Seeler-Stiftung

UWE Seeler
Stiftungsgründer Uwe Seeler. Foto: Werner Treimetten

Guter Zweck. Uwe Seeler galt als einer der besten Mittelstürmer der Welt. Der gebürtige Hamburger war schon damals nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz sehr engagiert. Ihm war es wichtig, „denen zu helfen, die infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes auf die Hilfe anderer angewiesen“ sind. Er legte vor allem Wert darauf, Kinder und Menschen mit Behinderung, „die in unserer Leistungsgesellschaft einen besonders schweren Stand haben und oftmals nur wenig Anerkennung und Akzeptanz finden“, zu unterstützen. So gründete er 1996 die Uwe-Seeler-Stiftung.

 

Zu den Tätigkeitsbereichen der Stiftung

Die Uwe-Seeler-Stiftung unterstützt Menschen in Not in den unterschiedlichsten Bereichen. Sie bietet ihnen u.a. Hilfe zum Lebensunterhalt. Im Jahr 2015 beispielsweise konnte sie mit mehr als 180.000 Euro u.a. finanziell in Not geratenen Familien helfen und Reparaturkosten übernehmen. Darüber hinaus beteiligte sie sich an den Kosten, die für Therapien für Kinder mit infantiler Cerebralparese entstanden sind. Auch wurden in Kooperation mit anderen Stiftungen Operationen schwerstkranker Menschen aus Kriegsgebieten ermöglicht. Daneben förderte die Uwe-Seeler-Stiftung behinderten gerechte Umbaumaßnahmen und spendete 25.000 Euro an mehrere Hospize in Hamburg und auch deutschlandweit. Zudem beteiligte sie sich an der Finanzierung von Spezialrollstühlen und neuen behinderten gerechten Fahrzeugen. Damit die Kinder in besonders bedürftigen Familien ein schönes Weihnachtsfest feiern konnten, erhielten diese mitunter Lebensmittelgutscheine im Wert von insgesamt 2.850 Euro.

Im Gründungsjahr der Stiftung kamen rund 37.000 Euro für den guten Zweck zusammen, seit 2001 bewegt sich die Summe, die jährlich gespendet wurde, kontinuierlich im sechsstelligen Bereich. 2015 wurde bereits mehr als eine halbe Million Euro an Bedürftige ausgeschüttet. Insgesamt hat die Uwe-Seeler-Stiftung seit ihrer Gründung beachtliche 4.243.765,72 Euro an Menschen in Not ausgezahlt.

 

Das Team der Uwe-Seeler-Stiftung

Der Vorstand der Stiftung setzt sich aus Uwe Seeler, Udo Bandow, Berthold Brinkmann, Gerhard Delling, Sven Lorenz, Frank Rost und Kerstin McGovern zusammen. Als Namensgeber und Gründer ist „Uns Uwe“ der Vorsitzende, Udo Bandow fungiert als sein Stellvertreter. Kerstin McGovern bildet das Herz der Geschäftsstelle: Bei ihr laufen alle Fäden zusammen. Auf Grund der Vielzahl an Anfragen erhält sie meist Unterstützung durch eine weitere Bürokraft. McGovern nimmt die Anträge entgegen, hört den Bedürftigen zu, und ist genauso Ansprechpartnerin für Presseanfragen. So ermöglichte sie mir ein Interview mit Vorstandsmitglied Gerhard Delling…

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass Herr Delling sich extra nach dem Länderspiel in Dortmund (22.3.) einen Mietwagen genommen hat und direkt nach Hamburg gefahren ist, um mir am Donnerstagmorgen dieses Interview zu geben. Dies zeigt meines Erachtens, wie stark sich diese Menschen für die Stiftung engagieren.

 

Gerhard Delling über die Hintergründe der Stiftung

Herr Delling, wie ist die Idee von Herrn Seeler entstanden, eine Stiftung zu gründen?

Wer Uwe Seeler kennt, der weiß, dass er ein sehr empathischer Mensch ist, der wirklich am Leben anderer teilnimmt und das berührt ihn auch. So ist 1996 der Gedanke entstanden: „Was kann man tun, um denen zu helfen, die unschuldig in Not geraten sind?“. Dann kam die beste Idee mit der Stiftung.

Welche Ziele verfolgt die Uwe-Seeler-Stiftung hauptsächlich?

In erster Linie ist sie für Menschen da, die unverschuldet in Not geraten sind. Das ist bewusst so ausgedrückt, weil das Spektrum der Menschen, die Hilfe benötigen, sehr groß ist. Das merkt man an den Anfragen. Gerade in der heutigen Zeit, in welcher viele Menschen an der Armutsgrenze – oder sogar darunter – leben, gibt es unglaublich viele Notsituationen. In diesen Fällen kann man wirklich auch mit kleineren Taten und Zuwendungen sehr viel bewirken.

Wo wird geholfen?

Es gibt natürlich größere Geschichten, wie beispielsweise bei der ersten integrativen Schule in Hamburg. Dort ist die Uwe-Seeler-Stiftung engagiert. Es gibt – was auch unfassbar ist, dass es nötig ist – tatsächlich Essensgutscheine, für Menschen, die wirklich überlegen müssen, ob sie am nächsten Tag etwas zu essen haben. Es sind ganz viele Geschichten, bei denen die Krankenkasse nur bis zu einem gewissen Punkt greift und danach nicht mehr. Wo man vielleicht noch eine Behandlung braucht, die nicht abgedeckt wird. Das geht bis hin zu Heizkostenzuschüssen. Das Spektrum ist unfassbar groß. Es gibt so viele Details, aber das meiste geht in diese Richtung. Immer steht dahinter ein Mensch, der sich wirklich überlegen muss, wie er diese Aufgabe finanziell hinbekommt. Und der wendet sich dann in letzter Verzweiflung an die Uwe-Seeler-Stiftung. Ich glaube, auch wenn ich mich umhöre und umschaue, dass es nicht viele gibt, die sich genau um diese verzweifelten Menschen kümmern.

Woher kommen die meisten Anfragen?

Am häufigsten erhalten wir Anträge aus Hamburg und der Region. Aber auch bundesweit haben wir Fälle.

Wodurch werden die Menschen auf die Stiftung aufmerksam, gerade auch in den verschiedenen „Schichten“?

Das war wirklich ein Prozess über Jahre. Uwe leistet dahingehend grandiose Arbeit. Ich finde es toll, dass er sich so persönlich einsetzt und das wirklich lebt. Er macht das mit so einer Begeisterung, aus voller Überzeugung und mit Herzblut. Das ist er, das ist nicht gespielt. Das hat er alles alleine aufgebaut und unser Anteil ist wirklich entsprechend gering. Man kann sich gar nicht vorstellen, auf wie vielen Veranstaltungen Uwe pro Jahr unterwegs ist und bis heute – obwohl er ja auch nicht jünger wird – derart engagiert ist. Das ist wirklich er. Es sind ganz viele persönliche Kontakte, die er aufgebaut hat, oder eben Menschen, denen es gefällt, wie er so ist. Er ist ja eine Art „Ronaldo von früher“. Man könnte sich gar nicht vorstellen, dass Ronaldo hier durch die Gegend läuft, zu einem Golfturnier fährt und wie Uwe – der im Augenblick nicht mehr spielen kann – den ganzen Tag von Flight zu Flight (Gruppe von Spielern; Anm. von Lisa Schatz) fährt und fragt, ob alles in Ordnung sei. Bei so einem Turnier bringt er Getränke vorbei und ist den ganzen Tag auf Achse, um danach freudestrahlend einen Scheck für den guten Zweck entgegen nehmen zu können.

 

Ohne die Unterstützung Ehrenamtlicher läuft nichts

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Gerhard Delling sprach mit mir über die Hintergründe der Uwe-Seeler-Stiftung. Foto: Lennart Westphal

Wie wird die Uwe-Seeler-Stiftung „gestemmt“?

Wir sind alle, Frau McGovern und eine weitere Arbeitskraft ausgenommen, ehrenamtlich aktiv. Das Ziel ist ja, möglichst geringe Ausgaben zu haben und möglichst viel für den guten Zweck zusammenzubekommen. Die Veranstaltungen werden meist von Menschen organisiert, die Uwe Seeler kennen oder von der Stiftung gehört haben und dann die Einnahmen spenden. Axel Lange aus Berlin beispielsweise, der zusammen mit Uwe bei den Schneeforschern ist, veranstaltet jährlich ein Turnier in Fleesensee. Dabei kamen an einem Wochenende immer Summen im sechsstelligen Bereich heraus. Dort waren Uwe oder ich oder wir beide in den vergangenen Jahren stets anwesend. Menschen wie Axel Lange sind der Stiftung sehr nahe gewachsen, sie haben sie über Jahre hinweg begleitet und massiv unterstützt. Es gibt viele weitere Unterstützer.

Das ist ja klasse, wenn man schon vieles planen kann auf Grund der regelmäßigen Turniere…

Ja, genau. Zum einen ist eine große Verlässlichkeit vorhanden und zum anderen entstehen zahlreiche Freundschaften und es wird viel für den guten Zweck getan. Das finde ich auch wichtig bei der Uwe-Seeler-Stiftung. Die Stiftung ist keine, die mit großen Werbeplakaten oder Werbung nach außen geht und sagt: „Schickt mir mal euer Geld“. Sondern meist war es bisher so, dass wirklich jemand persönlich vor Ort war und erklärt hat, worum es genau geht und welche Ziele man hat, und versucht, die Menschen zu überzeugen, einen Beitrag zu leisten.

Welche Menschen helfen ehrenamtlich mit?

Derjenige, der ein Turnier veranstaltet – wie zum Beispiel Axel Lange (s.u.; Anm. von Lisa Schatz) – stellt das zusammen mit seinen Mitarbeitern auf die Beine und organisiert das nebenbei. Dort wirken ganz viele Helfer und Helfershelfer mit, die sich der Sache verschrieben haben und dahinter stehen und das mitleben. Viele Dinge kann man gar nicht bewerten. Das würde gar nicht funktionieren, wenn nicht jeder seinen kleinen Teil dazu beitragen würde. Das große Ganze ist eben für den Erfolg verantwortlich. Dies ist hier so. Es geht nicht, wenn nicht ganz viele Menschen das auch wollen und sich damit identifizieren und sagen, dass sie das gut finden.

Inwiefern wird mit anderen Organisationen kooperiert?

Wir arbeiten viel mit der Franz-Beckenbauer-Stiftung zusammen. Diese ist schon größer, funktioniert aber ähnlich. Wir tauschen uns aus und wenn es einen Fall gibt, der nicht ganz klar ist, kann man sich noch einmal absichern, ob der jeweils andere schon einen solchen hatte. Da gibt es eine enge Verdrahtung.

 

Woher die Spenden kommen und wohin sie gehen

Seit Beginn der Uwe-Seeler-Stiftung wurden mehr als vier Millionen Euro Spenden gesammelt. Im Jahr 2015 kamen rund 450.000 Euro zusammen. Haben Sie damit gerechnet, dass die Stiftung eine solche Größenordnung an Spendensummen erreicht?

Am Anfang nicht. Im ersten Jahr waren es rund 38.000 Euro, die ausgeschüttet wurden. Das hat sich stetig weiterentwickelt und verfestigt. Es wird natürlich nicht einfacher, Spenden zu akquirieren, aber dieses Niveau kann man meines Erachtens halten und eventuell können wir noch mehr erreichen. Nicht nur im Fußball werden die Summen immer größer. Zugleich ist es so, dass Geld dort, wo es ist – zumindest gefühlt – immer inflationärer wird. Ich glaube, dass die Entwicklung weitergeht. Aber zu Beginn war wirklich nicht damit zu rechnen.

Woher kommen die meisten Spenden?

Das meiste kommt von den Veranstaltungen. Neben denjenigen, die die Events organisieren und Geld spenden, gibt es dort auch viele andere Menschen, die einen gewissen Betrag spenden oder etwas ersteigern oder einfach nur vorbeikommen kommen und eine Teilnahmegebühr zahlen, welche auch für den guten Zweck ist. In den vergangenen Jahren hat sich zudem der HSV sehr erkenntlich gezeigt. Und natürlich der Deutsche Fußball Bund, der auch immer wieder großzügige Spenden beisteuert. Man muss ein bisschen kreativ sein, wenn es darum geht, an bestimmte Institutionen und Menschen heranzukommen und die Kontakte dann eben auch herstellen. Das ist in erster Linie unsere Aufgabe.

Wie wird entschieden, wer wie viel Geld erhält?

Von dieser Detailarbeit sind wir befreit. Das sind so extrem viele Anträge. Das ganze Jahr hat Kerstin McGovern da unglaublich viel mit zu tun. Das sind so viele kleine Anfragen – und das ist meines Erachtens auch das Besondere an dieser Stiftung: Es gibt hier und da auch immer wieder größere Projekte. Aber hier geht’s meist wirklich um Kleinstsummen. Diese sind so elementar wichtig für diese Menschen, weil dort, wo sie wirklich gar nicht mehr vorhanden sind, wo sie absolut fehlen, ist die Not dermaßen groß – das ist wohl mit der „Welt, in der wir leben“, gar nicht zu vergleichen. Es ist natürlich eine riesen Aufgabe zu prüfen, dass alles seine Richtigkeit hat und dass das Geld wirklich dort ankommt, wo es gebraucht wird. Allein im vergangenen Jahr wurden über 1.100 verschiedene Anträge bewilligt. Bei 365 Tagen im Jahr kann man sich vorstellen, dass sie alle sehr schnell und genau gecheckt werden mussten.

 

„Die Anzahl Bedürftiger ist frappierend“

Inwiefern bekommen Sie etwas von den Einzelfällen mit? Gab es bei den Sitzungen zum Beispiel einen Fall, den Sie besprochen haben und der Sie besonders schockiert hat?

In erster Linie fand ich diese Anzahl an Menschen, denen es wirklich schlecht geht, im traurigen Sinne überwältigend. Es ist frappierend: Wir in einem so wahnsinnigen Überfluss. Dass es wirklich so viele Menschen gibt, die Unterstützung in dieser Form nötig haben und brauchen, ist unserem Stand der Entwicklung nicht würdig, wenn man ehrlich ist. Somit empfinde ich den Einsatz der Stiftung als sehr positiv. Natürlich kann man das Leid jeden Tag beklagen, aber das bringt einen nicht weiter. Dennoch gibt es so viele Bedürftige. Das ist für die Gesellschaft eigentlich nicht tragbar, da müsste dringend etwas geändert werden. Und hier wird schon vieles getan.

Wir hatten zum Beispiel vor einigen Jahren den Fall, dass jemand dringend einen Blindenhund brauchte, weil seiner verstorben war. Der Mann war völlig verzweifelt, weil Blindenhunde generell sehr teuer sind. Wenn ein solcher Hund gut ausgebildet ist, bewegen sich die Kosten für ihn schon im fünfstelligen Bereich. Von derartigen Fällen bekommt man schon etwas mit. Als ich gelesen habe, dass wir das finanzieren konnten, fand ich das toll.

Gab es noch andere Fälle neben dem Blindenhund, die Sie erwähnen möchten?

Ich finde es erschreckend, dass jemand eine Krankschreibung hat und eigentlich zum Arzt muss, es aber gewisse Leistungen gibt, die nicht übernommen werden. Und derjenige weiß nicht, wie er dort hinkommt. Die einzige Chance für ihn ist es, sich ein Taxi zu nehmen und wir reden hier über dreißig oder vierzig Euro. Das Volumen ist wohl etwas größer, weil er mehrmals fahren muss. Aber dass so etwas einen Verwaltungsprozess auslöst, ist schon heftig. Viele würden sagen: „Ich fahr dich schnell hin“. Aber das gibt’s: Dass Menschen allein sind, ganz auf sich gestellt, und kein Geld haben. Also, diese Menge an kleinen Zuwendungen, die dabei sind, finde ich extrem.

 

Zum Alleinstellungsmerkmal der Uwe-Seeler-Stiftung

Was macht die Stiftung besonders, was grenzt sie von anderen Stiftungen ab?

Sie ist schon relativ groß, und trotzdem vom Umfang und von den handelnden Personen her sehr klein. Wir sitzen stets in einer kleinen Runde zusammen, in der sich jeder kennt. Zudem gibt es keinen festangestellten Geschäftsführer oder dergleichen. Die Ausgaben sind sehr gering. Natürlich gibt es ein, zwei Kräfte, die diese ganze Flut an Anfragen bearbeiten. Zudem ist es so, dass – vor allem Frau McGovern – nicht nur die Fälle bearbeitet, sondern auch als eine Art Sorgentelefon dient. Viele Menschen rufen bei ihr an, die nicht nur in finanzieller Hinsicht eine Zuwendung brauchen, sondern zugleich nach Aufmerksamkeit suchen. Das sind Dinge, die dort miterfüllt und abgefedert werden. Aber der administrative Part ist doch sehr bescheiden und klein gehalten, damit dort relativ wenig Geld verpufft.

Haben Sie auch jemanden in der Stiftung, der als psychologischer Ansprechpartner für die Anfragenden dient?

Nein, dafür ist die Stiftung von der personellen Besetzung her zu klein. Das würde neue Kosten auslösen. Aber umso bemerkenswerter ist es, dass Frau McGovern dies alles übernimmt.

Hat sich Frau McGovern selbst komplett in die Materie eingearbeitet oder hat sie auch eine psychologische Ausbildung absolviert? Ich kann mir vorstellen, dass manche Fälle schon echt hart sein können – gerade die psychologische Betreuung, die die Menschen brauchen.

Das stimmt. Ich weiß nicht, ob sie da eine Ausbildung hat. Aber als Persönlichkeit ist sie sehr empathisch. Trotzdem ist es so, dass es nicht mehr händelbar wäre, wenn man das zu seinem eigenen Schicksal machen würde. Sie hat natürlich mittlerweile eine riesen Erfahrung in dem Bereich. Sie engagiert sich hier seit rund zwanzig Jahren. Ich denke, sie bräuchte nicht mal ein Diplom in der Richtung.

 

Delling über seinen Einsatz für die Stiftung

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Gerhard Delling neben der von Brigitte Schmitges umgesetzten Fuß-Skulptur von Uwe Seeler. Foto: Lisa Schatz

Was hat Sie dazu bewogen, sich für diese Stiftung zu engagieren?

Ich kenne Uwe schon lange. Ich muss dazu sagen, dass ich auch in der Bürgerstiftung in Hamburg bin und auch dem Eagles Charity Golf Club sowie der Alexander Otto Sportstiftung angehöre. Wenn es zeitlich möglich ist, ist man meiner Meinung nach dazu verpflichtet, sich Gedanken zu machen und ein bisschen zu engagieren. Als die Anfrage von Uwe kam, musste ich gar nicht lange überlegen, weil ich ihn über die vielen Jahre so gut kennen gelernt habe, dass ich wusste, wie integer das Ganze ist. Ehrlich gesagt war es sogar eher andersherum: Ich dachte, dass es eine große Ehre ist, dass er mich fragt. Er und Udo Bandow, der schon immer mit die treibende Kraft in der Stiftung gewesen ist. Zwei, die ich mit gewissem Stolz mittlerweile als Freunde auch an meiner Seite weiß!

Wie bringen Sie sich genau ein und welche Aufgaben haben Sie?

Mein Anteil ist verschwindend gering. Wir haben natürlich unsere Stiftungsratssitzungen. Dort besprechen wir vor allem, was während des Jahres geschehen ist. Zudem geht es darum, wie das Geld, das reinkommt, am besten verwaltet werden kann, sodass es …. nicht weniger wird, sondern am Ende des Tages eher noch ein paar Zinsen abwirft, die man dann ausschütten kann. Das ist im Augenblick mit eine der schwersten Aufgaben. Daneben gibt es Veranstaltungen, zu denen ich gehe. Bei den meisten allerdings ist Uwe vor Ort. Und eines muss ich betonen: Es ist unfassbar, was er da für ein Programm abreißt. Wenn er irgendwie kann, ist er immer am liebsten selbst dabei. Das sind z. B. Golfturniere, bei denen er dann den Scheck übernimmt.

Welches war Ihr schönstes Erlebnis in der Zusammenarbeit mit Herrn Seeler und den anderen Vorstandsmitgliedern?

Wenn wir uns in regelmäßigen Abständen treffen, ist es immer sehr harmonisch und schön. Es gab so viele tolle Turniere, bei denen wir zusammen vor Ort waren. Anfang dieses Jahres beispielsweise waren wir in Spanien bei der Uwe-Seeler-Trophy, einem Benefiz-Golfturnier in Marbella. Dort haben ehemalige Fußballprofis gegen Journalisten gespielt. Das waren drei wunderbare, lustige, unterhaltsame Tage und zugleich wurde wieder ein großer Scheck über 50.000 Euro an die Stiftung übergeben.

Wie laufen die Sitzungen ab?

Wir besprechen zunächst, was seit unserer letzten Begegnung alles passiert ist. Dann geht es an das Zahlenwerk. Das ist sehr wichtig: „Was ist rausgegangen und was kommt herein?“. Zudem diskutieren wir, welche Veranstaltungen neue Einnahmen bringen könnten und welche eventuell wegfallen. Es geht aber tatsächlich ums Geld: Wo legen wir es an? Wie geht es weiter, Aktienmarkt oder Anleihen? Was ist möglich und was nicht? Früher war es einfacher, weil es da Termingelder gab und wenn eine Stiftung konservativ mit möglichst geringer Aktienquote trotzdem Geld generieren wollte, hat man versucht, ein gutes Geschäft mit der Bank zu machen und gesagt: „Komm, wir machen relativ langfristig Termingelder“. Das war sehr sicher. Diese Form der Finanzierung ist mittlerweile komplett ausgefallen. Da muss man schon kreativ sein. In der Hinsicht ist Herr Gollub von Aramea mit dabei, der wirklich jedes Mal en detail sagt: „Die und die Sachen haben wir gemacht und die anderen aus diesem und jenem Grund nicht und wir sind jetzt bei einem Plus in der Höhe von XY Euro“. Man muss ihm hoch anrechnen, dass wir stets in einem Plus waren. Frau McGovern erzählt im Anschluss von ihrer Arbeit und speziellen Fällen, die schwieriger waren oder ihr besonders ans Herz gegangen sind.

Wie würden Sie die Atmosphäre innerhalb der Stiftung beschreiben?

Es ist ein sehr kleiner, familiärer Kreis und dadurch sehr kameradschaftlich. Wir befinden uns alle immer in regem Austausch. Uwe ist ja am glücklichsten, wenn er am Tisch sitzt, seine Freunde oder Menschen, die positiv und wohlgesonnen sind, um sich herum hat und diese gerne über Gott und die Welt reden mögen. Man sitzt auch mal mit Ex-Fußballprofis und aktuellen Profis auf der Jahresabschlussfeier zusammen, dann wird das Schifferklavier herausgeholt und gesungen…(lacht)

Vielen Dank für das Interview, Herr Delling.

Das habe ich gerne gegeben, bitte.

-> Weitere Informationen zur Uwe-Seeler-Stiftung findet ihr unter http://www.uwe-seeler-stiftung.de/.

-> Hiermit möchte ich mich auch für die gute Kooperation beim Hamburger SV bedanken, der mir ermöglicht hat, das Interview mit Herrn Delling im Volksparkstadion zu führen.

Vollblutarmine Wendelin Bohrenkämper

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Wendelin Bohrenkämper arbeitet als ehrenamtlicher Pressebetreuer auf der Alm. Foto: Schatz

Ehrenamt. Ich betrete den Eingangsbereich vor dem Presseraum auf der Alm. Er begrüßt mich mit einem freundlichen „Hallo, Lisa, schön dich zu sehen“ und lächelt. Gute Laune. Trotz einer gerade verlorenen Partie der Arminen. In mehr als zwei Jahren habe ich ihn stets freundlich erlebt: Wendelin Bohrenkämper. Er arbeitet als ehrenamtlicher Pressebetreuer für den DSC Arminia Bielefeld. Seit über fünfzehn Jahren. Ich habe ihn mir als Gesprächspartner ausgesucht, weil er meines Erachtens zu den wichtigsten Menschen für den Verein gehört. Sein professioneller Umgang mit den JournalistInnen trägt zu einer angenehmen Arbeitsatmosphäre im Presseraum bei. Er repräsentiert den Verein und sorgt für ein positives DSC-Image wie kaum ein anderer. Unabhängig vom Bekanntheitsgrad. Denn: Welcher Spieler hat mehr als fünfzehn Jahre für Arminia gespielt? Welcher Vereinsverantwortliche arbeitet schon so lange und mit so viel Herzblut für diesen Verein wie dieser Mann? Anpfiff für ein Interview mit einem Vollblutarminen und „Respekt“ vor seiner Leistung!

Herr Bohrenkämper, wie lange arbeiten Sie inzwischen ehrenamtlich für den DSC Arminia Bielefeld?

Ganz genau kann ich es nicht sagen, aber so fünfzehn Jahre kommen schon ganz gut hin. Das fing damals mitten in der Saison an. Ich bin eigentlich für jemanden eingesprungen, der ausgeschieden ist.

Wie sind Sie zu Ihrer Tätigkeit als ehrenamtlicher Pressebetreuer gekommen?

Der ehemalige Mannschaftsbetreuer Udo Gessler hat mich darauf angesprochen. Er war früher der Arbeitskollege meiner Mutter. Als Dankeschön, dass wir dem DSC bei den Weihnachtsfeiern mit den Kindern der Spieler weiterhelfen konnten (dort hat Herr Gessler immer den Weihnachtsmann gespielt und wir hatten ihm einige Jahre ein Kostüm dafür geliehen), hat er mich einmal in den VIP-Raum mitgenommen. Dort hat er mich einfach mal gefragt, ob die Pressebetreuung etwas für mich wäre und ob ich das gerne machen würde. Ich habe mir eine Woche Bedenkzeit erbeten. Man muss das ja mit der Arbeit koordinieren. Ich habe mir das Angebot dann mal durch den Kopf gehen lassen. Wenn man sich überlegt, wie nah man durch diese Tätigkeit am Geschehen dran ist, ist das natürlich super interessant. Die Chance haben nicht viele. Ich habe das schließlich mit meinem Arbeitgeber abgeklärt. Ich bekomme hier kein Geld. Die einzige Bezahlung ist, dass ich auf einem schönen Platz neben der Pressetribüne das Spiel sehen darf und dass ich noch ein bisschen was zu essen erhalte, wenn nach dem Spiel noch etwas da ist. Zu Bundesligazeiten haben wir ja hier noch königlich gespeist, das Catering war da noch für alle drin.

Die Entscheidung für dieses Ehrenamt hieß auch, dass das Stadionleben, wie ich es zuvor kannte, damit enden würde. Ich war ja ein Fan, der seit 1982 auf Block 3 gegangen ist – Stehplatz, ich sag immer die „Sitzbänke hinterm Tor am Zaun“. Da war es dann nix mehr mit zwei Stunden vorm Spiel da sein – drei Stunden vorher da zu sein, gerade als Bayern kam, sich durch die Mengen zu drängeln und dort zu stehen. Nee, da hieß es dann eben lange vorher da zu sein, bevor die Fans ins Stadion kommen, sich aufstellen und mit den Kleinigkeiten beginnen. Aber ich meine – die Alm war immer schon so ein Wohnzimmer für mich – aufgewachsen bin ich in Sichtweite, da steht mein Elternhaus. Früher, als ich noch klein war und das Fenster auf Kippe stand, habe ich hier alle schreien hören, wenn Tore gefallen sind. Irgendwann habe ich rausgefunden, dass Arminia einen Bundesligisten beherbergt und wurde neugierig. Dann hat mich der Vater eines Schulkameraden mal mitgenommen und wie das so ist, erwischte es mich und ich wurde zum Fußballfan. Ich erinnere mich an das erste DSC-Spiel, das ich gesehen habe: Arminia – Kaiserslautern. Da haben wir 2:0 gewonnen. Es war rappelvoll bei schönstem Wetter. Über all die Jahre bin ich anschließend regelmäßig hier gewesen.

Bitte beschreiben Sie Ihre Aufgaben.

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Wendelin Bohrenkämper (li.) übergibt dem Fotografen Christian Weische ein Leibchen. Foto: Schatz

Die Hauptaufgabe ist die Leibchenausgabe, das heißt, jede/-r, der/die mir eine Akkreditierung vorzeigt und als Pressevertreter/-in auf einer der Listen steht, bekommt – entsprechend der Farbe – ein Leibchen ausgehändigt. Zu Bundesligazeiten war das mit den Farben etc. noch sehr kompliziert. Aber im Moment ist der Stand der Dinge: Grau sind Fotoleibchen, Braun, Rot und Beige sind Fernsehleibchen (das hängt davon ab, wer Erst- und wer Zweitverwerter ist). Und dann gibt’s noch Weiß für Stadion-TV und z. B. Schwarz für den Hörfunkreporter. Das sind die wichtigsten. Ich trage die Pressevertreter/-innen ein bzw. aus. Es kam nur ganz selten vor, dass jemand ein Leibchen tatsächlich mit nach Hause genommen hat. Da muss ich eben der Pressestelle Bescheid geben und diese kümmert sich anschließend darum. Außerdem kontrolliere ich natürlich die Akkreditierungen, sodass auch nur diejenigen den Presseraum betreten, die dafür zugelassen sind. Ansonsten versuche ich zu helfen, wo ich kann. Und wenn’s nur mal der Fall ist, dass ein Fan seinen Block sucht und bei mir nachfragt.

Haben Sie in Ihrer Zeit als Pressebetreuer Anekdoten erlebt?

Ja, in der Aufstiegssaison 2012/2013 sind ein paar andere Leibchen aufgetaucht. Man guckt sich ja immer jedes Detail eines Leibchens an, wenn man es herausgibt. Da war es dann wirklich so, dass zwei Pressevertreter mit Osnabrückleibchen herumgelaufen sind.

 

Die Alm: „Das ist mein Zuhause!“

Sie investieren sehr viel Zeit in dieses Ehrenamt. Wie lange sind Sie pro Spieltag in etwa im Stadion?

Bewusst achte ich nicht darauf. Es hängt davon ab, welches Spiel ansteht. Ob das Stadion ausverkauft ist, ob große Gegner kommen und dadurch eher mehr Pressevertreter da sind. An einem „normalen Samstag“ z. B. treffen wir uns um 11:30 Uhr. Vor dem Spiel ist es eigentlich stressiger als danach. Man muss die Journalisten versorgen, damit sie nicht zu lange warten. Geöffnet wird neunzig Minuten vor dem Anpfiff. Nach dem Spiel warte ich, bis alle Leibchen zurückgegeben wurden. Meist sitze ich noch länger im Presseraum und finde es einfach schön, dass ich noch hier sein darf. Wie ich vorher schon meinte: Es ist wie mein eigenes Wohnzimmer. Meine Mutter hatte damals, als ich noch klein war und alleine ins Stadion gegangen bin, keine Angst, dass mir etwas passieren könnte. Weil sie wusste: Ich kenne die Fluchtwege, ich kenne mich hier aus, ich bin hier aufgewachsen. Das ist meine Heimat, ich bin hier nebenan auf zwei Schulen gegangen. So ist es auch mit dem Stadion: Ich habe das alte miterlebt und kenne das neue. Ich hab hier nie Angst gehabt, auch wenn Gästefans böse waren, wenn sie eins drauf gekriegt haben. Ich hab mir immer gedacht: „Was soll mir hier passieren? Das ist mein Zuhause.“.

Sollte Ihre Tätigkeit nicht entlohnt werden? Schließlich verbringen Sie hier sehr viel Zeit und leisten – wie ich nach ca. zwei Jahren Live-Zusammenarbeit im Presseraum empfinde – äußerst wichtige und gute Arbeit.

Nein, mir reicht das vollkommen. Ich würde auch nie Geld dafür haben wollen, ich finde das toll hier, es macht einfach Spaß. Auch, wenn ich hier zusammen mit Dirk Grote einer der letzten bin, die vom alten Stamm da sind. Ich hab da einfach Spaß dran, ich mach das gerne und so soll’s ruhig weitergehen.

Was macht Arminia für Sie so besonders?

Ich kenne eigentlich nur diesen Club. Ich habe gar keine Zeit und Kraft, mich mit anderen Vereinen zu beschäftigen. Ich bin mit Arminia gut ausgefüllt, ich stehe komplett hinter dem DSC. Natürlich freue ich mich – auch eher unsportlich – wenn die „Kleinen“ mal gewinnen. Was Arminia für mich ausmacht, ist wahrscheinlich, dass ich mich wohl auch gerne aufrege. Man geht mit, man regt sich auf, man ist voll dabei. Es ist einem nie egal, was hier passiert. Man freut sich riesig. Ne ganze Woche kann gut laufen, wenn Arminia gewonnen hat. Aber ne ganze Woche kann auch unten durch sein, wenn man böse verloren hat. Mir graust jedes Mal nach einer Niederlage oder einem Unentschieden vor dem nächsten Montag im Büro. Die Kollegen haben alle schon mitbekommen, dass ich ein bisschen auf ihre Sticheleien reagiere. Sie übertreiben dann natürlich ein wenig, was mein Klümbchenverein wieder gemacht habe. Das ist aber alles auf humoristischer Ebene. Ich habe mich noch nie mit jemandem ernsthaft wegen Arminia oder wegen Fußball gezankt.

rden Sie sagen, dass dieser Leitspruch „stur, hartnäckig, kämpferisch“ auf Arminia zutrifft?

Ich muss schon sagen, dass Arminia immer etwas Kämpferisches gehabt hat, weil es für das Spielerische nie so ganz gereicht hat. Die ganz großen Talente konnte man sich nicht leisten. Wir sind eigentlich alle zu Kämpfern geworden. Und „hartnäckig“? Ich denke mal: Wie lange probieren wir, wieder zurück in die Bundesliga zu kommen und wir sind immer noch da nach so vielen Finanzkrisen?! Arminia hat es immer wieder geschafft, auch nach dem Bundesligaskandal 1971. Wir sind wieder in der zweiten Liga. Das ist ja schon etwas Besonderes. Ja und das Sture passt auch. Es ist zwar nicht sportlich, aber ich liebe diesen Spruch: „Wenn wir schon nicht gewinnen können, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt“. Der hat ja schon ein bisschen was Böses. Aber das Traurige oder Lustige ist: Ich stehe da voll hinter. Insgeheim ist es dieser Trotz, dass man diesen Spruch herauslässt.

Welche waren Ihre prägendsten Erlebnisse beim DSC – als Fan und als Ehrenamtlicher?

Sagen wir’s mal so: Ich habe Bielefeld in der ersten Bundesliga kennen gelernt. Damals war das so, da gab es nur die erste Bundesliga: „Zweite Liga, was ist das? Da gibt es auch noch was? Keine Ahnung!“. Dann kam die Zeit 1984, 1985, und auf einmal: Peng! Man ist in der Relegation und verliert 0:2 gegen Saarbrücken. Im Rückspiel auf der Alm spielten die Jungs 1:1 und auf einmal – eine vollkommen neue Situation: Zweite Bundesliga. Der Verein brach fast auseinander – viele, viele Spieler gingen. Am nächsten Tag nach dem Abstieg: Ich werde es nie vergessen. Ich hatte die Neue Westfälische vor mir auf dem Tisch liegen und da waren zehn Gesichter abgebildet von den Spielern, die den Verein verließen. Es war furchtbar. Da brach etwas auseinander und man wusste ja gar nicht, was mit der zweiten Liga so auf einen zukommt. Ich meine, da waren andere Mannschaften, andere Stadien, was war da noch anders? Ich wusste es nicht, ich hatte mich nie zuvor mit der zweiten Liga beschäftigt. Und ich meine auch, dass ich die erste Saison nach dem Abstieg einige Zeit nicht auf die Alm gegangen bin. Aus Enttäuschung. Was mir auffiel war, dass die Medienberichterstattung viel geringer war als in der ersten Bundesliga. Früher war es nochmal etwas anderes, als samstagnachmittags nur drei Spiele in der Sportschau gezeigt wurden. Heute ist das ja ganz anders. Wir sind sehr medienverwöhnt, da kann man sich ja inzwischen sogar die Regionalligaspiele im Fernsehen anschauen. Das ist auch gut so, aber damals gab’s das eben nicht. Man musste jedes Mal vor der Sportschau bibbern: „Welche drei Spiele zeigen sie?“. Dann wurden am Anfang die drei Spiele eingeblendet und ich rief „Papa, Arminia wird gezeigt, komm schnell!“. Wenn das nicht der Fall war, dann musste man sich das aktuelle Sportstudio am späten Abend angucken, in welchem nur Interviews geführt wurden und kaum Bildmaterial gezeigt wurde. Deshalb hab ich das aktuelle Sportstudio damals auch nie so richtig gemocht. Ich wollte einfach wirklich was von den Spielen sehen.

 

Als ein Aufstieg den anderen jagte

Ich war damals 14, 15 Jahre alt und echt enttäuscht von der Situation. Als das noch schlimmer wurde, mit der dritten Liga, da hat sich meine Einstellung gewandelt. Ich dachte mir „Jetzt erst Recht!“ und bin mit zwei, drei Freunden zu fast jedem Auswärtsspiel gefahren. Das war quasi alles um die Ecke. Wir sind zusammen mit einem Gladbacher Fan überall hingefahren: Oberliga Westfalen. In dieser Liga, da waren wir wieder wirklich die großen Arminen, vor denen alle gezittert haben. Wenn die Bielefelder kamen, dann war die gesamte Polizeimacht mobilisiert mit Kampfausrüstung, Schlagstöcken und allem. Da gab es Autokontrollen an der Stadtgrenze, Kreuzungen wurden gesperrt. Wenn wir gewonnen haben, sind wir mit der großen Arminiafahne durch die Straßen gelaufen und haben sie über die Autos gezogen. Das war ein Triumph, da konnten wir Stärke zeigen, da war man wieder jemand! Da hat sich wieder alles ganz neu entwickelt: Ein neuer Stolz, eine neue Zuversicht, dass es doch irgendwann mal wieder passieren könnte, dass man aufsteigt. Als es dann Anfang der 90er losging mit Oberliga, Regionalliga, zweite Liga, erste Liga – und das vier Jahre hintereinander – und ein Aufstieg den anderen gejagt hat. Das war eine tolle Zeit, eine riesen Begeisterung  (strahlt). Da haben wir auch jedes Mal auf dem Rathausplatz gefeiert – es war ein Triumph, das war klasse! Es war eine große Freude, ein Selbstbewusstsein und wir waren dann endlich wieder mit den ganz Großen zusammen in einer Liga.

Was war Ihr schönstes Erlebnis mit Arminia?

Ich kann das nicht genau festmachen. Natürlich waren die drei Aufstiege hintereinander grandios. Ein Punkt, den man wirklich hervorheben kann und eine Zeit, die ich nie vergessen werde. Es war natürlich sehr schön, als wir mit Norbert Meier in die zweite Liga zurückgekommen sind. Das war auch noch einmal ein ganz besonderer Aufstieg. Über Darmstadt möchte ich jetzt nichts sagen. Ich gebe nur zu, dass ich hier geheult habe. Wie einige andere hier auch. Ich war nach dem Spiel wirklich fertig. Die Darmstädter hatten zwei, drei Sonntagsschüsse. Aber man hat schon im Stadion gemerkt, dass es schon auch eine andere Stimmung war. Das Publikum hat ganz anders mitgemacht: Es war begeistert, auch die Choreographie der Ultras war sensationell. Ich dachte: „Da ist aber mehr drin, das kann’s doch nicht gewesen sein!“. Mit diesem „Jetzt erst Recht“-Gedanken hatte dann die Drittligasaison angefangen, das hat irgendwie auch Kampfkräfte mobilisiert und Arminia hat die Saison als Meister beendet und so sind wir voller Freude wieder zurück in die zweite Liga. Dieser Prozess vom Abstieg, der Relegation über das Jahr in der Dritten Liga bis zum Aufstieg in die zweite Liga – das war ein ganz langes, schönes Erlebnis mit Arminia. Das ist das, was ich herausheben würde. Ich würde gar nicht sagen, dass so ein Meistertitel das Schönste ist. Da gehört immer das ganze Drumherum mit dazu.

Welche Persönlichkeiten haben Arminia Ihres Erachtens am stärksten geprägt?

Wolfgang Kneib war eines meiner größten Idole. Uli Stein hat für mich auch immer Arminia bedeutet. Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass Uli Zwetz (Radio-Sportreporter für Radio Bielefeld; Anm. von LS) für mich ein „Götter-Reporter“ ist. Ich meine, er mag in mancher Situation ein wenig übertreiben und laut werden, aber das ist doch das, was Arminia nun wirklich ausmacht: Diese Begeisterung und einfach mal ins Mikrofon zu brüllen, wenn etwas Tolles passiert. Es ist wirklich toll, dass Uli Zwetz inzwischen kommentiert. Früher, als es Radio Bielefeld noch nicht gab, kommentierte jemand vom WDR, der seinen Bericht runtererzählte. Da war keinerlei Emotion dabei. Als ich noch klein war und meine Omi in Lüneburg besuchte, wartete ich auf einen Bericht, in welchem erzählt werden würde, wie Arminia spielte. Und dann kam so eine langweilige Geschichte daher. Und wenn ich jetzt bedenke, wie Uli Zwetz seine Reportagen mit Leben gestaltet – mit Dynamik, mit Action, mit Freude! Dann muss ich sagen: Das ist doch genau das, was ein Armine braucht. Uli Zwetz ist einfach ein ganz besonderer Armine.

Welche sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Leute, die an den Spieltagen im Stadion arbeiten?

Das, was im Stadion abläuft, ist ja ein riesiges Uhrwerk, in welchem viele, viele Zähnchen ineinandergreifen und wenn nur eins von diesen Zahnrädern nicht richtig funktioniert, hat man keine aktuelle Uhrzeit mehr. Dann läuft da etwas nicht. Deswegen: Ob es nun die Spieler sind – klar, ohne Spieler kein Fußball. Aber selbst die Volunteers, die die Kühlschränke auffüllen, die Einlaufkinder betreuen, die HALBVIER (Clubmagazin; Anm. von LS) verteilen und den Presseraum aufräumen, damit der nächste Spieltag kommen kann, sind wichtig. Genauso wie der Volunteer, der die Käsebrötchen (Link: genauere Erklärung der „Käsebrötchengeschichte“ für alle Nicht-Arminen; Anm. von LS) für die Trainer an den richtigen Platz im Presseraum stellt, für den reibungslosen Ablauf sorgt und zum Wohlbefinden der Trainer beisteuert, wenn diese vorher am Platz herumgeschrien haben und wieder etwas zu essen brauchen, um einen anderen Geschmack zu erhalten. Jeder ist wichtig: Ob es der hochbezahlte Spieler auf dem Platz ist oder ein Volunteer. Also jemanden, der am allerwichtigsten ist, gibt es nicht.

Bitte beenden Sie folgenden Satzanfang…

Arminia ist für mich… schon so eine Art Familie.

Das ist ein schönes Schlusswort. Danke für das Interview, Herr Bohrenkämper.

Bitte, sehr gerne.