Exemplarischer Stundenplan in der Stadionschule Bielefeld. Foto: Schatz
Derzeit geht sie immer wieder durch die Medien: Die Stadionschule Bielefeld. „Was ist das?“ und „Warum wird so viel über sie geschrieben?“ fragen sich nun wohl einige von euch. Die Antworten darauf gibt’s hier…
Lernen im Fußballstadion? Unmöglich? Nicht in der Stadionschule Bielefeld. Diese gilt als ein „etwas anderes“ Bildungsangebot für Schulklassen und Jugendgruppen (bis 20 Jahre). „Stadionschule“, das bedeutet, drei Tage lang im Stadion anstatt in einer Schule oder Jugendeinrichtung zu lernen. Aber nicht für Prüfungen, sondern für das Leben.
Tobias Mittag ist einer der Hauptverantwortlichen der Stadionschule Bielefeld. Foto: Stadionschule Bielefeld
Die Idee, dass man „das Lernen mit dem positiv besetzten Begriff Sport verknüpft, kommt aus England. Birger Schmidt, der Geschäftsführer von Lernort Stadion (Zusammenschluss mehrerer Lernzentren; Anm. von LS), war damals in England und hat die Idee der „Study Support Centre“ mitgebracht. Meine Fan-Projekt-Kollegen Ole Wolff und Jörg Hansmeier haben sich im Anschluss durch die ersten Lernzentren in Bochum und Dortmund inspirieren lassen und einen Probelauf in Bielefeld gestartet, eine Schulklasse ins Stadion zu holen und dieser verschiedene Berufsfelder vorzustellen“, so Tobias Mittag, Mitarbeiter der Stadionschule Bielefeld.
Inzwischen habe sich das Konzept gewandelt. Wert gelegt wird nun auf folgende Bausteine, die sich in unterschiedlichen Anteilen über die jeweils drei Tage erstrecken: Persönlichkeitsentwicklung, politische Bildung und Berufsorientierung. Dabei stehen statt Mathematik, Deutsch und Englisch Workshops zu den Themen
Inklusion
Homophobie
Rassismus
Medienkompetenz
Gewaltprävention
Zivilcourage
und
Teambuilding
auf dem Stundenplan. Das „besondere Lernumfeld, die ,Faszination Stadion‘ und Themen, die mit Fußball zu tun haben“ wirkten sich laut Mittag positiv auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus: „Sie sind super motiviert, sind teils schon früher da, stehen am frühen Morgen vor der Tür und meinen: ,Es war super, wir haben voll Bock!‘“. Dies zeige sich auch durch ihre meist sehr gute Mitarbeit. Zudem führt Mittag an, dass „die Jugendlichen wirklich viel Potential haben – unabhängig von Deutsch oder Mathematik – und dass sie gar nicht so unpolitisch sind, wie viele denken oder wie das immer in den Medien kommuniziert wird. Sie machen sich sehr wohl Gedanken um die Gesellschaft und das so ein bisschen herauszukitzeln, das macht Spaß“.
Er habe die Erfahrung gemacht, dass durch den Lernort Stadion jede und jeder angesprochen wird. Verschiedene Zweifel, dass Heranwachsende, die sich nicht für Fußball interessieren, nicht gerne am Projekt teilnehmen würden, könne er keinesfalls bestätigen: „Auch die Jugendlichen, die sich noch nie mit Fußball beschäftigt haben, sind vom Stadion beeindruckt und erstmal ein Stück weit fasziniert“. Hinzu komme, dass „nicht die Klassen- oder Fachlehrer vor den Jugendlichen stehen, sondern neue Referierende: zum Teil junge Menschen und solche, die eine Geschichte zu erzählen haben“, so Mittag weiter. Darüber hinaus gebe es im Stadion keine klassische Schulsituation, bei der „richtig“ oder „falsch“ geantwortet werden könne.
Hingegen seien die Referent(-in)en wertschätzend, die Workshops seien offen und interaktiv gestaltet. Das Konzept motiviere die Heranwachsenden, sich zu beteiligen. Jede teilnehmende Klasse bzw. Jugendgruppe bekommt einen der Schwerpunkte zugeteilt. Dazu gibt es Übungen sowie interaktive Gruppenarbeiten. Darüber hinaus werden den Jugendlichen verschiedene Berufe näher gebracht. Im Falle der Ernst-Hansen-Schule waren beispielsweise eine Friseurin, ein Koch sowie eine Fachkraft für Schutz und Sicherheit in der Stadionschule zu Gast. Sie haben den Teenagern erklärt, wie ihr Arbeitsalltag abläuft. Im Anschluss konnten sich die Jugendlichen selbst ausprobieren: Während im Besprechungsraum unter der Tribüne Gemüse geschnitten wurde, wurden im Presseraum Frisuren gesteckt und Nägel lackiert. So konnten die Jugendlichen herausfinden, was ihnen eher liegt und was nicht: „Ich interessiere mich für das kreative und künstlerische und will später auf jeden Fall in diesem Bereich arbeiten“, war sich Aliena Boge nach den Kurzworkshops zu den verschiedenen Berufen sicher.
Sascha Nottebrock gefiel es in der Stadionschule Bielefeld. Foto: Schatz
Neben den Einblicken in die Berufsfelder bekamen die Schülerinnen und Schüler auch eine Stadionführung hinter die Kulissen der SchücoArena. Der 13-jährige Sascha Nottebrock zeigte sich begeistert: „Wir konnten viele Bereiche sehen, waren in der Heim- und der Gästekabine und im Spielertunnel, in welchen an den Spieltagen eigentlich nur die Spieler und die Einlaufkinder hineindürfen. Wir haben viel über das Stadion an sich erfahren und waren sogar auf dem Rasen. Es war sehr interessant, mal so ein Stadion zu sehen – vor allem die Orte, die man sonst nie zu Gesicht bekommt“.
Fair Play stand im Mittelpunkt
In den Workshopeinheiten beschäftigte sich die Klasse der Ernst-Hansen-Schule mit dem Thema Fair Play. In Form eines Spiels mussten die Jugendlichen Teamarbeit leisten: „Wir sollten uns vorstellen, dass wir zusammen mit dem Bus zu einem Heimspiel fahren. Die Aufgabe war, die Plätze zu wechseln, ohne, dass wir uns absprechen. Es ging darum, Blickkontakt zu halten, respektvoll mit den anderen umzugehen und die Plätze zu tauschen, ohne zu stolpern oder jemanden zu rempeln“, so Boge. Darüber hinaus erarbeiteten die Jugendlichen zahlreiche Stichpunkte zu einem fairen Miteinander, die sie mit Hilfe eines Flipcharts präsentierten. Von den eigenen Verhaltensweisen über die persönlichen Einstellungen, das Äußere bis hin zu Konfliktfähigkeit waren viele Themenbereiche vertreten. „Ich finde es gut, dass wir über Respekt sprechen“, meinte Nottebrock.
Abgerundet wurde die dreitägige Veranstaltung durch ein Spielerinterview mit DSC-Profi Manuel Prietl. In einer halbstündigen Einheit bereiteten die Schülerinnen und Schüler Fragen an den Fußballprofi vor. Im Anschluss nahm er sich Zeit zu antworten und erfüllte alle Foto- und Autogrammwünsche.
Insgesamt habe die Stadionschule den Schülerinnen und Schülern viel Spaß gemacht. Sie war und ist wohl eine gelungene Abwechslung zum Schulalltag: „Vor allem die Teamarbeit hat mir gefallen und dass man hier so viel lernen kann“, zog Boge ein Fazit, und auch Nottebrock „fand es cool“. Er habe „gelernt, was im Leben und im Beruf wichtig ist: So zum Beispiel die persönliche Einstellung, Konfliktfähigkeit und auch die Bereiche Kommunikation und Sprache“.
Die Stadionschule als Erfolgsgarant
Anerkennung erfuhr das Projekt 2012, als es den „365 Orte im Land der Ideen“-Wettbewerb gewann und auch durch die Verleihung des bronzenen „Stern des Sports“ in diesem Jahr. Dass die Stadionschule Bielefeld ein Erfolgsgarant ist, beweisen zudem die Zahlen. „Bislang hatten wir in diesem Jahr in 22 Durchgängen 418 Jugendliche zu Gast. Zudem gab es Zusatzveranstaltungen, sodass wir 2016 auf insgesamt 500 bis 600 Teilnehmer/-innen kommen werden“, fasste Mittag zusammen.
Seit Beginn der Stadionschule Bielefeld gab es bereits mehr als 2.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Foto: Stadionschule Bielefeld
Die Anzahl der Nachfragen sei „viel größer als die Angebotsmöglichkeiten“. Mittag fügte hinzu: „Wir sind auch zeitlich an Grenzen gestoßen. Auf Grund der Herbst- und der Sommerferien sowie der englischen Wochen mit DFB-Pokalspielen etc. können wir maximal um die 30 Durchgänge machen“.
Wendelin Bohrenkämper arbeitet als ehrenamtlicher Pressebetreuer auf der Alm. Foto: Schatz
Ehrenamt. Ich betrete den Eingangsbereich vor dem Presseraum auf der Alm. Er begrüßt mich mit einem freundlichen „Hallo, Lisa, schön dich zu sehen“ und lächelt. Gute Laune. Trotz einer gerade verlorenen Partie der Arminen. In mehr als zwei Jahren habe ich ihn stets freundlich erlebt: Wendelin Bohrenkämper. Er arbeitet als ehrenamtlicher Pressebetreuer für den DSC Arminia Bielefeld. Seit über fünfzehn Jahren. Ich habe ihn mir als Gesprächspartner ausgesucht, weil er meines Erachtens zu den wichtigsten Menschen für den Verein gehört. Sein professioneller Umgang mit den JournalistInnen trägt zu einer angenehmen Arbeitsatmosphäre im Presseraum bei. Er repräsentiert den Verein und sorgt für ein positives DSC-Image wie kaum ein anderer. Unabhängig vom Bekanntheitsgrad. Denn: Welcher Spieler hat mehr als fünfzehn Jahre für Arminia gespielt? Welcher Vereinsverantwortliche arbeitet schon so lange und mit so viel Herzblut für diesen Verein wie dieser Mann? Anpfiff für ein Interview mit einem Vollblutarminen und „Respekt“ vor seiner Leistung!
Herr Bohrenkämper, wie lange arbeiten Sie inzwischen ehrenamtlich für den DSC Arminia Bielefeld?
Ganz genau kann ich es nicht sagen, aber so fünfzehn Jahre kommen schon ganz gut hin. Das fing damals mitten in der Saison an. Ich bin eigentlich für jemanden eingesprungen, der ausgeschieden ist.
Wie sind Sie zu Ihrer Tätigkeit als ehrenamtlicher Pressebetreuer gekommen?
Der ehemalige Mannschaftsbetreuer Udo Gessler hat mich darauf angesprochen. Er war früher der Arbeitskollege meiner Mutter. Als Dankeschön, dass wir dem DSC bei den Weihnachtsfeiern mit den Kindern der Spieler weiterhelfen konnten (dort hat Herr Gessler immer den Weihnachtsmann gespielt und wir hatten ihm einige Jahre ein Kostüm dafür geliehen), hat er mich einmal in den VIP-Raum mitgenommen. Dort hat er mich einfach mal gefragt, ob die Pressebetreuung etwas für mich wäre und ob ich das gerne machen würde. Ich habe mir eine Woche Bedenkzeit erbeten. Man muss das ja mit der Arbeit koordinieren. Ich habe mir das Angebot dann mal durch den Kopf gehen lassen. Wenn man sich überlegt, wie nah man durch diese Tätigkeit am Geschehen dran ist, ist das natürlich super interessant. Die Chance haben nicht viele. Ich habe das schließlich mit meinem Arbeitgeber abgeklärt. Ich bekomme hier kein Geld. Die einzige Bezahlung ist, dass ich auf einem schönen Platz neben der Pressetribüne das Spiel sehen darf und dass ich noch ein bisschen was zu essen erhalte, wenn nach dem Spiel noch etwas da ist. Zu Bundesligazeiten haben wir ja hier noch königlich gespeist, das Catering war da noch für alle drin.
Die Entscheidung für dieses Ehrenamt hieß auch, dass das Stadionleben, wie ich es zuvor kannte, damit enden würde. Ich war ja ein Fan, der seit 1982 auf Block 3 gegangen ist – Stehplatz, ich sag immer die „Sitzbänke hinterm Tor am Zaun“. Da war es dann nix mehr mit zwei Stunden vorm Spiel da sein – drei Stunden vorher da zu sein, gerade als Bayern kam, sich durch die Mengen zu drängeln und dort zu stehen. Nee, da hieß es dann eben lange vorher da zu sein, bevor die Fans ins Stadion kommen, sich aufstellen und mit den Kleinigkeiten beginnen. Aber ich meine – die Alm war immer schon so ein Wohnzimmer für mich – aufgewachsen bin ich in Sichtweite, da steht mein Elternhaus. Früher, als ich noch klein war und das Fenster auf Kippe stand, habe ich hier alle schreien hören, wenn Tore gefallen sind. Irgendwann habe ich rausgefunden, dass Arminia einen Bundesligisten beherbergt und wurde neugierig. Dann hat mich der Vater eines Schulkameraden mal mitgenommen und wie das so ist, erwischte es mich und ich wurde zum Fußballfan. Ich erinnere mich an das erste DSC-Spiel, das ich gesehen habe: Arminia – Kaiserslautern. Da haben wir 2:0 gewonnen. Es war rappelvoll bei schönstem Wetter. Über all die Jahre bin ich anschließend regelmäßig hier gewesen.
Bitte beschreiben Sie Ihre Aufgaben.
Wendelin Bohrenkämper (li.) übergibt dem Fotografen Christian Weische ein Leibchen. Foto: Schatz
Die Hauptaufgabe ist die Leibchenausgabe, das heißt, jede/-r, der/die mir eine Akkreditierung vorzeigt und als Pressevertreter/-in auf einer der Listen steht, bekommt – entsprechend der Farbe – ein Leibchen ausgehändigt. Zu Bundesligazeiten war das mit den Farben etc. noch sehr kompliziert. Aber im Moment ist der Stand der Dinge: Grau sind Fotoleibchen, Braun, Rot und Beige sind Fernsehleibchen (das hängt davon ab, wer Erst- und wer Zweitverwerter ist). Und dann gibt’s noch Weiß für Stadion-TV und z. B. Schwarz für den Hörfunkreporter. Das sind die wichtigsten. Ich trage die Pressevertreter/-innen ein bzw. aus. Es kam nur ganz selten vor, dass jemand ein Leibchen tatsächlich mit nach Hause genommen hat. Da muss ich eben der Pressestelle Bescheid geben und diese kümmert sich anschließend darum. Außerdem kontrolliere ich natürlich die Akkreditierungen, sodass auch nur diejenigen den Presseraum betreten, die dafür zugelassen sind. Ansonsten versuche ich zu helfen, wo ich kann. Und wenn’s nur mal der Fall ist, dass ein Fan seinen Block sucht und bei mir nachfragt.
Haben Sie in Ihrer Zeit als Pressebetreuer Anekdoten erlebt?
Ja, in der Aufstiegssaison 2012/2013 sind ein paar andere Leibchen aufgetaucht. Man guckt sich ja immer jedes Detail eines Leibchens an, wenn man es herausgibt. Da war es dann wirklich so, dass zwei Pressevertreter mit Osnabrückleibchen herumgelaufen sind.
Die Alm: „Das ist mein Zuhause!“
Sie investieren sehr viel Zeit in dieses Ehrenamt. Wie lange sind Sie pro Spieltag in etwa im Stadion?
Bewusst achte ich nicht darauf. Es hängt davon ab, welches Spiel ansteht. Ob das Stadion ausverkauft ist, ob große Gegner kommen und dadurch eher mehr Pressevertreter da sind. An einem „normalen Samstag“ z. B. treffen wir uns um 11:30 Uhr. Vor dem Spiel ist es eigentlich stressiger als danach. Man muss die Journalisten versorgen, damit sie nicht zu lange warten. Geöffnet wird neunzig Minuten vor dem Anpfiff. Nach dem Spiel warte ich, bis alle Leibchen zurückgegeben wurden. Meist sitze ich noch länger im Presseraum und finde es einfach schön, dass ich noch hier sein darf. Wie ich vorher schon meinte: Es ist wie mein eigenes Wohnzimmer. Meine Mutter hatte damals, als ich noch klein war und alleine ins Stadion gegangen bin, keine Angst, dass mir etwas passieren könnte. Weil sie wusste: Ich kenne die Fluchtwege, ich kenne mich hier aus, ich bin hier aufgewachsen. Das ist meine Heimat, ich bin hier nebenan auf zwei Schulen gegangen. So ist es auch mit dem Stadion: Ich habe das alte miterlebt und kenne das neue. Ich hab hier nie Angst gehabt, auch wenn Gästefans böse waren, wenn sie eins drauf gekriegt haben. Ich hab mir immer gedacht: „Was soll mir hier passieren? Das ist mein Zuhause.“.
Sollte Ihre Tätigkeit nicht entlohnt werden? Schließlich verbringen Sie hier sehr viel Zeit und leisten – wie ich nach ca. zwei Jahren Live-Zusammenarbeit im Presseraum empfinde – äußerst wichtige und gute Arbeit.
Nein, mir reicht das vollkommen. Ich würde auch nie Geld dafür haben wollen, ich finde das toll hier, es macht einfach Spaß. Auch, wenn ich hier zusammen mit Dirk Grote einer der letzten bin, die vom alten Stamm da sind. Ich hab da einfach Spaß dran, ich mach das gerne und so soll’s ruhig weitergehen.
Was macht Arminia für Sie so besonders?
Ich kenne eigentlich nur diesen Club. Ich habe gar keine Zeit und Kraft, mich mit anderen Vereinen zu beschäftigen. Ich bin mit Arminia gut ausgefüllt, ich stehe komplett hinter dem DSC. Natürlich freue ich mich – auch eher unsportlich – wenn die „Kleinen“ mal gewinnen. Was Arminia für mich ausmacht, ist wahrscheinlich, dass ich mich wohl auch gerne aufrege. Man geht mit, man regt sich auf, man ist voll dabei. Es ist einem nie egal, was hier passiert. Man freut sich riesig. Ne ganze Woche kann gut laufen, wenn Arminia gewonnen hat. Aber ne ganze Woche kann auch unten durch sein, wenn man böse verloren hat. Mir graust jedes Mal nach einer Niederlage oder einem Unentschieden vor dem nächsten Montag im Büro. Die Kollegen haben alle schon mitbekommen, dass ich ein bisschen auf ihre Sticheleien reagiere. Sie übertreiben dann natürlich ein wenig, was mein Klümbchenverein wieder gemacht habe. Das ist aber alles auf humoristischer Ebene. Ich habe mich noch nie mit jemandem ernsthaft wegen Arminia oder wegen Fußball gezankt.
Würden Sie sagen, dass dieser Leitspruch „stur, hartnäckig, kämpferisch“ auf Arminia zutrifft?
Ich muss schon sagen, dass Arminia immer etwas Kämpferisches gehabt hat, weil es für das Spielerische nie so ganz gereicht hat. Die ganz großen Talente konnte man sich nicht leisten. Wir sind eigentlich alle zu Kämpfern geworden. Und „hartnäckig“? Ich denke mal: Wie lange probieren wir, wieder zurück in die Bundesliga zu kommen und wir sind immer noch da nach so vielen Finanzkrisen?! Arminia hat es immer wieder geschafft, auch nach dem Bundesligaskandal 1971. Wir sind wieder in der zweiten Liga. Das ist ja schon etwas Besonderes. Ja und das Sture passt auch. Es ist zwar nicht sportlich, aber ich liebe diesen Spruch: „Wenn wir schon nicht gewinnen können, dann treten wir ihnen wenigstens den Rasen kaputt“. Der hat ja schon ein bisschen was Böses. Aber das Traurige oder Lustige ist: Ich stehe da voll hinter. Insgeheim ist es dieser Trotz, dass man diesen Spruch herauslässt.
Welche waren Ihre prägendsten Erlebnisse beim DSC – als Fan und als Ehrenamtlicher?
Sagen wir’s mal so: Ich habe Bielefeld in der ersten Bundesliga kennen gelernt. Damals war das so, da gab es nur die erste Bundesliga: „Zweite Liga, was ist das? Da gibt es auch noch was? Keine Ahnung!“. Dann kam die Zeit 1984, 1985, und auf einmal: Peng! Man ist in der Relegation und verliert 0:2 gegen Saarbrücken. Im Rückspiel auf der Alm spielten die Jungs 1:1 und auf einmal – eine vollkommen neue Situation: Zweite Bundesliga. Der Verein brach fast auseinander – viele, viele Spieler gingen. Am nächsten Tag nach dem Abstieg: Ich werde es nie vergessen. Ich hatte die Neue Westfälische vor mir auf dem Tisch liegen und da waren zehn Gesichter abgebildet von den Spielern, die den Verein verließen. Es war furchtbar. Da brach etwas auseinander und man wusste ja gar nicht, was mit der zweiten Liga so auf einen zukommt. Ich meine, da waren andere Mannschaften, andere Stadien, was war da noch anders? Ich wusste es nicht, ich hatte mich nie zuvor mit der zweiten Liga beschäftigt. Und ich meine auch, dass ich die erste Saison nach dem Abstieg einige Zeit nicht auf die Alm gegangen bin. Aus Enttäuschung. Was mir auffiel war, dass die Medienberichterstattung viel geringer war als in der ersten Bundesliga. Früher war es nochmal etwas anderes, als samstagnachmittags nur drei Spiele in der Sportschau gezeigt wurden. Heute ist das ja ganz anders. Wir sind sehr medienverwöhnt, da kann man sich ja inzwischen sogar die Regionalligaspiele im Fernsehen anschauen. Das ist auch gut so, aber damals gab’s das eben nicht. Man musste jedes Mal vor der Sportschau bibbern: „Welche drei Spiele zeigen sie?“. Dann wurden am Anfang die drei Spiele eingeblendet und ich rief „Papa, Arminia wird gezeigt, komm schnell!“. Wenn das nicht der Fall war, dann musste man sich das aktuelle Sportstudio am späten Abend angucken, in welchem nur Interviews geführt wurden und kaum Bildmaterial gezeigt wurde. Deshalb hab ich das aktuelle Sportstudio damals auch nie so richtig gemocht. Ich wollte einfach wirklich was von den Spielen sehen.
Als ein Aufstieg den anderen jagte
Ich war damals 14, 15 Jahre alt und echt enttäuscht von der Situation. Als das noch schlimmer wurde, mit der dritten Liga, da hat sich meine Einstellung gewandelt. Ich dachte mir „Jetzt erst Recht!“ und bin mit zwei, drei Freunden zu fast jedem Auswärtsspiel gefahren. Das war quasi alles um die Ecke. Wir sind zusammen mit einem Gladbacher Fan überall hingefahren: Oberliga Westfalen. In dieser Liga, da waren wir wieder wirklich die großen Arminen, vor denen alle gezittert haben. Wenn die Bielefelder kamen, dann war die gesamte Polizeimacht mobilisiert mit Kampfausrüstung, Schlagstöcken und allem. Da gab es Autokontrollen an der Stadtgrenze, Kreuzungen wurden gesperrt. Wenn wir gewonnen haben, sind wir mit der großen Arminiafahne durch die Straßen gelaufen und haben sie über die Autos gezogen. Das war ein Triumph, da konnten wir Stärke zeigen, da war man wieder jemand! Da hat sich wieder alles ganz neu entwickelt: Ein neuer Stolz, eine neue Zuversicht, dass es doch irgendwann mal wieder passieren könnte, dass man aufsteigt. Als es dann Anfang der 90er losging mit Oberliga, Regionalliga, zweite Liga, erste Liga – und das vier Jahre hintereinander – und ein Aufstieg den anderen gejagt hat. Das war eine tolle Zeit, eine riesen Begeisterung (strahlt). Da haben wir auch jedes Mal auf dem Rathausplatz gefeiert – es war ein Triumph, das war klasse! Es war eine große Freude, ein Selbstbewusstsein und wir waren dann endlich wieder mit den ganz Großen zusammen in einer Liga.
Was war Ihr schönstes Erlebnis mit Arminia?
Ich kann das nicht genau festmachen. Natürlich waren die drei Aufstiege hintereinander grandios. Ein Punkt, den man wirklich hervorheben kann und eine Zeit, die ich nie vergessen werde. Es war natürlich sehr schön, als wir mit Norbert Meier in die zweite Liga zurückgekommen sind. Das war auch noch einmal ein ganz besonderer Aufstieg. Über Darmstadt möchte ich jetzt nichts sagen. Ich gebe nur zu, dass ich hier geheult habe. Wie einige andere hier auch. Ich war nach dem Spiel wirklich fertig. Die Darmstädter hatten zwei, drei Sonntagsschüsse. Aber man hat schon im Stadion gemerkt, dass es schon auch eine andere Stimmung war. Das Publikum hat ganz anders mitgemacht: Es war begeistert, auch die Choreographie der Ultras war sensationell. Ich dachte: „Da ist aber mehr drin, das kann’s doch nicht gewesen sein!“. Mit diesem „Jetzt erst Recht“-Gedanken hatte dann die Drittligasaison angefangen, das hat irgendwie auch Kampfkräfte mobilisiert und Arminia hat die Saison als Meister beendet und so sind wir voller Freude wieder zurück in die zweite Liga. Dieser Prozess vom Abstieg, der Relegation über das Jahr in der Dritten Liga bis zum Aufstieg in die zweite Liga – das war ein ganz langes, schönes Erlebnis mit Arminia. Das ist das, was ich herausheben würde. Ich würde gar nicht sagen, dass so ein Meistertitel das Schönste ist. Da gehört immer das ganze Drumherum mit dazu.
Welche Persönlichkeiten haben Arminia Ihres Erachtens am stärksten geprägt?
Wolfgang Kneib war eines meiner größten Idole. Uli Stein hat für mich auch immer Arminia bedeutet. Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass Uli Zwetz (Radio-Sportreporter für Radio Bielefeld; Anm. von LS) für mich ein „Götter-Reporter“ ist. Ich meine, er mag in mancher Situation ein wenig übertreiben und laut werden, aber das ist doch das, was Arminia nun wirklich ausmacht: Diese Begeisterung und einfach mal ins Mikrofon zu brüllen, wenn etwas Tolles passiert. Es ist wirklich toll, dass Uli Zwetz inzwischen kommentiert. Früher, als es Radio Bielefeld noch nicht gab, kommentierte jemand vom WDR, der seinen Bericht runtererzählte. Da war keinerlei Emotion dabei. Als ich noch klein war und meine Omi in Lüneburg besuchte, wartete ich auf einen Bericht, in welchem erzählt werden würde, wie Arminia spielte. Und dann kam so eine langweilige Geschichte daher. Und wenn ich jetzt bedenke, wie Uli Zwetz seine Reportagen mit Leben gestaltet – mit Dynamik, mit Action, mit Freude! Dann muss ich sagen: Das ist doch genau das, was ein Armine braucht. Uli Zwetz ist einfach ein ganz besonderer Armine.
Welche sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Leute, die an den Spieltagen im Stadion arbeiten?
Das, was im Stadion abläuft, ist ja ein riesiges Uhrwerk, in welchem viele, viele Zähnchen ineinandergreifen und wenn nur eins von diesen Zahnrädern nicht richtig funktioniert, hat man keine aktuelle Uhrzeit mehr. Dann läuft da etwas nicht. Deswegen: Ob es nun die Spieler sind – klar, ohne Spieler kein Fußball. Aber selbst die Volunteers, die die Kühlschränke auffüllen, die Einlaufkinder betreuen, die HALBVIER (Clubmagazin; Anm. von LS) verteilen und den Presseraum aufräumen, damit der nächste Spieltag kommen kann, sind wichtig. Genauso wie der Volunteer, der die Käsebrötchen (Link: genauere Erklärung der „Käsebrötchengeschichte“ für alle Nicht-Arminen; Anm. von LS) für die Trainer an den richtigen Platz im Presseraum stellt, für den reibungslosen Ablauf sorgt und zum Wohlbefinden der Trainer beisteuert, wenn diese vorher am Platz herumgeschrien haben und wieder etwas zu essen brauchen, um einen anderen Geschmack zu erhalten. Jeder ist wichtig: Ob es der hochbezahlte Spieler auf dem Platz ist oder ein Volunteer. Also jemanden, der am allerwichtigsten ist, gibt es nicht.
Bitte beenden Sie folgenden Satzanfang…
Arminia ist für mich… schon so eine Art Familie.
Das ist ein schönes Schlusswort. Danke für das Interview, Herr Bohrenkämper.