Interview mit Kristian Barbuscak

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Kristian Barbuscak ist seit November 2014 als Torwarttrainer beim SSV Jahn Regensburg tätig. Foto: Lisa Schatz

Fußball international. Als ich beim Training des Drittligisten SSV Jahn Regensburg zusah, fiel mir der Perfektionismus des Torwarttrainers, Kristian Barbuscak, auf. Aufbau und Durchführung der Trainingseinheit: absolut akribisch. Seine Schüsse: perfekt gespielt. Er ließ seine Jungs mit Augenklappen trainieren und baute weitere Elemente ein, die ich bislang selten oder nie bei anderen Torwarttrainern beobachtet habe. Nach dem Training sprach ich ihn an und lernte einen weltoffenen Menschen mit einer äußerst interessanten Hintergrundgeschichte kennen. Er kam im Alter von 15 Jahren alleine nach Deutschland, um beim FC Bayern München zu spielen und eine Ausbildung zu absolvieren. Danach ging es über Lazio Rom, Austria Wien und die Grashoppers Zürich zu den New York Metro Stars. Als er mir davon erzählte, wurde ich neugierig und beschloss, euch seine einzigartige Geschichte in Form eines Interviews näherzubringen.

Herr Barbuscak, wollten Sie schon immer im Profifußball arbeiten oder gab es zwischendurch auch andere Pläne?

Unbedingt. Für mich als aktiver Torhüter hat sich diese Leidenschaft einfach nie in Frage gestellt. Mich haben zwei Schwerpunkte im Fußball interessiert: Der des Torwarttrainers, was ich jetzt ausüben darf, und auch der organisatorische Bereich, also das Teammanagement. Ich durfte ziemlich viele Hospitanzen machen, fast weltweit. Bei diesen war für mich nicht nur das spezifische Torwarttraining der Kollegen wichtig, bei welchem ich sehr viel lernen durfte. Für mich war es auch von großer Bedeutung, mich mit dem Busfahrer, Zeugwart, Fanshop-Mitarbeiter, mit der Sekretärin der Geschäftsführung, mit dem Koch und dem Teammanager zu unterhalten. Das hat mir sehr gut gefallen. Angenommen, ich dürfte nicht Torwarttrainer sein, dann wäre ich wohl Teammanager.

 

„Gerade die Stimmen der Menschen im Hintergrund sind wichtig“

Sie haben schon perfekt übergeleitet. Wie wichtig ist Ihnen Querdenken? Gerade, wie Sie es gerade formuliert haben, und inwieweit fließt es in das Torwarttraining mit ein?

Von außen betrachtet sehen viele den Fußball wohl so: Es gibt einen Kader mit 24 Spielern und den Trainerstab von vier Personen und das war’s. Aber im Fußball sind viel, viel, viel mehr Menschen wichtig. Viel mehr. Und die Stimmen gerade den Mitarbeitern oder den Leuten zu geben, die nicht im Fokus stehen, sondern Drumherum, im Hintergrund für den Verein arbeiten, das ist von hoher Bedeutung. Diese Stimmen sind sehr wichtig. Gerade für mich. Wie sich das im Torwarttraining widerspiegelt? Wahrscheinlich gar nicht direkt. Aber da ich durch meine Erfahrung gelernt habe diesen Menschen zuzuhören, kann ich das Aufgenommene quasi in meiner Arbeit integrieren und insofern – wenn ich die guten oder die schlechten Launen des Torhüters erkenne – darauf reagieren oder entsprechend agieren.

Also auch in Richtung Persönlichkeitsentwicklung?

Definitiv. Wenn sich der Torhüter aufregt, dass der Platz nicht perfekt gemacht worden ist und ich mich sowieso noch mehr darüber aufrege, jedoch weiß, warum der Platz nicht so gemacht werden kann wie beim FC Bayern oder Real Madrid, versuche ich mich erstmal in die Lage des Platzwartes zu versetzen und dann schließe ich eine Brücke zwischen seinem Bereich und meinem Bereich. Dann versuche ich eine gute Stimmung zu erschaffen.

 

Über das Ballett zum Fußball

Wie sind Sie überhaupt zum Fußball gekommen?

Ich hatte leider mit vier Jahren einen Unfall, nach welchem mein kleiner Finger amputiert wurde. Nach der Amputation war ich als Kind in einem Schockzustand über mehrere Wochen. In der Zeit habe ich nicht gesprochen, ich war wirklich total still. Nach beliebigen Fragen meiner Eltern, vor allem von meiner Mutter, ob ich Hunger habe, ob ich Süßigkeiten möchte, Geschenke, ob ich sie liebe, habe ich keine Antwort von mir gegeben. Sie haben versucht verschiedene Therapien einzusetzen. Sie sind zum Beispiel mit mir ins Kino gegangen. Aber ich war immer traurig und durch die Amputation gekennzeichnet. Eines Tages gingen wir zum russischen Staatsballett. Ich habe gesehen, wie die Menschen elegant tanzten und angefangen zu reden. Dann brachte mich meine Mama in die Tanzschule und dann habe ich im Alter von fünf Jahren ungefähr zehn Monate lang Ballettübungen gemacht. Man sagte mir damals, dass ich sehr talentiert sei, und ich bin sehr gerne dorthin gegangen. Ich war der einzige Junge dort bei den Mädels und meine Mutter fand es toll, aber nicht bezüglich des Sports, sondern dass ich wieder angefangen habe zu reden und mich normal zu verhalten.

Weshalb hat Sie gerade das Ballett derart fasziniert, dass Sie wieder begonnen haben zu sprechen?

Ich weiß es nicht. Warum gerade Ballett, warum nicht Kino oder Pferde? Meine Eltern haben so viel versucht. Ich weiß nicht, wieso Ballett. Wahrscheinlich die Eleganz, das Gefühl für Feinheit und für Perfektionismus. Mein Dad war selbst Sportler, aber nicht im Ballsport, sondern er ist Fahrrad gefahren. Er hat sich die Entwicklung meiner Person in diesem einen Jahr angeschaut. Als er eines Tages nach Hause kam, hat er angedeutet: „Ja, das ist nix für Jungs. Also schon, aber man entwickelt sich zu einer anderen Art von Männlichkeit“. Er entschied: „Ab morgen spielst du Fußball“. Dann habe ich mit dem Ballett aufgehört.

Einfach so, ohne Widerrede?

Ja, ich habe gesagt, ich möchte nicht mehr. Ich war sechs Jahre alt. Ich bin im Kommunismus aufgewachsen. Bei uns in der Tschechoslowakei – gerade was den Sport anbelangte –  wenn man talentiert war, wurde man gefördert. Man wurde gleich der Elite zugeordnet und so kam ich zu einer Aufnahmeprüfung zu einem Verein, der das in der Tschechoslowakei war, was der FC Bayern München für Deutschland ist: Slovan Bratislava. Dort gab es eine eigene Sportschule mit Eliteklasse. Dort musste ich eine einwöchige Aufnahmeprüfung machen. Die letzten beiden Tage waren nur Spiele. Es wurde schnell aussortiert, ohne jegliches Gefühl für den Menschen. Das war damals im Kommunismus so. Ich habe es geschafft, unter die besten Hundert zu kommen. Zwanzig Spieler und zwei Torhüter wurden genommen. An den beiden Tagen mit den Spielen waren mehrere Trainer anwesend. Die Gruppe, in der ich war, wurde von einem Trainer gefragt: „Möchte jemand von euch freiwillig ins Tor gehen?“. Ein Kind zeigte auf mich und sagte: „Den brauchst du nicht fragen, weil er nur neun Finger hat“. Und das im Alter von sechs Jahren! Da habe ich mir gedacht: „So, jetzt erst recht“. Heute bin ich dankbar dafür, dass der Junge das gesagt hat, weil ich sonst nicht da wäre, wo ich bin. Somit war mein ganzes Leben durch mein Handicap geprägt: Ich musste immer mehr trainieren als die anderen. Ich war häufiger verletzt als die anderen. Der Finger neben dem amputierten war oft ausgekugelt. Aber das war für mich nie eine Entschuldigung. Ich habe immer mehr an der Sprungkraft gearbeitet, an der Reaktionsschnelligkeit. Ich war nicht talentiert. Im Kommunismus gab es kein Talent. Man hat hart gearbeitet. So richtig hart, ja. So kam ich zum Fußball.

 

Von der Tschechoslowakei zum FC Bayern – im Alter von 15 Jahren…

Wie ging es danach weiter?

Bis zu meinem 15. Lebensjahr war ich in der Elite. Diese beendete ich mit dem Hauptschulabschluss. Das war damals so. Danach konnte man noch das Abitur oder eine Ausbildung machen. Aber für mich ging’s nach Deutschland. Meine Eltern blieben in der Tschechoslowakei. Es gab im Jahr 1992 ein Turnier in der Nähe von Fürth, bei dem ich mit der Nationalmannschaft oder mit der Auswahl dabei war. Ich habe damals ein paar ganz gute Bälle gehalten. Dort wurde man auf mich aufmerksam. Im selben Jahr bot – durch die Grenzöffnung – die Bayerische Bauindustrie der Tschechoslowakei eine Kooperation an. Die – vom Schulergebnis her – fünfzig besten Kinder bekamen die Chance, eine Ausbildung in Bayern zu machen. Und es kamen 51 Kinder nach Bayern… Wir mussten an einem Schnelldeutschkurs teilnehmen, um eben eine Ausbildung in Deutschland machen zu können. Schon vorher wurde ausgemacht, dass ich auf Grund des Fußballs, eine Ausbildung in München machen muss wegen des FC Bayern. Ich kam her, habe mich gleich verletzt. Erste OP, am Meniskus. Dann wurde ich zwei Jahre an die SpVgg Unterhaching ausgeliehen. Dort spielte ich zwei Jahre und kam dann zurück zum FC Bayern.

Wie war es in dieser Zeit mit dem Heimfahren, mit Heim- und Fernweh? Oder haben Sie sich erstmal gefreut, ein Abenteuer zu erleben und in ein neues Land zu kommen?

Ich kam mit 15 Jahren hierher und bekam eine eigene Wohnung. Am Anfang war das Ganze schon etwas seltsam für mich. Meine Eltern zum Beispiel mussten acht Jahre lang für eine Mikrowelle sparen, welche es bei uns nicht gab. Dann ging die Grenze auf und wir haben uns diese Mikrowelle gekauft. Ich bin im Plattenbau aufgewachsen. In dem einen großen Block, in welchem vierzig Familien gewohnt haben, hatten wir als einzige eine Mikrowelle. Ein Nachbar hatte einen Videorekorder. Ich kam nach Deutschland und hatte alles. Mein erster Gedanke war, alles mit nach Hause zu nehmen und zu verschenken. Bei uns im Supermarkt gab es nur zwei Marmeladen: eine rote und eine gelbe. Und wir waren alle glücklich und zufrieden. Da gab es keinen Streit. Man kannte nichts anderes. Und da kam ich hierher und es gab vierzig verschiedene Marmeladen. Und dann gab es Menschen, die eine bestimmte wollten, die es gerade nicht gab und sie regten sich voll auf und für sie war der ganze Tag im Eimer (nachdenklich).

Also, die ersten Monate waren ganz cool für mich, weil ich das erste Kind war, das – was Fußball anbelangte – aus der Tschechoslowakei zum FC Bayern oder hier nach Deutschland gewechselt ist. Man wird mit so vielen materiellen Sachen konfrontiert. Als Kind habe ich in der Tschechoslowakei eine Trainingshose bekommen, ohne Marke. Und ich habe eine Regenjacke und Gummifußballschuhe erhalten und das war’s. Hier in Bayern habe ich auf einmal drei kurze und drei lange Trainingsanzüge bekommen sowie zwanzig Paar Handschuhe mit Logo. Wirklich unvorstellbar. Die ersten drei Monate waren nur Kennenlernen und ich habe zum ersten Mal in meinem Leben einen echten Porsche gesehen, nicht nur als Matchbox-Auto. Und der Supermarkt! Im Regal habe ich für meine Mikrowelle Fertiggerichte in x verschiedenen Variationen gesehen. Also, das war schon heftig.

 

Als man die Dinge noch viel mehr zu schätzen wusste…

Dann gab’s den ersten Urlaub über Weihnachten. Damals war ich zwei Wochen zu Hause. Ich kam heim und hab mich wie ein kleiner Star gefühlt. Alle wollten wissen, wie es draußen sei, und alle haben mich bewundert und die neuen Klamotten, die ich anhatte. Als ich hierher zurückkam, musste ich hart arbeiten. Hier habe ich keine Bewunderung erfahren. Von niemandem. Dann bekam ich Heimweh. Mir haben meine Freunde gefehlt, extrem meine Eltern. Ich war alleine und habe viel weinen müssen und dürfen. Nach den Spielen war es für mich immer sehr schwierig: Die anderen Spieler sind da mit ihren Familien immer gleich essen gegangen, Omas, Opas und Tanten waren da. Ich bin dann alleine in die Straßenbahn gestiegen und nach Hause gefahren. Also, es war eine enorm harte und gute Schule fürs Leben. Ich würde es wieder machen. Zu der Zeit, in der ich mich befand.

Ich habe einen 13-jährigen Sohn. Angenommen, er hätte jetzt die Gelegenheit, dass er mit Fünfzehn von Deutschland nach Amerika oder England – aber heute kann man das nicht so vergleichen – kommen könnte, glaube ich, dass ich mit ihm mitgehen würde. Aber zu der Zeit damals war die Welt noch mehr „in Ordnung“. Gerade in Bayern und gerade in München. Man hat die Dinge viel mehr geschätzt. Für mich war das etwas ganz Besonderes, dass ich in diese gelbe Telefonzelle gehen durfte und meine Mama anrufen konnte. Es gab kein Handy.

Gab es damals auch schon ein Jugendhaus beim FC Bayern?

Nein, ich habe eine Wohnung von der Firma gestellt bekommen, bei der ich die Ausbildung absolviert habe.

Wie gut konnten Sie die Ausbildung mit dem Training koordinieren?

Die Schule und alles andere war an den Fußball angepasst. Die allgemeinen Werte waren ganz anders. Ich habe meiner Mama einen Brief geschrieben. Handschriftlich. Und meine Mama hat mir auch so geantwortet. Dann bin ich jeden Tag von der Schule oder vom Training nach Hause gegangen und habe den Briefkasten mit so einem Herzschlagen aufgemacht. Wenn ein Brief darin war – zwölf Seiten, die mir meine Mama abends am Tisch geschrieben hat, als mein Vater und mein Bruder schon schliefen, dann konnte ich mir das exakt vorstellen: Der Geruch der Küche, in der ich aufgewachsen bin. Ich finde es schade, dass viele Menschen diese Werte heute verloren haben und dass soziale Medien alles andere übertreffen. Nichtsdestotrotz ist die Technik heute sehr vorteilhaft. Ich hätte damals alles gegeben, wenn ich einen Videoanruf hätte tätigen können. Alles hat Vor- und Nachteile.

Wie haben Sie die Zeit beim FC Bayern erlebt? Wie schnell wurden Sie integriert?

Die ganze Mannschaft hatte Respekt vor mir, dass ich alleine in Deutschland war. Und ich war für alle etwas ganz Besonderes – ich hatte hier zwar nicht meine Eltern und auch keine Unterstützung von anderen Außenstehenden – aber ich war der einzige in der Mannschaft, der eine eigene Wohnung hatte. Da war der Neid schon extrem. Mein Trainer war damals Gerd Müller, der Co-Trainer war Jürgen Press.

Wussten Sie schon vorher, wer Gerd Müller ist?

Ja, wir hatten einen Fernseher und als Kind waren mir Namen wie Müller, Beckenbauer, Maier und Breitner bekannt. In München habe ich ihn dann zum ersten Mal in Echt gesehen. Ich habe das erst viel später verstanden, aber das Schicksal, das Gerd Müller nach seiner Zeit als Fußballprofi getroffen hat, hat ihn vielleicht menschlicher gemacht. Ich habe mich mit ihm ein paar Mal unterhalten. Die Gespräche waren für mich von großer Bedeutung. Wenn ich Heimweh hatte oder wenn mich irgendetwas geärgert hat, hat er mir zugehört und er hat mich verstanden. Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich darüber spreche. Also, ein totales Gegenteil von Sepp Maier. Dieser war mein Torwarttrainer. Das war eben harte Schule. Da war Gerd Müller menschlicher. Der Co-Trainer war der Coach, und Gerd Müller war der Mentor. Ich hatte eine sehr schöne Zeit in München. Und in der Bewunderung der ganzen Profis wie Kahn, Helmer, Matthäus, Basler, Ziege, Nerlinger und Klinsmann, das war schon etwas Besonderes.

 

In der Welt der Proficlubs

Wie lange hat es gedauert, bis Sie das alles realisiert haben? Sie wurden da ja richtig ins kalte Wasser geschmissen: Ein neues Land, eine neue Sprache, eine neue Kultur und der große FC Bayern München.

Für mich war das dadurch, dass ich in der Tschechoslowakei in der Schule in einer Mannschaft des besten Vereins war, von den spielerischen Elementen her kein großer Unterschied. Mein Team in der Tschechoslowakei war auch nicht schlecht. Wir waren von den technischen und taktischen Elementen her nicht so gut wie die Spieler beim FC Bayern, aber wir konnten besser laufen und härter arbeiten als diese. Wir konnten in der Tschechoslowakei vielleicht zwei, drei Finten mit einem Übersteiger, und Schere und Zickzack. Aber wir konnten nicht Zidane und Doppelpass. Also, das Spiel von Bayern war schon anders.

Wie ging es weiter? Sie haben ja sehr oft den Verein gewechselt…

Ja, leider. Auf Grund der Qualität wurde ich beim FC Bayern nicht übernommen. Es gab einfach bessere. Zum einen Tomic. Dieser musste dann auch wechseln, als Gospodarek kam und Ersatz von Oliver Kahn wurde. Tomic ist Augenthaler damals nach Graz gefolgt und ich bin zu Lazio Rom gegangen. Dort war Dino Zoff als Präsident tätig. Er war mit Trappatoni befreundet, welcher damals Trainer beim FC Bayern München war. Mein Landsmann bei Lazio Rom war Pavel Nedvěd. So kam ich nach Italien. Aber leider gab es eine Regel, auf Grund derer nur drei EU-Ausländer spielen durften, und somit bin ich gleich nach Wien weiter. Dort hat es auch nicht so richtig funktioniert. Ich habe es leider immer nur geschafft, die Nummer 1 in der B-Mannschaft zu sein. Also in dieser U21, U23 damals: der Zweiten. Es war so ähnlich wie es jetzt hier in Regensburg mit dem dritten Torwart ist. Er trainiert zwar mit und ist im täglichen Geschäft mit drinnen. Aber wenn es dann um die Spiele geht, ist er nicht im Kader.

Dann habe ich mein Glück versucht, so schnell wie möglich auf Profilevel zu kommen, und mich entschieden, von dieser Topliga, also von der deutschen bzw. italienischen, irgendwohin zu gehen, wo ich mehr Chancen bekommen würde. Ich ging nach Wien, wo mich der Trainer aber nicht so mochte. Der Torwarttrainer und der Präsident kamen gut mit mir klar, aber der Cheftrainer hatte ein Problem mit mir. So kam ich in die Schweiz.

Lagen Ihnen die Angebote der Vereine damals schon vor oder haben Sie selbst bei den Clubs angefragt?

Nein. Ich war damals in der Nationalmannschaft. Es gab damals schon ein paar Spieler, die im Ausland gespielt haben. Ich habe mich mit ihnen unterhalten und wusste, wo eventuell ein Torhüter gebraucht werden konnte. Dort habe ich angerufen und gesagt: „Ich komme vorbei“. Dann kam ein entscheidender Punkt: Es gab Interesse eines türkischen Vereins. Für mich war aber die Türkei damals – ich weiß nicht warum – keine Option. Gleichzeitig lernte ich in Zürich einen Italiener kennen, der sehr gute Kontakte nach Amerika hatte. Dort gab es einen Manager, der wiederum Kontakt zu den Metro Stars in New York hatte. Dorthin wechselte Matthäus und ich wechselte zu deren zweiter Mannschaft.

Wie sind Ihre Eltern mit Ihrer Situation umgegangen? Haben sie sich gefreut, dass Sie neue Länder kennen lernen konnten, oder war es für sie eher schwierig, dass Sie weg waren?

In dem Alter, in dem ich diese Möglichkeiten bekommen habe, neue Welten, neue Menschen, neue Mentalitäten, neue Sprachen kennenzulernen, in dieser Zeit waren meine Eltern einfach hinter einer riesigen Mauer und sie waren durch den Kommunismus eingesperrt. Sie haben sich sehr gefreut, dass ich diese Möglichkeit bekommen habe, und haben mich da unterstützt. Wir waren ständig in telefonischem und schriftlichem Kontakt. Heute bin ich sehr dankbar dafür. Ich spreche sieben Sprachen und kenne viele Menschen. Das hat was.

 

Das Essen baut Brücken zwischen den Menschen

Wie haben Sie die Sprachen gelernt? Haben Sie Unterricht genommen oder haben Sie tatsächlich das Wichtigste über den Fußball aufgenommen?

Ich habe leider keine einzige Sprache in einem Kurs gelernt. Daher kann ich keine Sprache perfekt. Nicht einmal meine Muttersprache. Es ist oft so: Wenn ich meiner Mutter eine SMS in unserer Sprache sende, schreibt sie zurück: „Kind, das ist nicht gut“. Mein Urgroßvater war ein amerikanischer Konsul in der Tschechoslowakei. Meine Familie kommt mütterlicherseits aus Ungarn, väterlicherseits aus Amerika. Er kannte dreizehn Sprachen in Wort und Schrift. Wahrscheinlich durfte ich da irgendetwas erben. Ich interessiere mich sehr für neue Kulturen. Auf allen Stationen meiner Karriere ist mir aufgefallen, dass Essen die beste Brücke zwischen den Menschen ist. Es ist ein sehr wichtiges Element, wenn man neue Kulturen kennenlernt. Ich glaube, es gibt kein Geschenk auf diesem Planeten wie ein so ehrliches Lachen oder eine derart positive Ausstrahlung des Gegenübers, wenn man es mit einem guten Essen beeindrucken kann. Ich war einfach oft und sehr gut essen. Man öffnet sich und fängt an zu sprechen. Ich glaube, dass mir die Kommunikation beim Essen diese Scheu und Angst genommen hat, einen grammatischen Fehler zu machen, sodass mich jemand auslachen könnte.

 

Über das Torwarttraining zur damaligen Zeit

Worin hat sich der Trainingsalltag in den Ländern voneinander differenziert? Sie haben schon davon gesprochen, wie es bezüglich der Technik, Taktik, Kondition und dem Zweikampfverhalten war. Wie war zum Beispiel nochmal der Unterschied zwischen dem Training beim FC Bayern und in New York bzw. zwischen dem FCB und Lazio Rom?

Die beste Torwartschule – allgemein das Spiel – war in Rom. Wobei ich ganz ehrlich sagen muss: Ich durfte von diesem Fußballkuchen nur vier Jahre lang kosten. Auf Grund einer schweren Verletzung musste ich meine Karriere als Aktiver sehr früh beenden. Meine Bänder und mein Knie waren so kaputt, dass ich bei einem neuen Verein keinen Medizincheck überstanden hätte. Dann kam eben die Neuorientierung in Richtung Trainerwesen. Ich hab damals einfach alles so gemacht, wie man es mir gesagt hat, aber nicht die Unterschiede gesehen, wie ich sie heute sehe. Damals gab es noch keine Torwarttrainer. Die Ausbildung dazu hat noch nicht existiert. Ich hatte einfach gute Ersatzspieler, die sehr gut schießen konnten. Auch mein Torwarttrainer in Rom konnte sehr gut schießen. Ja, und das war eigentlich das Training. Dass ich durch diese Qualität der Schüsse so nah wie möglich an das Spiel kam.

Und die Antizipation des Torhüters war noch gar kein Thema?

Gar nicht. All das, was ich jetzt mit meinen Torhütern übe und ihnen lerne, wäre damals meines Erachtens eine Revolution gewesen. Ich weiß nicht, ob damals ein Torhüter diese Art von Training hätte absolvieren können.

 

Von der Münchner Disziplin bis zur italienischen Leichtigkeit

Welche Kultur hat Sie am Meisten fasziniert?

Ich glaube, dass die Mischung das Interessante an dem Ganzen ist. Ich mag München sehr: für seine Sauberkeit, für seine gewisse Art von Charme. Mir gefallen die Disziplin und die Ordnung sehr. Wenn ich zu diesem „Münchner Cocktail“ ein Element hinzumische, vermisse ich die Leichtigkeit der Römer, den Stolz der römischen Menschen, die das Leben lieben und genießen. Ich übertreibe jetzt mal ganz bewusst: Für einen Münchner ist es wahrscheinlich wichtig, dass er nach der Arbeit in sein schickes Auto steigt und nach Hause fährt, wo er sich auf sein x-tausend Euro teures Sofa setzt und Nachrichten oder „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ anschaut. Ein Italiener hat kein Auto, er fährt mit einem Fahrrad, welches in Deutschland wahrscheinlich nicht mal den TÜV bestehen würde – wäre ein TÜV erforderlich – und setzt sich mit anderen Menschen an den Tisch, unterhält sich mit ihnen und sie lieben das Leben. Das war eine riesen Lehre für mich. Wirklich toll.

Die Fähigkeit, etwas perfekt zu machen, und gerade die Elemente der Gastronomie derart gekonnt einzusetzen und die Sauberkeit und Ordnung – dahingehend habe ich sehr viel von Wien gelernt. Die Österreicher sind darin echt genial. Dann: Die Pünktlichkeit der Schweizer! Ihr Lebensstil, auch ihre Ordnung und Sauberkeit, das Miteinander, das Respektvolle, das hat mir sehr gut gefallen. Dann kommen wir zu dem krassesten Abschnitt meiner Laufbahn als Spieler: Ich glaube, es gibt nur wenige Städte auf diesem Planeten, in denen mindestens eine Person von allen Völkern der Erde lebt, und das ist New York City. Ich denke, dass die zweite Dubai sein müsste. Für mich hat New York vom Fußballerischen her gar keine Weiterentwicklung bedeutet. Aber kulturell betrachtet auf jeden Fall.

Gibt es eine Anekdote, die Sie – vielleicht damals, auf Grund der Sprachunterschiede – erlebt haben?

Als ich mit 15 Jahren nach Deutschland kam, konnte man sich über den Teletext – soziale Medien gab es damals noch nicht – daten. Darüber haben drei meiner Mitspieler vier Mädels gedatet und mich gefragt, ob ich mitkommen möchte. Ich sprach kein richtiges Deutsch und sagte nur: „Ja, gut, ich komme mit. Wie viel Geld muss ich mitnehmen?“. Einer meinte, dass fünf Mark reichen würden. Davon konnte man sich damals ein Spezi und eine Leberkäsesemmel kaufen: also eine super Sportlerernährung (lacht). Wir haben uns dann tatsächlich mit den vier Mädels getroffen. Die anderen haben sich alle miteinander unterhalten. Ich habe kein Wort verstanden. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass es um Horoskope ging. Die Mädchen haben jeden von uns gefragt, welches Sternzeichen wir seien. Als sie mich fragten, was ich sei, habe ich gesagt: „Torwart“. Alle haben gelacht. Sie haben es mir erklärt und ich meinte: „Ja, ok, ich bin Fisch“ (lacht).

 

„In meinem Zimmer hing die Karte des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds“

Wenn Sie nochmal auf Ihre bisherige Zeit im Fußball zurückblicken: Welches war Ihr schönstes Erlebnis?

Das waren ziemlich viele Momente und sehr, sehr schöne Momente in der Jugendzeit. Turniere in England und Mexiko. Für mich war das Reisen, das Kennenlernen der Kulturen das Schönste. Diese Lust auf Neues, etwas zu entdecken. Das war so komisch: In der Jugend war es für meine Mitspieler wichtig, in welche Diskos sie nach dem Spiel gingen. Ich hatte zu der Zeit eine Monatskarte des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV; Anm. von LS) und zu Hause kein Poster von einem Schauspieler oder einer Boyband oder Ähnlichem, sondern die Karte des MVV hängen. Wenn ich einen Tag frei hatte, habe ich einen Blick auf die Karte geworfen und zum Beispiel entschieden: „Ok, ich fahre heute mit der S2 bis zur Endstation nach Petershausen und das ist mein Ausflug. Dort esse ich in einem Restaurant zu Mittag und gehe Spazieren“. So habe ich dann über Holzkirchen, Dachau, Ebersberg, Wolfratshausen und Starnberg die ganze Umgebung kennenlernen wollen. Das war für mich immer etwas Faszinierendes. Ich wollte so viel entdecken und so viel aus der Welt saugen. Und diese Einstellung versuche ich jetzt an meine Schützlinge weiterzugeben.

Ein super Schlusswort. Vielen Dank für das spannende Interview, Herr Barbuscak.

Bitte, sehr gerne.

Die Stadionschule Bielefeld: Fürs Leben lernen

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Exemplarischer Stundenplan in der Stadionschule Bielefeld. Foto: Schatz

Derzeit geht sie immer wieder durch die Medien: Die Stadionschule Bielefeld. „Was ist das?“ und „Warum wird so viel über sie geschrieben?“ fragen sich nun wohl einige von euch. Die Antworten darauf gibt’s hier…

Lernen im Fußballstadion? Unmöglich? Nicht in der Stadionschule Bielefeld. Diese gilt als ein „etwas anderes“ Bildungsangebot für Schulklassen und Jugendgruppen (bis 20 Jahre). „Stadionschule“, das bedeutet, drei Tage lang im Stadion anstatt in einer Schule oder Jugendeinrichtung zu lernen. Aber nicht für Prüfungen, sondern für das Leben.

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Tobias Mittag ist einer der Hauptverantwortlichen der Stadionschule Bielefeld. Foto: Stadionschule Bielefeld

Die Idee, dass man „das Lernen mit dem positiv besetzten Begriff Sport verknüpft, kommt aus England. Birger Schmidt, der Geschäftsführer von Lernort Stadion (Zusammenschluss mehrerer Lernzentren; Anm. von LS), war damals in England und hat die Idee der „Study Support Centre“ mitgebracht. Meine Fan-Projekt-Kollegen Ole Wolff und Jörg Hansmeier haben sich im Anschluss durch die ersten Lernzentren in Bochum und Dortmund inspirieren lassen und einen Probelauf in Bielefeld gestartet, eine Schulklasse ins Stadion zu holen und dieser verschiedene Berufsfelder vorzustellen“, so Tobias Mittag, Mitarbeiter der Stadionschule Bielefeld.

Inzwischen habe sich das Konzept gewandelt. Wert gelegt wird nun auf folgende Bausteine, die sich in unterschiedlichen Anteilen über die jeweils drei Tage erstrecken: Persönlichkeitsentwicklung, politische Bildung und Berufsorientierung. Dabei stehen statt Mathematik, Deutsch und Englisch Workshops zu den Themen

  • Inklusion
  • Homophobie
  • Rassismus
  • Medienkompetenz
  • Gewaltprävention
  • Zivilcourage

und

  • Teambuilding

auf dem Stundenplan. Das „besondere Lernumfeld, die ,Faszination Stadion‘ und Themen, die mit Fußball zu tun haben“ wirkten sich laut Mittag positiv auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus: „Sie sind super motiviert, sind teils schon früher da, stehen am frühen Morgen vor der Tür und meinen: ,Es war super, wir haben voll Bock!‘“. Dies zeige sich auch durch ihre meist sehr gute Mitarbeit. Zudem führt Mittag an, dass „die Jugendlichen wirklich viel Potential haben – unabhängig von Deutsch oder Mathematik – und dass sie gar nicht so unpolitisch sind, wie viele denken oder wie das immer in den Medien kommuniziert wird. Sie machen sich sehr wohl Gedanken um die Gesellschaft und das so ein bisschen herauszukitzeln, das macht Spaß“.

Er habe die Erfahrung gemacht, dass durch den Lernort Stadion jede und jeder angesprochen wird. Verschiedene Zweifel, dass Heranwachsende, die sich nicht für Fußball interessieren, nicht gerne am Projekt teilnehmen würden, könne er keinesfalls bestätigen: „Auch die Jugendlichen, die sich noch nie mit Fußball beschäftigt haben, sind vom Stadion beeindruckt und erstmal ein Stück weit fasziniert“. Hinzu komme, dass „nicht die Klassen- oder Fachlehrer vor den Jugendlichen stehen, sondern neue Referierende: zum Teil junge Menschen und solche, die eine Geschichte zu erzählen haben“, so Mittag weiter. Darüber hinaus gebe es im Stadion keine klassische Schulsituation, bei der „richtig“ oder „falsch“ geantwortet werden könne.

Hingegen seien die Referent(-in)en wertschätzend, die Workshops seien offen und interaktiv gestaltet. Das Konzept motiviere die Heranwachsenden, sich zu beteiligen. Jede teilnehmende Klasse bzw. Jugendgruppe bekommt einen der Schwerpunkte zugeteilt. Dazu gibt es Übungen sowie interaktive Gruppenarbeiten. Darüber hinaus werden den Jugendlichen verschiedene Berufe näher gebracht. Im Falle der Ernst-Hansen-Schule waren beispielsweise eine Friseurin, ein Koch sowie eine Fachkraft für Schutz und Sicherheit in der Stadionschule zu Gast. Sie haben den Teenagern erklärt, wie ihr Arbeitsalltag abläuft. Im Anschluss konnten sich die Jugendlichen selbst ausprobieren: Während im Besprechungsraum unter der Tribüne Gemüse geschnitten wurde, wurden im Presseraum Frisuren gesteckt und Nägel lackiert. So konnten die Jugendlichen herausfinden, was ihnen eher liegt und was nicht: „Ich interessiere mich für das kreative und künstlerische und will später auf jeden Fall in diesem Bereich arbeiten“, war sich Aliena Boge nach den Kurzworkshops zu den verschiedenen Berufen sicher.

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Sascha Nottebrock gefiel es in der Stadionschule Bielefeld. Foto: Schatz

Neben den Einblicken in die Berufsfelder bekamen die Schülerinnen und Schüler auch eine Stadionführung hinter die Kulissen der SchücoArena. Der 13-jährige Sascha Nottebrock zeigte sich begeistert: „Wir konnten viele Bereiche sehen, waren in der Heim- und der Gästekabine und im Spielertunnel, in welchen an den Spieltagen eigentlich nur die Spieler und die Einlaufkinder hineindürfen. Wir haben viel über das Stadion an sich erfahren und waren sogar auf dem Rasen. Es war sehr interessant, mal so ein Stadion zu sehen – vor allem die Orte, die man sonst nie zu Gesicht bekommt“.

 

Fair Play stand im Mittelpunkt

In den Workshopeinheiten beschäftigte sich die Klasse der Ernst-Hansen-Schule mit dem Thema Fair Play. In Form eines Spiels mussten die Jugendlichen Teamarbeit leisten: „Wir sollten uns vorstellen, dass wir zusammen mit dem Bus zu einem Heimspiel fahren. Die Aufgabe war, die Plätze zu wechseln, ohne, dass wir uns absprechen. Es ging darum, Blickkontakt zu halten, respektvoll mit den anderen umzugehen und die Plätze zu tauschen, ohne zu stolpern oder jemanden zu rempeln“, so Boge. Darüber hinaus erarbeiteten die Jugendlichen zahlreiche Stichpunkte zu einem fairen Miteinander, die sie mit Hilfe eines Flipcharts präsentierten. Von den eigenen Verhaltensweisen über die persönlichen Einstellungen, das Äußere bis hin zu Konfliktfähigkeit waren viele Themenbereiche vertreten. „Ich finde es gut, dass wir über Respekt sprechen“, meinte Nottebrock.

Abgerundet wurde die dreitägige Veranstaltung durch ein Spielerinterview mit DSC-Profi Manuel Prietl. In einer halbstündigen Einheit bereiteten die Schülerinnen und Schüler Fragen an den Fußballprofi vor. Im Anschluss nahm er sich Zeit zu antworten und erfüllte alle Foto- und Autogrammwünsche.

Insgesamt habe die Stadionschule den Schülerinnen und Schülern viel Spaß gemacht. Sie war und ist wohl eine gelungene Abwechslung zum Schulalltag: „Vor allem die Teamarbeit hat mir gefallen und dass man hier so viel lernen kann“, zog Boge ein Fazit, und auch Nottebrock „fand es cool“. Er habe „gelernt, was im Leben und im Beruf wichtig ist: So zum Beispiel die persönliche Einstellung, Konfliktfähigkeit und auch die Bereiche Kommunikation und Sprache“.

 

Die Stadionschule als Erfolgsgarant

Anerkennung erfuhr das Projekt 2012, als es den „365 Orte im Land der Ideen“-Wettbewerb gewann und auch durch die Verleihung des bronzenen „Stern des Sports“ in diesem Jahr. Dass die Stadionschule Bielefeld ein Erfolgsgarant ist, beweisen zudem die Zahlen. „Bislang hatten wir in diesem Jahr in 22 Durchgängen 418 Jugendliche zu Gast. Zudem gab es Zusatzveranstaltungen, sodass wir 2016 auf insgesamt 500 bis 600 Teilnehmer/-innen kommen werden“, fasste Mittag zusammen.

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Seit Beginn der Stadionschule Bielefeld gab es bereits mehr als 2.300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Foto: Stadionschule Bielefeld

Die Anzahl der Nachfragen sei „viel größer als die Angebotsmöglichkeiten“. Mittag fügte hinzu: „Wir sind auch zeitlich an Grenzen gestoßen. Auf Grund der Herbst- und der Sommerferien sowie der englischen Wochen mit DFB-Pokalspielen etc. können wir maximal um die 30 Durchgänge machen“.

Persönlichkeitsentwicklung im Profifußball. KOMPASS Mentoring macht’s möglich.

Kordic und Paschke
Sharon Paschke (li.) und Martin Kordic (re.) sind als als Sportmentoren tätig. Foto: KOMPASS Mentoring

Sportmentoring. „Was um alles in der Welt ist das?“ werden sich jetzt wohl viele von euch denken. So ging’s mir auch, als ich auf den Begriff gestoßen bin. Martin Kordic, einer der beiden Geschäftsführer von KOMPASS Mentoring konnte mir im Interview dieses in Deutschland noch relativ unbekannten Berufsfeldes weiterhelfen. Zusammen mit Sharon Paschke arbeitet er als Sportmentor und betreut u. a. die Fußballprofis Marcel Risse und Lewis Holtby. Martin Kordic weiß, was den Leistungssportlern wichtig ist und inwiefern ihnen das Sportmentoring beim Erreichen ihrer Ziele helfen kann.

KOMPASS Mentoring begleitet Menschen, die eine Orientierungshilfe möchten. Hierbei liegt der Hauptfokus auf der Identifizierung von verdeckten Potenzialen und Stärken ihrer Kunden. Dies betrifft eine Vielzahl von Bereichen und hat die jeweilige Persönlichkeitsentwicklung zum Ziel. Das Team von KOMPASS Mentoring begleitet Profisportler, Einzelpersonen und Unternehmer, Mitarbeiter sowie Interessengruppen verschiedener Art.

Eine kurze Information an alle Leser(-innen): Der Begriff „Mentor“ steht für einen Betreuer, als „Mentee“ wird die zu betreuende Person bezeichnet.

 

KICK OFF FÜR EIN NEUES BERUFSFELD

Herr Kordic, wie ist Ihre Idee entstanden, als Sportmentor zu arbeiten? Wann sind Sie diesbezüglich mit Ihrem Kollegen Sharon Paschke ins Gespräch gekommen?

Für unseren Start als Sportmentoren gab es zwei Impulsgeber. Zum einen haben wir einen Förderer und Freund, der in diesem Bereich schon – eher rudimentär – tätig war. Dieser hatte begonnen, ein Netzwerk mit einigen Profisportlern aufzubauen. Seine Idee ging eher in den sozialpädagogischen Bereich hinein. Er war einer der beiden Initiatoren, die uns auf die Idee gebracht haben. Der zweite war mein Cousin, der schon in jungen Jahren professionell Basketball in der NBA spielte. Seinen Weg habe ich damals begleitet. Ich habe ihn nicht als Mentor unterstützt. Als Familienmitglied habe ich seine Laufbahn im Profisport mitverfolgt und gesehen, was das Leben als Profisportler bedeutet. Die Idee entwickelte sich somit über einen längeren Zeitraum.

Was ist der ursprüngliche Gedanke eines Mentors?

Der Sportmentor ist ein Wegbegleiter, der bei seiner Unterstützung den Fokus auf die Stärken, die Ressourcen, die Persönlichkeit und die Menschlichkeit legt. Ich habe eine klare Abgrenzung vom Mentor zum Coach. Das heißt, ich kann einem Profifußballer nicht sagen, wie er besser Fußball spielen kann. Ich kann es nicht besser als er. Ich als Mentor kann als Vorbild und Ansprechpartner fungieren. Mit einem Sportmentor an der Seite erhöht sich die Chance, dass sich emotionale Störfaktoren reduzieren und sich Konzentration und Produktivität steigern und auch völlig neue Leistungsebenen zu erreichen. Höchstleistung auf Abruf bereitstellen, Wettkampfblockaden abbauen, Entspannung und Regeneration beschleunigen.

Was hat Sie daran glauben lassen, dass Sie im Feld des Sportmentorings erfolgreich sein können? Vor allem in einer Sportwelt, in der das Leistungsprinzip an vorderster Stelle steht?

Für den Erfolg im Sportmentoring sind zwei Dinge fundamental: die Beziehung zwischen dem Mentor und dem Mentee, zudem das Wissens des Mentors, dass seine Methode funktioniert. Ich stelle die Bedürfnisse des Kunden vor meine eigenen. Ich bin davon überzeugt, dass dies ein wichtiger Bestandteil für Erfolg ist. Losgelöst davon, ob es hierbei um ein Unternehmen oder die Begleitung eines Sportlers geht. Das ist sozusagen unser Weltbild, das sich auf den Sport übertragen hat. Profifußballer werden in der Öffentlichkeit oft als eine Art Lichtgestalt wahrgenommen – ein „Messias des Fußballs“. Für unsere Arbeit ist der Blick auf den Menschen als solches wichtig. Seine Persönlichkeit, seine Stärken, seine Potenziale. Was kann ihn fördern, was hemmt seine Persönlichkeitsentwicklung. Wie kann er alles aus sich herausholen, was in ihm angelegt ist. Das ist der grundsätzliche Ansatz unserer Arbeit bei KOMPASS Mentoring. Den übertragen wir 1:1 auf den Sportbereich.

 

ZU DEN AUFGABEN EINES SPORTMENTORS

Wie würden Sie Ihren Arbeitsalltag beschreiben?

Der Arbeitsalltag als Sportmentor im Fußball richtet sich sehr nach den Spielplänen. Die telefonische Begleitung der Mentees erfolgt vor und nach den jeweiligen Spielen. Der Zeitumfang liegt hier jeweils bei ein bis zwei Stunden. Persönliche Treffen finden in der Regel mindestens einmal im Monat statt. Hier arbeiten wir ein bis zwei Tage sehr intensiv. Zu allen weiteren Themenbereichen, die unsere Begleitung umfasst, sind wir zudem in Kontakt über Telefon und sonstigen digitalen Medien und weiteren persönlichen Treffen.

Welche Themen stehen bei den von Ihnen betreuten Sportlern im Vordergrund?

Das Schwerpunktthema in der Begleitung von Fußballprofis ist die Leistung bzw. Fokussierung auf dem Platz. Es geht um Mentaltraining, um standardisierte Abläufe. Wie kann man emotionale Störfaktoren reduzieren, Konzentration und Produktivität steigern und auch völlig neue Leistungsebenen erreichen. Daneben stehen persönliche Themen im Vordergrund.

 

EIN (NOCH) UNBEKANNTES FELD MIT GROßEM POTENTIAL

Weshalb ist das Sportmentoring in Deutschland Ihres Erachtens noch so unbekannt? Denken Sie, dass die Vereine in naher Zukunft mehr auf Sportmentoren bauen? Bitte begründen Sie Ihre Antwort.

Grundsätzlich sind wir in Deutschland sehr leistungsorientiert. Es ist zu beobachten, dass man nun vermehrt die Steigerung von Leistung in Verbindung mit Persönlichkeitsentwicklung bringt. Im privaten Bereich wie auch im beruflichen Umfeld. Dies zeigt sich auch im Sportbereich. Hier sind die USA ein Vorreiter. Beispielsweise sind dort Mentaltrainer im Sportbereich schon lange ein Standard und genießen hohes Ansehen. Dies ist hierzulande noch nicht der Fall. Ich bin sicher, dass Vereine diese Komponente vermehrt ausbauen, da hier ein enormes Potenzial zur Leistungssteigerung liegt. Und für den Bereich der Persönlichkeitsentwicklung gibt es dann die Sportmentoren.

 

ÜBER DAS QUERDENKEN VON MENTOR UND MENTEE

Wie wichtig ist Querdenken in Ihrem Beruf?

Sehr wichtig. Verschiedene Perspektiven einzunehmen und Dinge zu hinterfragen, das sind zwei Faktoren, die einen Mentor auszeichnen. Mal in den Hubschrauber zu steigen und eine Situation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, die eigene Erfahrung einfließen zu lassen und zu hinterfragen, wozu gewisse Situationen oder Herausforderungen dienen, die mir das Leben stellt und nicht nur den Problemfokus zu haben, sondern zu überlegen, wie man eine Lösung findet. Grundsätzlich habe ich als Mentor die Aufgabe, dem Mentee andere Perspektiven aufzuzeigen und ihm so zu helfen aus dieser einen Perspektive, die man manchmal nur hat, herauszukommen. Von daher würde ich sagen, dass Querdenken für mich essentiell ist.

In Sharon Paschkes Buch wird beschrieben, dass Profis auch „normale Alltagssituationen“ kennen lernen sollen. Er führt beispielhaft an, dass ein Mentor mit seinem Mentee acht Stunden lang Schrauben in einer Werkzeugfabrik sortieren könnte. Am Abend könne der Mentee dann den Tageslohn (hier 75 Euro) erhalten und damit für eine vierköpfige Familie für ein Abendessen einkaufen. Wie reagieren Ihre Mentees auf „Aktionen“ dieser Art?

Die Spieler nehmen das sehr ernst. Das sind die Situationen, die uns meines Erachtens auch auszeichnen. Dass man sagt: „Stopp. Anhalten und wahrnehmen“, nach dem Motto: „Was passiert hier gerade?“. Durch solche Aktionen sollen die Spieler die „Basis“ kennen lernen. Es geht hier um Demut, Dankbarkeit und Wertschätzung ihrer Situation. Das sind meiner Meinung nach die Punkte, welche Menschen – Profisportler eventuell extremer – sehr schnell aus dem Fokus verlieren. Dass sie sich beispielsweise alle Probleme der Welt aufladen und keine Dankbarkeit dafür empfinden, dass sie einen gesunden Körper haben. Es ist wichtig, einfach mal zu stoppen, sich zu fragen, was im eigenen Leben gerade los ist und wofür man gerade dankbar sein kann. Ich glaube, dass dieser Perspektivenwechsel im Sport auch sehr wichtig ist. Für Leistungssportler ist es von Bedeutung, dass sie immer wieder von jemandem daran erinnert werden, den Blickwinkel zu ändern. Aber ich glaube auch, dass das grundsätzlich für uns alle sehr, sehr wichtig ist.

 

GRUNDSÄTZE EINER GUTEN ZUSAMMENARBEIT

Was ist Ihnen bei der Zusammenarbeit mit Ihren Mentees aus dem Leistungssportbereich am wichtigsten? Welche Aspekte bilden das Grundgerüst einer guten und erfolgreichen Zusammenarbeit?

In dieser Beziehung ist das Vertrauen am wichtigsten. Dass die Sportler uns alles anvertrauen können, was anliegt und was sie beschäftigt. Das ist auch die zwingende Voraussetzung, dass die Zusammenarbeit überhaupt funktioniert. Diese hundertprozentige Vertrautheit und Verschwiegenheit ist der Hauptfaktor, das Hauptkriterium für eine erfolgreiche Kooperation. Ich weiß, dass das ein Satz ist, der sehr inflationär benutzt wird, den viele Firmen auf ihre Fahne schreiben. Aber bei uns ist dieser essentiell wichtig.

 

ZUM BERUFSEINSTIEG

Wenn sich eine(-r) der Leser(-innen) jetzt für Ihren Beruf interessiert, wie kann sie bzw. er sich am besten auf den Beruf als Sportmentor/-in vorbereiten?

Ich denke, dass beispielsweise ein Fernstudium zum Sport- und Mentaltrainer, das gerade einer, der von uns betreuten Spieler absolviert hat, einen guten Einstieg bietet. Allerdings gibt es keinen klassischen Einstieg. Kenntnisse im Bereich Mentaltraining oder auch Sozialpädagogik bzw. Supervision machen den Einstieg auch leichter. Hinzu kommt natürlich die Lebenserfahrung, die man in verschiedenen Feldern gesammelt hat.

Vielen Dank für das Interview, Herr Kordic.

Vielen Dank.

 

-> Mehr Informationen zum Sportmentoring sind hier zu finden.