Interview mit Kristian Barbuscak

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Kristian Barbuscak ist seit November 2014 als Torwarttrainer beim SSV Jahn Regensburg tätig. Foto: Lisa Schatz

Fußball international. Als ich beim Training des Drittligisten SSV Jahn Regensburg zusah, fiel mir der Perfektionismus des Torwarttrainers, Kristian Barbuscak, auf. Aufbau und Durchführung der Trainingseinheit: absolut akribisch. Seine Schüsse: perfekt gespielt. Er ließ seine Jungs mit Augenklappen trainieren und baute weitere Elemente ein, die ich bislang selten oder nie bei anderen Torwarttrainern beobachtet habe. Nach dem Training sprach ich ihn an und lernte einen weltoffenen Menschen mit einer äußerst interessanten Hintergrundgeschichte kennen. Er kam im Alter von 15 Jahren alleine nach Deutschland, um beim FC Bayern München zu spielen und eine Ausbildung zu absolvieren. Danach ging es über Lazio Rom, Austria Wien und die Grashoppers Zürich zu den New York Metro Stars. Als er mir davon erzählte, wurde ich neugierig und beschloss, euch seine einzigartige Geschichte in Form eines Interviews näherzubringen.

Herr Barbuscak, wollten Sie schon immer im Profifußball arbeiten oder gab es zwischendurch auch andere Pläne?

Unbedingt. Für mich als aktiver Torhüter hat sich diese Leidenschaft einfach nie in Frage gestellt. Mich haben zwei Schwerpunkte im Fußball interessiert: Der des Torwarttrainers, was ich jetzt ausüben darf, und auch der organisatorische Bereich, also das Teammanagement. Ich durfte ziemlich viele Hospitanzen machen, fast weltweit. Bei diesen war für mich nicht nur das spezifische Torwarttraining der Kollegen wichtig, bei welchem ich sehr viel lernen durfte. Für mich war es auch von großer Bedeutung, mich mit dem Busfahrer, Zeugwart, Fanshop-Mitarbeiter, mit der Sekretärin der Geschäftsführung, mit dem Koch und dem Teammanager zu unterhalten. Das hat mir sehr gut gefallen. Angenommen, ich dürfte nicht Torwarttrainer sein, dann wäre ich wohl Teammanager.

 

„Gerade die Stimmen der Menschen im Hintergrund sind wichtig“

Sie haben schon perfekt übergeleitet. Wie wichtig ist Ihnen Querdenken? Gerade, wie Sie es gerade formuliert haben, und inwieweit fließt es in das Torwarttraining mit ein?

Von außen betrachtet sehen viele den Fußball wohl so: Es gibt einen Kader mit 24 Spielern und den Trainerstab von vier Personen und das war’s. Aber im Fußball sind viel, viel, viel mehr Menschen wichtig. Viel mehr. Und die Stimmen gerade den Mitarbeitern oder den Leuten zu geben, die nicht im Fokus stehen, sondern Drumherum, im Hintergrund für den Verein arbeiten, das ist von hoher Bedeutung. Diese Stimmen sind sehr wichtig. Gerade für mich. Wie sich das im Torwarttraining widerspiegelt? Wahrscheinlich gar nicht direkt. Aber da ich durch meine Erfahrung gelernt habe diesen Menschen zuzuhören, kann ich das Aufgenommene quasi in meiner Arbeit integrieren und insofern – wenn ich die guten oder die schlechten Launen des Torhüters erkenne – darauf reagieren oder entsprechend agieren.

Also auch in Richtung Persönlichkeitsentwicklung?

Definitiv. Wenn sich der Torhüter aufregt, dass der Platz nicht perfekt gemacht worden ist und ich mich sowieso noch mehr darüber aufrege, jedoch weiß, warum der Platz nicht so gemacht werden kann wie beim FC Bayern oder Real Madrid, versuche ich mich erstmal in die Lage des Platzwartes zu versetzen und dann schließe ich eine Brücke zwischen seinem Bereich und meinem Bereich. Dann versuche ich eine gute Stimmung zu erschaffen.

 

Über das Ballett zum Fußball

Wie sind Sie überhaupt zum Fußball gekommen?

Ich hatte leider mit vier Jahren einen Unfall, nach welchem mein kleiner Finger amputiert wurde. Nach der Amputation war ich als Kind in einem Schockzustand über mehrere Wochen. In der Zeit habe ich nicht gesprochen, ich war wirklich total still. Nach beliebigen Fragen meiner Eltern, vor allem von meiner Mutter, ob ich Hunger habe, ob ich Süßigkeiten möchte, Geschenke, ob ich sie liebe, habe ich keine Antwort von mir gegeben. Sie haben versucht verschiedene Therapien einzusetzen. Sie sind zum Beispiel mit mir ins Kino gegangen. Aber ich war immer traurig und durch die Amputation gekennzeichnet. Eines Tages gingen wir zum russischen Staatsballett. Ich habe gesehen, wie die Menschen elegant tanzten und angefangen zu reden. Dann brachte mich meine Mama in die Tanzschule und dann habe ich im Alter von fünf Jahren ungefähr zehn Monate lang Ballettübungen gemacht. Man sagte mir damals, dass ich sehr talentiert sei, und ich bin sehr gerne dorthin gegangen. Ich war der einzige Junge dort bei den Mädels und meine Mutter fand es toll, aber nicht bezüglich des Sports, sondern dass ich wieder angefangen habe zu reden und mich normal zu verhalten.

Weshalb hat Sie gerade das Ballett derart fasziniert, dass Sie wieder begonnen haben zu sprechen?

Ich weiß es nicht. Warum gerade Ballett, warum nicht Kino oder Pferde? Meine Eltern haben so viel versucht. Ich weiß nicht, wieso Ballett. Wahrscheinlich die Eleganz, das Gefühl für Feinheit und für Perfektionismus. Mein Dad war selbst Sportler, aber nicht im Ballsport, sondern er ist Fahrrad gefahren. Er hat sich die Entwicklung meiner Person in diesem einen Jahr angeschaut. Als er eines Tages nach Hause kam, hat er angedeutet: „Ja, das ist nix für Jungs. Also schon, aber man entwickelt sich zu einer anderen Art von Männlichkeit“. Er entschied: „Ab morgen spielst du Fußball“. Dann habe ich mit dem Ballett aufgehört.

Einfach so, ohne Widerrede?

Ja, ich habe gesagt, ich möchte nicht mehr. Ich war sechs Jahre alt. Ich bin im Kommunismus aufgewachsen. Bei uns in der Tschechoslowakei – gerade was den Sport anbelangte –  wenn man talentiert war, wurde man gefördert. Man wurde gleich der Elite zugeordnet und so kam ich zu einer Aufnahmeprüfung zu einem Verein, der das in der Tschechoslowakei war, was der FC Bayern München für Deutschland ist: Slovan Bratislava. Dort gab es eine eigene Sportschule mit Eliteklasse. Dort musste ich eine einwöchige Aufnahmeprüfung machen. Die letzten beiden Tage waren nur Spiele. Es wurde schnell aussortiert, ohne jegliches Gefühl für den Menschen. Das war damals im Kommunismus so. Ich habe es geschafft, unter die besten Hundert zu kommen. Zwanzig Spieler und zwei Torhüter wurden genommen. An den beiden Tagen mit den Spielen waren mehrere Trainer anwesend. Die Gruppe, in der ich war, wurde von einem Trainer gefragt: „Möchte jemand von euch freiwillig ins Tor gehen?“. Ein Kind zeigte auf mich und sagte: „Den brauchst du nicht fragen, weil er nur neun Finger hat“. Und das im Alter von sechs Jahren! Da habe ich mir gedacht: „So, jetzt erst recht“. Heute bin ich dankbar dafür, dass der Junge das gesagt hat, weil ich sonst nicht da wäre, wo ich bin. Somit war mein ganzes Leben durch mein Handicap geprägt: Ich musste immer mehr trainieren als die anderen. Ich war häufiger verletzt als die anderen. Der Finger neben dem amputierten war oft ausgekugelt. Aber das war für mich nie eine Entschuldigung. Ich habe immer mehr an der Sprungkraft gearbeitet, an der Reaktionsschnelligkeit. Ich war nicht talentiert. Im Kommunismus gab es kein Talent. Man hat hart gearbeitet. So richtig hart, ja. So kam ich zum Fußball.

 

Von der Tschechoslowakei zum FC Bayern – im Alter von 15 Jahren…

Wie ging es danach weiter?

Bis zu meinem 15. Lebensjahr war ich in der Elite. Diese beendete ich mit dem Hauptschulabschluss. Das war damals so. Danach konnte man noch das Abitur oder eine Ausbildung machen. Aber für mich ging’s nach Deutschland. Meine Eltern blieben in der Tschechoslowakei. Es gab im Jahr 1992 ein Turnier in der Nähe von Fürth, bei dem ich mit der Nationalmannschaft oder mit der Auswahl dabei war. Ich habe damals ein paar ganz gute Bälle gehalten. Dort wurde man auf mich aufmerksam. Im selben Jahr bot – durch die Grenzöffnung – die Bayerische Bauindustrie der Tschechoslowakei eine Kooperation an. Die – vom Schulergebnis her – fünfzig besten Kinder bekamen die Chance, eine Ausbildung in Bayern zu machen. Und es kamen 51 Kinder nach Bayern… Wir mussten an einem Schnelldeutschkurs teilnehmen, um eben eine Ausbildung in Deutschland machen zu können. Schon vorher wurde ausgemacht, dass ich auf Grund des Fußballs, eine Ausbildung in München machen muss wegen des FC Bayern. Ich kam her, habe mich gleich verletzt. Erste OP, am Meniskus. Dann wurde ich zwei Jahre an die SpVgg Unterhaching ausgeliehen. Dort spielte ich zwei Jahre und kam dann zurück zum FC Bayern.

Wie war es in dieser Zeit mit dem Heimfahren, mit Heim- und Fernweh? Oder haben Sie sich erstmal gefreut, ein Abenteuer zu erleben und in ein neues Land zu kommen?

Ich kam mit 15 Jahren hierher und bekam eine eigene Wohnung. Am Anfang war das Ganze schon etwas seltsam für mich. Meine Eltern zum Beispiel mussten acht Jahre lang für eine Mikrowelle sparen, welche es bei uns nicht gab. Dann ging die Grenze auf und wir haben uns diese Mikrowelle gekauft. Ich bin im Plattenbau aufgewachsen. In dem einen großen Block, in welchem vierzig Familien gewohnt haben, hatten wir als einzige eine Mikrowelle. Ein Nachbar hatte einen Videorekorder. Ich kam nach Deutschland und hatte alles. Mein erster Gedanke war, alles mit nach Hause zu nehmen und zu verschenken. Bei uns im Supermarkt gab es nur zwei Marmeladen: eine rote und eine gelbe. Und wir waren alle glücklich und zufrieden. Da gab es keinen Streit. Man kannte nichts anderes. Und da kam ich hierher und es gab vierzig verschiedene Marmeladen. Und dann gab es Menschen, die eine bestimmte wollten, die es gerade nicht gab und sie regten sich voll auf und für sie war der ganze Tag im Eimer (nachdenklich).

Also, die ersten Monate waren ganz cool für mich, weil ich das erste Kind war, das – was Fußball anbelangte – aus der Tschechoslowakei zum FC Bayern oder hier nach Deutschland gewechselt ist. Man wird mit so vielen materiellen Sachen konfrontiert. Als Kind habe ich in der Tschechoslowakei eine Trainingshose bekommen, ohne Marke. Und ich habe eine Regenjacke und Gummifußballschuhe erhalten und das war’s. Hier in Bayern habe ich auf einmal drei kurze und drei lange Trainingsanzüge bekommen sowie zwanzig Paar Handschuhe mit Logo. Wirklich unvorstellbar. Die ersten drei Monate waren nur Kennenlernen und ich habe zum ersten Mal in meinem Leben einen echten Porsche gesehen, nicht nur als Matchbox-Auto. Und der Supermarkt! Im Regal habe ich für meine Mikrowelle Fertiggerichte in x verschiedenen Variationen gesehen. Also, das war schon heftig.

 

Als man die Dinge noch viel mehr zu schätzen wusste…

Dann gab’s den ersten Urlaub über Weihnachten. Damals war ich zwei Wochen zu Hause. Ich kam heim und hab mich wie ein kleiner Star gefühlt. Alle wollten wissen, wie es draußen sei, und alle haben mich bewundert und die neuen Klamotten, die ich anhatte. Als ich hierher zurückkam, musste ich hart arbeiten. Hier habe ich keine Bewunderung erfahren. Von niemandem. Dann bekam ich Heimweh. Mir haben meine Freunde gefehlt, extrem meine Eltern. Ich war alleine und habe viel weinen müssen und dürfen. Nach den Spielen war es für mich immer sehr schwierig: Die anderen Spieler sind da mit ihren Familien immer gleich essen gegangen, Omas, Opas und Tanten waren da. Ich bin dann alleine in die Straßenbahn gestiegen und nach Hause gefahren. Also, es war eine enorm harte und gute Schule fürs Leben. Ich würde es wieder machen. Zu der Zeit, in der ich mich befand.

Ich habe einen 13-jährigen Sohn. Angenommen, er hätte jetzt die Gelegenheit, dass er mit Fünfzehn von Deutschland nach Amerika oder England – aber heute kann man das nicht so vergleichen – kommen könnte, glaube ich, dass ich mit ihm mitgehen würde. Aber zu der Zeit damals war die Welt noch mehr „in Ordnung“. Gerade in Bayern und gerade in München. Man hat die Dinge viel mehr geschätzt. Für mich war das etwas ganz Besonderes, dass ich in diese gelbe Telefonzelle gehen durfte und meine Mama anrufen konnte. Es gab kein Handy.

Gab es damals auch schon ein Jugendhaus beim FC Bayern?

Nein, ich habe eine Wohnung von der Firma gestellt bekommen, bei der ich die Ausbildung absolviert habe.

Wie gut konnten Sie die Ausbildung mit dem Training koordinieren?

Die Schule und alles andere war an den Fußball angepasst. Die allgemeinen Werte waren ganz anders. Ich habe meiner Mama einen Brief geschrieben. Handschriftlich. Und meine Mama hat mir auch so geantwortet. Dann bin ich jeden Tag von der Schule oder vom Training nach Hause gegangen und habe den Briefkasten mit so einem Herzschlagen aufgemacht. Wenn ein Brief darin war – zwölf Seiten, die mir meine Mama abends am Tisch geschrieben hat, als mein Vater und mein Bruder schon schliefen, dann konnte ich mir das exakt vorstellen: Der Geruch der Küche, in der ich aufgewachsen bin. Ich finde es schade, dass viele Menschen diese Werte heute verloren haben und dass soziale Medien alles andere übertreffen. Nichtsdestotrotz ist die Technik heute sehr vorteilhaft. Ich hätte damals alles gegeben, wenn ich einen Videoanruf hätte tätigen können. Alles hat Vor- und Nachteile.

Wie haben Sie die Zeit beim FC Bayern erlebt? Wie schnell wurden Sie integriert?

Die ganze Mannschaft hatte Respekt vor mir, dass ich alleine in Deutschland war. Und ich war für alle etwas ganz Besonderes – ich hatte hier zwar nicht meine Eltern und auch keine Unterstützung von anderen Außenstehenden – aber ich war der einzige in der Mannschaft, der eine eigene Wohnung hatte. Da war der Neid schon extrem. Mein Trainer war damals Gerd Müller, der Co-Trainer war Jürgen Press.

Wussten Sie schon vorher, wer Gerd Müller ist?

Ja, wir hatten einen Fernseher und als Kind waren mir Namen wie Müller, Beckenbauer, Maier und Breitner bekannt. In München habe ich ihn dann zum ersten Mal in Echt gesehen. Ich habe das erst viel später verstanden, aber das Schicksal, das Gerd Müller nach seiner Zeit als Fußballprofi getroffen hat, hat ihn vielleicht menschlicher gemacht. Ich habe mich mit ihm ein paar Mal unterhalten. Die Gespräche waren für mich von großer Bedeutung. Wenn ich Heimweh hatte oder wenn mich irgendetwas geärgert hat, hat er mir zugehört und er hat mich verstanden. Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich darüber spreche. Also, ein totales Gegenteil von Sepp Maier. Dieser war mein Torwarttrainer. Das war eben harte Schule. Da war Gerd Müller menschlicher. Der Co-Trainer war der Coach, und Gerd Müller war der Mentor. Ich hatte eine sehr schöne Zeit in München. Und in der Bewunderung der ganzen Profis wie Kahn, Helmer, Matthäus, Basler, Ziege, Nerlinger und Klinsmann, das war schon etwas Besonderes.

 

In der Welt der Proficlubs

Wie lange hat es gedauert, bis Sie das alles realisiert haben? Sie wurden da ja richtig ins kalte Wasser geschmissen: Ein neues Land, eine neue Sprache, eine neue Kultur und der große FC Bayern München.

Für mich war das dadurch, dass ich in der Tschechoslowakei in der Schule in einer Mannschaft des besten Vereins war, von den spielerischen Elementen her kein großer Unterschied. Mein Team in der Tschechoslowakei war auch nicht schlecht. Wir waren von den technischen und taktischen Elementen her nicht so gut wie die Spieler beim FC Bayern, aber wir konnten besser laufen und härter arbeiten als diese. Wir konnten in der Tschechoslowakei vielleicht zwei, drei Finten mit einem Übersteiger, und Schere und Zickzack. Aber wir konnten nicht Zidane und Doppelpass. Also, das Spiel von Bayern war schon anders.

Wie ging es weiter? Sie haben ja sehr oft den Verein gewechselt…

Ja, leider. Auf Grund der Qualität wurde ich beim FC Bayern nicht übernommen. Es gab einfach bessere. Zum einen Tomic. Dieser musste dann auch wechseln, als Gospodarek kam und Ersatz von Oliver Kahn wurde. Tomic ist Augenthaler damals nach Graz gefolgt und ich bin zu Lazio Rom gegangen. Dort war Dino Zoff als Präsident tätig. Er war mit Trappatoni befreundet, welcher damals Trainer beim FC Bayern München war. Mein Landsmann bei Lazio Rom war Pavel Nedvěd. So kam ich nach Italien. Aber leider gab es eine Regel, auf Grund derer nur drei EU-Ausländer spielen durften, und somit bin ich gleich nach Wien weiter. Dort hat es auch nicht so richtig funktioniert. Ich habe es leider immer nur geschafft, die Nummer 1 in der B-Mannschaft zu sein. Also in dieser U21, U23 damals: der Zweiten. Es war so ähnlich wie es jetzt hier in Regensburg mit dem dritten Torwart ist. Er trainiert zwar mit und ist im täglichen Geschäft mit drinnen. Aber wenn es dann um die Spiele geht, ist er nicht im Kader.

Dann habe ich mein Glück versucht, so schnell wie möglich auf Profilevel zu kommen, und mich entschieden, von dieser Topliga, also von der deutschen bzw. italienischen, irgendwohin zu gehen, wo ich mehr Chancen bekommen würde. Ich ging nach Wien, wo mich der Trainer aber nicht so mochte. Der Torwarttrainer und der Präsident kamen gut mit mir klar, aber der Cheftrainer hatte ein Problem mit mir. So kam ich in die Schweiz.

Lagen Ihnen die Angebote der Vereine damals schon vor oder haben Sie selbst bei den Clubs angefragt?

Nein. Ich war damals in der Nationalmannschaft. Es gab damals schon ein paar Spieler, die im Ausland gespielt haben. Ich habe mich mit ihnen unterhalten und wusste, wo eventuell ein Torhüter gebraucht werden konnte. Dort habe ich angerufen und gesagt: „Ich komme vorbei“. Dann kam ein entscheidender Punkt: Es gab Interesse eines türkischen Vereins. Für mich war aber die Türkei damals – ich weiß nicht warum – keine Option. Gleichzeitig lernte ich in Zürich einen Italiener kennen, der sehr gute Kontakte nach Amerika hatte. Dort gab es einen Manager, der wiederum Kontakt zu den Metro Stars in New York hatte. Dorthin wechselte Matthäus und ich wechselte zu deren zweiter Mannschaft.

Wie sind Ihre Eltern mit Ihrer Situation umgegangen? Haben sie sich gefreut, dass Sie neue Länder kennen lernen konnten, oder war es für sie eher schwierig, dass Sie weg waren?

In dem Alter, in dem ich diese Möglichkeiten bekommen habe, neue Welten, neue Menschen, neue Mentalitäten, neue Sprachen kennenzulernen, in dieser Zeit waren meine Eltern einfach hinter einer riesigen Mauer und sie waren durch den Kommunismus eingesperrt. Sie haben sich sehr gefreut, dass ich diese Möglichkeit bekommen habe, und haben mich da unterstützt. Wir waren ständig in telefonischem und schriftlichem Kontakt. Heute bin ich sehr dankbar dafür. Ich spreche sieben Sprachen und kenne viele Menschen. Das hat was.

 

Das Essen baut Brücken zwischen den Menschen

Wie haben Sie die Sprachen gelernt? Haben Sie Unterricht genommen oder haben Sie tatsächlich das Wichtigste über den Fußball aufgenommen?

Ich habe leider keine einzige Sprache in einem Kurs gelernt. Daher kann ich keine Sprache perfekt. Nicht einmal meine Muttersprache. Es ist oft so: Wenn ich meiner Mutter eine SMS in unserer Sprache sende, schreibt sie zurück: „Kind, das ist nicht gut“. Mein Urgroßvater war ein amerikanischer Konsul in der Tschechoslowakei. Meine Familie kommt mütterlicherseits aus Ungarn, väterlicherseits aus Amerika. Er kannte dreizehn Sprachen in Wort und Schrift. Wahrscheinlich durfte ich da irgendetwas erben. Ich interessiere mich sehr für neue Kulturen. Auf allen Stationen meiner Karriere ist mir aufgefallen, dass Essen die beste Brücke zwischen den Menschen ist. Es ist ein sehr wichtiges Element, wenn man neue Kulturen kennenlernt. Ich glaube, es gibt kein Geschenk auf diesem Planeten wie ein so ehrliches Lachen oder eine derart positive Ausstrahlung des Gegenübers, wenn man es mit einem guten Essen beeindrucken kann. Ich war einfach oft und sehr gut essen. Man öffnet sich und fängt an zu sprechen. Ich glaube, dass mir die Kommunikation beim Essen diese Scheu und Angst genommen hat, einen grammatischen Fehler zu machen, sodass mich jemand auslachen könnte.

 

Über das Torwarttraining zur damaligen Zeit

Worin hat sich der Trainingsalltag in den Ländern voneinander differenziert? Sie haben schon davon gesprochen, wie es bezüglich der Technik, Taktik, Kondition und dem Zweikampfverhalten war. Wie war zum Beispiel nochmal der Unterschied zwischen dem Training beim FC Bayern und in New York bzw. zwischen dem FCB und Lazio Rom?

Die beste Torwartschule – allgemein das Spiel – war in Rom. Wobei ich ganz ehrlich sagen muss: Ich durfte von diesem Fußballkuchen nur vier Jahre lang kosten. Auf Grund einer schweren Verletzung musste ich meine Karriere als Aktiver sehr früh beenden. Meine Bänder und mein Knie waren so kaputt, dass ich bei einem neuen Verein keinen Medizincheck überstanden hätte. Dann kam eben die Neuorientierung in Richtung Trainerwesen. Ich hab damals einfach alles so gemacht, wie man es mir gesagt hat, aber nicht die Unterschiede gesehen, wie ich sie heute sehe. Damals gab es noch keine Torwarttrainer. Die Ausbildung dazu hat noch nicht existiert. Ich hatte einfach gute Ersatzspieler, die sehr gut schießen konnten. Auch mein Torwarttrainer in Rom konnte sehr gut schießen. Ja, und das war eigentlich das Training. Dass ich durch diese Qualität der Schüsse so nah wie möglich an das Spiel kam.

Und die Antizipation des Torhüters war noch gar kein Thema?

Gar nicht. All das, was ich jetzt mit meinen Torhütern übe und ihnen lerne, wäre damals meines Erachtens eine Revolution gewesen. Ich weiß nicht, ob damals ein Torhüter diese Art von Training hätte absolvieren können.

 

Von der Münchner Disziplin bis zur italienischen Leichtigkeit

Welche Kultur hat Sie am Meisten fasziniert?

Ich glaube, dass die Mischung das Interessante an dem Ganzen ist. Ich mag München sehr: für seine Sauberkeit, für seine gewisse Art von Charme. Mir gefallen die Disziplin und die Ordnung sehr. Wenn ich zu diesem „Münchner Cocktail“ ein Element hinzumische, vermisse ich die Leichtigkeit der Römer, den Stolz der römischen Menschen, die das Leben lieben und genießen. Ich übertreibe jetzt mal ganz bewusst: Für einen Münchner ist es wahrscheinlich wichtig, dass er nach der Arbeit in sein schickes Auto steigt und nach Hause fährt, wo er sich auf sein x-tausend Euro teures Sofa setzt und Nachrichten oder „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ anschaut. Ein Italiener hat kein Auto, er fährt mit einem Fahrrad, welches in Deutschland wahrscheinlich nicht mal den TÜV bestehen würde – wäre ein TÜV erforderlich – und setzt sich mit anderen Menschen an den Tisch, unterhält sich mit ihnen und sie lieben das Leben. Das war eine riesen Lehre für mich. Wirklich toll.

Die Fähigkeit, etwas perfekt zu machen, und gerade die Elemente der Gastronomie derart gekonnt einzusetzen und die Sauberkeit und Ordnung – dahingehend habe ich sehr viel von Wien gelernt. Die Österreicher sind darin echt genial. Dann: Die Pünktlichkeit der Schweizer! Ihr Lebensstil, auch ihre Ordnung und Sauberkeit, das Miteinander, das Respektvolle, das hat mir sehr gut gefallen. Dann kommen wir zu dem krassesten Abschnitt meiner Laufbahn als Spieler: Ich glaube, es gibt nur wenige Städte auf diesem Planeten, in denen mindestens eine Person von allen Völkern der Erde lebt, und das ist New York City. Ich denke, dass die zweite Dubai sein müsste. Für mich hat New York vom Fußballerischen her gar keine Weiterentwicklung bedeutet. Aber kulturell betrachtet auf jeden Fall.

Gibt es eine Anekdote, die Sie – vielleicht damals, auf Grund der Sprachunterschiede – erlebt haben?

Als ich mit 15 Jahren nach Deutschland kam, konnte man sich über den Teletext – soziale Medien gab es damals noch nicht – daten. Darüber haben drei meiner Mitspieler vier Mädels gedatet und mich gefragt, ob ich mitkommen möchte. Ich sprach kein richtiges Deutsch und sagte nur: „Ja, gut, ich komme mit. Wie viel Geld muss ich mitnehmen?“. Einer meinte, dass fünf Mark reichen würden. Davon konnte man sich damals ein Spezi und eine Leberkäsesemmel kaufen: also eine super Sportlerernährung (lacht). Wir haben uns dann tatsächlich mit den vier Mädels getroffen. Die anderen haben sich alle miteinander unterhalten. Ich habe kein Wort verstanden. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass es um Horoskope ging. Die Mädchen haben jeden von uns gefragt, welches Sternzeichen wir seien. Als sie mich fragten, was ich sei, habe ich gesagt: „Torwart“. Alle haben gelacht. Sie haben es mir erklärt und ich meinte: „Ja, ok, ich bin Fisch“ (lacht).

 

„In meinem Zimmer hing die Karte des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds“

Wenn Sie nochmal auf Ihre bisherige Zeit im Fußball zurückblicken: Welches war Ihr schönstes Erlebnis?

Das waren ziemlich viele Momente und sehr, sehr schöne Momente in der Jugendzeit. Turniere in England und Mexiko. Für mich war das Reisen, das Kennenlernen der Kulturen das Schönste. Diese Lust auf Neues, etwas zu entdecken. Das war so komisch: In der Jugend war es für meine Mitspieler wichtig, in welche Diskos sie nach dem Spiel gingen. Ich hatte zu der Zeit eine Monatskarte des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV; Anm. von LS) und zu Hause kein Poster von einem Schauspieler oder einer Boyband oder Ähnlichem, sondern die Karte des MVV hängen. Wenn ich einen Tag frei hatte, habe ich einen Blick auf die Karte geworfen und zum Beispiel entschieden: „Ok, ich fahre heute mit der S2 bis zur Endstation nach Petershausen und das ist mein Ausflug. Dort esse ich in einem Restaurant zu Mittag und gehe Spazieren“. So habe ich dann über Holzkirchen, Dachau, Ebersberg, Wolfratshausen und Starnberg die ganze Umgebung kennenlernen wollen. Das war für mich immer etwas Faszinierendes. Ich wollte so viel entdecken und so viel aus der Welt saugen. Und diese Einstellung versuche ich jetzt an meine Schützlinge weiterzugeben.

Ein super Schlusswort. Vielen Dank für das spannende Interview, Herr Barbuscak.

Bitte, sehr gerne.

Gerrit Meinke über Arminia Bielefeld, seinen Nebenjob und die Wettbewerbsfähigkeit im Profifußball

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Gerrit Meinke fungiert seit ca. eineinhalb Jahren als Geschäftsführer der DSC Arminia Bielefeld GmbH & Co. KGaA. Foto: Schatz

DSC Arminia Bielefeld. Gerrit Meinke ist Ex-Fußballprofi. Er hat u.a. für Arminia Bielefeld und den SC Paderborn gespielt. Seit Juni 2013 (seit 2013 ALM KG, seit 2015 KGaA) ist der ehemalige Stürmer als Geschäftsführer des DSC tätig. Nebenberuflich arbeitet Meinke als Assistent von Tom Bartels und flüstert ihm die wichtigsten Daten zum Spielgeschehen ein. Ich wollte von ihm u.a. wissen, welche Aufgaben er in seinen Jobs hat, inwieweit sich der Profi- und der Amateurfußball voneinander entfernen und wie er sich den DSC in fünf oder zehn Jahren wünscht. Herausgekommen ist ein umfangreiches Interview, das über den Tellerrand der zweiten Liga hinausgeht und die eine oder andere Anekdote für euch bereit hält…

Herr Meinke, zunächst eine Frage zu Ihrem Job als Geschäftsführer. Welche Aufgaben haben Sie genau und was gefällt Ihnen daran am besten?

Das schöne ist die Vielfältigkeit, die Abwechslung. Da ich auch Geschäftsführer der Stadiongesellschaft bin, bin ich ja auch eine Art Immobilienmakler: Wir haben hier Büros, die wir gewerblich vermieten. Auf der anderen Seite bin ich als oberster Personalchef immer ein Stück weit Pädagoge. Personalführung ist das interessanteste, aber andererseits auch das schwerste. Für Personalführung wird es keinen Studiengang geben, es gibt aber auch keinen Studiengang Geschäftsführer. Was ich damit sagen will: Der Geschäftsführer kommt ja aus einer gewissen Kernkompetenz, die bei mir eben „Finanzen“ ist. Ich habe diesem Thema, weil ich das bei uns in der Buchhaltung in sehr guten Händen weiß, zunächst weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Das hätte ich mir vorher nie vorstellen können. Ich werde darüber selbstverständlich informiert und spreche natürlich mit meinen Mitarbeitern darüber. Bei mir war es so: Als ich 2015 hier Geschäftsführer der KGaA wurde, habe ich mich insbesondere mit den Themen befasst, die nicht meine Kernkompetenz sind, z. B. die Pressearbeit oder der sportliche Bereich, vor allem die Kaderzusammenstellung und die Suche nach einem neuen Trainer.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Der Beruf ist sehr abwechslungsreich, ich habe mit dem Hobby Fußball zu tun und bin natürlich auch Fan. Was genauso interessant ist, ist die Arbeit im Nachwuchsbereich, wo ich eher Gespräche mit jüngeren Menschen führe. Darüber hinaus sieht jeder Tag anders aus. Ich meine, es ist viel durchgetaktet mit Terminen. Das kenne ich aus meinem vorherigen Arbeitsleben nicht so in dieser Art. Das ist aber auch total spannend. Heute Morgen habe ich harte Verhandlungen geführt, jetzt gebe ich ein lockeres Interview, kürzlich habe ich einige Begrüßungsworte an Erstsemester gerichtet… Es ist so mannigfaltig.

Dann bin ich abends wieder auf einer Sponsorenveranstaltung, wo ich viel Smalltalk und Gespräche hinter den Kulissen führe, Eröffnungsworte spreche. Oder ich bin auf einer Sponsorenmesse oder schaue an einem spielfreien Wochenende beim Frauenfußball in der SchücoArena zu. Das macht mir einfach viel Spaß und ich finde es total cool.

Sie selbst sind Ex-Profi. Inwieweit kennt man sich als solcher mit all den Formalitäten aus? Haben Sie sich auch ein bisschen von Samir Arabi einarbeiten lassen, zum Beispiel bei der Trainersuche? Ich denke, dass er da nochmal eine ganz andere Perspektive hat.

Da ist er auch der maßgebliche Mann. Er hat damals das erste Gespräch mit Rüdiger Rehm geführt, ist zu mir gekommen und meinte: „Ich hab ein gutes Gefühl“. Dann sind wir ein zweites Mal zusammen hingefahren. Das ist genauso, wenn es um Spielerverpflichtungen geht. Wenn Samir sagt: „Bei dem Spieler sind wir jetzt schon ein bisschen weiter, das könnte einer für uns sein“, dann schaue ich mir auch mal Videosequenzen an. Das möchte er auch. Natürlich habe ich nicht so viel Wissen wie er in dem Bereich. Aber ich war ja Profi und hab auch einen Nebenjob im Fußballbereich (als Assistent von TV-Kommentator Tom Bartels; Anm. von LS) und kann das ein wenig beurteilen. Ich schaue mir die Spiele an und gebe meine Expertise dazu. Die Meinung von Samir ist entscheidend. Ich sage letztendlich – da ich Geschäftsführer Finanzen bin – ob die Verpflichtung wirtschaftlich möglich ist. Umgekehrt ist es so: Wenn es um irgendwelche Finanzthemen geht, involviere ich ihn genauso. Das klappt ganz gut. Für mich ist der Job als Geschäftsführer hier schöner als vorher, als ich nur Geschäftsführer der Stadiongesellschaft war, da ich nun viel näher dran bin. Jetzt fahre ich morgens auch mal zum Training, spreche mit Spielern und dem Trainer. Das hat natürlich einen gewissen Charme.

 

„Wettbewerbsfähigkeit ist das höchste Gut im Fußball“

Jetzt möchte ich einen großen Schwenk machen. Inwieweit entfernen sich der Profi- und der Amateurfußball voneinander? Vor allem, wenn Sie sich jetzt die wirtschaftlichen Aspekte anschauen.

Was diese Sache anbelangt, differenziere ich zwischen zwei Themen. Das eine ist die wirtschaftliche Schere und zwar sowohl international als auch national. Und das andere ist das Spiel an sich, was ich ein Stück weit kritisiere. Dass in der ersten Liga besser gespielt wird als in der Kreisliga ist völlig normal. Und dass die Qualität dort besser ist, auch. Aber ich behaupte: Der Fußball, diese Massenfaszination lebt davon, dass das Spiel in der Champions League genau dasselbe ist wie in der Kreisliga. Was ich damit meine: Es fängt damit an, dass in der Champions League mittlerweile sechs Schiedsrichter eingesetzt werden. Die Torrichter kann man vergessen. Nach meiner Wahrnehmung hat noch keiner eine richtige Entscheidung getroffen, wenn es um „Tor“ oder „kein Tor“ ging. Dann diese Geschichten mit dem Videobeweis. Da wird sicherlich demnächst noch ein Challenge kommen mit Spielunterbrechungen. Ich kann verstehen, dass man die Technik einsetzen will, um höchstmögliche Genauigkeit zu haben. Das ist klar. Wir können alle sagen: „Ja, aber der Fußball lebt doch davon, dass am Stammtisch darüber diskutiert wird, ob es Abseits war oder nicht“. Da sage ich: Falsch. Es ist vollkommen richtig, die Technik, die wir haben, einzusetzen. Dafür geht’s um zu viel Geld. Aber wir müssen aufpassen, dass das Spiel in der ersten oder zweiten Liga, in der Champions League, bei den Weltmeisterschaften, nicht ein anderes wird als in der Kreisliga. Denn: Wir haben so viele aktive Spieler, auch bei uns hier im Stadion, die den Fallrückzieher, den Fabian Klos beim nächsten Spiel macht, in der Kreisliga nachmachen wollen. Das ist genau der Punkt. Darin sehe ich echt eine Gefahr. Der Fußball lebt einfach davon, dass das hier dasselbe ist wie in der Kreisliga. Das ist meine Meinung.

Der zweite Punkt ist der wirtschaftliche Faktor. Die Bayerns und Dortmunds dieser Welt proklamieren, dass wir international wettbewerbsfähig bleiben müssen. Klar: Wenn ich mir Real Madrid, Manchester United oder Paris St. German angucke, hätte ich als BVB oder FC Bayern auch irgendwie die Befürchtung, dass sie mir weglaufen. Bisher geht’s ja noch. Die englischen Clubs machen ja gerade alles verkehrt, was man verkehrt machen kann. Aber irgendwann kommen sie vielleicht auch noch auf die Idee, gute Nachwuchsleistungszentren zu bauen. Sie haben grundsätzlich Recht, nur besteht aus meiner Sicht wieder die Gefahr: Wir müssen den schmalen Grat hinbekommen, dass wir sowohl international als auch national wettbewerbsfähig bleiben – und zwar nicht nur Borussia Dortmund und der FC Bayern – sondern idealerweise z. B. auch noch Gladbach und Wolfsburg. Im nationalen Fußball besteht diese finanzielle Lücke zwischen der ersten und zweiten Liga, welche noch einigermaßen in Ordnung ist. Wobei es auch immer schwerer wird: Also, die Relegation 1./2. Liga wird ja grundsätzlich nur von den Erstligisten gewonnen. Sonst wäre der HSV ja schon …. Und – was jedoch zeigt, dass Geld nicht alles ist – die Lücke zwischen der zweiten und dritten Liga ist prozentual noch größer. Nicht absolut, aber prozentual ist sie doch größer. Die Relegation zwischen der zweiten und dritten Liga wird meist von den Drittligisten gewonnen, was wiederum heißt, dass es sportlich nicht divergiert. Was will ich damit sagen? Wenn wir im nächsten Jahr hoffentlich am neuen Fernsehvertrag partizipieren dürfen, kann ich bzw. will ich da nicht zuviel Geld davon verwenden, um es in die Mannschaft zu investieren. Sicherlich einen Teil, aber im Sinne der Nachhaltigkeit und der dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit halte ich es mittelfristig für sinnvoller, es ins Nachwuchsleistungszentrum zu investieren, oder arminia-spezifisch, in die Infrastruktur.

Dort liegen meine Befürchtungen. Der Fußball lebt immer vom Wettbewerb. Eigentlich sollte es bei jedem Spiel so sein, dass es anfangs 0:0 steht und ich nicht weiß, wie es ausgeht. Es wird immer Spiele geben wie bei Real Madrid gegen Bate Borisov. Da wird Real immer zu 95 Prozent siegen. Das ist ok. Aber wenn ich in der Vorrunde der Champions League gefühlt 95 Prozent der Spiele vorhersehen kann, dann macht es keinen Spaß mehr. Das ist die große Gefahr. Da muss man aufpassen. Geld schießt am Ende des Tages Tore – nicht kurzfristig, aber mittel- und langfristig auf jeden Fall. Wettbewerbsfähigkeit ist das höchste Gut im Fußball.

Wenn Sie jetzt nur auf Deutschland blicken: Inwieweit sollten die DFL und der DFB diesbezüglich mit Regularien eingreifen? Wenn wir jetzt z. B. auf die Vertragsverlängerung mit Toni Kroos schauen: Denken Sie, dass es in Hinsicht auf die Gehälter eine Grenze geben sollte?

Ein Salary Cap (Gehaltsobergrenze; Anm. von LS) wäre wünschenswert, ist aber arbeitsrechtlich nicht durchsetzbar. Never. Keine Chance. Das wurde ja wieder von Herrn Holzhäuser aufgeworfen. Die Amerikaner machen es da einfach gut. Aber ok, da habe ich einen Draft (spezielles Auswahlverfahren für Nachwuchsspieler; Anm. von LS), wobei der schlechteste Verein der Vorsaison die besten Picks (pick= Auswahl eines Spielers; Anm. von LS) bekommt. Dann mache ich einen Salary Cap. In Europa ist das leider nicht durchsetzbar. Man kann ja viel verteufeln, was die Amerikaner machen, gerade auch im Sport. Aber das ist Wettbewerbsfähigkeit: Der, der letztes Jahr als Letzter abgeschlossen hat, kann im nächsten Jahr theoretisch Meister werden. Das ist bei uns nicht möglich. Die Ausnahmen sind meines Wissens schon eine Weile her, als Kaiserslautern aufstieg und als Aufsteiger Deutscher Meister wurde. Wenn heute Darmstadt 98 aufsteigt und Deutscher Meister werden würde, ist das utopisch. Das geht nicht.

 

Arminia und die Amateurvereine

Themenwechsel. Wie gut sind heutzutage die Kontakte zwischen den Profi- und Amateurvereinen? Was tut beispielsweise Arminia Bielefeld dafür, um die Kontakte zu kleinen Vereinen herzustellen und zu halten?

Sehr viel läuft über unsere 22 Partnerstädte, wo wir auch immer ein, zwei Spiele pro Saison spielen. Der Gedanke ist, dass nicht immer die Fans zu Arminia kommen, sondern auch mal Arminia zu den Fans. Ich glaube da machen wir schon relativ viel. Zudem spielen wir in der Saisonvorbereitung die ersten drei, vier Spiele immer gegen niederklassige Vereine. Wir haben sehr viele gute Kontakte zu kleinen Clubs in Bielefeld. Zudem spielen wir jedes Jahr bei Fichte Bielefeld, das Derby ist Tradition. Zum VfL Theesen haben wir einen sehr guten Kontakt und die Damen spielen jetzt in Quelle, weil wir schon immer einen guten Draht zu Quelle hatten. Zur Einweihung des Kunstrasenplatzes werden wir dort spielen. Wir suchen schon immer den Kontakt zur Basis. Ich glaube, dass wir da gut aufgestellt sind und dass das nicht bei allen Profivereinen so gelebt wird, wie wir das hier tun. Meiner Auffassung nach sind wir schon ein ganz geerdeter Verein, der da an die Basis herantritt.

Sie haben gerade die Fans angesprochen. Was bekommen Sie als Geschäftsführer von den Arminiafans mit, wo haben Sie Kontakt zu ihnen?

Das übliche Medium kennen wir ja alle, das ist fb. Aber es würde keinen Sinn machen, dass ich mich da anmelde. Das werde ich nicht tun. Es ist zudem so, dass ich ab und an E-Mails oder Briefe erhalte, in der Stadt angesprochen werde oder im Stadion. Ich glaube, dass ich das Feedback der Fans, wie deren Stimmungslage ist, wie sie die Situationen sehen, schon ganz gut einschätzen kann. Ich gebe zu, dass ich mir die Kommentare auf Facebook angucke. Es ist schon ein gutes Tool dafür, ein paar Tendenzen herauszuhören. Auch wenn es teilweise extrem ist. Wenn man es für sich gut filtert, dann kann man es gut nutzen.

 

Gerrit Meinkes Arbeit auf der Pressetribüne

Nun von Ihrem Hauptberuf zum Nebenjob „Einflüstern fürs Fernsehen“. Wie bekommen Sie das unter einen Hut? Ist das gut zu managen oder wie kann man sich das ganze vorstellen?

Ja, das ist gutes Zeitmanagement (lacht). Grundsätzlich nehme ich mir für diese Aktionen Urlaub. Wenn z. B. am Abend ein Spiel in Dortmund ist, das übertragen wird, dann gehe ich um 16 Uhr los. Aber grundsätzlich nehme ich für Turniere – wie in diesem Jahr in Frankreich – meinen Jahresurlaub. Von daher geht da schon eine Menge Urlaub drauf. Das ist manchmal schwer, das meiner Frau zu vermitteln. Aber sie weiß, wie gerne ich das mache. In der Regel findet so ein großes Turnier auch „nur“ alle zwei Jahre statt. Wobei nächstes Jahr ein Confed-Cup mit deutscher Beteiligung ansteht. Da bin ich nah dran, abzusagen. Drei Jahre hintereinander, das wäre mir zu viel. Das kann ich meiner Frau nicht mehr antun. Aber grundsätzlich ist ein gutes Zeitmanagement wichtig. Ich weiß immer relativ früh, ca. acht Wochen vorher, wann ich mit Tom Bartels eingeteilt bin und dann lässt sich das ganz gut planen. So viel Zeit geht da nicht drauf. Wenn ich bei einem Spiel in München bin, bin ich insgesamt nur einen halben Tag weg. Ich fliege um 14 Uhr los, lande um 15 Uhr, am Abend ist das Spiel und am nächsten Morgen sitze ich wieder um 10 Uhr im Büro.

Ist das für Sie Stress?

Für mich ist das ein super Ausgleich. Das ist wirklich so. Dass eine gewisse Anspannung da ist, ist völlig normal. Ein Spiel, das ich mit Tom Bartels anschaue, kann ich neutral betrachten. Da kann ich völlig relaxed im Stadion sitzen, wer gewinnt ist mir im Grunde genommen gleich. Der bessere soll gewinnen, sag ich mal, und wir sind die Hobby-Analysten.

Was reizt Sie an Ihrer Arbeit auf der Pressetribüne?

Das schöne ist, dass ich in der Branche bleibe. Ich erweitere dadurch mein Netzwerk. Man lernt neue Leute kennen, die im Fußball arbeiten, aber vielleicht „auf der anderen Seite“, weil sie z. B. im Journalismus tätig sind. Darüber hinaus ist es angenehm, ein Spiel ohne irgendwelchen Druck  anzuschauen. Ich kann mich wirklich darauf konzentrieren, wie das Spiel läuft, kann auf Dinge wie die Taktik achten. Es ist natürlich auch schön, einen der besten Kommentatoren Deutschlands unterstützen zu dürfen.

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Gerrit Meinke (li.) arbeitete auch während der EM 2016 als „Einflüsterer“ mit TV-Kommentator Tom Bartels zusammen. Foto: Meinke

Wie kann man sich Ihre Arbeit für das Fernsehen vorstellen? Ist das viel Vorbereitung, müssen Sie viel mitschreiben oder wie läuft das ab? Worauf achten Sie am genauesten?

Als ich noch nicht Geschäftsführer bei Arminia war und ein bisschen mehr Zeit hatte, habe ich mit Tom Bartels eine Art Vereinbarung getroffen. Es gibt in der Regel vor jedem Spiel 80 bis 100 Seiten von einem Unternehmen, das Fußballdaten generiert. Ich habe diese immer alle brav durchgelesen und wusste irgendwann, dass ich von den vielen Informationen höchstens zehn Prozent verwenden könnte. Die 10 Prozent schreibe ich mir heraus und kann den Stapel weglegen. Tom war derselben Auffassung. Ich habe irgendwann gesagt: „Ich kann mir das nicht mehr komplett durchlesen“. Er antwortete nur: „Musst du auch nicht. Ist gut“.

Wir sitzen vor den Spielen immer zusammen, um uns abzusprechen. Tom sagte: „Du hast Ahnung von Fußball, mehr brauche ich von dir nicht. Ich weiß, dass ich mich auf deine fachliche Expertise verlassen kann. Du musst mich nicht mit Statistiken zuballern“. Zwischendurch sagt er schon: „Schreib dir mal noch zusätzlich diese Chance gerade auf“. Klar. Natürlich bin ich auch der Schreiber und sage bei Toren z. B. „in der 33. Müller, in der 37. Lewandowski und 58. Thiago“. Was ich damit meine: Der Job beginnt mit dem Anpfiff. Ich soll einfach gucken, wie das Spiel läuft, und aufpassen, ob er mit seiner Bewertung richtig liegt. Das Schöne ist, dass wir uns seit fast 40 Jahren kennen. Wir sind schon zusammen in den Kindergarten gegangen und verstehen uns wirklich blind. Und das ist – gerade, wenn man auf diese Art und Weise zusammenarbeitet – total wertvoll. Dann weiß man, wie der andere tickt.

Vielleicht eine kleine Anekdote zwischendurch: WM 2010, letztes Vorrundenspiel, Deutschland gegen Ghana. Da sitzt du im Soccer City Stadium, 80.000 Zuschauer, die Pressetribüne ist direkt unterm Dach. Dort wurde es schon relativ schwer, die Spieler zu identifizieren und dann: Deutschland – Ghana. Weltklasse. Ich hatte Gott sei Dank immer noch diesen Monitor. Zum Glück konnte ich auf‘s Spielfeld gucken. Tom konnte das nicht. Klar, er musste auf den Monitor blicken. Er musste schließlich das kommentieren, was der Zuschauer sah. Wir kamen also auf die Pressetribüne, weit oben, und ich habe gesagt, ich könne die Deutschlandspieler kaum auseinanderhalten, ich könne die Nummern kaum erkennen. Da dachte ich mir: „Gut, oben hab ich ja einen schönen Monitor“. Dann stand oben so ein kleiner Bildschirm. In schwarz-weiß! Kurz vor Schluss schoss Özil das 1:0, Tom sagte: „1:0“, guckte mich an, und ich flüsterte „Özil, Öööööööziiiiiiiiiiiiiiil!“ (lacht). So ging das. Noch ein kleines Anhängsel hintendran: Das Spiel war vorbei, wir sind in die Innenstadt von Johannisburg gefahren. Zwei Stunden später stand das nächste Spiel an. Wir haben dort eine Sportsbar gefunden. Überall hingen diese typisch südafrikanischen Screens, wohinter die Fans saßen, darunter auch deutsche. Das nächste Spiel kam und ein Fan fragte: „Wieso sieht der Kommentator das nicht???“ und ich dachte mir nur: „Hey, hast du eine Ahnung…!“ (schüttelt den Kopf und lacht). Manchmal ist es schon echt schwer, die Spieler zu erkennen. Bevor du da etwas Falsches sagst, sagst du lieber gar nichts.

Jetzt zu Ihrer Vergangenheit als Ex-Profi. Haben Sie damals schon ein bisschen in die Richtung geschielt, nach Ihrer aktiven Karriere bei einem Club zu arbeiten?

Nein, gar nicht. Ich habe nie eine Karriere als Fußballfunktionär geplant. Das hat sich alles irgendwie entwickelt. Selbst als ich Profi geworden bin, wusste ich, ich muss nach meiner Profikarriere irgendetwas machen, weil ich nicht so viel Geld haben würde, dass ich komplett davon leben könnte. Das war mir klar. Deswegen habe ich Betriebswirtschaft studiert. Als ich das Studium – noch während meiner Fußballerlaufbahn – fertig hatte, war ich sehr froh und habe versucht, während dessen schon den Berufseinstieg zu finden. Weil man natürlich als Fußballprofi Kontakte hat ergab es sich für mich, dass der SC Paderborn meine letzte Station wurde und ich zugleich bei Finke (Möbelgeschäft in Paderborn; Anm. von LS) anfangen konnte zu arbeiten. Als ich mit dem Fußball aufgehört habe, habe ich nur noch für Finke gearbeitet. Als der SCP 2005 in die zweite Liga aufgestiegen ist, kam der Verein auf mich, weil er auf Grund der DFL-Regularien einen hauptberuflichen Finanzverantwortlichen brauchte. Aber irgendwie war mir das zu unsicher, weil ich dachte, dass der Verein wieder absteigen könnte. Deshalb sagte ich: „Ich mach das erstmal für ein Jahr“. Dann haben sie’s geschafft, relativ souverän, und ich entschied mich noch ein zweites Jahr zu bleiben, meinte: „Wenn das nicht klappt, dann möchte ich aber wieder zu Finke zurück“. Und im dritten Jahr hat Finke gesagt, ich könne bei ihm bleiben und so bin ich da ein Stück weit meinen Weg gegangen.

Irgendwann kam der Anruf von Marcus Uhlig, der nach einem Geschäftsführer für die Stadiongesellschaft suchte. Also: Geplant war’s nie, aber ich bin glücklich. Parallel kam Tom Bartels 2004 auf mich zu. Das erste Spiel, das wir zusammen gemacht haben, war – wie es der Zufall so will, hier: Bielefeld gegen Bremen. Wahnsinn, echt (strahlt)! Das war damals noch für Premiere. Noch zu Paderborner Zeiten hatte ich gesagt: „Ich möchte keinen Beruf mehr ausüben, der nichts mit Fußball zu tun hat. Jetzt will ich auch in der Fußballbranche bleiben“. Selbst wenn mit Fußball nichts mehr wäre, schließt das nicht aus, dass ich wieder in meinen alten Job als Controller, in den Finanzbereich, gehen könnte. Aber nun will ich eigentlich schon bis zur Rente Fußball machen. Weil ich das cool finde und so schön und weil es mir so viel Spaß macht.

Sehen Sie das Spiel an sich durch Ihren Nebenjob schematischer als vorher?

Ich glaube, dass es mir nicht schwerfällt, den Fußball weiterhin nicht zu analytisch zu betrachten. Weil ich dieses natürliche am Fußball, weil ich gerade das so liebe. Die Spiele sind einfach geil, weil man nicht weiß, wie sie ausgehen. Selbst, wenn Bayern gegen Darmstadt spielt, kann mal einer ausrutschen und Manuel Neuer bekommt einen rein. Das kann natürlich trotzdem passieren.

Wir haben auch viele Länderspiele übertragen. Da bin ich nicht mehr neutral. Wenn wir jetzt ein Pokalspiel zwischen Bayern und Augsburg besuchen, habe ich keine Emotionen. Wenn wir mit Arminia einen Tag vorher gegen Dresden spielen, schon. Bitte nicht falsch verstehen: Ich finde es super, wenn ich in München ein Pokalspiel sehen darf, Bayern gegen Augsburg, 70.000 Zuschauer. Ich finde die Atmosphäre toll, das macht mir Spaß. Das ist für mich immer ein Stück weit Abwechslung und auch Erholung. Deswegen mache ich das total gerne.

 

Stamford Bridge: „Krass, heftig, Wahnsinn – einfach cool“

Welches ist Ihr Lieblingsstadion?

Ich würde schon sagen das in Dortmund. Das ist schon überragend. Es ist so wie hier, man ist einfach sehr nah am Spielfeld. Jetzt ist das noch dreimal größer als hier, das lieb ich – auch diese alten englischen Stadien wie Highbury, Arsenal. Es liegt mitten im Wohngebiet, wie die SchücoArena, und die Stadionuhr dort finde ich cool. Da bin ich ein Stück weit Fußballromantiker, das gebe ich zu. Ich habe einige Welt- und Europameisterschaften mitgemacht. Was mich da mittlerweile nervt ist, dass gefühlt jedes Stadion gleich aussieht. Ehrlich. Auch bitte nicht falsch verstehen – es ist immer ein Highlight. Aber wenn ich schon sehe: Es  ist überall gleich gebranded, das ist überall gleich. Ab und an gibt es Abweichungen, aber manchmal denkst du, das sind alles solche „Plastikpaläste“. Ich kann das verstehen. Rein wirtschaftlich müssten wir eigentlich auch so einen Palast an der A33 haben, nicht hier. Rein wirtschaftlich betrachtet. Aber das Stadion hat so viel Charme. Das kommt daher, dass es so ist, wie es ist und weil es im Wohngebiet liegt.

Wie haben Sie die Stimmung in den englischen Stadien erlebt?

Ich habe im Fußball schon wirklich viele und wichtige Spiele gesehen, aber ich habe noch nie so ein lautes Stadion erlebt wie in Chelsea, Stamford Bridge. Das war beim Champions League-Viertelfinale, Rückspiel gegen Barcelona. Ich habe meine Kopfhörer abgenommen, weil ich es nochmal im Original hören wollte. Ich habe gesagt: „Das gibt’s nicht, das ist so laut! Krass, heftig, Wahnsinn – einfach cool!“.

Von Chelsea back to Arminia. Was zeichnet den DSC Ihres Erachtens aus? Inwieweit trifft „Stur, hartnäckig, kämpferisch“ auf den Club zu?

Dieses Leitmotto finde ich besonders wichtig. Es hat aus meiner Sicht ein Alleinstellungsmerkmal. Ich wüsste keinen Verein oder ich könnte mir keinen anderen Verein vorstellen, der sich zumindest das Wort „stur“ auf die Fahnen schreibt. Das schöne ist, dass man sich damit ganz klar abgrenzen kann. Und natürlich sehen wir das positiv besetzt. Aber „stur“ hat eben auch damit etwas zu tun, dass wir stur daran festhalten – und dies hängt stark mit der Historie zusammen – dass wir an uns glauben. Wir fallen zwar immer wieder hin, aber wir stehen auch immer wieder auf. Dasselbe wie für „stur“ gilt für „hartnäckig“ und „kämpferisch“.

Wir sind Wanderer zwischen den Welten. Was wir hier schreiben, ist großes Theater: Entweder himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt. Das zieht sich hier wie ein roter Faden durch und ich denke nicht, dass sich das ändern wird. Man wünscht sich manchmal weniger Herzinfarktrisiko, keine Frage. Aber am Ende des Tages bietet Arminia Bielefeld – zumindest hat es das bisher immer geboten – das, was der Fan letztendlich will. Ohne, dass es vielleicht Arminia Bielefeld immer wollte. Aber letztendlich war es so. Das ist einfach das, was den Verein ausmacht und ich glaube, dass diese drei Wörter das einfach exakt treffen und uns von allen anderen Vereinen abgrenzen.

 

Zukunftswünsche für den DSC

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Was wird sich in fünf oder zehn Jahren bei Arminia verändert haben?

Was ich glaube, dass sich bei Arminia verändert haben wird oder wie ich es mir wünsche?

Sie können das auch gern differenzieren…

Das allererste, was ich mir für die Zukunft in fünf oder zehn Jahren wünsche ist, dass wir wirtschaftlich viel besser da stehen. Damit steht oder fällt letztendlich alles. Im Moment haben wir diese hohen Verbindlichkeiten und die schweben immer wie so ein Damoklesschwert über uns. Eigentlich beeinflussen sie jede Entscheidung. Man wünscht sich als Geschäftsführer, dass man Entscheidungen völlig frei davon fällen könnte. Wenn ich mir etwas für 2021 oder 2026 wünsche, dann ist es, schuldenfrei zu sein. Oder zumindest wirtschaftlich solide aufgestellt und damit zukunftsfähig zu sein. Damit einhergehend natürlich eine gewisse sportliche Stabilität im Profifußball, was für mich gar nicht unbedingt mit der ersten Liga gleichgesetzt werden muss. Aber, was wir uns auf die Fahnen geschrieben haben: Unter den ersten 25 zu sein. Selbst, wenn wir in zehn Jahren sagen würden, wir hätten zwei Jahre Bundesliga und acht Jahre zweite Liga gespielt. Dann würde ich meinen, dass das auch eine Entwicklung wäre. Ein stabiler Zweitligist wäre für mich vollkommen in Ordnung.

Was mir sehr am Herzen liegt, ist, dass wir unseren gesamten Jugendmannschaften – von der U10 bis zur U23 – eine vernünftige, angemessene Heimstadt mit ausreichend Trainingsplätzen und Umkleidekabinen bieten können. Sodass man feststellen kann: Das ist neben dem Stadion das Herz von Arminia Bielefeld. Dort halten sich alle auf, dort wird trainiert und dort können idealerweise unsere Jugendspieler bei den Profis zuschauen. Meine Idealvorstellung ist, dass jeder Nachwuchsspieler an der Abteilung der Profis vorbeigeht und sagt: „Da will ich auch mal rein“. Das ist Motivation. Das hieße dann: „Da dürft ihr erst rein, wenn ihr’s geschafft habt“. Das fände ich klasse: Wenn man ein Areal hätte, mit acht Plätzen und schöne Funktionsgebäude mit Kabinen. Das wäre super. Wenn man diese Bedingungen hätte, da könnte man richtig was aufbauen.

Wie eng arbeiten Sie mit der Nachwuchsabteilung zusammen?

Ich habe mit der Leitung wöchentliche jour fixes, wo wir uns regelmäßig austauschen. Samir Arabi ist immer dabei. Ich würde mir noch gerne mehr Spiele von der U23, U19, U17 ansehen, aber alles kann man einfach nicht. Zwischendurch hat man auch noch ein Privatleben. Diese Saison hatte ich vor, mir mehr Spiele anzuschauen. Bisher hat es leider noch nicht funktioniert. Insgesamt finde ich, dass wir auf einem guten Weg sind. Aber gut, das Thema Finanzen ist schwer. Es ist ein echter Klotz am Bein und wir müssen nicht blauäugig sein: Das lässt sich in den nächsten fünf Jahren nicht lösen. Da brauchen wir viel Geduld und Durchhaltevermögen, einfach einen langen Atem. Aber den haben wir.

Wie viele Stunden Arbeitszeit für den DSC kommen bei Ihnen in etwa pro Woche zusammen?

Ich glaube im Schnitt sechzig Stunden, wenn ich alles dazu nehme. Aber das ist das Maximum. Ich lerne immer sehr viel von unserem Aufsichtsratsvorsitzenden Hartmut Ostrowski, der sehr viel Erfahrung im Managementbereich hat und dann noch bei Bertelsmann. Er sagt immer: „Herr Meinke, kein Mensch kann mehr als zehn Stunden am Tag konzentriert arbeiten. Kann kein Mensch. Geht nicht. Aber arbeiten Sie lieber konzentriert neun Stunden am Tag und machen dann Feierabend. Das ist echt besser. Und gehen Sie dann auf den Golfplatz“. Ich antworte darauf: „Ja, da muss ich erstmal anfangen mit Golf spielen“. Dafür habe ich jetzt wirklich nicht die Zeit. Nein, Golf spiele ich nicht (lacht).

Wer sind Ihres Erachtens die wichtigsten Menschen, die an den Spieltagen hier arbeiten?

Der wichtigste ist der Veranstaltungsleiter, weil er den Hut aufhat. Wenn hier irgendetwas passiert oder es echt einen Spielabbruch geben müsste, bin ich raus aus der Nummer. Da habe ich gar nichts zu sagen. Das entscheidet er. Er ist am Spieltag der wichtigste Mann. Wir wissen alle um die Wichtigkeit des Themas Sicherheit. Unser Sicherheitsbeauftragter, André Windmann, ist bedeutend, keine Frage. Das ist natürlich immer ein superwichtiges Thema: die Sicherheit. Ich habe jetzt als Geschäftsführer noch einmal mehr gemerkt, wie viel da dahintersteckt, auch die Kooperationen mit den Behörden. Was wir hier an Polizei haben, Feuerwehr, den Sanitätsdienst – auch die Verkehrswegeführung um das Stadion – was hier jedes Mal drum herum passiert, das ist der Wahnsinn, das ist wirklich unglaublich. Letzten Endes sind aber die Spieler die wichtigsten im Stadion. Was ich damit sagen will ist, dass für einen Geschäftsführer – die Erfahrung habe ich gemacht – neben dem Ergebnis, was natürlich immer wichtig ist, das Wichtigste ist, dass nichts passiert ist. Dass alles vernünftig seinen Gang gegangen ist. Dass es zu keinen Komplikationen, Verletzungen, geschweige denn zu irgendwelchen Unfällen gekommen ist.

Das hatte ich vorher nie so auf der Kappe, muss ich ehrlich gestehen. Wir unterliegen der Veranstaltungsordnung. Da sind ja etliche Richtlinien und Regularien einzuhalten und mit diesen muss man sich letztendlich befassen. Dabei erkennt man die Wichtigkeit der Menschen, die da dahinterstehen. Das bekommen die Stadionbesucher/-innen in der Regel nicht mit. Der kriegt es nur mit, wenn es nicht läuft. Alle Menschen, die dafür sorgen, dass ein Spieltag reibungslos über die Bühne geht, sind von großer Bedeutung. Das machen meine Mitarbeiter hier sehr gut, sie haben einen super Draht zu den Behörden. Auch als Geschäftsführer muss man Präsenz zeigen. Und wenn man einfach nur dabei ist. Wie gesagt: Keiner wird als Geschäftsführer geboren. Ich habe das am Anfang unterschätzt, man muss bei einigen Terminen einfach nur dabei sein. Ich finde mich selbst gar nicht so wichtig. Das war ein Lernprozess für mich.

Was bekommen Sie von den Bielefelder Ultras mit?

Ich gestehe gerne, dass ich von ihnen eigentlich nichts direkt mitkriege. Aber ich tausche mich regelmäßig mit unserem Fanbeauftragten Thomas Brinkmeier aus, der da einen guten Draht hat. Sie mögen auch andere Auffassungen in Bezug auf Fußball haben als ich. Ich hätte bei einem Spiel wie gegen RB Leipzig kein solches Plakat gemacht. Aber gut. Das ist eine andere Geschichte. Das, was sie für Arminia machen, ist überragend. Ich habe mich oft in der Fandiskussion gefragt: „Was ist eigentlich, wenn wir die auf der Süd nicht haben?“. Dann haben wir hier tote Hose. Das gilt nicht nur für uns. Ich glaube einfach, dass die Menschen wegen dieser Stimmung ins Stadion gehen. Das Stadionerlebnis, die Atmosphäre, das schaffen nur Ultras & Co.! Mal abgesehen von dem, was sie hier an Choreos gebracht haben. Das ist einfach überragend. Und wie sie sich in ihrer Freizeit engagieren, wie viel Zeit sie in Choreographien investieren und mit welcher Akribie sie da dran sind, das ist schon bemerkenswert. Absolut. Da kann man nur den Hut vor ziehen.

 

Gerrit Meinkes prägendstes DSC-Erlebnis

Gibt’s noch irgendetwas, das Sie loswerden möchten? Vielleicht eine weitere Anekdote?

Eine meiner ersten Erfahrungen mit Arminia, als ich noch ein kleiner Junge war. Ich bin ja in Melle groß geworden. Melle ist noch in Niedersachsen und hat eigentlich eine größere Affinität zur Stadt Osnabrück und deshalb zum VfL. Als ich so Zehn, Zwölf, Vierzehn war, bin ich immer nach Osnabrück gegangen. Irgendwann, als ich Fünfzehn, Sechzehn war, ist Arminia in die erste Liga aufgestiegen und dann fand ich das natürlich viel cooler. Ich hatte aber kein Auto. Dann musste uns immer irgendein Vater am Wochenende hier herbringen und dann auch wieder abholen. Vollkommen irre, nicht wahr? Der hat uns abgesetzt, ist nach Hause gefahren und ich glaube, als er zu Hause war, konnte er gleich wieder losfahren, aber egal (lacht). Wie dem auch sei. Einmal sind wir– mein Vater mit uns vier Jugendlichen – über Borgholzhausen gefahren, an einem Hotel vorbei. Davor stand der Arminiabus: „Hey, da müssen wir stehen bleiben, da müssen wir rein, da sind die Spieler!“. Wir sind hineingegangen und haben sie beim Mittag essen gesehen. Mein Vater ist immer relativ pragmatisch. Er traf damals den damaligen Präsidenten Dr. Jörg auf der Heide und sprach ihn an: „Herr auf der Heide, ich bin jetzt auf dem Weg nach Bielefeld, aber die Jungs können ja auch hier im Bus mitfahren. Also, das ist ja viel einfacher?!“. Der Präsident antwortete: „Nee, das geht ja nicht, die Spieler müssen unter sich sein“. „Aber“, sagte er, „die Jungs, die können mit mir mitfahren. Ich bin mit meinem Privatauto da“. Dann sind wir ins Auto eingestiegen und mit dem Präsidenten von Arminia direkt hier vorgefahren. Das war total super. Das war mein prägendstes Erlebnis mit Arminia. Genau. Und da hab ich gesagt: „Boah, ein Verein mit so einem Präsidenten – das ist ja geil!“. Und dann bin ich nicht mehr nach Osnabrück gegangen, sondern nur noch nach Bielefeld (lacht).

Vielen Dank für Ihre detaillierten Antworten und die tollen Anekdoten, Herr Meinke.

Sehr gerne.