Fußballbuch-Update Nr. 10: Von Sabrina Flores zu Brianna Pinto

Liebe Fußballfans!

Unser Buch ist nun in North Carolina bei Brianna Pinto angekommen. Brianna ist Mittelfeldspielerin und hat schon einige internationale Erfahrungen gesammelt. Bereits im Alter von 12 Jahren war sie bei ihrem ersten US-Nationalteam-Camp dabei. 2016 nahm sie an der U17-Weltmeisterschaft in Jordanien und 2018 an der U20-Weltmeisterschaft in Frankreich teil.

Unser Interview entwickelte sich zu einem lockeren und sehr netten Gespräch über Briannas Geschichte, ihre Erfahrungen im College-Fußball und wir merkten wieder, wie klein die große Fußballwelt wirklich ist….

Lest es einfach selbst… 🙂 Viel Spaß!

Brianna Pintos Torjubel beim gegen New Jersey/New York Gotham FC. Foto: Andy Mead – USA TODAY Sports

Brianna, du hast das Fußballbuch von Sabrina Flores bekommen. Wie kam es dazu und warum hast du dich entschieden, an diesem „etwas verrückten“ Projekt teilzunehmen?

Das Projekt ist supercool. Ich finde es schön, dass so viele verschiedene Menschen an einem Projekt rund um den Fußball mitwirken. Sabrina hat mir das Buch überlassen und gesagt: „Hey, ich glaube, du hast eine wirklich interessante Geschichte auf deiner Reise durch den Profifußball erlebt, deshalb wollte ich dir dieses Buch geben, damit du hineinschreiben kannst.“

Ich habe mir all die anderen Geschichten angesehen und war mir sicher, dass ich einen Beitrag zu diesem Buch leisten wollte, weil ich es für eine wirklich schöne Sache halte. Das war das erstaunlichste Projekt, das ich je gesehen habe, und es gefällt mir.

Möchtest du ein wenig über deine Geschichte erzählen, die du in das Buch schreiben willst?

Mein Name ist Brianna Pinto und ich bin in Durham, North Carolina, aufgewachsen. Es war mein Lebenstraum für die University of North Carolina, Chapel Hill, zu spielen. Denn dort haben einige der besten Spielerinnen der Welt gespielt: wie Mia Hamm, Kristine Lilly und Cindy Parlow, die jetzt Präsidentin des US-Fußballverbands ist.

Es ist erstaunlich, denn eines der coolsten Dinge, die ich tun konnte, war, die US-Nationalmannschaft in Alter von 12 Jahren bis heute zu vertreten. Während meiner Zeit in der U20-Nationalmannschaft wurde ich als US-Jugendvertreterin für das vereinigte Kandidaturkomitee ausgewählt. Ich bin während der WM 2018 nach Russland gereist und habe zusammen mit Diego Lainez (Mexiko) und Alphonso Davies (Kanada) am 60. FIFA-Kongress teilgenommen, wo wir als Teil des vereinigten 2026-Komitees Reden darüber gehalten haben, warum die WM 2026 in Nordamerika ausgetragen werden sollte. Es war eine solch beeindruckende Erfahrung, weil wir vor der FIFA gesprochen haben, der Organisation, für die wir bereits damals gespielt haben. Es war schon immer mein Traum, als Erwachsene bei einer Weltmeisterschaft zu spielen, und ich hatte das Glück zu sehen, wie die FIFA tagtäglich arbeitet, den Präsidenten Gianni Infantino zu treffen, und zu erleben, dass viele Nationen weltweit die Bewerbung der Vereinigten Staaten für die Ausrichtung der Weltmeisterschaft in Nordamerika 2026 unterstützen. Es war eine so erfüllende Erfahrung. Und für mich als Frau und Afroamerikanerin war es wirklich beeindruckend, Vertreterin einer Männer-WM zu sein. Ich schwärme davon, wie cool es war. Als ob ich die Weltmeisterschaft nach Hause bringen würde… (Sie hat ein breites Lächeln auf dem Gesicht…) Das ist also die Geschichte, die ich erzählen möchte, weil ich mit zwei weltweiten Superstars im Rampenlicht stehen durfte. Es war einfach eine so erfüllende Erfahrung.

Eine großartige, wirklich großartige Geschichte, vielen Dank.

North Carolina Courage-Mittelfeldspielerin Brianna Pinto (oben Mitte) feiert ihr Tor gemeinsam mit ihren Mitspielerinnen im Spiel gegen den New Jersey/New York Gotham FC im Sahlen’s Stadium.
Foto: Andy Mead – USA TODAY Sports

Lass uns über dich selbst sprechen. Was magst du am meisten am Fußball? Du hast natürlich erzählt, dass du mit 12 Jahren in einem größeren Team angefangen hast. Also ging es zu Beginn nur um Freundschaften und Spaß, oder ging es auch darum, „Oh, ich will wirklich Fußballprofi werden“?

Ich komme aus einer Fußballfamilie. Als mein Vater aufgewachsen ist, hat er am College gespielt. Einer meiner größten Träume war es, die Welt zu bereisen, und ich denke, dass Fußball eine globale Sache ist, bei der man Menschen aus der ganzen Welt trifft. Man kann überall hinreisen und spielen, weil er auf der ganzen Welt gespielt wird. Mein Vater sagte: „Fußball ist ein Weg, das zu tun. Wenn du weiter gegen den Ball trittst und gut genug wirst, kannst du die USA vertreten und weiterreisen.“ Nicht nur das Reisen ist ein großer Teil dieser Erfahrung. Denn ich denke, was mich jetzt motiviert, ist, dass ich durch diesen Sport wunderbare Menschen wie dich kennenlerne. Und ich habe die unwahrscheinlichsten Freundschaften in meinem Leben geschlossen. Ich glaube, dass wir durch die Liebe zum Sport auf eine wirklich schöne Art und Weise miteinander konkurrieren können, und es macht so viel Spaß, Weltmeisterschaften zu sehen, und wie Menschen aus der ganzen Welt für ein Ereignis zusammenkommen. Zusammenfassend würde ich sagen, dass ich mit dem Fußballspielen angefangen habe, weil ich die Welt bereisen wollte, und weil ich es liebe an Wettkämpfen teilzunehmen und dabei lebenslange Freundschaften mit Menschen zu schließen.

In den Vereinigten Staaten spricht man von College-Teams. Vor elf Jahren fand in Deutschland die Weltmeisterschaft der Frauen statt. Ich war als Ehrenamtliche dabei. In Deutschland wird der Frauenfußball immer populärer, aber im Vergleich zum Männerfußball ist es ziemlich schwierig. Meinem Eindruck nach ist der Frauenfußball in den USA ziemlich beliebt oder bekannt. Wie sieht es denn im Moment aus? Arbeitest du neben dem Fußball oder studierst du oder wie funktioniert das? Und wenn du das System ändern könntest, was würdest du ändern?

Ich denke, das ist eine wunderbare Frage. Eines der coolen Dinge im College-Fußball war Titel IX. Das war eine Änderung, die in den 70er Jahren verabschiedet wurde. Sie ermöglichte es Frauen, in den Vereinigten Staaten Sport zu treiben. Und sie erhielten die gleiche finanzielle Unterstützung wie die Männerteams. Da Fußball, Feldhockey oder andere Frauensportarten im College-Sport keine Einnahmen generieren, erhalten wir Geld von der (American) Football-Mannschaft der Männer oder der Basketball-Mannschaft der Männer, damit wir existieren können.

Im Grunde genommen ermöglicht uns das, die schönsten Trikots zu tragen, auf die gleiche Weise zu reisen wie die Männerteams, die gleichen hochwertigen Hotels zu beziehen und dergleichen mehr. Das ist einfach ein gleichberechtigtes Spielfeld für die Männer- und Frauenteams. Außerdem ist man im College-Sport verpflichtet, gleichzeitig eine Ausbildung zu absolvieren, wobei es eine persönliche finanzielle Entlastung bedeutet, wenn man ein Vollstipendium erhält. Ich war also Vollstipendiatin, habe meine Ausbildung bezahlt bekommen und konnte auf einem wirklich hohen Niveau Fußball spielen. Als ich aufgewachsen bin, konnte ich den besten Mädchen beim College-Fußball zusehen. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde das Niveau im Profifußball gut genug, um die dort vorhandenen Talente zu halten. Wir arbeiten immer noch daran, die ungleiche Bezahlung und andere systembedingte Probleme im professionellen Frauenfußball zu verkleinern.

Der Collegefußball wird von großen Fernsehsendern wie ESPN unterstützt. Wir haben eine gute Einschaltquote, weil er weit verbreitet ist. Er ist hier also sehr populär, und ich fand es toll, Teil einer so erfolgreichen Ära des Frauen-College-Sports zu sein. Ich habe bei UNC-Chapel Hill [Team der University of North Carolina; Anm. von LS] gespielt, in einer der größten College-Fußball-Dynastien des Landes. Wir haben 22 nationale Meisterschaften gewonnen. Das sind mit Abstand die meisten. Einer der Gründe, warum ich dort hingegangen bin, ist, dass ich lernen wollte, was man braucht, um Mitglied der US-Frauen-Nationalmannschaft zu werden, und weil wir dort so viele Spielerinnen haben, die für das Nationalteam der Vereinigten Staaten gespielt haben. Carolina verkörpert gewissermaßen die DNA, die man braucht, um die internationale Ebene zu erreichen.

Eines der Dinge, die ich ändern würde, ist, dass man in den letzten drei Jahren, als ich auf dem College war, kein Geld verdienen konnte. Nach dem Gesetz „Name, Image & Beliebtheit“ hatte die Schule die Werberechte, und es war nicht erlaubt, mit Dingen Geld zu verdienen, bei denen dein Gesicht oder deine Unterschrift verwendet wurde.

Aber im letzten Jahr wurden die Regeln geändert und studierende Athleten dürfen nun Geld verdienen. Man lebt im Grunde wie ein Profi und erhält gleichzeitig eine Ausbildung, und ich denke, das ist das Beste aus beiden Welten. Die Veränderung, die ich mir zu meiner Studienzeit gewünscht habe, ist also vor kurzem eingetreten, und sie verändert das Leben der studierenden Sportler auf so positive Weise. Was die Entwicklung des Fußballs angeht, so trainieren immer mehr Mädchen schon in jüngeren Jahren gemeinsam mit den Profis. Ich habe zum Beispiel mein letztes Jahr, in dem ich spielberechtigt war, nicht wahrgenommen, um Profifußballerin zu werden, weil ich bezahlt werden wollte. Ich spiele gegen die beste Konkurrenz, gegen internationale Superstars aus der ganzen Welt. Und ich war einfach bereit für etwas Neues. Die National Women’s Soccer League (NWSL) [nationale Frauenfußballliga in den USA; Anm. von LS] wird also immer nachhaltiger und ist bereit, alle Spielerinnen zu unterstützen. Immer mehr Mädchen wechseln in einem früheren Alter von der College-Liga zu den Profis, wie man es in Europa sieht. Das ist eine großartige Erfahrung, aber es ist definitiv etwas anderes.

Nun ein ganz anderes Thema. Du bist eine Schwarze und ich möchte dich fragen: Hast du jemals Erfahrungen mit Rassismus gemacht, denn ich denke, in deinem früheren Verein in New Jersey – ich habe Bilder auf Instagram gesehen und ich glaube, dass das kein Thema mehr ist? Gibt es verrückte Fans?

Weil ich denke, dass Frauenfußball nicht mit Männerfußball verglichen werden kann, da es nicht so sehr ein Thema ist: zum Beispiel schwul zu sein. In meinen Augen ist das für uns im Frauenfußball kein „Thema“. Wie sind denn deine Erfahrungen in den USA?

Mittelfeldspielerin Brianna Pinto (weißes Trikot) und Houston Dash -Verteidigerin Katie Naughton kämpfen in der zweiten Halbzeit im Texaner PNC Stadium um den Ball.
Foto: Maria Lysaker – USA TODAY Sports

Ich würde sagen, dass ich zwar viele Privilegien genieße, mir aber auch die Schwierigkeiten bewusst sind, mit denen viele schwarze Spielerinnen konfrontiert sind, wenn sie in den Vereinigten Staaten aufsteigen wollen. Zum Beispiel werden schwarze Spielerinnen von den Trainern oft nach ihren körperlichen Eigenschaften eingeteilt, was oft dazu führt, dass sie Flügelspieler oder Außenverteidiger werden, weil sie schnell sind. Es ist nicht üblich, dass schwarze Spieler im Mittelfeld spielen, und das ist meine Aufgabe. Ich glaube, ich bin eine der technisch versiertesten Spielerinnen auf dem Feld. Aber in den Vereinigten Staaten werden schwarze Spieler oft nur für ihre Schnelligkeit geschätzt. Ich denke, es ist schwierig, und das ist mir besonders im Profibereich aufgefallen, dass es eine Menge „movement for justice“ gibt, aber nicht unbedingt für Rassengerechtigkeit. Ich bin zum Beispiel eine große Befürworterin der LGBTQ+-Gemeinschaft, ich würde sie gerne auf jede erdenkliche Weise unterstützen. Meines Erachtens leistet die Liga hier gute Arbeit.

Ich würde jedoch gerne die gleichen Bemühungen für Schwarze sehen, die mit der Rassenungleichheit in den Vereinigten Staaten zu kämpfen haben. Ich habe das Gefühl, dass wir unsere schwarzen Spielerinnen nicht so unterstützen, wie wir es bei anderen Minderheiten tun. Dazu gehört auch, wie wir die Mittel verteilen und wie wir unsere Demonstrationen gestalten: Sind sie einheitlich? Stehen alle für die gleiche Sache ein? Und ich kann nicht mit Sicherheit sagen, dass dies durchgängig der Fall ist.

Dann würde ich gerne zu deiner Geschichte kommen. Ich denke, du hast in den letzten Jahren so viel erlebt, also wie hast du die Entscheidung getroffen, worüber du schreiben willst? Und du hast mir auch von einem Foto erzählt… Wie lange hat es gedauert, bis du dich entschieden hast, und was ist die Geschichte dahinter?

Also, es ist die Geschichte, wie ich zum 60. FIFA-Kongress kam. Der Grund dafür, dass ich als Vertreterin der US-Jugend für diese Position ausgewählt wurde, war: Ich habe eine Geschichte erzählt, in der es darum ging, im ersten Länderspiel der U19 gegen den Iran zu spielen. Wir spielten bei einem Turnier in China. Es war die erste internationale Erfahrung für die Iranerinnen. Ich glaube nicht, dass die Punktzahl ausgeglichen war, aber das Spiel war wichtiger als das.

Wir konnten Beziehungen zu den iranischen Mädchen aufbauen und sie nach dem Spiel auch abseits des Spielfelds als Menschen kennenlernen. Es war eine wirklich schöne Erfahrung, weil sie meine Mannschaftskameradinnen und mich daran erinnerten, wie viel Glück wir hatten, dass wir alle Mittel und Möglichkeiten hatten, auf höchstem Niveau zu spielen, vor allem in diesem Alter, in welchem dies für sie ihre erste Gelegenheit war. Das hat mich zum Nachdenken gebracht: Was können wir als gut ausgestattete Nationen tun, um den Ländern, die gerade erst mit dem Frauensport beginnen, mehr Chancengleichheit zu bieten?

Die Vereinigten Staaten und Deutschland sind zwei der Weltmächte im Frauenfußball. Damit sich der Sport auf der ganzen Welt entwickeln kann, müssen wir mehr tun: Unterstützen wir andere Nationen? Ich weiß, dass wir natürlich daran interessiert sind, dass unsere eigenen Länder gewinnen. Aber ich denke, dass alles, was wir tun können, um gleiche Bedingungen für alle zu schaffen, das Spiel in Zukunft viel besser machen wird.

Wie bin ich dazu gekommen, darüber zu schreiben? Ich meine, jeder kann über ein Spiel berichten, das er gewonnen hat, oder über den Gewinn einer Meisterschaft. Aber ich denke: Ich habe mich entschieden, diese Geschichte zu erzählen, weil sie auf den Punkt bringt, worum es beim Fußball geht. Denn so wurde ich für diese Position bei der FIFA-Veranstaltung ausgewählt, bei der wir uns die Gastgeberrechte für die Weltmeisterschaft sicherten. Es ging darum, dass Kulturen zusammenkommen und sich gegenseitig unterstützen. Das war eine großartige Sache, die innerhalb der FIFA passieren kann. Also wollte ich die Geschichte erzählen.

Wo hat das Turnier in China stattgefunden?

Es fand in Guangzhou statt.

Als wir uns weiter unterhielten, kamen wir darauf zu sprechen, dass Brianna kurz zuvor Lutz (Pfannenstiel; der auch einer der Autoren des Fußballbuches ist) getroffen hatte.

Ich habe ihn bei der Mac-Hermann-Veranstaltung getroffen. Ich war dort mit zwei anderen College-Spielern. Es war eine Veranstaltung zur Ehrung der drei besten Spieler im College-Fußball. Ihn in dem Buch zu sehen, war also wirklich einzigartig. (Sie blättert durch das Buch und zeigt mir ein Foto…) Dieses Bild ist mein Agent.

Nein, wirklich?! Oh mein Gott, ich muss das Urs erzählen, dem ehemaligen Schiedsrichter, der die Geschichte geschrieben hat und der die Geschichte liebt. Er war der Initiator dafür, dass diese Leute [Spieler aus den USA und aus dem Iran] für ein Bild zusammenkamen.

Ich habe tatsächlich ein Bild, das dem hier sehr ähnlich ist. Also, die Geschichte, von der ich erzählt habe, als wir gegen den Iran gespielt haben. Wir haben ein Foto wie dieses gemacht. Ich schicke es dir zu. Und ich kann es auch auf meine Seite kleben, wenn ich sie schreibe.

Wahnsinn!

(Sie zeigt mit dem Finger auf einen Mann auf dem Bild.) Er ging auch nach Carolina, an die University of North Carolina, Chapel Hill.

Und wie heißt er?

Eddie Pope. Und das ist Claudio Reyna (sie zeigt auf einen anderen Mann auf dem Bild), seine Frau hat für meinen Trainer in Carolina gespielt.

Oh, wow!

Ja, das ist wirklich einzigartig.

Das ist so cool! Das ist Fußball, so eine kleine Welt…

Die Welt ist klein! (wir lachen…)

So, die Welt ist wieder klein… 😊 Vielen Dank an Brianna, dass sie ein Teil unseres internationalen Fußballbuch-Teams ist!

Mal sehen, welche Station in der kleinen, weiten Fußballwelt das Buch als Nächstes ansteuert!

Interview mit Kristian Barbuscak

Bild_Interview mit Kristian Barbuscak
Kristian Barbuscak ist seit November 2014 als Torwarttrainer beim SSV Jahn Regensburg tätig. Foto: Lisa Schatz

Fußball international. Als ich beim Training des Drittligisten SSV Jahn Regensburg zusah, fiel mir der Perfektionismus des Torwarttrainers, Kristian Barbuscak, auf. Aufbau und Durchführung der Trainingseinheit: absolut akribisch. Seine Schüsse: perfekt gespielt. Er ließ seine Jungs mit Augenklappen trainieren und baute weitere Elemente ein, die ich bislang selten oder nie bei anderen Torwarttrainern beobachtet habe. Nach dem Training sprach ich ihn an und lernte einen weltoffenen Menschen mit einer äußerst interessanten Hintergrundgeschichte kennen. Er kam im Alter von 15 Jahren alleine nach Deutschland, um beim FC Bayern München zu spielen und eine Ausbildung zu absolvieren. Danach ging es über Lazio Rom, Austria Wien und die Grashoppers Zürich zu den New York Metro Stars. Als er mir davon erzählte, wurde ich neugierig und beschloss, euch seine einzigartige Geschichte in Form eines Interviews näherzubringen.

Herr Barbuscak, wollten Sie schon immer im Profifußball arbeiten oder gab es zwischendurch auch andere Pläne?

Unbedingt. Für mich als aktiver Torhüter hat sich diese Leidenschaft einfach nie in Frage gestellt. Mich haben zwei Schwerpunkte im Fußball interessiert: Der des Torwarttrainers, was ich jetzt ausüben darf, und auch der organisatorische Bereich, also das Teammanagement. Ich durfte ziemlich viele Hospitanzen machen, fast weltweit. Bei diesen war für mich nicht nur das spezifische Torwarttraining der Kollegen wichtig, bei welchem ich sehr viel lernen durfte. Für mich war es auch von großer Bedeutung, mich mit dem Busfahrer, Zeugwart, Fanshop-Mitarbeiter, mit der Sekretärin der Geschäftsführung, mit dem Koch und dem Teammanager zu unterhalten. Das hat mir sehr gut gefallen. Angenommen, ich dürfte nicht Torwarttrainer sein, dann wäre ich wohl Teammanager.

 

„Gerade die Stimmen der Menschen im Hintergrund sind wichtig“

Sie haben schon perfekt übergeleitet. Wie wichtig ist Ihnen Querdenken? Gerade, wie Sie es gerade formuliert haben, und inwieweit fließt es in das Torwarttraining mit ein?

Von außen betrachtet sehen viele den Fußball wohl so: Es gibt einen Kader mit 24 Spielern und den Trainerstab von vier Personen und das war’s. Aber im Fußball sind viel, viel, viel mehr Menschen wichtig. Viel mehr. Und die Stimmen gerade den Mitarbeitern oder den Leuten zu geben, die nicht im Fokus stehen, sondern Drumherum, im Hintergrund für den Verein arbeiten, das ist von hoher Bedeutung. Diese Stimmen sind sehr wichtig. Gerade für mich. Wie sich das im Torwarttraining widerspiegelt? Wahrscheinlich gar nicht direkt. Aber da ich durch meine Erfahrung gelernt habe diesen Menschen zuzuhören, kann ich das Aufgenommene quasi in meiner Arbeit integrieren und insofern – wenn ich die guten oder die schlechten Launen des Torhüters erkenne – darauf reagieren oder entsprechend agieren.

Also auch in Richtung Persönlichkeitsentwicklung?

Definitiv. Wenn sich der Torhüter aufregt, dass der Platz nicht perfekt gemacht worden ist und ich mich sowieso noch mehr darüber aufrege, jedoch weiß, warum der Platz nicht so gemacht werden kann wie beim FC Bayern oder Real Madrid, versuche ich mich erstmal in die Lage des Platzwartes zu versetzen und dann schließe ich eine Brücke zwischen seinem Bereich und meinem Bereich. Dann versuche ich eine gute Stimmung zu erschaffen.

 

Über das Ballett zum Fußball

Wie sind Sie überhaupt zum Fußball gekommen?

Ich hatte leider mit vier Jahren einen Unfall, nach welchem mein kleiner Finger amputiert wurde. Nach der Amputation war ich als Kind in einem Schockzustand über mehrere Wochen. In der Zeit habe ich nicht gesprochen, ich war wirklich total still. Nach beliebigen Fragen meiner Eltern, vor allem von meiner Mutter, ob ich Hunger habe, ob ich Süßigkeiten möchte, Geschenke, ob ich sie liebe, habe ich keine Antwort von mir gegeben. Sie haben versucht verschiedene Therapien einzusetzen. Sie sind zum Beispiel mit mir ins Kino gegangen. Aber ich war immer traurig und durch die Amputation gekennzeichnet. Eines Tages gingen wir zum russischen Staatsballett. Ich habe gesehen, wie die Menschen elegant tanzten und angefangen zu reden. Dann brachte mich meine Mama in die Tanzschule und dann habe ich im Alter von fünf Jahren ungefähr zehn Monate lang Ballettübungen gemacht. Man sagte mir damals, dass ich sehr talentiert sei, und ich bin sehr gerne dorthin gegangen. Ich war der einzige Junge dort bei den Mädels und meine Mutter fand es toll, aber nicht bezüglich des Sports, sondern dass ich wieder angefangen habe zu reden und mich normal zu verhalten.

Weshalb hat Sie gerade das Ballett derart fasziniert, dass Sie wieder begonnen haben zu sprechen?

Ich weiß es nicht. Warum gerade Ballett, warum nicht Kino oder Pferde? Meine Eltern haben so viel versucht. Ich weiß nicht, wieso Ballett. Wahrscheinlich die Eleganz, das Gefühl für Feinheit und für Perfektionismus. Mein Dad war selbst Sportler, aber nicht im Ballsport, sondern er ist Fahrrad gefahren. Er hat sich die Entwicklung meiner Person in diesem einen Jahr angeschaut. Als er eines Tages nach Hause kam, hat er angedeutet: „Ja, das ist nix für Jungs. Also schon, aber man entwickelt sich zu einer anderen Art von Männlichkeit“. Er entschied: „Ab morgen spielst du Fußball“. Dann habe ich mit dem Ballett aufgehört.

Einfach so, ohne Widerrede?

Ja, ich habe gesagt, ich möchte nicht mehr. Ich war sechs Jahre alt. Ich bin im Kommunismus aufgewachsen. Bei uns in der Tschechoslowakei – gerade was den Sport anbelangte –  wenn man talentiert war, wurde man gefördert. Man wurde gleich der Elite zugeordnet und so kam ich zu einer Aufnahmeprüfung zu einem Verein, der das in der Tschechoslowakei war, was der FC Bayern München für Deutschland ist: Slovan Bratislava. Dort gab es eine eigene Sportschule mit Eliteklasse. Dort musste ich eine einwöchige Aufnahmeprüfung machen. Die letzten beiden Tage waren nur Spiele. Es wurde schnell aussortiert, ohne jegliches Gefühl für den Menschen. Das war damals im Kommunismus so. Ich habe es geschafft, unter die besten Hundert zu kommen. Zwanzig Spieler und zwei Torhüter wurden genommen. An den beiden Tagen mit den Spielen waren mehrere Trainer anwesend. Die Gruppe, in der ich war, wurde von einem Trainer gefragt: „Möchte jemand von euch freiwillig ins Tor gehen?“. Ein Kind zeigte auf mich und sagte: „Den brauchst du nicht fragen, weil er nur neun Finger hat“. Und das im Alter von sechs Jahren! Da habe ich mir gedacht: „So, jetzt erst recht“. Heute bin ich dankbar dafür, dass der Junge das gesagt hat, weil ich sonst nicht da wäre, wo ich bin. Somit war mein ganzes Leben durch mein Handicap geprägt: Ich musste immer mehr trainieren als die anderen. Ich war häufiger verletzt als die anderen. Der Finger neben dem amputierten war oft ausgekugelt. Aber das war für mich nie eine Entschuldigung. Ich habe immer mehr an der Sprungkraft gearbeitet, an der Reaktionsschnelligkeit. Ich war nicht talentiert. Im Kommunismus gab es kein Talent. Man hat hart gearbeitet. So richtig hart, ja. So kam ich zum Fußball.

 

Von der Tschechoslowakei zum FC Bayern – im Alter von 15 Jahren…

Wie ging es danach weiter?

Bis zu meinem 15. Lebensjahr war ich in der Elite. Diese beendete ich mit dem Hauptschulabschluss. Das war damals so. Danach konnte man noch das Abitur oder eine Ausbildung machen. Aber für mich ging’s nach Deutschland. Meine Eltern blieben in der Tschechoslowakei. Es gab im Jahr 1992 ein Turnier in der Nähe von Fürth, bei dem ich mit der Nationalmannschaft oder mit der Auswahl dabei war. Ich habe damals ein paar ganz gute Bälle gehalten. Dort wurde man auf mich aufmerksam. Im selben Jahr bot – durch die Grenzöffnung – die Bayerische Bauindustrie der Tschechoslowakei eine Kooperation an. Die – vom Schulergebnis her – fünfzig besten Kinder bekamen die Chance, eine Ausbildung in Bayern zu machen. Und es kamen 51 Kinder nach Bayern… Wir mussten an einem Schnelldeutschkurs teilnehmen, um eben eine Ausbildung in Deutschland machen zu können. Schon vorher wurde ausgemacht, dass ich auf Grund des Fußballs, eine Ausbildung in München machen muss wegen des FC Bayern. Ich kam her, habe mich gleich verletzt. Erste OP, am Meniskus. Dann wurde ich zwei Jahre an die SpVgg Unterhaching ausgeliehen. Dort spielte ich zwei Jahre und kam dann zurück zum FC Bayern.

Wie war es in dieser Zeit mit dem Heimfahren, mit Heim- und Fernweh? Oder haben Sie sich erstmal gefreut, ein Abenteuer zu erleben und in ein neues Land zu kommen?

Ich kam mit 15 Jahren hierher und bekam eine eigene Wohnung. Am Anfang war das Ganze schon etwas seltsam für mich. Meine Eltern zum Beispiel mussten acht Jahre lang für eine Mikrowelle sparen, welche es bei uns nicht gab. Dann ging die Grenze auf und wir haben uns diese Mikrowelle gekauft. Ich bin im Plattenbau aufgewachsen. In dem einen großen Block, in welchem vierzig Familien gewohnt haben, hatten wir als einzige eine Mikrowelle. Ein Nachbar hatte einen Videorekorder. Ich kam nach Deutschland und hatte alles. Mein erster Gedanke war, alles mit nach Hause zu nehmen und zu verschenken. Bei uns im Supermarkt gab es nur zwei Marmeladen: eine rote und eine gelbe. Und wir waren alle glücklich und zufrieden. Da gab es keinen Streit. Man kannte nichts anderes. Und da kam ich hierher und es gab vierzig verschiedene Marmeladen. Und dann gab es Menschen, die eine bestimmte wollten, die es gerade nicht gab und sie regten sich voll auf und für sie war der ganze Tag im Eimer (nachdenklich).

Also, die ersten Monate waren ganz cool für mich, weil ich das erste Kind war, das – was Fußball anbelangte – aus der Tschechoslowakei zum FC Bayern oder hier nach Deutschland gewechselt ist. Man wird mit so vielen materiellen Sachen konfrontiert. Als Kind habe ich in der Tschechoslowakei eine Trainingshose bekommen, ohne Marke. Und ich habe eine Regenjacke und Gummifußballschuhe erhalten und das war’s. Hier in Bayern habe ich auf einmal drei kurze und drei lange Trainingsanzüge bekommen sowie zwanzig Paar Handschuhe mit Logo. Wirklich unvorstellbar. Die ersten drei Monate waren nur Kennenlernen und ich habe zum ersten Mal in meinem Leben einen echten Porsche gesehen, nicht nur als Matchbox-Auto. Und der Supermarkt! Im Regal habe ich für meine Mikrowelle Fertiggerichte in x verschiedenen Variationen gesehen. Also, das war schon heftig.

 

Als man die Dinge noch viel mehr zu schätzen wusste…

Dann gab’s den ersten Urlaub über Weihnachten. Damals war ich zwei Wochen zu Hause. Ich kam heim und hab mich wie ein kleiner Star gefühlt. Alle wollten wissen, wie es draußen sei, und alle haben mich bewundert und die neuen Klamotten, die ich anhatte. Als ich hierher zurückkam, musste ich hart arbeiten. Hier habe ich keine Bewunderung erfahren. Von niemandem. Dann bekam ich Heimweh. Mir haben meine Freunde gefehlt, extrem meine Eltern. Ich war alleine und habe viel weinen müssen und dürfen. Nach den Spielen war es für mich immer sehr schwierig: Die anderen Spieler sind da mit ihren Familien immer gleich essen gegangen, Omas, Opas und Tanten waren da. Ich bin dann alleine in die Straßenbahn gestiegen und nach Hause gefahren. Also, es war eine enorm harte und gute Schule fürs Leben. Ich würde es wieder machen. Zu der Zeit, in der ich mich befand.

Ich habe einen 13-jährigen Sohn. Angenommen, er hätte jetzt die Gelegenheit, dass er mit Fünfzehn von Deutschland nach Amerika oder England – aber heute kann man das nicht so vergleichen – kommen könnte, glaube ich, dass ich mit ihm mitgehen würde. Aber zu der Zeit damals war die Welt noch mehr „in Ordnung“. Gerade in Bayern und gerade in München. Man hat die Dinge viel mehr geschätzt. Für mich war das etwas ganz Besonderes, dass ich in diese gelbe Telefonzelle gehen durfte und meine Mama anrufen konnte. Es gab kein Handy.

Gab es damals auch schon ein Jugendhaus beim FC Bayern?

Nein, ich habe eine Wohnung von der Firma gestellt bekommen, bei der ich die Ausbildung absolviert habe.

Wie gut konnten Sie die Ausbildung mit dem Training koordinieren?

Die Schule und alles andere war an den Fußball angepasst. Die allgemeinen Werte waren ganz anders. Ich habe meiner Mama einen Brief geschrieben. Handschriftlich. Und meine Mama hat mir auch so geantwortet. Dann bin ich jeden Tag von der Schule oder vom Training nach Hause gegangen und habe den Briefkasten mit so einem Herzschlagen aufgemacht. Wenn ein Brief darin war – zwölf Seiten, die mir meine Mama abends am Tisch geschrieben hat, als mein Vater und mein Bruder schon schliefen, dann konnte ich mir das exakt vorstellen: Der Geruch der Küche, in der ich aufgewachsen bin. Ich finde es schade, dass viele Menschen diese Werte heute verloren haben und dass soziale Medien alles andere übertreffen. Nichtsdestotrotz ist die Technik heute sehr vorteilhaft. Ich hätte damals alles gegeben, wenn ich einen Videoanruf hätte tätigen können. Alles hat Vor- und Nachteile.

Wie haben Sie die Zeit beim FC Bayern erlebt? Wie schnell wurden Sie integriert?

Die ganze Mannschaft hatte Respekt vor mir, dass ich alleine in Deutschland war. Und ich war für alle etwas ganz Besonderes – ich hatte hier zwar nicht meine Eltern und auch keine Unterstützung von anderen Außenstehenden – aber ich war der einzige in der Mannschaft, der eine eigene Wohnung hatte. Da war der Neid schon extrem. Mein Trainer war damals Gerd Müller, der Co-Trainer war Jürgen Press.

Wussten Sie schon vorher, wer Gerd Müller ist?

Ja, wir hatten einen Fernseher und als Kind waren mir Namen wie Müller, Beckenbauer, Maier und Breitner bekannt. In München habe ich ihn dann zum ersten Mal in Echt gesehen. Ich habe das erst viel später verstanden, aber das Schicksal, das Gerd Müller nach seiner Zeit als Fußballprofi getroffen hat, hat ihn vielleicht menschlicher gemacht. Ich habe mich mit ihm ein paar Mal unterhalten. Die Gespräche waren für mich von großer Bedeutung. Wenn ich Heimweh hatte oder wenn mich irgendetwas geärgert hat, hat er mir zugehört und er hat mich verstanden. Ich kriege heute noch Gänsehaut, wenn ich darüber spreche. Also, ein totales Gegenteil von Sepp Maier. Dieser war mein Torwarttrainer. Das war eben harte Schule. Da war Gerd Müller menschlicher. Der Co-Trainer war der Coach, und Gerd Müller war der Mentor. Ich hatte eine sehr schöne Zeit in München. Und in der Bewunderung der ganzen Profis wie Kahn, Helmer, Matthäus, Basler, Ziege, Nerlinger und Klinsmann, das war schon etwas Besonderes.

 

In der Welt der Proficlubs

Wie lange hat es gedauert, bis Sie das alles realisiert haben? Sie wurden da ja richtig ins kalte Wasser geschmissen: Ein neues Land, eine neue Sprache, eine neue Kultur und der große FC Bayern München.

Für mich war das dadurch, dass ich in der Tschechoslowakei in der Schule in einer Mannschaft des besten Vereins war, von den spielerischen Elementen her kein großer Unterschied. Mein Team in der Tschechoslowakei war auch nicht schlecht. Wir waren von den technischen und taktischen Elementen her nicht so gut wie die Spieler beim FC Bayern, aber wir konnten besser laufen und härter arbeiten als diese. Wir konnten in der Tschechoslowakei vielleicht zwei, drei Finten mit einem Übersteiger, und Schere und Zickzack. Aber wir konnten nicht Zidane und Doppelpass. Also, das Spiel von Bayern war schon anders.

Wie ging es weiter? Sie haben ja sehr oft den Verein gewechselt…

Ja, leider. Auf Grund der Qualität wurde ich beim FC Bayern nicht übernommen. Es gab einfach bessere. Zum einen Tomic. Dieser musste dann auch wechseln, als Gospodarek kam und Ersatz von Oliver Kahn wurde. Tomic ist Augenthaler damals nach Graz gefolgt und ich bin zu Lazio Rom gegangen. Dort war Dino Zoff als Präsident tätig. Er war mit Trappatoni befreundet, welcher damals Trainer beim FC Bayern München war. Mein Landsmann bei Lazio Rom war Pavel Nedvěd. So kam ich nach Italien. Aber leider gab es eine Regel, auf Grund derer nur drei EU-Ausländer spielen durften, und somit bin ich gleich nach Wien weiter. Dort hat es auch nicht so richtig funktioniert. Ich habe es leider immer nur geschafft, die Nummer 1 in der B-Mannschaft zu sein. Also in dieser U21, U23 damals: der Zweiten. Es war so ähnlich wie es jetzt hier in Regensburg mit dem dritten Torwart ist. Er trainiert zwar mit und ist im täglichen Geschäft mit drinnen. Aber wenn es dann um die Spiele geht, ist er nicht im Kader.

Dann habe ich mein Glück versucht, so schnell wie möglich auf Profilevel zu kommen, und mich entschieden, von dieser Topliga, also von der deutschen bzw. italienischen, irgendwohin zu gehen, wo ich mehr Chancen bekommen würde. Ich ging nach Wien, wo mich der Trainer aber nicht so mochte. Der Torwarttrainer und der Präsident kamen gut mit mir klar, aber der Cheftrainer hatte ein Problem mit mir. So kam ich in die Schweiz.

Lagen Ihnen die Angebote der Vereine damals schon vor oder haben Sie selbst bei den Clubs angefragt?

Nein. Ich war damals in der Nationalmannschaft. Es gab damals schon ein paar Spieler, die im Ausland gespielt haben. Ich habe mich mit ihnen unterhalten und wusste, wo eventuell ein Torhüter gebraucht werden konnte. Dort habe ich angerufen und gesagt: „Ich komme vorbei“. Dann kam ein entscheidender Punkt: Es gab Interesse eines türkischen Vereins. Für mich war aber die Türkei damals – ich weiß nicht warum – keine Option. Gleichzeitig lernte ich in Zürich einen Italiener kennen, der sehr gute Kontakte nach Amerika hatte. Dort gab es einen Manager, der wiederum Kontakt zu den Metro Stars in New York hatte. Dorthin wechselte Matthäus und ich wechselte zu deren zweiter Mannschaft.

Wie sind Ihre Eltern mit Ihrer Situation umgegangen? Haben sie sich gefreut, dass Sie neue Länder kennen lernen konnten, oder war es für sie eher schwierig, dass Sie weg waren?

In dem Alter, in dem ich diese Möglichkeiten bekommen habe, neue Welten, neue Menschen, neue Mentalitäten, neue Sprachen kennenzulernen, in dieser Zeit waren meine Eltern einfach hinter einer riesigen Mauer und sie waren durch den Kommunismus eingesperrt. Sie haben sich sehr gefreut, dass ich diese Möglichkeit bekommen habe, und haben mich da unterstützt. Wir waren ständig in telefonischem und schriftlichem Kontakt. Heute bin ich sehr dankbar dafür. Ich spreche sieben Sprachen und kenne viele Menschen. Das hat was.

 

Das Essen baut Brücken zwischen den Menschen

Wie haben Sie die Sprachen gelernt? Haben Sie Unterricht genommen oder haben Sie tatsächlich das Wichtigste über den Fußball aufgenommen?

Ich habe leider keine einzige Sprache in einem Kurs gelernt. Daher kann ich keine Sprache perfekt. Nicht einmal meine Muttersprache. Es ist oft so: Wenn ich meiner Mutter eine SMS in unserer Sprache sende, schreibt sie zurück: „Kind, das ist nicht gut“. Mein Urgroßvater war ein amerikanischer Konsul in der Tschechoslowakei. Meine Familie kommt mütterlicherseits aus Ungarn, väterlicherseits aus Amerika. Er kannte dreizehn Sprachen in Wort und Schrift. Wahrscheinlich durfte ich da irgendetwas erben. Ich interessiere mich sehr für neue Kulturen. Auf allen Stationen meiner Karriere ist mir aufgefallen, dass Essen die beste Brücke zwischen den Menschen ist. Es ist ein sehr wichtiges Element, wenn man neue Kulturen kennenlernt. Ich glaube, es gibt kein Geschenk auf diesem Planeten wie ein so ehrliches Lachen oder eine derart positive Ausstrahlung des Gegenübers, wenn man es mit einem guten Essen beeindrucken kann. Ich war einfach oft und sehr gut essen. Man öffnet sich und fängt an zu sprechen. Ich glaube, dass mir die Kommunikation beim Essen diese Scheu und Angst genommen hat, einen grammatischen Fehler zu machen, sodass mich jemand auslachen könnte.

 

Über das Torwarttraining zur damaligen Zeit

Worin hat sich der Trainingsalltag in den Ländern voneinander differenziert? Sie haben schon davon gesprochen, wie es bezüglich der Technik, Taktik, Kondition und dem Zweikampfverhalten war. Wie war zum Beispiel nochmal der Unterschied zwischen dem Training beim FC Bayern und in New York bzw. zwischen dem FCB und Lazio Rom?

Die beste Torwartschule – allgemein das Spiel – war in Rom. Wobei ich ganz ehrlich sagen muss: Ich durfte von diesem Fußballkuchen nur vier Jahre lang kosten. Auf Grund einer schweren Verletzung musste ich meine Karriere als Aktiver sehr früh beenden. Meine Bänder und mein Knie waren so kaputt, dass ich bei einem neuen Verein keinen Medizincheck überstanden hätte. Dann kam eben die Neuorientierung in Richtung Trainerwesen. Ich hab damals einfach alles so gemacht, wie man es mir gesagt hat, aber nicht die Unterschiede gesehen, wie ich sie heute sehe. Damals gab es noch keine Torwarttrainer. Die Ausbildung dazu hat noch nicht existiert. Ich hatte einfach gute Ersatzspieler, die sehr gut schießen konnten. Auch mein Torwarttrainer in Rom konnte sehr gut schießen. Ja, und das war eigentlich das Training. Dass ich durch diese Qualität der Schüsse so nah wie möglich an das Spiel kam.

Und die Antizipation des Torhüters war noch gar kein Thema?

Gar nicht. All das, was ich jetzt mit meinen Torhütern übe und ihnen lerne, wäre damals meines Erachtens eine Revolution gewesen. Ich weiß nicht, ob damals ein Torhüter diese Art von Training hätte absolvieren können.

 

Von der Münchner Disziplin bis zur italienischen Leichtigkeit

Welche Kultur hat Sie am Meisten fasziniert?

Ich glaube, dass die Mischung das Interessante an dem Ganzen ist. Ich mag München sehr: für seine Sauberkeit, für seine gewisse Art von Charme. Mir gefallen die Disziplin und die Ordnung sehr. Wenn ich zu diesem „Münchner Cocktail“ ein Element hinzumische, vermisse ich die Leichtigkeit der Römer, den Stolz der römischen Menschen, die das Leben lieben und genießen. Ich übertreibe jetzt mal ganz bewusst: Für einen Münchner ist es wahrscheinlich wichtig, dass er nach der Arbeit in sein schickes Auto steigt und nach Hause fährt, wo er sich auf sein x-tausend Euro teures Sofa setzt und Nachrichten oder „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ anschaut. Ein Italiener hat kein Auto, er fährt mit einem Fahrrad, welches in Deutschland wahrscheinlich nicht mal den TÜV bestehen würde – wäre ein TÜV erforderlich – und setzt sich mit anderen Menschen an den Tisch, unterhält sich mit ihnen und sie lieben das Leben. Das war eine riesen Lehre für mich. Wirklich toll.

Die Fähigkeit, etwas perfekt zu machen, und gerade die Elemente der Gastronomie derart gekonnt einzusetzen und die Sauberkeit und Ordnung – dahingehend habe ich sehr viel von Wien gelernt. Die Österreicher sind darin echt genial. Dann: Die Pünktlichkeit der Schweizer! Ihr Lebensstil, auch ihre Ordnung und Sauberkeit, das Miteinander, das Respektvolle, das hat mir sehr gut gefallen. Dann kommen wir zu dem krassesten Abschnitt meiner Laufbahn als Spieler: Ich glaube, es gibt nur wenige Städte auf diesem Planeten, in denen mindestens eine Person von allen Völkern der Erde lebt, und das ist New York City. Ich denke, dass die zweite Dubai sein müsste. Für mich hat New York vom Fußballerischen her gar keine Weiterentwicklung bedeutet. Aber kulturell betrachtet auf jeden Fall.

Gibt es eine Anekdote, die Sie – vielleicht damals, auf Grund der Sprachunterschiede – erlebt haben?

Als ich mit 15 Jahren nach Deutschland kam, konnte man sich über den Teletext – soziale Medien gab es damals noch nicht – daten. Darüber haben drei meiner Mitspieler vier Mädels gedatet und mich gefragt, ob ich mitkommen möchte. Ich sprach kein richtiges Deutsch und sagte nur: „Ja, gut, ich komme mit. Wie viel Geld muss ich mitnehmen?“. Einer meinte, dass fünf Mark reichen würden. Davon konnte man sich damals ein Spezi und eine Leberkäsesemmel kaufen: also eine super Sportlerernährung (lacht). Wir haben uns dann tatsächlich mit den vier Mädels getroffen. Die anderen haben sich alle miteinander unterhalten. Ich habe kein Wort verstanden. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass es um Horoskope ging. Die Mädchen haben jeden von uns gefragt, welches Sternzeichen wir seien. Als sie mich fragten, was ich sei, habe ich gesagt: „Torwart“. Alle haben gelacht. Sie haben es mir erklärt und ich meinte: „Ja, ok, ich bin Fisch“ (lacht).

 

„In meinem Zimmer hing die Karte des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds“

Wenn Sie nochmal auf Ihre bisherige Zeit im Fußball zurückblicken: Welches war Ihr schönstes Erlebnis?

Das waren ziemlich viele Momente und sehr, sehr schöne Momente in der Jugendzeit. Turniere in England und Mexiko. Für mich war das Reisen, das Kennenlernen der Kulturen das Schönste. Diese Lust auf Neues, etwas zu entdecken. Das war so komisch: In der Jugend war es für meine Mitspieler wichtig, in welche Diskos sie nach dem Spiel gingen. Ich hatte zu der Zeit eine Monatskarte des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV; Anm. von LS) und zu Hause kein Poster von einem Schauspieler oder einer Boyband oder Ähnlichem, sondern die Karte des MVV hängen. Wenn ich einen Tag frei hatte, habe ich einen Blick auf die Karte geworfen und zum Beispiel entschieden: „Ok, ich fahre heute mit der S2 bis zur Endstation nach Petershausen und das ist mein Ausflug. Dort esse ich in einem Restaurant zu Mittag und gehe Spazieren“. So habe ich dann über Holzkirchen, Dachau, Ebersberg, Wolfratshausen und Starnberg die ganze Umgebung kennenlernen wollen. Das war für mich immer etwas Faszinierendes. Ich wollte so viel entdecken und so viel aus der Welt saugen. Und diese Einstellung versuche ich jetzt an meine Schützlinge weiterzugeben.

Ein super Schlusswort. Vielen Dank für das spannende Interview, Herr Barbuscak.

Bitte, sehr gerne.

Celia Šašić: Ex-Profi, Mutter, Studentin und sozial engagierte Frau

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Celia Šašić (Mitte; damals 1. FFC Frankfurt) lässt Milla Fischer vom VfL Wolfsburg hinter sich. Foto: imago

Sie spielte für Bad Neuenahr und für den 1. FFC Frankfurt, gewann den DFB-Pokal, die Champions-League sowie die Olympische Bronzemedaille: Celia Šašić. Doch was sich leicht liest, war harte Arbeit. Als weiblicher Fußballprofi war es für sie selbstverständlich, neben ihrer sportliche Karriere zu arbeiten – oder, wie sie sagt: „Ich wollte eine Ausbildung machen und nebenbei noch Fußball spielen“. Nach ihrer Ausbildung zur Kauffrau für Marketingkommunikation hat Europas Fußballerin des Jahres 2015 ein Studium der Kulturwissenschaft begonnen, das sie demnächst abschließen möchte. Bevor sie jedoch ihre Bachelorarbeit anmeldet, ist sie rund um die Uhr für ihre kleine Tochter Mila da. Im Interview erzählt Celia Šašić, warum sie sich für ein Studium entschieden hat, weshalb sie sich sozial so stark engagiert und was sie fußballbegeisterten Mädchen mit auf den Weg geben möchte…

Frau Šašić, zunächst zwei Fragen zu Ihnen und Ihrem Kind. Wie geht es Ihnen und Ihrer Tochter und wie genießen Sie den Alltag?

Uns geht’s wunderbar und der Alltag ist vollkommen anders als zuvor, aber sehr sehr schön und mit sehr viel Spaß verbunden. Es ist einfach ein ganz anderes Leben, wunderschön.

Wächst Mila mehrsprachig auf?

Ja, ich spreche deutsch und französisch mit ihr und mein Mann spricht kroatisch und deutsch mit ihr.

 

Ausbildung, Studium und Fußball

Nun zu Ihrem Werdegang. Sie haben parallel zu Ihrer Karriere als Fußballspielerin eine Ausbildung zur Kauffrau für Marketingkommunikation absolviert und ein Studium der Kulturwissenschaft begonnen. Wie bekommt man das alles unter einen Hut?

In erster Linie war es wichtig, einen sportlerfreundlichen Arbeitgeber zu haben. Auch in der Uni war es bedeutend, Unterstützung zu erhalten: Zum Beispiel, dass ich die Prüfungen an anderen Terminen nachschreiben konnte. Als in meiner Ausbildungszeit größere Turniere anstanden, habe ich ohne Probleme frei bekommen. Man muss schon auch im Vorfeld mit dem Arbeitgeber klären, ob das alles so machbar ist oder nicht. Man braucht jemanden, der einen unterstützt, weil das sonst so in der Form nicht möglich wäre.

Wie sind Sie darauf gekommen, eine Ausbildung zur Kauffrau für Marketingkommunikation zu absolvieren?

In der Schulzeit wissen viele nicht: Was soll ich machen, in welche Richtung soll es gehen? Ich habe mich immer für Marketing interessiert und wollte wissen, wie es in dem Bereich ist. Bei Lotto Rheinland-Pfalz, das damals Sponsor in Bad Neuenahr war, habe ich dann die Chance bekommen, diese Ausbildung zu machen. Diese habe ich dankend angenommen, um einen Einblick in dieses Berufsfeld zu erhalten und zu schauen, was das wirklich ist.

Nach Ihrer Ausbildung haben Sie ein Studium der Kulturwissenschaft begonnen. Was genau hat Sie dazu motiviert?

Ich habe mich für den Studiengang entschieden, weil er mich wirklich vom Thema her interessiert hat. Vom Inhalt her wollte ich meinen Horizont erweitern. Ich habe das Studium nicht begonnen, um dann einen bestimmten Beruf zu ergreifen, sondern es war wirklich für mich für meinen Kopf, für meinen Geist, für mein Interesse.

Wie gefällt Ihnen das Studium und welche Inhalte haben Ihnen besonders viel Spaß gemacht?

Mir gefällt das Studium sehr gut, weil es für mich ein Ausgleich zum Fußball war. Mir fehlt jetzt nur noch die Abschlussarbeit. Für mich war das Inhaltliche, vor allem der Themenbereich „antike Philosophie“, am spannendsten. Ansonsten finde ich es gut, dass das Studium sehr breitgefächert ist. Auf eine gewisse Art und Weise gehört ja alles zur Kultur. Da war alles mit dabei: Medienwissenschaft, Ethnologie, Philosophie.

Sie sprechen mehrere Sprachen. Waren diese im Studium wichtig?

Das meiste war auf Deutsch. Ab und an gab es mal Texte auf Englisch, aber man musste keine zwei, drei Sprachen sprechen, um dort voranzukommen.

Worüber werden Sie voraussichtlich Ihre Bachelorarbeit schreiben? In einem Interview hatten Sie mal erwähnt, Platon aufgreifen zu wollen.

Ich habe mir in den vergangenen Wochen keine Gedanken darüber gemacht, weil ich erstmal mit meinem Kind ausgelastet bin. Aber das Thema hat mich sehr stark interessiert und deshalb werde ich es auch in der Abschlussarbeit thematisieren, denk ich mal.

 

„Wenn man verletzt ist, unterstützt einen niemand“

Dann zum Thema „Plan B – Karriere neben bzw. nach dem Profifußball“. Wie unterscheidet sich in der Hinsicht der Männerfußball vom Frauenfußball? Meiner Meinung nach zollt es höchsten Respekt, was die weiblichen Profis leisten, was Sie geleistet haben. Ohne Ausbildung oder Studium neben dem Job geht es bei den meisten gar nicht. Vielleicht können Sie ein bisschen beschreiben, was Sie von den Männern mitbekommen? Ob diese für „ein Leben nach dem Profifußball“ planen oder das komplett außer Acht lassen?

Grundsätzlich ist es schon schwierig. Im Frauenfußball sind nicht alle Profis, sag ich mal so. Klar, wenn man für die Nationalmannschaft und auch in einem „richtigen Verein“ spielt, dann kann man auch schon so viel verdienen, dass man sozusagen „Profi“ ist. Aber trotzdem muss man – oder ich sage mal – sollte man eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Studium haben oder zumindest beginnen, weil man nicht weiß, wie lange die Karriere im Fußball dauert. Wenn man verletzt ist, dann unterstützt einen niemand. Was klar ist, ist, dass man nach der Karriere nicht so ausgesorgt hat wie es bei einigen Männern der Fall ist.

Wird man von den Vereinen speziell gefördert? Sagen die Trainerinnen und Trainer auch mal, dass man Wert auf eine Ausbildung oder ein Studium legen soll oder ist es völlig legitim für die Spielerinnen, dass sie dahingehend etwas tun?

Das unterscheidet sich natürlich von Verein zu Verein, da werden die Schwerpunkte sehr unterschiedlich gesetzt. Irgendwie ist es im Frauenfußball selbstverständlich, eine Ausbildung zu absolvieren oder zu studieren, da es noch nicht so lange den weiblichen wirklichen Profifußball gibt. Also, als ich mit dem Fußball spielen angefangen habe: Ich weiß nicht, wie viele bzw. wenige damals nur vom Fußball gelebt haben. Da gab es sehr, sehr wenige, – wenn überhaupt. Die haben alle nebenbei noch gearbeitet. Da wurde eben nach der Arbeit noch trainiert. Man hat gespielt und ist praktisch vom Spiel heraus wieder zur Arbeit gegangen. Das war selbstverständlich. Jetzt ist es so, dass die jungen Mädels direkt von der Schule in dieses „Profi sein“ hineinkommen. Aber grundsätzlich ist es, ich sag mal in der „Szene“, selbstverständlich, weil jede weiß: Ohne Ausbildung oder Studium geht’s nicht. Man steht sonst blöd da, wenn man verletzt ist, aufhören muss und die Karriere beendet ist, ohne sagen zu können: „So, jetzt hab ich so viel verdient, das hat sich gelohnt“.

Ist Ihnen das noch einmal mehr bewusst geworden, als Sie auf Grund eines Schienbeinbruchs ein Jahr lang pausieren mussten? Redet man dann mehr mit den Kolleginnen über die Thematik „Plan B“?

Für mich war es eine Selbstverständlichkeit zu arbeiten, deswegen hat mich die Verletzung nicht bestärkt zu arbeiten. Für mich war das ganz normal: Ok, ich mache meine Ausbildung und dann mein Studium. Es war nicht so, dass ich gesagt hätte, ich müsse nebenher noch etwas Vernünftiges machen, sondern es war so, dass ich mir dachte: Ich mache eine Ausbildung und spiele nebenbei noch Fußball. Ich konnte so gut Fußball spielen, dass es zu meinem Beruf geworden ist, aber ich habe mich nicht für den Beruf Fußballprofi entschieden. Es hat sich einfach so entwickelt.

Jetzt möchte ich einen großen Sprung machen. Sie sind seit mittlerweile über zehn Jahren DFB-Integrationsbotschafterin. Welche Aufgaben haben Sie als solche?

Vor allem versuche ich Mädchen zu motivieren, Fußball zu spielen. Ich mache ganz viel Vielfältiges. Berichten, unterrichten, in die vielen verschiedenen Verein zu gehen und vielleicht auch zu Schulen zu fahren und sie dazu zu motivieren, die Projekte weiterzumachen, die sie gestartet haben. Auch die Integrationspreisverleihung gehört zu meinem Aufgabengebiet. Im Moment habe ich nichts auf der Agenda stehen. Ich werde immer wieder angefragt und muss derzeit gucken, wie es sich mit meiner Tochter vereinbaren lässt. Ich denke mal, dass da auch in Zukunft noch viel passiert.

 

Celia Šašićs soziales Engagement

Sie setzen sich auch für die Theo-Zwanziger-Stiftung und das Projekt „Girls for Hope“ ein. Was genau steckt dahinter?

Grundsätzlich habe ich viele Projekte unterstützt: Gerade für Projekte für Kinder bin ich immer sehr leicht zu haben, weil ich Kinder einfach sehr gerne hab. Deshalb habe ich mich in vielerlei Hinsicht für solche eingesetzt. Meine Einsätze gehen nie über einen längeren Zeitraum, sondern sind immer projektbezogen.

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Celia Šašić spielte über zehn Jahre für die deutsche Nationalmannschaft. Foto: DFB

Dann zur Nationalmannschaft. Haben Sie noch Kontakt zu Ihren ehemaligen Teamkameradinnen?
Ich habe noch Kontakt zu einigen Spielerinnen, wir haben ja viel Zeit miteinander verbracht. Ich verfolge das Ganze noch vom Fernsehen aus und freue mich, wie es bei dem Team gerade läuft.

 

„Ich würde gerne im Sportbereich bleiben“

Sie hatten in einem Interview angeführt, dass Sie sich auch vorstellen könnten, als Managerin im Frauenfußball zu arbeiten, um das Ganze besser strukturieren zu können. Ist das mittelfristig Ihr Ziel oder sagen Sie, Sie konzentrieren sich jetzt erstmal auf die gemeinsame Zeit mit Ihrem Kind und schauen spontan, was kommt?

Aktuell kümmere ich mich um das Kind. Ich kann mir vorstellen, danach irgendwo hineinzuschnuppern. Ich habe mein Leben lang Fußball gespielt und hatte dadurch nie Zeit, Praktika zu machen, um herauszufinden, was für mich in Frage kommt. Zunächst möchte ich etwas ausprobieren und gucken, in welche Richtung es für mich in Zukunft gehen soll. Ich würde gerne im Sportbereich bleiben. Ob es dann in einer Managerposition ist oder in irgendeiner anderen Art mit Fußball zu tun hat, wäre schön, da ich dann in dem Bereich arbeiten könnte, den ich gerne mag.

Könnten Sie sich auch vorstellen, als Trainerin tätig zu sein?

Das, was ich mir im Moment nicht unbedingt vorstellen kann, ist es, Trainerin im Seniorenbereich zu sein. Aber ausschließen, dass sich das in den nächsten Jahren ändert, würde ich es nicht. Was ich mir schon eher vorstellen könnte ist, als Trainerin im Kinder- und Jugendbereich zu arbeiten. Ich weiß nicht, ob sich das in zwei, drei Jahren ändert. Grundsätzlich möchte ich mich erstmal ein wenig ausprobieren.

Haben Sie in Ihrer aktiven Profizeit einen Hype wahrgenommen, dass nach der WM 2003 oder 2007 deutlich mehr Mädchen und Frauen Fußball spielen wollten?

Von dem Zeitpunkt, als ich angefangen habe in der Bundesliga zu spielen bis heute, hat sich der Frauenfußball sehr rasant entwickelt. Es kam schnell vom Hobby- zum Profitum. Auch die Präsenz und die Wahrnehmung der Nationalmannschaft hat sich deutlich gesteigert. Natürlich ist man nicht dort, wo der Männerfußball ist. Das wird der Frauenfußball auch nie sein. Natürlich ist auch noch Luft nach oben. Aber, wenn man die Zeitspanne betrachtet, ist diese Entwicklung schon enorm. Da ist auf jeden Fall einiges passiert.

Nehmen wir mal an, Sie würden in zwei, drei Jahren Managerin eines Frauenfußballteams werden. Welche wären die ersten Punkte, die Sie ändern und verbessern wollen würden?

Es kommt natürlich auf den Verein an, in dem man arbeitet. Darauf, welche Bedingungen man dort vorfindet. Es wäre schon wichtig, Strukturen zu schaffen, die im Männerfußball einfach gegeben sind, im Frauenfußball aber in einigen Vereinen noch nicht existieren.

Was würden Sie jungen Spielerinnen mit auf den Weg geben, wenn Sie in die Nationalmannschaft möchten? Welche Charaktereigenschaften sollten Sie mitbringen?

Man sollte das ganze machen, weil es einem sehr, sehr viel Spaß macht. Ganz egal, wie schwer und wie hart es ist: Man sollte versuchen, besser zu werden. Es ist außerdem immer sehr wichtig zu wissen, was man für ein Glück hat, wenn man in der Nationalmannschaft spielen kann. Die Mädchen sollten einfach ihr Ziel verfolgen, ohne dass sie dabei den Weg vergessen. Sie sollten immer daran denken, dass Fußball ein Mannschaftssport ist. Man kommt nicht voran, wenn man die anderen nicht im Team hat!

Vielen Dank für das Interview, Frau Šašić.

Bitte, gerne.