Fußballbuch-Update Nr. 11: Von Brianna Pinto zu Anson Dorrance

Liebe Fußballfans,

…und wieder gibt es Neuigkeiten: Brianna Pinto hat sich entschieden, das Fußballbuch an Anson Dorrance weiterzugeben. Der Trainer, der mit seinem Team die erste Frauen-WM im Fußball (1991) gewonnen hat, hatte keine andere Wahl. Er musste sich darauf einlassen. Weshalb? Das könnt ihr selbst im Interview nachlesen…

Da Anson Dorrance im Fußball schon viel erlebt hat, wurde unser Gespräch immer länger. Seine Aussagen gaben mir Anlass zu immer mehr Fragen. Deshalb feiern wir heute eine Premiere: Das erste dreiteilige Interview auf meinem Blog folgt… Teil 1 heute, Teil 2 am 8.7.2022 und Teil 3 am 10.7.2022.

Viel Spaß beim Sammeln von Eindrücken!

Eure

Lisa Blue

Anson Dorrance, Trainer des Frauenteams der University of North Carolina, bei der Arbeit. Foto: Athletic Department, University of North Carolina

Herr Dorrance, als Erstes würde ich gerne wissen, warum Sie sich entschieden haben, am Fußballbuchprojekt mitzuwirken? Wie haben Sie reagiert, als Sie das Buch bekommen haben?

Eigentlich hatte ich gar keine große Wahl. Brianna Pinto hat es mir einfach mit einer Notiz auf den Schreibtisch gelegt. Ich war also nicht im Besitz des Buches. Ich war also nicht in der Lage, es abzulehnen. Ich mag Brianna sehr. Das Buch lag also da, und es sah sehr interessant aus, also habe ich mich darauf gestürzt.

Ehrlich gesagt dachte ich: „Oh mein Gott, was für eine Nervensäge?“ Ich brauche drei bis vier Stunden am Tag, um meine E-Mails zu bearbeiten. Meine Tage sind also sehr, sehr arbeitsreich. Ich spreche die ganze Zeit mit vielen Leuten, wie mit dir. Ich rede viel mit meinen Spielerinnen. Im Moment bringe ich meine Profispielerinnen in die Mannschaft. Sie wollen während dieses Transferfensters spielen.

Für mich war es also eine Sache nach der anderen. Mein erster Gedanke, als ich das Buch gesehen habe, war: „Oh mein Gott, noch mehr Arbeit, das ist ja langweilig“. Aber dann schlug ich es auf, schaute es an und meinte: „Was für ein interessantes Projekt“. Ich fand es also wirklich spannend. Als ich angefangen habe zu schreiben, bin ich irgendwie hineingekommen. Und was mich dazu brachte, war Rainer Maria Rilke. Weil ich so viel anders über das Spiel nachdachte als die meisten Leute, weil ich ein Philosoph bin. Für mich ist das eine andere Sichtweise. Ich denke, diese Perspektive, durch das außergewöhnliche Rilke-Gedicht „Der Schauende“ auf das Spiel zu blicken, ist eine wirklich interessante.

Rilke ist ein berühmter deutscher Dichter. Ich habe dieses Gedicht am Ende eingefügt, weil ich wirklich glaube, dass unser Spiel uns alle möglichen wertvollen Dinge lehren kann. Was wirklich interessant ist: Wir lernen in unserem Spiel nicht durch Erfolg. Wir lernen in unserem Spiel durch das Scheitern. Denn dann werden wir widerstandsfähiger. Wir wissen die Tatsache zu schätzen, dass wir durch Misserfolge wachsen. Habt also keine Angst vor dem Scheitern. Habt keine Angst vor Herausforderungen. Und was ich jetzt langsam sehe, was nicht gut ist, ist: Wir werden alle so zerbrechlich. Das ist der Punkt, an dem ich immer noch sehe, dass Sport einen Wert hat. Und sogar einen Wert im universitären Umfeld. Denn wir sind alle das, was man den Elfenbeinturm nennt. Der Elfenbeinturm sind all jene Professoren, die denken, dass dies eine absolute Verschwendung unserer Vereinigung ist: eine Sportmannschaft in Verbindung mit einer Universität zu haben. Das lenkt von der Mission ab. Und die Mission ist eine normale Mission. Ich stimme dem Auftrag der Akademie im Elfenbeinturm vollkommen zu. Es geht darum, unsere jungen Leute zu erziehen, ihren Horizont zu erweitern. Um sie produktiver zu machen. Ich schätze, ich habe eine praktischere Sicht auf den Wert der Leichtathletik. Denn ich glaube wirklich, dass ich die „Theorie des großen Mannes“ der Bildung voll und ganz unterstütze. Dass man lernen kann, ein großer Mann zu sein, indem man die großen Männer und natürlich auch Frauen unserer Kulturen studiert, um herauszufinden, wie wir unser eigenes Leben leben wollen. Für mich hat der Sport also einen großen Wert, weil er uns sehr praktische Dinge darüber lehrt, wie wir unser eigenes Leben führen können, und er ist von großem Nutzen. Und auch für die Akademie ist er von großem Wert, weil man dann belastbarer ist. Damit ist man gerüstet.

Er lehrt uns auch den Respekt und die sozialen Aspekte, Freundschaften, das sich gegenseitige Helfen.

Ja. Und das sind Themen, die in der Akademie oder im Elfenbeinturm im akademischen Umfeld nicht wirklich direkt angesprochen werden. Werden sie denn direkt angesprochen? Ja, natürlich. Wenn man Shakespeare liest, lernt man auch etwas über Beziehungen. Und man erhält eine Ausbildung auf so viele verschiedene positive Arten. Aber ich denke, Sport hat auch einen Wert. Für mich haben also all diese verschiedenen Dinge einen Wert. Und was mir an dem Buch wirklich Spaß macht, ist, dass ich meinen kleinen Einblick in den Wert der Leichtathletik geben kann. Und ich habe meine kleine Einführung in das gegeben, was die Akademie zu schätzen wüsste, nämlich das Studium brillanter Schriftsteller wie Rilke, die einen außergewöhnlichen und kraftvollen unschätzbaren Wert in sich tragen, und wie wir auf die außergewöhnlichste Weise in der Welt aufwachsen können.

Was ich an dem Rilke-Gedicht „Der Schauende“ so liebe, ist: Er spricht über die Art, wie man wächst. Und die Art, wie man wächst, besteht darin, dass man von immer größeren Wesen besiegt wird. Meiner Meinung nach gibt es einen großen Zusammenhang zwischen dem Kampf, zu lernen, wie man das Spiel spielt, und den Herausforderungen, das Spiel zu gewinnen. Und im Grunde auch mit dem echten Leben. Also habe ich ein Gedicht geteilt, das ich absolut liebe, das meiner Meinung nach unser Spiel einfängt. Ich denke, dass unser Spiel einen Wert hat, weil es uns etwas über das Leben lehrt, und ich finde, dass unser Spiel so viel Ähnlichkeit mit der Lebenserfahrung selbst hat. Deshalb habe ich dieses Gedicht ausgewählt.

Perfekt. Ich bin nur ein bisschen überrascht, dass Sie Rainer Maria Rilke kennen. Er ist in Deutschland ziemlich berühmt, aber ich wusste nicht, dass er auch in den USA so bekannt ist.

Du solltest dieses Gedicht lesen, weil es sehr kraftvoll ist. Du wirst sehen, warum ich dieses Gedicht als Metapher für den Fußball ausgewählt habe. Ich denke, wenn du es gelesen hast, wirst du beeindruckt sein, weshalb ich es ausgewählt habe.

Danke, das werde ich machen. Das führt mich zur nächsten Frage. Was mögen Sie am meisten am Fußball? Ist es das Spiel selbst oder ist es das Zusammenkommen mit den Menschen, die Kommunikation mit ihnen? Die Teamarbeit, oder sind es die internationalen Turniere? Oder ist es das Kennenlernen anderer Kulturen?

Meine Liebe zu diesem Spiel hat sich mit der Zeit entwickelt. Als ich jung war, war es natürlich der Ball selbst, den ich liebte. Deshalb denke ich, dass man mit der Liebe zum Ball und der Liebe zum Spiel beginnt. Abgesehen davon, dass man das Spiel spielt, spielt man mit seinen Freunden. Es gibt also sicherlich einen sozialen Aspekt, der das Spiel einzigartig macht. Aber es ist auch das Fühlen des Balls am Fuß, die Befriedigung, etwas zu erreichen, was sehr schwierig ist, denn etwas mit den Füßen zu tun, ist eine wunderbare Herausforderung.

Ich denke, am Anfang steht die Liebe zum Ball, die Liebe zum Spiel, die Liebe zum Spiel mit Freunden. Und ich bin ein Weltbürger. Ich bin im Ausland geboren und aufgewachsen. Was man zu schätzen lernt, und ich als Amerikaner sicherlich auch, ist: Das ist das Spiel der Welt. Ich bin in Bombay, Indien, geboren. Als ich drei Jahre alt war, zogen wir nach Kalkutta, wo ich aufgewachsen bin. Von dort nach Kenia, von Nairobi, Kenia, nach Addis Abeba, Äthiopien, dann nach Singapur, Malaysia und nach Brüssel, Belgien. Während ich in Brüssel war, wurde ich auf ein Schweizer Internat in Freiburg in der Schweiz geschickt. Für mich ist das also mein Leben. Ich bin ein Bürger dieser Welt. Und natürlich: Was ist das Spiel der Welt? Fußball ist das Spiel der Welt. Als ich anfing, mich für Fußball zu interessieren, war es das Spiel, das ich an der University of North Carolina auf College-Ebene spielen konnte.

Ich liebe alle Sportarten. Die Sportart, in der ich am besten war, um auf College-Ebene zu spielen, war Fußball. Also fing ich mit Fußball an und liebte es einfach. Ich liebte den Wettbewerb. Ich liebte die Herausforderung. Und dann hat mich meine Liebe zum Spiel langsam aber sicher dazu gebracht, das Spiel zu organisieren, sodass ich eine führende Rolle im Bundesstaat North Carolina übernahm und versuchte, den US-Fußball mit den Ligen in North Carolina zu verbinden. Als ich dann Nationaltrainer der US-Frauen wurde, wurde ich zu einer nationalen Führungspersönlichkeit, die den Frauenfußball förderte. Denn als ich bei der UNC angestellt wurde, wurde ich eingestellt, um die Spieler zu trainieren, mit denen ich zusammen gespielt habe. Ich war also sehr jung. Aber mein Ziel war es nicht, Fußballtrainer zu werden. Ich wollte Anwalt werden, weil mein Vater seine eigene Ölfirma gründete und er wollte, dass ich sein Firmenanwalt werde. Ich liebte meinen Vater, ich war ein pflichtbewusster Sohn. Ich habe also Jura studiert, weil mein Vater das so wollte. Und der Witz in der Familie lautete damals: Wenn ich sein Firmenanwalt würde, würde ich wenigstens nicht die Dreistigkeit besitzen, mein eigenes Vermögen zu stehlen. Das war der Familienhumor. Dass ich der Familie und dem Unternehmen dienen würde und nicht – du weißt schon – Geld aus dem Unternehmen stehlen und es in meine eigene Tasche stecken würde.

Dann habe ich Jura studiert und ich habe es absolut gehasst. Während des Studiums trainierte ich in Teilzeit die Männer hier an der UNC, weil mein Vorgänger in den Ruhestand gegangen ist und mich dem Sportdirektor empfohlen hatte. Die meisten Leute schließen ihr Jurastudium hier in drei Jahren ab. Ich brauchte bis ins vierte Jahr, weil ich ein Semester nahm, um die Männer hier zu trainieren. Die Teilzeitstelle bei den Männern wurde dann in eine Vollzeitstelle umgewandelt, weil man mir auch ein Frauenteam anvertraute.

Ich trainierte also die Männer und die Frauen UND studierte gleichzeitig Jura. Ich habe jede Nacht vier bis sechs Stunden Schlaf bekommen. Das ist nicht genug für mich. Und so kam ich eines Tages nach Hause und meine arme Frau, die dachte, sie würde sich in einer Villa am Mittelmeer zur Ruhe setzen und mit einem Mann verheiratet sein, der eine Ölgesellschaft leitete, war nun mit einem Fußballtrainer verheiratet. Du kannst dir die unglaubliche Tragödie vorstellen, die ich mit nach Hause brachte, als ich ihr sagte, dass ich das Jurastudium aufgeben würde. Aber ganz ehrlich: Sie wusste, dass ich den Fußball liebe, und sie wollte, dass ich glücklich bin. Sie hatte also kein Problem damit. Der Einzige, der ein Problem damit hatte, war mein Vater, der offensichtlich enttäuscht war, weil er wollte, dass ich mit ihm zusammenarbeite und das Ölimperium der Familie Dorrance aufbaue. Aber der Fußball und das Coaching haben mir zu viel Spaß gemacht, und dann habe ich zehn Jahre lang die Männer und Frauen trainiert. Dazu gehörte auch, dass ich 1986 zum Nationaltrainer der Frauen ernannt wurde. Als ich eingestellt wurde, waren wir eine neue Nation im internationalen Fußball. Als ich eingestellt wurde, hatten wir noch nie ein Spiel in einem internationalen Wettbewerb gewonnen. Fünf Jahre später waren wir Weltmeister*in. Darauf bin ich natürlich sehr stolz, denn wir haben die Welt in ihrem eigenen Spiel geschlagen. Es ist nicht unser Spiel. Es ist dein Spiel, es ist das Spiel der Welt. Und wir waren tatsächlich Weltmeister*in.

Der Beginn des Pressings im Fußball…

Mein Lieblingsmoment bei der Weltmeisterschaft 1991 war der Sieg gegen Deutschland. Denn die Deutschen hatten eine hervorragende Mannschaft, und der Trainer der Mannschaft war der Trainer, der die Trainer in der Männer-Bundesliga ausgebildet hat. Dieser Mann war also nicht dafür bekannt, Frauen zu trainieren. Er war berühmt dafür, Männer zu trainieren, die auf der höchsten Ebene des deutschen Fußballs trainierten. Sein Name war Gero Bisanz. Wir haben ihn mit 4:2 geschlagen, und das war ihm sehr peinlich. Und zu seiner Rechten saß Tina Theune [damals Theune-Meyer, Anm. von LS], seine Assistentin. Im Grunde hat er der Welt und der Presse erzählt, dass wir geschummelt haben. Und wie haben wir geschummelt? Nun, wir haben gepresst. Und damals hat niemand gepresst. Alle spielten ein sehr klassisches und formelles 4-4-2. Es gab eine niedrige Konfrontationslinie, bei der man die andere Mannschaft im Defensivdrittel einen Raum schaffen ließ, indem man den Ball nach hinten spielte und dann einen Ball ins Mittelfeld spielte, um einen Verteidiger ins Mittelfeld zu schicken, der sich um den Ball herum aufbaute, und dann einen weiteren Ball nach vorne spielte. Und natürlich liefen wir in sie hinein. Wir haben die andere Mannschaft an der Gurgel gepackt und ihnen die Luft abgedrückt. Wenn die Deutschen den Ball gewonnen haben, haben wir ihnen keine Plattform gegeben, von der aus sie spielen konnten. Wir haben hoch gepresst.

In der Pressekonferenz behauptete er, dass dies eine Form von Betrug sei. Und natürlich presst heute jeder. Aber damals waren wir damit einzigartig. Weil niemand presste. Wir waren die einzige Mannschaft auf der Welt, die gepresst hat. Was dann wirklich schön war, war, dass Tina Theune, die eine sehr anmutige und wunderbare Frau war, zu mir kam, und sich für Geros Bemerkungen in der Pressekonferenz entschuldigte, nachdem sie von Gero wegen Betrugs beschimpft worden war – was wir natürlich nicht getan hatten. Sie sagte im Grunde, dass unser Team großartig gewesen sei und wir den Sieg verdient gehabt hätten. Und das war nur ein weiterer Beweis für meinen Respekt vor ihr, die schließlich natürlich Deutschland trainiert und hervorragende Arbeit geleistet hat. Ich habe also großen Respekt vor Tina. Sie hat mir eine Menge über das Spiel beigebracht. Sie hatte mich zu einem Lehrgang in Kanada eingeladen, und ich war dabei. Ich hörte mir ihre Rede an, und viele ihrer Ideen habe ich von ihr übernommen und in mein College-Programm und auch in die US-Nationalmannschaft einfließen lassen.

Als ich nach Kanada gebracht wurde, um Tina zuzuhören, hatte Deutschland einen Feldhockeytrainer eingestellt, um das deutsche Feldhockey zu verändern. Und was dieser Trainer umgesetzt hat, was zu dieser Zeit revolutionär war: die alte traditionelle Idee für die Spielerentwicklung, nämlich die maximale Wiederholung.

Das heißt, man hat diese anstrengenden drei bis dreieinhalb Stunden Training. Die Idee dahinter war natürlich: Je öfter du den Ball berührst, oder im Feldhockey, je öfter du den Ball triffst, desto besser wirst du werden. Den Ball zu berühren und zu treffen ist alles. Und dieser deutsche Feldhockeytrainer hat das deutsche Feldhockey mit diesen revolutionären Ideen aus dem Nichts an die Weltspitze geführt. Und was waren diese revolutionären Ideen? Sie lauteten, dass das Training maximal anderthalb Stunden dauern sollte, und auch wenn man nicht so viele Wiederholungen wie bei einem drei-, dreieinhalb- oder vierstündigen Training macht, so gewinnt man doch eine unglaubliche Begeisterung für das Spiel, und man kommt ausgeruht, gestärkt und spielfreudig zum Training und verliebt sich in das Spiel. Und mit diesem Enthusiasmus kommt man am nächsten Tag mit der gleichen Leidenschaft zurück, um das Spiel wieder zu spielen, mit dem Sprint und so weiter und so fort. Und natürlich hat mein Training damals zwei oder zweieinhalb Stunden gedauert, und ich dachte, das ist verrückt, als ich Tina über diesen deutschen Feldhockeytrainer zuhörte, der nicht nur das deutsche Feldhockey revolutioniert hat. Das hat dann auch der Deutsche Fußball-Bund als Trainerprinzip übernommen. Ich habe diese Idee von Tina geklaut, bin zurück in die Vereinigten Staaten zu meiner College-Mannschaft gekommen und plötzlich ging ich sehr nervös von diesen zweieinhalb Trainingsstunden zu eineinhalb Stunden über, weil ich dachte, ich würde meine Spieler ruinieren. Aber ich hatte Vertrauen in das, was Tina mir sagte, und völlig überraschend hatte sie absolut Recht.

Wir kamen mit mehr Energie zum Training, wir waren aggressiver im Training, und all diese Dinge sind, wie jeder Trainer sagen wird, entscheidend für die Entwicklung der Spielerinnen. Ich habe also eine Menge von ihr gelernt. Und ich bin froh, dass ich das in dieser Form mitteilen kann, denn ich bewundere sie sehr für das, was sie mir gesagt hat. Aber auch, wie gnädig sie bei der Weltmeisterschaft 1991 war, als sie mir diese Lektionen beibrachte. Sie hat es mir nicht nach ’91 beigebracht. Sie hat es mir vor ’91 beigebracht, also vielleicht in den Jahren ’87, ’88, ’89, und so schulde ich ihr einfach eine wunderbare Tat für ihre Bereitschaft zu teilen, wie viel sie vom Feldhockey gelernt haben.

Der Wettbewerbskessel und die kritischen Säulen

Das ist eine tolle Geschichte. Sie hatten also z. B. Einflüsse aus Deutschland. Was würden Sie jungen Menschen empfehlen, die unser Interview lesen und Trainer*in werden wollen? Was können sie tun, um ein guter Coach zu werden?

Nun, wenn du dir mein Programm ansiehst… Ich spreche von drei Säulen, die in meinem Programm, aber auch in den Vereinigten Staaten den Unterschied ausmachen. Die erste Säule, die wir sehr früh etablieren, heißt „Competitive Cauldron“. Und das hat viel mit Druck zu tun. Es handelt sich um ein sehr kampfbetontes Training, bei dem alles aufgezeichnet wird. Bei jedem einzelnen Aspekt der Trainingsumgebung gibt es einen Gewinner oder einen Verlierer. Wenn wir, sagen wir, ein Trainingsraster mit 30 Spielerinnen haben und vier davon sind Torhüterinnen, dann haben wir einen Wettbewerb zwischen den 26 Feldspielerinnen, um in 28 verschiedenen Wettbewerbskategorien die Beste zu sein. Und einige dieser Wettbewerbskategorien sind Kategorien, die jeder verstehen würde. Zum Beispiel Schnelligkeit. Mit Laser-Zeitmessern stellen wir die Mannschaft auf und sie sprintet, damit wir wissen, wer unsere schnellste und wer unsere langsamste Spielerin ist. Wir haben auch Laser-Zeitmesser in 10 und 30 Metern Entfernung vom Start. Beim Sprint über 30 Meter werden also zwei Aspekte gemessen. Der eine ist die Beschleunigung, also die Zeit, die man braucht, um die 10-Meter-Laser zu treffen. Wir messen also deine Beschleunigung, wir messen deine Geschwindigkeit. Wir messen deine Sprunghöhe, wir messen deine Beweglichkeit. Alle Feldspielerinnen werden auf einer Skala von 1 bis 26 eingestuft. Die Torhüterinnen machen dasselbe, aber ihr Programm ist natürlich anders als das der Feldspielerinnen. Die Torwartinnen wetteifern also auf einer Skala von 1 bis 4: Vielleicht nach der Entfernung des Dropkicks, des Abstoßes, der des Torschusses oder der Entfernung, wie weit sie den Ball werfen können. Sie wetteifern also in ähnlichen Dingen. Und bei den Feldspielerinnen werden auch technische Aspekte gefordert: Wie weit sie den Ball schlagen können, wie weit sie einen Ball köpfen können. Wir haben also all diese verschiedenen technischen Aufgaben. Da Baseball in den Vereinigten Staaten ein so beliebtes Spiel ist, kennt jeder von uns Radarpistolen. Bei einer Radarpistole steht ein Trainer hinter dem Fänger beim Baseball. Und der Pitcher versucht, den Ball so schnell wie möglich zum Fänger zu werfen. Das Radargerät misst, wie schnell sich der Ball bewegt. Die besten Pitcher in Amerika werfen den Ball mit 95 bis 100 Meilen pro Stunde. Die meisten Pitcher verdienen Millionen von Dollar in der Major League Baseball, und die Pitcher, die nur 70 bis 80 Meilen pro Stunde werfen, enden natürlich als Jugend-Baseballtrainer. Sie haben es nie geschafft.

Wir messen also die Stärke eines Strikes. Unser Trainer sitzt also hinter dem Tor, und die Spielerinnen haben vier Mal die Gelegenheit, den Ball so hart wie möglich zu schlagen. Sie erhalten ein Maßzahl, wie hart sie den Ball getroffen haben. Wir erhalten eine Maßzahl für ihren durchschnittlichen Treffer. Eine Sache, die ich im Frauenfußball gelernt habe: Ohne überhaupt zu wissen, wer die Anführerin des Frauenteams ist, könnte ich das Team aufstellen und den Ball ins Tor schießen lassen, während ich mit der Radarpistole dahinter stehe. Und ich werde dir fast der Reihe nach sagen, wer die führenden Torschützinnen sind. Denn im Frauenfußball entscheidet die Kraft und natürlich die Genauigkeit, mit der man den Ball treffen kann, darüber, ob man Torschützenkönigin wird oder nicht. Bei den Männern spielt die Kraft sicherlich eine Rolle. Bei den Männern ist die Treffsicherheit sogar noch wichtiger. Aber bei den Frauen übertrifft die Kraft die Genauigkeit. Mit der Radarpistole kann man also feststellen, wer die besten Torschützinnen sind.

Wir haben auch Turniere. Der Prozentsatz an gewonnenen und verlorenen Turnieren ist ein Faktor, und all diese verschiedenen Elemente fließen in den „Competitive Cauldron“ ein. Wir schaffen also ein unglaubliches Trainingsumfeld. Wir haben auch fünf verschiedene Eins-gegen-Eins-Ranglisten, in denen man gegen jede Spielerin des Teams antritt, um zu sehen, wer – wie wir es nennen – das „Alpha“ ist. Wer ist die beste Eins-gegen-Eins-Spielerin?

Und jetzt sehen wir alle Spielerinnen. Die Verteidigerinnen zusammen mit den Angreiferinnen. Denn eine Verteidigerin kann oft gewinnen, weil sie die Angreiferin zwar nicht so gut vom Dribbling abhalten kann wie die Angreiferin, dafür aber sehr konsequent ist. Manchmal verliert eine gute Angreiferin gegen eine gute Verteidigerin. Denn die großen Angreifer – und es gibt kein besseres Beispiel als „The Man Watching“ – der deutsche Trainer, der versuchte, Cristiano Ronaldo bei Manchester United zum Verteidigen zu erziehen. Denn das Letzte, was Cristiano Ronaldo jemals tun will, ist, zu verteidigen. Er will seine ganze Energie für den Angriff aufsparen, und jetzt kam dieser deutsche Trainer und verlangte von Cristiano, dass er verteidigt, was natürlich lächerlich ist. Denn dieser Mann hat Millionen mit seiner Fähigkeit verdient, Tore zu schießen und Spieler aus dem Dribbling heraus zu schlagen. Da das Pressing jetzt ein so wichtiger Faktor für den Erfolg auf höherem Niveau ist, wurde der arme Cristiano gebeten, zu verteidigen. Es reichte also nicht mehr aus, dass er mit perfektem Haar und perfektem Körperbau gut aussieht, jetzt musste er auch noch verteidigen.

Wir haben also all diese verschiedenen Elemente, die erforderlich sind, um im Grunde genommen konkurrenzfähig zu sein. Du weißt also, wo du stehst. Wir haben 28 verschiedene Kategorien. Wir haben einen Algorithmus, denn wir haben x Faktoren, die mit den 28 Wettbewerbselementen des Kessels verbunden sind. Es gibt einen Algorithmus, der am Ende der Saison die beste Spielerin im Training ermittelt. Und natürlich spiegelt diese beste Spielerin fast perfekt die beste Spielerin des Teams wider. Denn die Mädels, die im Training am härtesten arbeiten, sind auch die besten Spielerinnen. Und diejenigen, die am meisten gewinnen, spielen am härtesten und so weiter und so fort. Das ist also eine sehr wichtige Säule.

Eine weitere wichtige Säule, über die jetzt viele Trainer sprechen und die auf professioneller Ebene immer mehr zum Bestandteil des Dialogs wird, ist der Charakter der Spielerinnen. Wenn sie über den Charakter einer Spielerin sprechen, geht es natürlich oft darum, dass er die Mannschaft und ihre Ziele ohne Beanstandung unterstützt. Es gibt nichts Schlimmeres, und übrigens ist das Fernsehen von diesem Drama so begeistert – einer der Lieblingsmomente des Fernsehens bei der Übertragung eines Fußballspiels ist sicherlich, wenn ein Tor fällt oder eine rote Karte gezeigt wird. Oder wenn es ein schweres Foul gibt oder wenn es eine Gelegenheit gibt, zu sehen, ob dieses Tor ein Abseitstor ist oder nicht, oder ob es ein Elfmeter ist oder nicht. Ein weiterer beliebter Moment für das Fernsehen ist, wenn eine Spielerin ausgewechselt wird. Und warum ist dies ein beliebter Moment für das Fernsehen? Weil die Kamera der Spielerin vom Spielfeld folgt, wenn sie ausgewechselt wurde. Warum macht die Fernsehkamera das? Weil alle Welt neugierig darauf ist, zu sehen, wie wütend die Spielerin auf den Trainer ist, weil er sie aus dem Spiel genommen hat.

Wenn Trainer über den Charakter und die Belastbarkeit einer Spielerin sprechen, verlässt diese das Feld anmutig für eine Ersatzspielerin. Und ich schaue mir das an, wie alle anderen auch, weil es menschlich und dramatisch ist. Aber der Trainer geht natürlich auf die Spielerin zu, um ihm für die gespielten Minuten zu danken. Und man kann die Spielerinnen sehen, die absolut sauer sind. Sie meiden den Trainer, meiden die Hand des Trainers, meiden die Berührung des Trainers. Und dann folgt die Kamera der Spielerin weiter bis zur Bank. Die Spielerin spricht mit ihren Teamkameradinnen: „Ich kann nicht glauben, dass ich ausgewechselt wurde. Wir sehen das menschliche Drama der unglaublich egoistischen Spielerin, die keinen persönlichen Charakter hat, der die Mannschaft in der Mission egal ist, der es nur um sich selbst geht und darum, dass sie vom Trainer nicht respektiert und schlecht behandelt wurde und blablablablabla… Das ist eine ekelhafte und kindische Art zu reagieren.

Die zweite wichtige Säule ist also für uns: Wirst du von Grund auf geschätzt? Das sind Grundsätze, die wir erwarten, dass sie gelebt werden. Und das sind nicht nur Verhaltensweisen auf dem Fußballplatz. Es geht darum, wer du bist. Aber wer du bist, bestimmt auch die Art und Weise, wie du auf Widrigkeiten reagierst. Die Art und Weise, wie du den Trainer, dessen einzige Aufgabe es ist, zu gewinnen, höflich umarmen oder zurückweisen kannst. Und Ihre einzige Aufgabe als Mensch ist es, ehrlich gesagt, mit all diesen schwierigen Umständen und Situationen umzugehen. Das Wichtigste ist also meiner Meinung nach diese Charaktereigenschaft. Alle unsere Mädchen lernen jedes Zitat der dreizehn Grundwerte auswendig. Sie müssen in der Lage sein, sie öffentlich zu rezitieren. Jedes Mal, wenn ich mich mit ihnen treffe – und ich treffe mich dreimal im Jahr offiziell mit ihnen – müssen sie sie mir vortragen, weil sie sich auf die Rezitation ihrer Grundwerte geeinigt haben. Aber die Spielerinnen bewerten sich auch alle gegenseitig auf einer Fünf-Punkte-Skala, wie gut sie diese Grundwerte leben.

Jede Mannschaftskameradin lebt diese Grundwerte. Die wichtigste Auszeichnung ist nicht der MVP [Most Valuable Player Award; Anm. von LS]. Es ist der Kelly-Muldoon-Preis für Charakter.

Für mich ist das also sehr, sehr wichtig. Und wenn ein Mädchen das Grundwertsystem nicht unterstützt und es nicht lebt, versuchen wir, sie zu einem Wechsel zu bewegen, wenn sie ein Stipendium hat. Wenn sie kein Stipendium haben, versuchen wir, sie zum Austritt zu bewegen. Denn sie gehören eindeutig nicht in unser Team. Denn das ist der richtige Weg. Das ist also die zweite wichtige Säule.

Der dritte Punkt ist eine meiner Hauptaufgaben: die persönliche Erzählung einer jeden auf die Wahrheit zu bringen. Wenn eine Spielerin in einem Profispiel das Feld verlässt, ist das eine Respektlosigkeit gegenüber dem Trainer. Die persönliche Erzählung dieser Spielerin entspricht nicht der Wahrheit. Es gibt nämlich einen Grund, warum sie vom Platz gestellt wurde.

Entweder verliert sie Energie – ist also nicht fit genug – oder sie schüttelt die Verantwortung ab. Oder es gibt eine taktische Änderung, weil die Mannschaft in Rückstand geraten ist, und deshalb wurde eine Verteidigerin aus-, und eine Offensivspielerin eingewechselt, und diese Spielerin hat eine persönliche Geschichte, welche besagt: „Nein, es geht nicht um die Mannschaft. Es geht um mich.“ Die dritte wichtige Säule ist also, dass ich die persönliche Geschichte jeder Spielerin so schnell wie möglich der Wahrheit näher bringe. Denn jede Spielerin kommt mit ihrer persönlichen Geschichte in unser Umfeld. Und nur sehr wenige Spielerinnen haben eine Erzählung, die der Wahrheit entspricht.

Und jetzt kommt ein Klischee, das ich von Nick Saban geklaut habe, der ein berühmter American-Football-Trainer an der Universität von Alabama ist. Und kein Fußballtrainer. Das ist die Version aus dem American Football. Seine Aussage lautet: Durchschnittliche Spieler wollen in Ruhe gelassen werden. Gute Spieler wollen gecoacht werden. Großartige Spieler wollen die Wahrheit wissen. Meine Aufgabe ist es also, zunächst einmal davon auszugehen, dass jede eine großartige Spielerin ist oder zumindest sein möchte. Und dann versuche ich, ihnen die Wahrheit zu vermitteln. Und während du versuchst, diesen Spielerinnen die Wahrheit zu vermitteln, kannst du selbst an ihrem Verhalten erkennen, ob sie durchschnittliche oder gute Spielerinnen sind oder nicht. Denn die durchschnittliche Spielerinnen wollen keine Kritik hören. Sie wollen einfach in Ruhe gelassen werden. Die guten Spielerinnen, ja, die wollen trainiert werden, aber sie wollen nicht wirklich die Wahrheit hören. Sie wollen, dass man sie sozusagen mit der alten Psychologie umgibt, mit der Methodik von guten Kommentaren, Kritik, guten Kommentaren. Im Grunde ist die Kritik also von Positivem umgeben. So kann dieser arme, zerbrechliche Mensch die Trainer-Spielerinnen-Konferenz mit intaktem Selbstwertgefühl verlassen. Aber die wirklich großen Spielerinnen kümmern sich nicht um all das. Sie wollen mutig werden. Sie wollen wissen, woran sie sofort arbeiten müssen. Eine der besten Spielerinnen, die ich je trainiert habe, ist eine Frau namens Michelle Akers, die eine außergewöhnliche Spielerin der Vereinigten Staaten war. Die meisten Leute sind der Meinung, dass sie weltweit die beste Spielerin aller Zeiten und aller Kulturen ist. Sie war eine Spielerin ohne Schwächen. Sie war eine der besten Kopfballspielerinnen der Welt. Sie konnte mit dem linken Fuß treffen. Sie konnte mit dem rechten Fuß ein Tor erzielen. Sie konnte an dir vorbeilaufen. Sie war stark genug, um sich aufzustellen. Sie war brillant am Ball und konnte auf jeder Position spielen: Man konnte sie die Neun spielen lassen, man konnte die Zehn spielen lassen, man konnte sie die Fünf spielen lassen, man konnte sie überall spielen lassen.

Und sie war auf jeder Position genauso gut. Sie wäre die beste der Welt auf dieser Position. Und was interessant war, als ich sie trainierte: Jedes einzelne Mal, wenn ich mich mit ihr traf, wollte sie nur Kritik bekommen. Sie schob meine Komplimente schnell beiseite, um das zu bekommen, wofür sie da war. Sie wollte, dass ich ihr sage, was sie tun muss, um die beste Spielerin der Welt zu werden. Es war also wunderbar, sie zu coachen. Sie und ich stehen uns immer noch sehr, sehr nahe, und das gefällt mir. Ich musste mir keine Gedanken darüber machen, was ich zu ihr sagen würde. So viele Spielerinnen sind so zerbrechlich. Man kann nicht wirklich etwas zu ihnen sagen. Sie sind so zerbrechlich, und wenn man das erwähnt, ist ihr Selbstvertrauen auf einmal erschüttert. Wir hatten Spielerinnen, die ihrer Mutter sagten, dass sie so schlecht spielen würden, weil ich sie kritisiert habe. Und das habe ihr Selbstvertrauen zerstört. Ich bekam dann immer diese SMS von einer Mutter, wie ich ihre Tochter zerstört hätte. Wie habe ich ihre Tochter zerstört? Ich hätte ihre Tochter zerstört, indem ich sie trainiert habe. Was ist also die Aufgabe eines Coaches? Unsere Hauptaufgabe ist es, jede Spielerin zur Verantwortung zu ziehen.

Und doch gibt es einige, die aus einem so zerbrechlichen Umfeld kommen, mit Eltern, die nichts anderes getan haben, als sie mit Lob zu überhäufen. Die Kritik erschüttert sie. Das ist ziemlich schwierig. Sie finden heraus, dass sie nicht Gottes Geschenk für dieses Spiel sind. Und doch werden Sie die Kraft haben, das zu überleben.

Und zu reflektieren und damit umzugehen.

Ja, genau. Die meisten der drei Hauptsäulen – der Wettbewerbskessel, die Grundwerte, der Versuch, die persönliche Geschichte eines jeden zur Wahrheit zu bringen – wahrscheinlich sind das die drei wichtigsten Aspekte dessen, was wir hier an der University of North Carolina tun. Wenn man sich das US-Team anschaut, dann ist es natürlich das, was wir ihnen damals wie heute eingeimpft haben, was die Vereinigten Staaten auszeichnet: unsere Fähigkeit zu konkurrieren. Denn im Moment sind die Deutschen taktisch wahrscheinlich fortschrittlicher als die Niederländerinnen, als die Französinnen und wahrscheinlich auch die Engländerinnen. Die Französinnen und die Japanerinnen sind taktisch besser. Die Französinnen sind sportlich sicherlich genauso gut wie die Vereinigten Staaten. Warum spielen die Vereinigten Staaten also immer noch auf höchstem Niveau?

Nun, es ist unsere Fähigkeit, zu konkurrieren. Das ist der Bereich, der die Vereinigten Staaten noch immer auszeichnet. Denn wir haben keine Fußballkultur wie ihr. Wir schalten nicht den Fernseher ein und alle reden nur über Fußball, nein. Wir reden über Basketball, wir reden über Baseball,…

Eishockey…

Ja, ich meine, es gibt so viele Ablenkungen durch Sport. Und das ist die Qualität, die die Vereinigten Staaten immer noch auszeichnet. Unsere Fähigkeit zu gewinnen, zu konkurrieren. Und als ich acht Jahre lang Nationaltrainer war, haben wir das der US-Nationalmannschaft eingeimpft. Sie lebt es bis heute.

Meine Fußball- und Kulturreise nach England – part I

11.8.2013

Hello!

Endlich ist es soweit. Ich sitze im Zug, denn heute geht’s ab nach England. Im Moment befinde ich mich irgendwo auf der Strecke zwischen Dortmund und Köln. Ich seh Windräder, wenn ich aus dem Fenster blicke. In England wird’s das wohl nicht geben. Ich stelle mir eher „endlos grüne Weiten“ vor, die ich dort bestaunen kann. Mal sehen. Ich hab‘ echt keine Ahnung, was da auf mich zukommt. Ich bin gespannt. Heute jedenfalls fahre ich erstmal zum Hostel und zu West Ham United – schließlich will ich in knapp zwei Wochen im St. James‘ Park stehen (hatte ein Auswärtsticket für das Spiel NUFC – West Ham Unted reserviert und musste es noch abholen; Anm. von Lisa Schatz). Ansonsten heißt’s natürlich nicht NUR Fußball…

Hier mein „Reiseleitfaden“:

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Originaleintrag aus meinem Reisetagebuch. Foto: Lisa Schatz

Mehr zu meinen Erlebnissen in den nächsten Tagen. Ich verabschiede mich nun erstmal aus Hagen->Wuppertal und sag dir, liebe(-r) Leser(-in),

‚Have much fun‘!

Lisa

Gerrit Meinke über Arminia Bielefeld, seinen Nebenjob und die Wettbewerbsfähigkeit im Profifußball

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Gerrit Meinke fungiert seit ca. eineinhalb Jahren als Geschäftsführer der DSC Arminia Bielefeld GmbH & Co. KGaA. Foto: Schatz

DSC Arminia Bielefeld. Gerrit Meinke ist Ex-Fußballprofi. Er hat u.a. für Arminia Bielefeld und den SC Paderborn gespielt. Seit Juni 2013 (seit 2013 ALM KG, seit 2015 KGaA) ist der ehemalige Stürmer als Geschäftsführer des DSC tätig. Nebenberuflich arbeitet Meinke als Assistent von Tom Bartels und flüstert ihm die wichtigsten Daten zum Spielgeschehen ein. Ich wollte von ihm u.a. wissen, welche Aufgaben er in seinen Jobs hat, inwieweit sich der Profi- und der Amateurfußball voneinander entfernen und wie er sich den DSC in fünf oder zehn Jahren wünscht. Herausgekommen ist ein umfangreiches Interview, das über den Tellerrand der zweiten Liga hinausgeht und die eine oder andere Anekdote für euch bereit hält…

Herr Meinke, zunächst eine Frage zu Ihrem Job als Geschäftsführer. Welche Aufgaben haben Sie genau und was gefällt Ihnen daran am besten?

Das schöne ist die Vielfältigkeit, die Abwechslung. Da ich auch Geschäftsführer der Stadiongesellschaft bin, bin ich ja auch eine Art Immobilienmakler: Wir haben hier Büros, die wir gewerblich vermieten. Auf der anderen Seite bin ich als oberster Personalchef immer ein Stück weit Pädagoge. Personalführung ist das interessanteste, aber andererseits auch das schwerste. Für Personalführung wird es keinen Studiengang geben, es gibt aber auch keinen Studiengang Geschäftsführer. Was ich damit sagen will: Der Geschäftsführer kommt ja aus einer gewissen Kernkompetenz, die bei mir eben „Finanzen“ ist. Ich habe diesem Thema, weil ich das bei uns in der Buchhaltung in sehr guten Händen weiß, zunächst weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Das hätte ich mir vorher nie vorstellen können. Ich werde darüber selbstverständlich informiert und spreche natürlich mit meinen Mitarbeitern darüber. Bei mir war es so: Als ich 2015 hier Geschäftsführer der KGaA wurde, habe ich mich insbesondere mit den Themen befasst, die nicht meine Kernkompetenz sind, z. B. die Pressearbeit oder der sportliche Bereich, vor allem die Kaderzusammenstellung und die Suche nach einem neuen Trainer.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Der Beruf ist sehr abwechslungsreich, ich habe mit dem Hobby Fußball zu tun und bin natürlich auch Fan. Was genauso interessant ist, ist die Arbeit im Nachwuchsbereich, wo ich eher Gespräche mit jüngeren Menschen führe. Darüber hinaus sieht jeder Tag anders aus. Ich meine, es ist viel durchgetaktet mit Terminen. Das kenne ich aus meinem vorherigen Arbeitsleben nicht so in dieser Art. Das ist aber auch total spannend. Heute Morgen habe ich harte Verhandlungen geführt, jetzt gebe ich ein lockeres Interview, kürzlich habe ich einige Begrüßungsworte an Erstsemester gerichtet… Es ist so mannigfaltig.

Dann bin ich abends wieder auf einer Sponsorenveranstaltung, wo ich viel Smalltalk und Gespräche hinter den Kulissen führe, Eröffnungsworte spreche. Oder ich bin auf einer Sponsorenmesse oder schaue an einem spielfreien Wochenende beim Frauenfußball in der SchücoArena zu. Das macht mir einfach viel Spaß und ich finde es total cool.

Sie selbst sind Ex-Profi. Inwieweit kennt man sich als solcher mit all den Formalitäten aus? Haben Sie sich auch ein bisschen von Samir Arabi einarbeiten lassen, zum Beispiel bei der Trainersuche? Ich denke, dass er da nochmal eine ganz andere Perspektive hat.

Da ist er auch der maßgebliche Mann. Er hat damals das erste Gespräch mit Rüdiger Rehm geführt, ist zu mir gekommen und meinte: „Ich hab ein gutes Gefühl“. Dann sind wir ein zweites Mal zusammen hingefahren. Das ist genauso, wenn es um Spielerverpflichtungen geht. Wenn Samir sagt: „Bei dem Spieler sind wir jetzt schon ein bisschen weiter, das könnte einer für uns sein“, dann schaue ich mir auch mal Videosequenzen an. Das möchte er auch. Natürlich habe ich nicht so viel Wissen wie er in dem Bereich. Aber ich war ja Profi und hab auch einen Nebenjob im Fußballbereich (als Assistent von TV-Kommentator Tom Bartels; Anm. von LS) und kann das ein wenig beurteilen. Ich schaue mir die Spiele an und gebe meine Expertise dazu. Die Meinung von Samir ist entscheidend. Ich sage letztendlich – da ich Geschäftsführer Finanzen bin – ob die Verpflichtung wirtschaftlich möglich ist. Umgekehrt ist es so: Wenn es um irgendwelche Finanzthemen geht, involviere ich ihn genauso. Das klappt ganz gut. Für mich ist der Job als Geschäftsführer hier schöner als vorher, als ich nur Geschäftsführer der Stadiongesellschaft war, da ich nun viel näher dran bin. Jetzt fahre ich morgens auch mal zum Training, spreche mit Spielern und dem Trainer. Das hat natürlich einen gewissen Charme.

 

„Wettbewerbsfähigkeit ist das höchste Gut im Fußball“

Jetzt möchte ich einen großen Schwenk machen. Inwieweit entfernen sich der Profi- und der Amateurfußball voneinander? Vor allem, wenn Sie sich jetzt die wirtschaftlichen Aspekte anschauen.

Was diese Sache anbelangt, differenziere ich zwischen zwei Themen. Das eine ist die wirtschaftliche Schere und zwar sowohl international als auch national. Und das andere ist das Spiel an sich, was ich ein Stück weit kritisiere. Dass in der ersten Liga besser gespielt wird als in der Kreisliga ist völlig normal. Und dass die Qualität dort besser ist, auch. Aber ich behaupte: Der Fußball, diese Massenfaszination lebt davon, dass das Spiel in der Champions League genau dasselbe ist wie in der Kreisliga. Was ich damit meine: Es fängt damit an, dass in der Champions League mittlerweile sechs Schiedsrichter eingesetzt werden. Die Torrichter kann man vergessen. Nach meiner Wahrnehmung hat noch keiner eine richtige Entscheidung getroffen, wenn es um „Tor“ oder „kein Tor“ ging. Dann diese Geschichten mit dem Videobeweis. Da wird sicherlich demnächst noch ein Challenge kommen mit Spielunterbrechungen. Ich kann verstehen, dass man die Technik einsetzen will, um höchstmögliche Genauigkeit zu haben. Das ist klar. Wir können alle sagen: „Ja, aber der Fußball lebt doch davon, dass am Stammtisch darüber diskutiert wird, ob es Abseits war oder nicht“. Da sage ich: Falsch. Es ist vollkommen richtig, die Technik, die wir haben, einzusetzen. Dafür geht’s um zu viel Geld. Aber wir müssen aufpassen, dass das Spiel in der ersten oder zweiten Liga, in der Champions League, bei den Weltmeisterschaften, nicht ein anderes wird als in der Kreisliga. Denn: Wir haben so viele aktive Spieler, auch bei uns hier im Stadion, die den Fallrückzieher, den Fabian Klos beim nächsten Spiel macht, in der Kreisliga nachmachen wollen. Das ist genau der Punkt. Darin sehe ich echt eine Gefahr. Der Fußball lebt einfach davon, dass das hier dasselbe ist wie in der Kreisliga. Das ist meine Meinung.

Der zweite Punkt ist der wirtschaftliche Faktor. Die Bayerns und Dortmunds dieser Welt proklamieren, dass wir international wettbewerbsfähig bleiben müssen. Klar: Wenn ich mir Real Madrid, Manchester United oder Paris St. German angucke, hätte ich als BVB oder FC Bayern auch irgendwie die Befürchtung, dass sie mir weglaufen. Bisher geht’s ja noch. Die englischen Clubs machen ja gerade alles verkehrt, was man verkehrt machen kann. Aber irgendwann kommen sie vielleicht auch noch auf die Idee, gute Nachwuchsleistungszentren zu bauen. Sie haben grundsätzlich Recht, nur besteht aus meiner Sicht wieder die Gefahr: Wir müssen den schmalen Grat hinbekommen, dass wir sowohl international als auch national wettbewerbsfähig bleiben – und zwar nicht nur Borussia Dortmund und der FC Bayern – sondern idealerweise z. B. auch noch Gladbach und Wolfsburg. Im nationalen Fußball besteht diese finanzielle Lücke zwischen der ersten und zweiten Liga, welche noch einigermaßen in Ordnung ist. Wobei es auch immer schwerer wird: Also, die Relegation 1./2. Liga wird ja grundsätzlich nur von den Erstligisten gewonnen. Sonst wäre der HSV ja schon …. Und – was jedoch zeigt, dass Geld nicht alles ist – die Lücke zwischen der zweiten und dritten Liga ist prozentual noch größer. Nicht absolut, aber prozentual ist sie doch größer. Die Relegation zwischen der zweiten und dritten Liga wird meist von den Drittligisten gewonnen, was wiederum heißt, dass es sportlich nicht divergiert. Was will ich damit sagen? Wenn wir im nächsten Jahr hoffentlich am neuen Fernsehvertrag partizipieren dürfen, kann ich bzw. will ich da nicht zuviel Geld davon verwenden, um es in die Mannschaft zu investieren. Sicherlich einen Teil, aber im Sinne der Nachhaltigkeit und der dauerhaften Wettbewerbsfähigkeit halte ich es mittelfristig für sinnvoller, es ins Nachwuchsleistungszentrum zu investieren, oder arminia-spezifisch, in die Infrastruktur.

Dort liegen meine Befürchtungen. Der Fußball lebt immer vom Wettbewerb. Eigentlich sollte es bei jedem Spiel so sein, dass es anfangs 0:0 steht und ich nicht weiß, wie es ausgeht. Es wird immer Spiele geben wie bei Real Madrid gegen Bate Borisov. Da wird Real immer zu 95 Prozent siegen. Das ist ok. Aber wenn ich in der Vorrunde der Champions League gefühlt 95 Prozent der Spiele vorhersehen kann, dann macht es keinen Spaß mehr. Das ist die große Gefahr. Da muss man aufpassen. Geld schießt am Ende des Tages Tore – nicht kurzfristig, aber mittel- und langfristig auf jeden Fall. Wettbewerbsfähigkeit ist das höchste Gut im Fußball.

Wenn Sie jetzt nur auf Deutschland blicken: Inwieweit sollten die DFL und der DFB diesbezüglich mit Regularien eingreifen? Wenn wir jetzt z. B. auf die Vertragsverlängerung mit Toni Kroos schauen: Denken Sie, dass es in Hinsicht auf die Gehälter eine Grenze geben sollte?

Ein Salary Cap (Gehaltsobergrenze; Anm. von LS) wäre wünschenswert, ist aber arbeitsrechtlich nicht durchsetzbar. Never. Keine Chance. Das wurde ja wieder von Herrn Holzhäuser aufgeworfen. Die Amerikaner machen es da einfach gut. Aber ok, da habe ich einen Draft (spezielles Auswahlverfahren für Nachwuchsspieler; Anm. von LS), wobei der schlechteste Verein der Vorsaison die besten Picks (pick= Auswahl eines Spielers; Anm. von LS) bekommt. Dann mache ich einen Salary Cap. In Europa ist das leider nicht durchsetzbar. Man kann ja viel verteufeln, was die Amerikaner machen, gerade auch im Sport. Aber das ist Wettbewerbsfähigkeit: Der, der letztes Jahr als Letzter abgeschlossen hat, kann im nächsten Jahr theoretisch Meister werden. Das ist bei uns nicht möglich. Die Ausnahmen sind meines Wissens schon eine Weile her, als Kaiserslautern aufstieg und als Aufsteiger Deutscher Meister wurde. Wenn heute Darmstadt 98 aufsteigt und Deutscher Meister werden würde, ist das utopisch. Das geht nicht.

 

Arminia und die Amateurvereine

Themenwechsel. Wie gut sind heutzutage die Kontakte zwischen den Profi- und Amateurvereinen? Was tut beispielsweise Arminia Bielefeld dafür, um die Kontakte zu kleinen Vereinen herzustellen und zu halten?

Sehr viel läuft über unsere 22 Partnerstädte, wo wir auch immer ein, zwei Spiele pro Saison spielen. Der Gedanke ist, dass nicht immer die Fans zu Arminia kommen, sondern auch mal Arminia zu den Fans. Ich glaube da machen wir schon relativ viel. Zudem spielen wir in der Saisonvorbereitung die ersten drei, vier Spiele immer gegen niederklassige Vereine. Wir haben sehr viele gute Kontakte zu kleinen Clubs in Bielefeld. Zudem spielen wir jedes Jahr bei Fichte Bielefeld, das Derby ist Tradition. Zum VfL Theesen haben wir einen sehr guten Kontakt und die Damen spielen jetzt in Quelle, weil wir schon immer einen guten Draht zu Quelle hatten. Zur Einweihung des Kunstrasenplatzes werden wir dort spielen. Wir suchen schon immer den Kontakt zur Basis. Ich glaube, dass wir da gut aufgestellt sind und dass das nicht bei allen Profivereinen so gelebt wird, wie wir das hier tun. Meiner Auffassung nach sind wir schon ein ganz geerdeter Verein, der da an die Basis herantritt.

Sie haben gerade die Fans angesprochen. Was bekommen Sie als Geschäftsführer von den Arminiafans mit, wo haben Sie Kontakt zu ihnen?

Das übliche Medium kennen wir ja alle, das ist fb. Aber es würde keinen Sinn machen, dass ich mich da anmelde. Das werde ich nicht tun. Es ist zudem so, dass ich ab und an E-Mails oder Briefe erhalte, in der Stadt angesprochen werde oder im Stadion. Ich glaube, dass ich das Feedback der Fans, wie deren Stimmungslage ist, wie sie die Situationen sehen, schon ganz gut einschätzen kann. Ich gebe zu, dass ich mir die Kommentare auf Facebook angucke. Es ist schon ein gutes Tool dafür, ein paar Tendenzen herauszuhören. Auch wenn es teilweise extrem ist. Wenn man es für sich gut filtert, dann kann man es gut nutzen.

 

Gerrit Meinkes Arbeit auf der Pressetribüne

Nun von Ihrem Hauptberuf zum Nebenjob „Einflüstern fürs Fernsehen“. Wie bekommen Sie das unter einen Hut? Ist das gut zu managen oder wie kann man sich das ganze vorstellen?

Ja, das ist gutes Zeitmanagement (lacht). Grundsätzlich nehme ich mir für diese Aktionen Urlaub. Wenn z. B. am Abend ein Spiel in Dortmund ist, das übertragen wird, dann gehe ich um 16 Uhr los. Aber grundsätzlich nehme ich für Turniere – wie in diesem Jahr in Frankreich – meinen Jahresurlaub. Von daher geht da schon eine Menge Urlaub drauf. Das ist manchmal schwer, das meiner Frau zu vermitteln. Aber sie weiß, wie gerne ich das mache. In der Regel findet so ein großes Turnier auch „nur“ alle zwei Jahre statt. Wobei nächstes Jahr ein Confed-Cup mit deutscher Beteiligung ansteht. Da bin ich nah dran, abzusagen. Drei Jahre hintereinander, das wäre mir zu viel. Das kann ich meiner Frau nicht mehr antun. Aber grundsätzlich ist ein gutes Zeitmanagement wichtig. Ich weiß immer relativ früh, ca. acht Wochen vorher, wann ich mit Tom Bartels eingeteilt bin und dann lässt sich das ganz gut planen. So viel Zeit geht da nicht drauf. Wenn ich bei einem Spiel in München bin, bin ich insgesamt nur einen halben Tag weg. Ich fliege um 14 Uhr los, lande um 15 Uhr, am Abend ist das Spiel und am nächsten Morgen sitze ich wieder um 10 Uhr im Büro.

Ist das für Sie Stress?

Für mich ist das ein super Ausgleich. Das ist wirklich so. Dass eine gewisse Anspannung da ist, ist völlig normal. Ein Spiel, das ich mit Tom Bartels anschaue, kann ich neutral betrachten. Da kann ich völlig relaxed im Stadion sitzen, wer gewinnt ist mir im Grunde genommen gleich. Der bessere soll gewinnen, sag ich mal, und wir sind die Hobby-Analysten.

Was reizt Sie an Ihrer Arbeit auf der Pressetribüne?

Das schöne ist, dass ich in der Branche bleibe. Ich erweitere dadurch mein Netzwerk. Man lernt neue Leute kennen, die im Fußball arbeiten, aber vielleicht „auf der anderen Seite“, weil sie z. B. im Journalismus tätig sind. Darüber hinaus ist es angenehm, ein Spiel ohne irgendwelchen Druck  anzuschauen. Ich kann mich wirklich darauf konzentrieren, wie das Spiel läuft, kann auf Dinge wie die Taktik achten. Es ist natürlich auch schön, einen der besten Kommentatoren Deutschlands unterstützen zu dürfen.

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Gerrit Meinke (li.) arbeitete auch während der EM 2016 als „Einflüsterer“ mit TV-Kommentator Tom Bartels zusammen. Foto: Meinke

Wie kann man sich Ihre Arbeit für das Fernsehen vorstellen? Ist das viel Vorbereitung, müssen Sie viel mitschreiben oder wie läuft das ab? Worauf achten Sie am genauesten?

Als ich noch nicht Geschäftsführer bei Arminia war und ein bisschen mehr Zeit hatte, habe ich mit Tom Bartels eine Art Vereinbarung getroffen. Es gibt in der Regel vor jedem Spiel 80 bis 100 Seiten von einem Unternehmen, das Fußballdaten generiert. Ich habe diese immer alle brav durchgelesen und wusste irgendwann, dass ich von den vielen Informationen höchstens zehn Prozent verwenden könnte. Die 10 Prozent schreibe ich mir heraus und kann den Stapel weglegen. Tom war derselben Auffassung. Ich habe irgendwann gesagt: „Ich kann mir das nicht mehr komplett durchlesen“. Er antwortete nur: „Musst du auch nicht. Ist gut“.

Wir sitzen vor den Spielen immer zusammen, um uns abzusprechen. Tom sagte: „Du hast Ahnung von Fußball, mehr brauche ich von dir nicht. Ich weiß, dass ich mich auf deine fachliche Expertise verlassen kann. Du musst mich nicht mit Statistiken zuballern“. Zwischendurch sagt er schon: „Schreib dir mal noch zusätzlich diese Chance gerade auf“. Klar. Natürlich bin ich auch der Schreiber und sage bei Toren z. B. „in der 33. Müller, in der 37. Lewandowski und 58. Thiago“. Was ich damit meine: Der Job beginnt mit dem Anpfiff. Ich soll einfach gucken, wie das Spiel läuft, und aufpassen, ob er mit seiner Bewertung richtig liegt. Das Schöne ist, dass wir uns seit fast 40 Jahren kennen. Wir sind schon zusammen in den Kindergarten gegangen und verstehen uns wirklich blind. Und das ist – gerade, wenn man auf diese Art und Weise zusammenarbeitet – total wertvoll. Dann weiß man, wie der andere tickt.

Vielleicht eine kleine Anekdote zwischendurch: WM 2010, letztes Vorrundenspiel, Deutschland gegen Ghana. Da sitzt du im Soccer City Stadium, 80.000 Zuschauer, die Pressetribüne ist direkt unterm Dach. Dort wurde es schon relativ schwer, die Spieler zu identifizieren und dann: Deutschland – Ghana. Weltklasse. Ich hatte Gott sei Dank immer noch diesen Monitor. Zum Glück konnte ich auf‘s Spielfeld gucken. Tom konnte das nicht. Klar, er musste auf den Monitor blicken. Er musste schließlich das kommentieren, was der Zuschauer sah. Wir kamen also auf die Pressetribüne, weit oben, und ich habe gesagt, ich könne die Deutschlandspieler kaum auseinanderhalten, ich könne die Nummern kaum erkennen. Da dachte ich mir: „Gut, oben hab ich ja einen schönen Monitor“. Dann stand oben so ein kleiner Bildschirm. In schwarz-weiß! Kurz vor Schluss schoss Özil das 1:0, Tom sagte: „1:0“, guckte mich an, und ich flüsterte „Özil, Öööööööziiiiiiiiiiiiiiil!“ (lacht). So ging das. Noch ein kleines Anhängsel hintendran: Das Spiel war vorbei, wir sind in die Innenstadt von Johannisburg gefahren. Zwei Stunden später stand das nächste Spiel an. Wir haben dort eine Sportsbar gefunden. Überall hingen diese typisch südafrikanischen Screens, wohinter die Fans saßen, darunter auch deutsche. Das nächste Spiel kam und ein Fan fragte: „Wieso sieht der Kommentator das nicht???“ und ich dachte mir nur: „Hey, hast du eine Ahnung…!“ (schüttelt den Kopf und lacht). Manchmal ist es schon echt schwer, die Spieler zu erkennen. Bevor du da etwas Falsches sagst, sagst du lieber gar nichts.

Jetzt zu Ihrer Vergangenheit als Ex-Profi. Haben Sie damals schon ein bisschen in die Richtung geschielt, nach Ihrer aktiven Karriere bei einem Club zu arbeiten?

Nein, gar nicht. Ich habe nie eine Karriere als Fußballfunktionär geplant. Das hat sich alles irgendwie entwickelt. Selbst als ich Profi geworden bin, wusste ich, ich muss nach meiner Profikarriere irgendetwas machen, weil ich nicht so viel Geld haben würde, dass ich komplett davon leben könnte. Das war mir klar. Deswegen habe ich Betriebswirtschaft studiert. Als ich das Studium – noch während meiner Fußballerlaufbahn – fertig hatte, war ich sehr froh und habe versucht, während dessen schon den Berufseinstieg zu finden. Weil man natürlich als Fußballprofi Kontakte hat ergab es sich für mich, dass der SC Paderborn meine letzte Station wurde und ich zugleich bei Finke (Möbelgeschäft in Paderborn; Anm. von LS) anfangen konnte zu arbeiten. Als ich mit dem Fußball aufgehört habe, habe ich nur noch für Finke gearbeitet. Als der SCP 2005 in die zweite Liga aufgestiegen ist, kam der Verein auf mich, weil er auf Grund der DFL-Regularien einen hauptberuflichen Finanzverantwortlichen brauchte. Aber irgendwie war mir das zu unsicher, weil ich dachte, dass der Verein wieder absteigen könnte. Deshalb sagte ich: „Ich mach das erstmal für ein Jahr“. Dann haben sie’s geschafft, relativ souverän, und ich entschied mich noch ein zweites Jahr zu bleiben, meinte: „Wenn das nicht klappt, dann möchte ich aber wieder zu Finke zurück“. Und im dritten Jahr hat Finke gesagt, ich könne bei ihm bleiben und so bin ich da ein Stück weit meinen Weg gegangen.

Irgendwann kam der Anruf von Marcus Uhlig, der nach einem Geschäftsführer für die Stadiongesellschaft suchte. Also: Geplant war’s nie, aber ich bin glücklich. Parallel kam Tom Bartels 2004 auf mich zu. Das erste Spiel, das wir zusammen gemacht haben, war – wie es der Zufall so will, hier: Bielefeld gegen Bremen. Wahnsinn, echt (strahlt)! Das war damals noch für Premiere. Noch zu Paderborner Zeiten hatte ich gesagt: „Ich möchte keinen Beruf mehr ausüben, der nichts mit Fußball zu tun hat. Jetzt will ich auch in der Fußballbranche bleiben“. Selbst wenn mit Fußball nichts mehr wäre, schließt das nicht aus, dass ich wieder in meinen alten Job als Controller, in den Finanzbereich, gehen könnte. Aber nun will ich eigentlich schon bis zur Rente Fußball machen. Weil ich das cool finde und so schön und weil es mir so viel Spaß macht.

Sehen Sie das Spiel an sich durch Ihren Nebenjob schematischer als vorher?

Ich glaube, dass es mir nicht schwerfällt, den Fußball weiterhin nicht zu analytisch zu betrachten. Weil ich dieses natürliche am Fußball, weil ich gerade das so liebe. Die Spiele sind einfach geil, weil man nicht weiß, wie sie ausgehen. Selbst, wenn Bayern gegen Darmstadt spielt, kann mal einer ausrutschen und Manuel Neuer bekommt einen rein. Das kann natürlich trotzdem passieren.

Wir haben auch viele Länderspiele übertragen. Da bin ich nicht mehr neutral. Wenn wir jetzt ein Pokalspiel zwischen Bayern und Augsburg besuchen, habe ich keine Emotionen. Wenn wir mit Arminia einen Tag vorher gegen Dresden spielen, schon. Bitte nicht falsch verstehen: Ich finde es super, wenn ich in München ein Pokalspiel sehen darf, Bayern gegen Augsburg, 70.000 Zuschauer. Ich finde die Atmosphäre toll, das macht mir Spaß. Das ist für mich immer ein Stück weit Abwechslung und auch Erholung. Deswegen mache ich das total gerne.

 

Stamford Bridge: „Krass, heftig, Wahnsinn – einfach cool“

Welches ist Ihr Lieblingsstadion?

Ich würde schon sagen das in Dortmund. Das ist schon überragend. Es ist so wie hier, man ist einfach sehr nah am Spielfeld. Jetzt ist das noch dreimal größer als hier, das lieb ich – auch diese alten englischen Stadien wie Highbury, Arsenal. Es liegt mitten im Wohngebiet, wie die SchücoArena, und die Stadionuhr dort finde ich cool. Da bin ich ein Stück weit Fußballromantiker, das gebe ich zu. Ich habe einige Welt- und Europameisterschaften mitgemacht. Was mich da mittlerweile nervt ist, dass gefühlt jedes Stadion gleich aussieht. Ehrlich. Auch bitte nicht falsch verstehen – es ist immer ein Highlight. Aber wenn ich schon sehe: Es  ist überall gleich gebranded, das ist überall gleich. Ab und an gibt es Abweichungen, aber manchmal denkst du, das sind alles solche „Plastikpaläste“. Ich kann das verstehen. Rein wirtschaftlich müssten wir eigentlich auch so einen Palast an der A33 haben, nicht hier. Rein wirtschaftlich betrachtet. Aber das Stadion hat so viel Charme. Das kommt daher, dass es so ist, wie es ist und weil es im Wohngebiet liegt.

Wie haben Sie die Stimmung in den englischen Stadien erlebt?

Ich habe im Fußball schon wirklich viele und wichtige Spiele gesehen, aber ich habe noch nie so ein lautes Stadion erlebt wie in Chelsea, Stamford Bridge. Das war beim Champions League-Viertelfinale, Rückspiel gegen Barcelona. Ich habe meine Kopfhörer abgenommen, weil ich es nochmal im Original hören wollte. Ich habe gesagt: „Das gibt’s nicht, das ist so laut! Krass, heftig, Wahnsinn – einfach cool!“.

Von Chelsea back to Arminia. Was zeichnet den DSC Ihres Erachtens aus? Inwieweit trifft „Stur, hartnäckig, kämpferisch“ auf den Club zu?

Dieses Leitmotto finde ich besonders wichtig. Es hat aus meiner Sicht ein Alleinstellungsmerkmal. Ich wüsste keinen Verein oder ich könnte mir keinen anderen Verein vorstellen, der sich zumindest das Wort „stur“ auf die Fahnen schreibt. Das schöne ist, dass man sich damit ganz klar abgrenzen kann. Und natürlich sehen wir das positiv besetzt. Aber „stur“ hat eben auch damit etwas zu tun, dass wir stur daran festhalten – und dies hängt stark mit der Historie zusammen – dass wir an uns glauben. Wir fallen zwar immer wieder hin, aber wir stehen auch immer wieder auf. Dasselbe wie für „stur“ gilt für „hartnäckig“ und „kämpferisch“.

Wir sind Wanderer zwischen den Welten. Was wir hier schreiben, ist großes Theater: Entweder himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt. Das zieht sich hier wie ein roter Faden durch und ich denke nicht, dass sich das ändern wird. Man wünscht sich manchmal weniger Herzinfarktrisiko, keine Frage. Aber am Ende des Tages bietet Arminia Bielefeld – zumindest hat es das bisher immer geboten – das, was der Fan letztendlich will. Ohne, dass es vielleicht Arminia Bielefeld immer wollte. Aber letztendlich war es so. Das ist einfach das, was den Verein ausmacht und ich glaube, dass diese drei Wörter das einfach exakt treffen und uns von allen anderen Vereinen abgrenzen.

 

Zukunftswünsche für den DSC

Wenn Sie in die Zukunft blicken: Was wird sich in fünf oder zehn Jahren bei Arminia verändert haben?

Was ich glaube, dass sich bei Arminia verändert haben wird oder wie ich es mir wünsche?

Sie können das auch gern differenzieren…

Das allererste, was ich mir für die Zukunft in fünf oder zehn Jahren wünsche ist, dass wir wirtschaftlich viel besser da stehen. Damit steht oder fällt letztendlich alles. Im Moment haben wir diese hohen Verbindlichkeiten und die schweben immer wie so ein Damoklesschwert über uns. Eigentlich beeinflussen sie jede Entscheidung. Man wünscht sich als Geschäftsführer, dass man Entscheidungen völlig frei davon fällen könnte. Wenn ich mir etwas für 2021 oder 2026 wünsche, dann ist es, schuldenfrei zu sein. Oder zumindest wirtschaftlich solide aufgestellt und damit zukunftsfähig zu sein. Damit einhergehend natürlich eine gewisse sportliche Stabilität im Profifußball, was für mich gar nicht unbedingt mit der ersten Liga gleichgesetzt werden muss. Aber, was wir uns auf die Fahnen geschrieben haben: Unter den ersten 25 zu sein. Selbst, wenn wir in zehn Jahren sagen würden, wir hätten zwei Jahre Bundesliga und acht Jahre zweite Liga gespielt. Dann würde ich meinen, dass das auch eine Entwicklung wäre. Ein stabiler Zweitligist wäre für mich vollkommen in Ordnung.

Was mir sehr am Herzen liegt, ist, dass wir unseren gesamten Jugendmannschaften – von der U10 bis zur U23 – eine vernünftige, angemessene Heimstadt mit ausreichend Trainingsplätzen und Umkleidekabinen bieten können. Sodass man feststellen kann: Das ist neben dem Stadion das Herz von Arminia Bielefeld. Dort halten sich alle auf, dort wird trainiert und dort können idealerweise unsere Jugendspieler bei den Profis zuschauen. Meine Idealvorstellung ist, dass jeder Nachwuchsspieler an der Abteilung der Profis vorbeigeht und sagt: „Da will ich auch mal rein“. Das ist Motivation. Das hieße dann: „Da dürft ihr erst rein, wenn ihr’s geschafft habt“. Das fände ich klasse: Wenn man ein Areal hätte, mit acht Plätzen und schöne Funktionsgebäude mit Kabinen. Das wäre super. Wenn man diese Bedingungen hätte, da könnte man richtig was aufbauen.

Wie eng arbeiten Sie mit der Nachwuchsabteilung zusammen?

Ich habe mit der Leitung wöchentliche jour fixes, wo wir uns regelmäßig austauschen. Samir Arabi ist immer dabei. Ich würde mir noch gerne mehr Spiele von der U23, U19, U17 ansehen, aber alles kann man einfach nicht. Zwischendurch hat man auch noch ein Privatleben. Diese Saison hatte ich vor, mir mehr Spiele anzuschauen. Bisher hat es leider noch nicht funktioniert. Insgesamt finde ich, dass wir auf einem guten Weg sind. Aber gut, das Thema Finanzen ist schwer. Es ist ein echter Klotz am Bein und wir müssen nicht blauäugig sein: Das lässt sich in den nächsten fünf Jahren nicht lösen. Da brauchen wir viel Geduld und Durchhaltevermögen, einfach einen langen Atem. Aber den haben wir.

Wie viele Stunden Arbeitszeit für den DSC kommen bei Ihnen in etwa pro Woche zusammen?

Ich glaube im Schnitt sechzig Stunden, wenn ich alles dazu nehme. Aber das ist das Maximum. Ich lerne immer sehr viel von unserem Aufsichtsratsvorsitzenden Hartmut Ostrowski, der sehr viel Erfahrung im Managementbereich hat und dann noch bei Bertelsmann. Er sagt immer: „Herr Meinke, kein Mensch kann mehr als zehn Stunden am Tag konzentriert arbeiten. Kann kein Mensch. Geht nicht. Aber arbeiten Sie lieber konzentriert neun Stunden am Tag und machen dann Feierabend. Das ist echt besser. Und gehen Sie dann auf den Golfplatz“. Ich antworte darauf: „Ja, da muss ich erstmal anfangen mit Golf spielen“. Dafür habe ich jetzt wirklich nicht die Zeit. Nein, Golf spiele ich nicht (lacht).

Wer sind Ihres Erachtens die wichtigsten Menschen, die an den Spieltagen hier arbeiten?

Der wichtigste ist der Veranstaltungsleiter, weil er den Hut aufhat. Wenn hier irgendetwas passiert oder es echt einen Spielabbruch geben müsste, bin ich raus aus der Nummer. Da habe ich gar nichts zu sagen. Das entscheidet er. Er ist am Spieltag der wichtigste Mann. Wir wissen alle um die Wichtigkeit des Themas Sicherheit. Unser Sicherheitsbeauftragter, André Windmann, ist bedeutend, keine Frage. Das ist natürlich immer ein superwichtiges Thema: die Sicherheit. Ich habe jetzt als Geschäftsführer noch einmal mehr gemerkt, wie viel da dahintersteckt, auch die Kooperationen mit den Behörden. Was wir hier an Polizei haben, Feuerwehr, den Sanitätsdienst – auch die Verkehrswegeführung um das Stadion – was hier jedes Mal drum herum passiert, das ist der Wahnsinn, das ist wirklich unglaublich. Letzten Endes sind aber die Spieler die wichtigsten im Stadion. Was ich damit sagen will ist, dass für einen Geschäftsführer – die Erfahrung habe ich gemacht – neben dem Ergebnis, was natürlich immer wichtig ist, das Wichtigste ist, dass nichts passiert ist. Dass alles vernünftig seinen Gang gegangen ist. Dass es zu keinen Komplikationen, Verletzungen, geschweige denn zu irgendwelchen Unfällen gekommen ist.

Das hatte ich vorher nie so auf der Kappe, muss ich ehrlich gestehen. Wir unterliegen der Veranstaltungsordnung. Da sind ja etliche Richtlinien und Regularien einzuhalten und mit diesen muss man sich letztendlich befassen. Dabei erkennt man die Wichtigkeit der Menschen, die da dahinterstehen. Das bekommen die Stadionbesucher/-innen in der Regel nicht mit. Der kriegt es nur mit, wenn es nicht läuft. Alle Menschen, die dafür sorgen, dass ein Spieltag reibungslos über die Bühne geht, sind von großer Bedeutung. Das machen meine Mitarbeiter hier sehr gut, sie haben einen super Draht zu den Behörden. Auch als Geschäftsführer muss man Präsenz zeigen. Und wenn man einfach nur dabei ist. Wie gesagt: Keiner wird als Geschäftsführer geboren. Ich habe das am Anfang unterschätzt, man muss bei einigen Terminen einfach nur dabei sein. Ich finde mich selbst gar nicht so wichtig. Das war ein Lernprozess für mich.

Was bekommen Sie von den Bielefelder Ultras mit?

Ich gestehe gerne, dass ich von ihnen eigentlich nichts direkt mitkriege. Aber ich tausche mich regelmäßig mit unserem Fanbeauftragten Thomas Brinkmeier aus, der da einen guten Draht hat. Sie mögen auch andere Auffassungen in Bezug auf Fußball haben als ich. Ich hätte bei einem Spiel wie gegen RB Leipzig kein solches Plakat gemacht. Aber gut. Das ist eine andere Geschichte. Das, was sie für Arminia machen, ist überragend. Ich habe mich oft in der Fandiskussion gefragt: „Was ist eigentlich, wenn wir die auf der Süd nicht haben?“. Dann haben wir hier tote Hose. Das gilt nicht nur für uns. Ich glaube einfach, dass die Menschen wegen dieser Stimmung ins Stadion gehen. Das Stadionerlebnis, die Atmosphäre, das schaffen nur Ultras & Co.! Mal abgesehen von dem, was sie hier an Choreos gebracht haben. Das ist einfach überragend. Und wie sie sich in ihrer Freizeit engagieren, wie viel Zeit sie in Choreographien investieren und mit welcher Akribie sie da dran sind, das ist schon bemerkenswert. Absolut. Da kann man nur den Hut vor ziehen.

 

Gerrit Meinkes prägendstes DSC-Erlebnis

Gibt’s noch irgendetwas, das Sie loswerden möchten? Vielleicht eine weitere Anekdote?

Eine meiner ersten Erfahrungen mit Arminia, als ich noch ein kleiner Junge war. Ich bin ja in Melle groß geworden. Melle ist noch in Niedersachsen und hat eigentlich eine größere Affinität zur Stadt Osnabrück und deshalb zum VfL. Als ich so Zehn, Zwölf, Vierzehn war, bin ich immer nach Osnabrück gegangen. Irgendwann, als ich Fünfzehn, Sechzehn war, ist Arminia in die erste Liga aufgestiegen und dann fand ich das natürlich viel cooler. Ich hatte aber kein Auto. Dann musste uns immer irgendein Vater am Wochenende hier herbringen und dann auch wieder abholen. Vollkommen irre, nicht wahr? Der hat uns abgesetzt, ist nach Hause gefahren und ich glaube, als er zu Hause war, konnte er gleich wieder losfahren, aber egal (lacht). Wie dem auch sei. Einmal sind wir– mein Vater mit uns vier Jugendlichen – über Borgholzhausen gefahren, an einem Hotel vorbei. Davor stand der Arminiabus: „Hey, da müssen wir stehen bleiben, da müssen wir rein, da sind die Spieler!“. Wir sind hineingegangen und haben sie beim Mittag essen gesehen. Mein Vater ist immer relativ pragmatisch. Er traf damals den damaligen Präsidenten Dr. Jörg auf der Heide und sprach ihn an: „Herr auf der Heide, ich bin jetzt auf dem Weg nach Bielefeld, aber die Jungs können ja auch hier im Bus mitfahren. Also, das ist ja viel einfacher?!“. Der Präsident antwortete: „Nee, das geht ja nicht, die Spieler müssen unter sich sein“. „Aber“, sagte er, „die Jungs, die können mit mir mitfahren. Ich bin mit meinem Privatauto da“. Dann sind wir ins Auto eingestiegen und mit dem Präsidenten von Arminia direkt hier vorgefahren. Das war total super. Das war mein prägendstes Erlebnis mit Arminia. Genau. Und da hab ich gesagt: „Boah, ein Verein mit so einem Präsidenten – das ist ja geil!“. Und dann bin ich nicht mehr nach Osnabrück gegangen, sondern nur noch nach Bielefeld (lacht).

Vielen Dank für Ihre detaillierten Antworten und die tollen Anekdoten, Herr Meinke.

Sehr gerne.