Teil II des Interviews mit Sebastian Hille

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DSC-Fans lächeln bei einer Legendentour mit Sebastian Hille in die Kameras. Foto: DSC Arminia

Inwieweit reden die Jungs aus der Mannschaft mit dir über die verschiedenen Perspektiven?

Wir sprechen schon darüber. Manchmal gibt es dann Späße von ein paar Spielern, die meinen: „Oh, du hast aber schnell vergessen, dass du Spieler warst“, wenn es Kontroversen gibt. Ich denke, dass es ganz gut angekommen ist, dass ich diesen Job übernommen habe. Aber ich will nochmal betonen, dass Katrin ihren Job wirklich klasse gemacht hat. Da konnte jeder jederzeit anrufen, auch heute noch. Ich kann sie immer noch anrufen, wenn ich Fragen habe. Sie ist immer ein Teil von uns. Für das Team ist es ganz gut, dass ich schon bekannt bin. Wenn ein Externer gekommen wäre, hätten sich die Jungs erst wieder an jemand Neues gewöhnen müssen. Von daher denke ich, dass das eine ganz gute Lösung war.

Welche waren deine schönsten Momente während deiner Zeit als Spieler beim DSC? Was war dein bislang tollstes Erlebnis als Teammanager?

Als Spieler waren die Erfolge für mich am schönsten. Jetzt nicht nur die Saison, in der ich das Aufstiegstor geschossen habe, sondern auch die Saison zuvor. Als ich verpflichtet worden bin, waren wir auf dem 20. Platz. Das Spiel gegen Darmstadt haben wir 1:5 verloren, ich habe zwar ein Tor geschossen, aber es lief damals nicht gut. Und dann diese Entwicklung mitzumachen. Dass wir dann erstmal den Klassenerhalt geschafft haben, war sehr wichtig. Danach haben wir eine so geile Saison durchgespielt. Ich werde diese mannschaftliche Geschlossenheit nie vergessen. Das ist das, was uns bis heute auszeichnet. Dass wir gewisse Säulen in der Mannschaft hatten und haben, die das Team geführt haben bzw. führen. Der Aufstieg 2013 war auch ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde.

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Am 11. Mai 2013 schoss Sebastian Hille den DSC Arminia Bielefeld mit seinem Treffer zum 1:0 gegen den VfL Osnabrück in die 2. Bundesliga. Foto: DSC Arminia

Was negativ war, war die Relegation 2015. Aber die Reaktionen der Fans waren beeindruckend. Die Unterstützung der Fans nahm nicht ab, sondern immer mehr zu. Wir haben das im Mai beim Arminis Sommerfest gesehen. In diesem Jahr waren wieder mehr Menschen da als im Vorjahr. Es ist geil, dass Arminia gerade eine stetige Entwicklung durchlebt. Ich finde es gut und sehr interessant und freue mich, ein Teil davon zu sein. Natürlich hätte ich mir das Erlebnis mit der Relegation gerne erspart, aber das waren eben auch Erfahrungen. Ich hatte nach dem Spiel in Darmstadt 150 Nachrichten auf dem Handy, nach dem Rückspiel in Bielefeld waren es zwei. Es war trotzdem beeindruckend, wie der Verein zusammengehalten hat. Wir haben es wieder gutgemacht und sind aufgestiegen. Auch der Aufstieg 2015 war für mich auf eine gewisse Art und Weise schön, auch wenn ich nicht mehr so viele Spielanteile hatte. Ich hatte letztendlich einen emotionalen Abschied, der mir wirklich sehr ans Herz gegangen ist, weil mir mitunter viele Fans in den sozialen Netzwerken geschrieben haben. Das machen sie heute noch. Kürzlich habe ich eine Nachricht mit einer Erinnerung an das vergangene Jahr erhalten. Es ist schön, wenn ich merke, dass die Menschen das anerkannt haben, was ich hier geleistet habe.

Was macht deines Erachtens die Fans von Arminia Bielefeld – im Vergleich zu anderen Vereinen – aus?

Ich finde es toll, dass die Fans – gerade, weil sie schon so viel Mist mitgemacht haben – dem Verein immer die Treue gehalten haben. Der Großteil der Fans ist immer positiv aufgetreten. Auch, als wir eine Negativphase in der zweiten Liga hatten, haben wir Gespräche mit den Fans geführt. Da bestand immer eine enge Bindung und das finde ich bei unseren Anhängern beeindruckend. Wenn ich an die Choreo beim letzten Spiel der vergangenen Saison denke. Oder an das DFB-Pokalspiel 2015, als wir 0:4 gegen den VfL Wolfsburg verloren haben und trotzdem alle dastanden und gefeiert und die Hymne gesungen haben. Ich weiß noch genau, wie ich da unten am Spielfeldrand stand und Gänsehaut hatte. Natürlich gibt es so etwas auch bei anderen Vereinen, aber trotzdem ist es hier nochmal etwas besonderes. Es ist schon sehr cool, dass es hier so innig ist.

Wie stark hast du dich als Spieler mit dem Hintergrund der Fanszene auseinandergesetzt?

Wir hatten immer wieder die Möglichkeit, uns mit den Fans auszutauschen. Wenn wir uns mit einem Fanclub getroffen haben oder bei einzelnen Aktionen mit Fans in Kontakt gekommen sind, haben wir schon immer gemerkt, wie sehr diese Menschen an dem Verein hängen und dass sie dafür leben. Als Spieler kann man sich das ja nicht exakt vorstellen, wie sehr sich die Leute auf einen Verein versteifen und wie sehr sie an ihm hängen. Trotzdem ist es meines Erachtens sehr wichtig für die Spieler, zu wissen, wie die Fans denken. Man spielt eben auch für einen Verein und für das, was alles an einem Verein hängt, welche Personen, welche Gruppen – es ist extrem wichtig für die Spieler, sich dessen bewusst zu sein.

Inwieweit beschäftigt sich ein Fußballprofi mit der Geschichte seines Vereins?

Ich habe mich schon damit beschäftigt. Über das, was in den 50er und 60er Jahren passiert ist, weiß ich ehrlich gesagt weniger. Die Zeit, in der ich noch ein Kind war, in der ein Armin Eck sehr bekannt war und ein Thomas von Heesen, Fritz Walter und Thomas Stratos, beschäftigt mich eher. Dadurch, dass ich einige von ihnen ab und an treffe, setze ich mich automatisch mit der Vergangenheit des Clubs auseinander. Auch mit Kolle (Martin Kollenberg; Anm. von Lisa Schatz) habe ich öfter darüber gesprochen, wie früher alles abgelaufen ist. Und dann merken wir, dass sich wieder etwas entwickelt hat. Natürlich gab es damals Rückschläge durch den Bundesligaabstieg. Auf jeden Fall setzt man sich immer wieder mit der Vereinsgeschichte auseinander und das sollte wirklich jeder Spieler machen. Er sollte schon wissen, für welchen Verein er spielt und was dort tatsächlich abgeht. Das halte ich für äußerst wichtig.

Ich würde gerne mal auf die 150 bzw. 2 Nachrichten zurückkommen. Inwieweit hat sich dein Team in deiner Zeit als DSC-Profi mit dem Themenbereich der Sportpsychologie auseinandergesetzt? Ihr hattet ja mit Efthimios Kompodietas einen Kinesiologen und Bewegungstrainer im Team. Inwiefern habt ihr euch außerhalb des Trainings mit ihm mit mentalen Aspekten auseinandergesetzt?

Das war sehr individuell. Wir haben auch damals, als wir in der Dritten Liga auf Tabellenplatz 20 waren, mit einem Sportpsychologen zusammengearbeitet. Er konnte einem Hilfestellungen geben. Es bleibt aber individuell. Jeder muss seinen Weg finden, mit seinen Problemen umzugehen. Wenn ein Spieler dabei Hilfe braucht, dann bekommt er diese auch. Dann ist der Verein auch da und kann helfen. Ich für meinen Teil fand es zunächst wichtig, in der Situation Abstand zu gewinnen und erstmal mein Leben weiterzuleben. Es war ja nur etwas Sportliches und nichts Gesundheitliches. Ich habe mit meinen Freunden, meiner Familie und meiner Frau darüber gesprochen. Ich glaube, dass viele andere genauso verfahren sind. Natürlich spricht der ein oder andere Spieler auch mit einem Sportpsychologen, mit dem er zusammenarbeitet. Ich halte es für sehr wichtig, dass die Spieler in der Beziehung in einen Austausch gehen und mit Menschen über ihre Probleme sprechen. Es kann nie schaden, sich von jemandem externen Rat einzuholen, also von jemandem, der emotional ungebunden ist. Wenn wir merken, dass ein Spieler Hilfe braucht, bekommt er sie.

Wie hat sich deines Empfindens nach der Druck auf die Spieler in den vergangenen Jahren verändert?

Er ist höher geworden. Der Druck, der beispielsweise von den Medien ausgeht, ist schon extrem hoch. Viele Spieler sagen zwar, dass sie das nicht richtig tangiert, aber wenn ein Spieler etwas über sich hört oder liest, dann belastet ihn das natürlich. Ich habe ab und zu etwas gelesen, aber manchmal hab ich mir auch gedacht, dass ich jetzt wirklich keine Zeitung aufschlage. Man wird immer grundsätzlich mit allem konfrontiert. Es ist schon mehr geworden in der Vergangenheit. Gerade in der zweiten Bundesliga nimmt das Ganze noch einmal zu und die sozialen Netzwerke beschleunigen die Informationsflut.

Nervt dich das?

Wenn ich zehn Nachrichten erhalte, in denen alle nur nach einem Trikot fragen, dann schon. Vor kurzem hat mir jemand geschrieben, dass ich sein Lieblingsspieler sei und eine ganz tolle Saison gespielt hätte. Da dachte ich mir: „Ja, gut, wenn ich sein Lieblingsspieler wäre, dann wüsste er, dass ich gar nicht mehr spiele“. Ich lese jede Nachricht, die ich da bekomme, und versuche meist, sie zu beantworten. Aber auf manche kann ich einfach nicht eingehen.

 

Quergefragt

Wie gut sind deine ehemaligen Kollegen auf ihre Zukunft nach der Karriere als Fußballprofis vorbereitet?

Ich glaube, dass unsere Mannschaft in der Hinsicht sehr gut vorbereitet ist. Manuel Hornig macht sein Lehramtsstudium, Stephan Salger kümmert sich schon jetzt darum, wie es nach der Karriere weitergeht. Marco Hober hat mit mir einmal über die Thematik gesprochen und auf meine Empfehlung hin ein Fernstudium begonnen. Meines Erachtens ist es von großer Bedeutung, sich damit auseinanderzusetzen, wie es nach der Karriere weitergeht.

Dann ein anderes Thema. Arminia Bielefeld macht vieles im sozialen Bereich. Inwieweit bekommst du das mit?

Wir hatten kürzlich eine Integrations-Europameisterschaft in Herford, wo ich mit Andreas Voglsammer vorbeigeschaut habe. Aber auch die Besuche vor Weihnachten im Krankenhaus sehe ich als wichtig an, weil sie den Fußballprofi an sich wieder erden und auf den Boden der Tatsachen bringen. Da wird einem einmal mehr bewusst, dass es eben mehr als Fußball gibt. Gern erinnere ich mich an die regelmäßigen Treffen mit den Gruppen aus Bethel, die immer im Trainingslager dabei sind. Das war jedes Mal ziemlich witzig und cool.

Welche Menschen sind deiner Meinung nach am Spieltag die wichtigsten im Stadion?

Zum einen sind das die Spieler und Trainer, ohne die das Spiel nicht gespielt wird. Aber auch die Sicherheitskräfte. Es muss einfach gewährleistet sein, dass es die Organisation drumherum reibungslos verläuft. Letztendlich sind aber die Spieler hauptverantwortlich für die Stimmung. Sie sind hauptverantwortlich für den Erfolg. Denn nur von dem Erfolg der Mannschaft lebt der Verein. Deswegen sind die Spieler die Wichtigsten an einem Spieltag.

Wie wichtig ist Querdenken in deinem Beruf?

Es ist von großer Bedeutung. Wenn ich jetzt an meine Zeit als Co-Trainer der U19 zurückdenke – da habe ich oft mal als Kumpel mit den Spielern geredet. Viele von ihnen haben sich schon Gedanken darüber gemacht, wie es weitergehen würde, wenn sie sich verletzen würden oder wenn sie irgendwann ihre Karriere beenden. Ich habe ihnen geraten, immer an einem Plan B zu arbeiten. Zu einigen von ihnen habe ich jetzt noch Kontakt, spreche mit ihnen darüber und versuche ihnen Hilfestellungen zu geben. In meiner Funktion als Teammanager mache ich mir auch Gedanken darüber, inwiefern wir Teambuilding-Maßnahmen ins Trainingslager einfließen lassen können. Auch eine Gelegenheit querzudenken.

Welche Ziele hast du beruflich und privat?

Beruflich möchte ich einfach alles an Erfahrungen mitnehmen. Ich will noch viel dazulernen, die Dinge aufsaugen, noch erfolgreicher werden, und als Teil des Clubs weiterhin am Aufbau einer besseren Zukunft mitwirken. In privater Hinsicht freue ich mich über die gemeinsame Zeit mit meinem ersten Kind, das kürzlich gesund zur Welt gekommen ist. Das ist wichtiger als alles andere.

Vielen, vielen Dank, Sebastian.

Gerne.

Thomas „Sandy“ Sandgathe: Ein Kerl des Potts

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Thomas „Sandy“ Sandgathe vor der Rahnstatue in Essen. Foto: Schatz

Soziales Engagement. Der Essener Thomas „Sandy“ Sandgathe ist Musiker und setzt sich für die Herzenswünsche ein, ein Projekt des Vereins Essener Chancen e.V.. In dem Rahmen feiern Kinder im Stadion Essen Weihnachten und bekommen dort Geschenke, die sie zuvor auf Wunschzettel geschrieben haben. Sandy hat 2013 von dem Projekt erfahren und gibt seitdem Konzerte, von welchen die gesamten Einnahmen an die Herzenswünsche gehen. Ich durfte ihn ins Stadion begleiten und eines seiner Konzerte miterleben. Dabei wurde mir klar, warum Sandy so ein Unikum ist…

Essen. Es ist kurz vor zwölf, schönstes Fußballwetter und die Fans um mich herum sind gut gelaunt. Ich stehe vor der Rahnstatue und bin gespannt. Heute hat es mich ins Ruhrgebiet verschlagen, weil ich Sandy, den Kultfan von Rot-Weiss Essen, einen Spieltag lang begleiten möchte.

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Sandy musiziert im VIP-Raum des Stadion Essen an der Hafenstraße. Foto: Schatz

Ich überlege, wie er wohl so drauf ist. Bisher kenne ich ihn ja nur aus einem Musikvideo, bei dem sich natürlich alles um den Traditionsverein dreht, und vom Schreiben. Da kommt er schon. Kurze Hose, Fanclubshirt, Schnurrbart, seinen Hut mit einer Vielzahl von Pins auf‘m Kopf und die Gitarre auf‘m Rücken. Dat is er also: Thomas „Sandy“ Sandgathe, Kerl aus‘m Pott. Als ich gerade auf ihn zugehe, trifft er einen Kumpel. Ich bleibe stehen, er erkennt mich, lacht, geht mir entgegen und umarmt mich zur Begrüßung. Wir bewegen uns in Richtung VIP-Bereich, um ein paar Fotos vor einem großen RWE-Bild zu machen. Zwischendurch stellt er mir einige Leute vor: Ultras, einen Hartz IV-Empfänger, VIP-Gäste und Mitarbeiter des Vereins.

 

 

In der Kurve und der VIP-Loge

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Thomas „Sandy“ Sandgathe mit einem RWE-Fan. Foto: Schatz

Es wird Zeit, dass wir uns langsam auf die Westtribüne begeben. Wir gehen durch die Kontrollen, Sandy wird durchgewunken, die Ordner kennen ihn. Wir wollen uns nur noch schnell was zu trinken holen, als er kaum noch weiterkommt. Die Fans freuen sich ihn zu sehen und er kommt mit vielen von ihnen ins Gespräch. Ein paar Kinder wollen Fotos mit ihm machen. „Klar doch“, sagt er, nimmt sich Zeit, lächelt in die Kameras. Als wir es endlich geschafft haben, Getränke zu holen, trifft er einen Freund und Kollegen aus dem Musikbusiness. Er stellt uns einander vor: „Er hat auch schon Songs über RWE gemacht. Wir unterstützen uns alle gegenseitig. Du kannst in Deutschland so eine Musikszene suchen – du findest nirgends so eine wie in Rot-Weiss. Viele Vereine geben Vereinssongs in Auftrag, aber da merkt man doch schon beim Hören, dass das ohne Herz und ohne Seele geschrieben ist. Bei uns ist das anders: Man kennt sich, man mag sich, man unterstützt sich. So soll’s eigentlich sein im Musikbusiness. Dat macht uns besonders, da bin ich auch stolz drauf. Und da muss man ein bissken wat für tun und dat passt auch“.

Wir sind in der Kurve angekommen. Da Sandy dem Fanclub namens „Stauder Kommilitonen“ angehört, trinkt er was? Stauder natürlich. Ich beobachte ihn. Er singt bei den Fangesängen mit und leidet mit den Jungs, die 0:2 gegen Rot-Weiß Oberhausen verlieren. Trotzdem machen die Fans das ganze Spiel über Stimmung. Das ist das, was Sandy so begeistert: „Wir verlieren 0:2 und die Kurve feiert trotzdem. Es macht Spaß, hier dabei zu sein und wir dürfen einfach nicht aufhören an unseren Verein zu glauben und alles dafür zu tun, dass er wieder nach oben kommt. Das fängt beim kleinsten Fan, Andre Brieu, der die Stadionzeitung verschenkt und für die Kinder sammelt, an, und hört bei Michael Welling, unserem Vorstandsvorsitzenden, auf. Ist ja ganz einfach“.

Der Schiedsrichter pfeift gerade ab, als Sandy meint: „Nach den Spielen geh ich meist in die VIP-Loge. Mal gucken, ob du mit raufdarfst“. Ja. Kein Problem. Denn egal, wo Sandy hinkommt: Die Securitys im Stadion an der Hafenstraße kennen ihn, in der VIP-Loge wird er ohne ein Wimperzucken durchgelassen. Der Kerl ist eben ein echtes Unikum. Sandy hat am letzten Spieltag Gitarre gespielt, bevor das Georg-Melches-Stadion abgerissen wurde, und hat wieder ein Konzert gegeben, als das neue Stadion Essen 2012 eröffnet wurde. Er ist wohl der bekannteste Fan des Vereins – ein Fan, der selbst schon Fans hat. Einer, der so viel für seinen Club tut wie kaum ein anderer. Thomas Holtmann, Vorstandsmitglied der Fan- und Förderabteilung, meint: „Der Sandy ist einer, der sowohl den Verein als auch die gute Sache im Herzen trägt. Wo der Verein auch immer Unterstützung braucht – Sandy ist dabei“.

 

Sandy und sein soziales Engagement für die Herzenswünsche

Mich interessiert, warum er sich so stark für die Herzenswünsche einsetzt. Er bleibt bescheiden und meint, dass sein Engagement „überbewertet wird. Ich bin Musiker, ich mache gerne Musik, ich fahre gerne durch die Stadt oder mal nach Berlin, zu meinen Freunden von Union Berlin. Ich opfere ein bisschen Zeit, mehr ist das nicht. Ich bin ja auch Familienvater und es kann nicht sein, dass Kinder nichts zu Weihnachten bekommen. Es geht einfach darum, dass jeder sein Talent einbringt“. Für die Herzenswünsche zu spielen, das sei „irgendwann einmal durch eine Schnapsidee geboren. Mich hat im Dezember 2013 ein Fanclub angesprochen, ob ich vorbeikommen und auf dessen Weihnachtsfeier spielen würde. Sie hatten mich gefragt, wie hoch meine Gage sein sollte und ich meinte: ,Ich will doch keine Kohle von Leuten, mit denen ich alle zwei Wochen in der Kurve stehe‘ und sagte: ,Lass uns das doch für die Herzenswünsche spenden‘. Daraus sind dann 300 Euro Spendengelder geworden und da kam die Idee, ein bissken mehr in der Richtung zu machen. Das hat funktioniert. Im ersten Jahr sind über 5.000 Euro zusammen gekommen, im zweiten Jahr über 6.000 Euro und jetzt sind es 2016 mittlerweile schon 4.000 Euro. Läuft doch. Irgendjemand, in dem Fall ich, macht en bissken Musik. Es kommt auf die Leute an, die ihr Portmonnaie aufmachen und die Aktion unterstützen. Darum geht’s. Es gibt kein ,ich im Team, wir machen hier alles zusammen. Ich bin halt der, der spielt und die anderen spenden die Kohle. Alles gut“.

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Auch in der VIP-Loge sorgt Sandy für gute Stimmung. Foto: Schatz

Wir gehen zurück in die VIP-Loge. Sandy wird aufgefordert, zu musizieren. Er packt die Gitarre aus und erfüllt die Musikwünsche. Die Stimmung ist klasse, alle singen und klatschen mit. Dann müssen wir weiter. Sandy sagt mir, dass er noch mit dem Vorstandsvorsitzenden reden wolle, weil er beim vergangenen Auswärtsspiel „ziemliche Scheiße gebaut“ habe. Er meint, dass er „nicht weiß, wie es soweit kommen konnte. Aber wenn ich Mist baue, dann steh ich dafür grade“. Wenige Minuten später sind wir im großen VIP-Bereich. Ein bissken Schickimicki. Sandy stört das nicht. Er ist einfach er selbst: Fan mit Hut, rot-weißen Socken, Schal und Fanclub-Shirt. Er spricht mit Prof. Dr. Michael Welling. Diesmal halte ich Abstand. Dann werde ich wieder zu seinem Ein-Tages-Schatten und begleite ihn zum Trainer- und Spielertisch. Die Mannschaft freut sich, als er vorbeischaut und die Jungs mit Handschlag begrüßt. Nach einem kurzweiligen und lustigen Gespräch mit dem Co-Trainer machen wir uns auf in Richtung Essen-Borbeck, wo das Konzert in drei Stunden stattfinden soll.

 

 

 „Kneipenkonzert“ oder „261,95 Euro mehr für die Herzenswünsche“

„Wir gehen jetzt noch zu Kai“, sagt Sandy. Keine zehn Minuten sind rum und ich sitze mit Sandy und zwei seiner Kumpels auf‘m Sofa beim Sportschaugucken. Wir reden über Fußball, Querbeet. Als Sandy sich auf den Weg gemacht hat, um alles für das Kneipenkonzert aufzubauen, erzählt mir Kai, dass er es schön findet, dass Sandy „im Plattenbau in Duisburg vor drei Leuten auf einem 50. Geburtstag genauso spielt wie in der VIP-Loge von Rot-Weiss Essen“.

Eine halbe Stunde später sitzen wir vor der Kneipe „van Megeren“ am alten Markt und lauschen Sandys Gitarrenspiel und Gesang. Von „Over the rainbow“ über „Ring of Fire“ bis hin zu „Über den Wolken“ spielt er über zweieinhalb Stunden alles durch. Alles für den guten Zweck. Rund sechzig Leute unterhalten sich bei lockerer Atmosphäre. Wir genießen einen tollen, entspannten Sommerabend im Freien. Sandy strahlt über das ganze Gesicht. An diesem Abend nimmt er 261,95 Euro für die Herzenswünsche ein.

Am Ende meines Aufenthalts in Essen sauge ich nochmal die ganze Stimmung auf. Ich lasse den Tag Revue passieren und muss schmunzeln. Sandy schafft es wirklich, sie alle mit seiner Musik und seiner Begeisterung zu Rot-Weiss Essen zu vereinen: Von den Ultras und Hooligans über die Mannschaft und die VIPs bis hin zum Vorstandsvorsitzenden. Um es mit Sandys Worten auszudrücken: „Wir sind zusammen gewachsen, wir stehen zusammen und gehen gemeinsam durch alle schweren Zeiten und sind einfach nicht kaputt zu kriegen“.

 

 KURZINTERVIEW MIT SANDY

Was zeichnet den Verein Rot-Weiss Essen aus?

Wer dort auf den Tribünen sitzt oder steht und regelmäßig dort hingeht, obwohl die Saison nicht gut verläuft und die Erwartungen wieder nicht erfüllt oder übertroffen worden sind und dem Verein trotzdem treu bleibt. Das sind alles ganz besondere Menschen, auch unterschiedlichen Intellekts. Da gibt es den kleinen, liebenswürdigen Mann, der selbst von Hartz IV lebt und trotzdem Spieltag für Spieltag für arme Kinder sammelt – solche Leute machen unseren Verein aus, machen ihn besonders. Heute haben wir 0:2 gegen Oberhausen verloren und die Kurve macht Stimmung und tobt, das zeichnet unseren Club aus. Wir alle sind Rot-Weiss Essen. Da gibbet nicht irgendwie so einen synthetischen Verein wie den VfL Wolfsburg, die TSG Hoffenheim oder was weiß ich wat, die einen Mäzen haben und keine Fanszene. Wir sind zusammen gewachsen, wir stehen zusammen und gehen gemeinsam durch alle schweren Zeiten und sind einfach nicht kaputt zu kriegen. Ich mein, was soll einem Verein noch mehr widerfahren als das, was uns widerfahren ist? Wir verlieren 0:2 und die Kurve feiert trotzdem. Es macht Spaß, hier dabei zu sein und wir dürfen einfach nicht aufhören an unseren Verein zu glauben und alles dafür zu tun, dass er wieder nach oben kommt. Das fängt beim kleinsten Fan, Andre Brieux, der die Stadionzeitung verschenkt und für die Kinder sammelt, an, und hört bei Prof. Dr. Michael Welling, unserem Vorstandsvorsitzenden, auf. Ist ja ganz einfach.

Wie wichtig findest du die Tradition des Vereins?

Natürlich ehrt man immer die, die großes für den Verein geleistet haben. Man kann sich aber nicht immer hinter der Meisterschaft von ‘55 verstecken. Das ist natürlich etwas, das den Verein geprägt hat: Georg Melches, Helmut Rahn und andere große Spieler. Natürlich ist Tradition wichtig und man sollte sie nicht vergessen, aber das aktuelle ist viel wichtiger und auch auf das aktuelle bin ich stolz.

Welche waren deine schönsten Erlebnisse mit Rot-Weiss Essen?

2010 haben wir wieder in der fünften Liga angefangen und erstmal gar nicht gewusst, ob es überhaupt noch weitergeht. Als wir ins Stadion gekommen sind, standen da 6.500 Zuschauer auf den Rängen. Die Spieler sind auf den Platz gelaufen und wussten erstmal gar nicht, wie ihnen geschieht. Sie konnten einfach nicht glauben, wie voll die Hütte ist. Und dann markierte Thamm in der 65. Minute den Siegtreffer gegen Homburg, der zugleich das Tor des Monats wurde. Da dachte ich mir: „Jo, wir sind wieder da!“. Das war ein klasse Moment. Aber eigentlich is dat die Summe von unglaublich vielen Dingen, die den Verein für mich besonders und ein Stück weit auch zur Familie macht. Dat is einfach so. Als Rot-Weiss-Fan gehste mit Rot-Weiss ins Bett und wachste mit Rot-Weiss wieder auf. Dat is einfach so und da kannst du dich auch nicht gegen wehren. Dat is so. Was auch schön war, war das Pokalfinale in Berlin, als wir 1:3 gegen Bremen verloren haben (1994; Anm. von Lisa Schatz) und anschließend mit den Bremern gegen gefeiert haben ohne Ende. Dat 2:0 von Jörg Lipinski gegen Schalke 04 im Pokal 1992/93 war genauso klasse und das 5:0 gegen den 1. FC Köln (Saison 2006/2007; Anm. von Lisa Schatz) an Rosenmontag. Zu den emotionalsten Erlebnissen mit dem Verein gehört für mich mit Sicherheit auch die Stadioneröffnung 2012.

Vielen Dank für das Interview und dafür, dass ich heute dabei sein durfte.

Bitte, sehr gerne.

Vorschau

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In zwei Tagen geht mein nächster Beitrag online. Bevor ich – passend zur EM – einige Beiträge zum Thema Profifußball veröffentliche, möchte ich mich mit den wichtigsten Menschen im Fußball beschäftigen: Den Fans. Denn ohne sie wäre im Fußball ziemlich wenig los.

Ich habe nach einer guten Story gesucht. Und eine wirklich tolle gefunden. Im Ruhrgebiet. Also hab ich mich auf eine Reise zum Traditionsclub Rot-Weiss Essen gemacht, um dort einen ganz besonderen Fan zu treffen: DEN Kultfan des Vereins überhaupt! Freut euch auf eine Geschichte, die nur im Pott geschrieben wird…

Eure

Lisa Blue