Urs Meier: Glitzerwelt Fußball vs. Armut in Südafrika

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Urs Meier engagiert sich im Rahmen der Kindernothilfe für den guten Zweck. Hier ist er beim UNO-Spiel mit afrikanischen Kindern zu sehen. Foto: Kindernothilfe

„Meiers Engagement für die Kindernothilfe“

Herr Meier, Sie sind seit einigen Jahren als Botschafter für die Kindernothilfe aktiv. Wie ist der Kontakt entstanden, weshalb engagieren Sie sich dort und was genau machen Sie in dem Rahmen?

Ich habe lange überlegt, zu welcher Organisation ich passe: „Was passt zu mir, wo passe ich hin?“. Ich wollte mich aktiv im sozialen Bereich einbringen. Jeder hat ja so seine Fähigkeiten und Möglichkeiten. Gerade, wenn man etwas bekannter in der Öffentlichkeit ist und für Ehrlichkeit, Fairness und Aufrichtigkeit steht, sollte man sich für einen guten Zweck engagieren. Ich habe mir zahlreiche Organisationen angeschaut und gesagt „Nein. Nein“. Da war es vielleicht die Nachhaltigkeit, da war es vielleicht die „Ehrlichkeit“: Wie geht man mit demjenigen um, wie geht man mit Spendengeldern um? Es hat nie gepasst. Irgendwann kam jemand, der meinte, dass ich von den Werten her zur Kindernothilfe passen würde. Ich habe mir das ganz genau angeschaut und mit den entsprechenden Menschen gesprochen, vor allem mit dem Geschäftsführer in Deutschland. Da wusste ich: Es passt, und noch mehr: Das ist nachhaltig! Die Organisation legt viel Wert auf seriöse und ehrliche Zusammenarbeit. Die Kindernothilfe wurde zur transparentesten Organisation in Deutschland gewählt. Ich hatte den Eindruck: „Wow, das ist es. Das passt“. Und ich habe es nie bereut. Was ich jetzt mache? Einfach Projekte unterstützen, vor Ort sein. Es ist wichtig, dass ich in die Städte und Regionen fahre, in denen die Kindernothilfe tätig ist und dass ich die Glaubwürdigkeit dieser Projekte unterstreiche. Das ist auch das, was für mich von Bedeutung ist. Viele der Menschen, die einen Flyer bekommen und zur Spende aufgerufen werden, können oft nicht abschätzen: Ist das jetzt wirklich nachhaltig, wird das Geld richtig eingesetzt? Ich sage dann: „Ja, es kommt an und wird gut eingesetzt“. Viele von ihnen meinen daraufhin: „Ok, wenn Urs Meier dahintersteht und das sagt, unterstützen wir dieses Projekt“.

Sie waren schon einige Wochen vor der WM 2010 für die Kindernothilfe in Südafrika. Wie waren Ihre Eindrücke? Vor allem, als Sie die Armut gesehen haben und im Hinterkopf hatten, dass dort bald eine WM ausgetragen wird?

Vor allem diese Diskrepanz zwischen der Glitzerwelt Fußball-Weltmeisterschaft und dieser Armut hat mich nachdenklich gemacht. Diese Schnittstellen verlaufen in der Stadt, zum Teil in den Straßen, in den Zufahrtswegen. Wenn man miterlebt hat, was mit den Armen passiert ist: Sie wurden umgesiedelt. Straßenkinder wurden deportiert. Sie wurden aus Städten wie Durban und Johannesburg an die äußersten Landesgrenzen verfrachtet, damit man sich sicher war: Bis sie zurück sind, ist die Weltmeisterschaft vorbei. Solche Dinge liefen da ab. Meine Einstellung war: „Ich bin jetzt für eine Hilfsorganisation hier, die eigentlich genau diesen Menschen eine Perspektive geben will“. Da bist du hin- und hergerissen und denkst dir: Das kann ja nicht sein! Du stehst in der Öffentlichkeit, du bist im Fernsehen, du bist ein Teil dieses Systems, das hier abläuft. Und hier musst du eigentlich genau das Gegenteil vertreten. Dieser Spagat war extrem. Ich wollte im Vorfeld der Weltmeisterschaft, dass darauf aufmerksam gemacht wird, dass man diese Probleme auch sieht. Nach dem Motto: „Wir haben eine Verpflichtung. Wir gehen in dieses Land und sollten diesem eigentlich etwas bringen. Aber stattdessen nehmen wir ihm etwas“. Wenn man heute die Stadien in Südafrika sieht und weiß, dass sie nicht zu bezahlen sind und nicht genutzt werden…(schüttelt den Kopf). Man hat immer wieder dieselben Fehler gemacht und nicht daraus gelernt. Meine Aufgabe als Botschafter ist es eben auch, auf solche Begebenheiten aufmerksam zu machen.

 

„Die FIFA muss sich Gedanken machen“

Was sagen Sie zu den kommenden Weltmeisterschaften in Russland und Katar, gerade auch unter dem politischen Aspekt?

Genau das ist wieder das Problem. Man hat da auch wieder Entscheidungen getroffen, die unter dem Aspekt von Menschenrechten und sozialem Engagement schwer zu verstehen sind. Auch da sind wir natürlich mit Projekten vor Ort. Aber es ist schwierig. Hierbei denke ich an die neue Führung des Fußball-Weltverbands. Die FIFA muss sich Gedanken dazu machen: „Wie könnten wir in diesen Ländern, in die wir hineinkommen, etwas Positives hinterlassen?“. Oder das, was eben die Kindernothilfe macht: Die Nachhaltigkeit ins Auge zu fassen, das ist wichtig.

Eine Schwierigkeit ist häufig das „Helikopterhelfen“ einiger Organisationen, also alles aufzuwirbeln und wieder Retour zu gehen. Hierbei hat man zwar Publicity, die Aufmerksamkeit der Medien. Aber im Anschluss ist man weg. Wenn man das Ganze ein Jahr später betrachtet, sieht man: Zuvor ist es den Menschen dort besser gegangen. Denn nur mit Geld macht man einfach auch sehr viel kaputt. Weil man Strukturen zerstört, Strukturen innerhalb von Familien, innerhalb von Gemeinschaften und Ortschaften. Es braucht sehr viel Feingefühl bei der Arbeit vor Ort. Gute Organisationen haben das und sie arbeiten langfristig. Darum sage ich immer, dass die Kindernothilfe so gut zu mir und zu meinen Vorstellungen passt: weil man mittel- und langfristig arbeitet.

Die FIFA müsste bei der Vergabe von Weltmeisterschaften genau auf solche Gesichtspunkte achten: „Geht es den Menschen und Kommunen in den Ländern, in denen wir die Turniere ausrichten, nachher besser, oder haben sie durch unser Engagement und durch das, was dort passiert, eine Belastung?“.

Welche Projekte gefallen Ihnen am besten? Welche Hilfe wird vor Ort geleistet?

Man versucht, die feinen Strukturen innerhalb der Gesellschaft zu erkennen und die Einheimischen einzubinden. Wir Westeuropäer glauben, dass unsere Denkweise dorthin adaptiert werden muss. Aber das geht einfach nicht. Es zerstört sehr vieles. Die Menschen in Südafrika zum Beispiel haben zum Teil viel bessere Geflechte. Sie haben ein Gemeinschaftsgeflecht, das – im Gegensatz zu unseren – trägt. Unsere sind oft finanziell und materiell gesteuert. Wenn wir ihnen diese überstülpen, gehen ihre Geflechte kaputt. Das heißt, es haben zwar wenige Leute eine Hilfe dadurch und es geht ihnen dadurch vielleicht besser, aber dem Großteil geht es nicht besser, gerade in Südafrika. Sie werden dadurch von der Gemeinschaft ausgeschlossen, weil sie vielleicht ein neues Haus bekommen haben.

Es geht um das Miteinander. Man kann ihnen ein neues Haus oder einen neuen Boden geben, aber dies muss in der Gemeinschaft entstehen. Es ist von Bedeutung, dass man den Sand oder die Materialen zusammen kauft und die Gemeinschaft gemeinsam diesen Boden umgräbt: Teamwork. Diese Strukturen haben schon jahrzehntelang funktioniert und man darf sie nicht auseinanderreißen.

 

„Das Verhalten der Straßenkinder muss man erstmal verstehen“

Vieles muss man erst verstehen. Ich musste auch das Verhalten der Straßenkinder erstmal verstehen: Die Kindernothilfe gibt ihnen die Möglichkeit, in ein beheiztes Haus zu gehen, ein eigenes Bett zu haben, duschen zu können, etwas zu Essen zu haben und in die Schule gehen zu können. Sie hätten also „alles“. Man denkt, sie würden sofort dieses geschützte Leben führen wollen. Pustekuchen. Das ist nicht der Fall. Man würde diesen Menschen aus seiner Struktur herausreißen. Die Straßenkinder haben eine Struktur: Sie haben einen Anführer, sie schauen aufeinander, sie haben Hierarchien. Das heißt, dass man zuerst ihr Vertrauen gewinnen muss, um überhaupt in diese Strukturen hineinzukommen. Dies geht nur, wenn man die Strukturen auch kennt. Und das wiederum ist nur durch ehemalige Straßenkinder möglich, die zu Psychologen oder Ähnlichem ausgebildet wurden. Es ist ein langer Weg, bis man die Straßenkinder nur in einen solchen Schutzraum bringt. Wenn ein solches Kind dort ist, heißt das noch lange nicht, dass es auch dort bleibt. Vielleicht geht es wieder, weil es sich dort nicht wohl fühlt oder weil ihm die Gemeinschaft auf der Straße mehr Sicherheit zu geben scheint. Dort ist sein Anführer und sagt: „Wenn du ein Problem hast, bin ich da. Aber verarsch mich nicht“. Auch da muss man den Kindern Zeit lassen, muss man viel arbeiten. Im Prinzip ist da so viel in der Seele kaputt gemacht worden und es dauert, Vertrauen zu gewinnen. Das ist ein langer Prozess. Das kannst du nur, wenn du das verstehst. Man merkt schon, dass es folgendermaßen ist: Du hast tausend Straßenkinder und vielleicht schaffen es nur zehn davon. Aber für diese zehn lohnt es sich. Für jeden Einzelnen lohnt es sich.

WM-Vorfeld-Pressereise nach Südafrika mit Urs Meier-
Urs Meier blickt nachdenklich auf die Gräber vieler Aids-Toter in Südafrika. Foto: Kindernothilfe

Was wird am Meisten getan?

Grundsätzlich ist jedes Projekt ein ganz anderes. In Indien gibt es andere Projekte als in Südafrika, in Südafrika wieder andere als in Peru oder in Bolivien. Man muss alles einzeln betrachten. Wenn ich an Südafrika denke: Dort besteht vor allem das Problem mit Aids. Die Menschen verlieren ihre Kinder, oft ihre ganzen Habseligkeiten. Oder die Kinder sind alleine, Papa und Mama sind gestorben, und eigentlich würde das Haus ihnen gehören. Die Schwierigkeit ist: Irgendein Onkel oder ein ferner Verwandter reißt sich das Haus unter den Nagel, behandelt die Kinder schlecht, sodass sie irgendwann abhauen und auf der Straße stehen. Das ist unglaublich. Die Kindernothilfe setzt sich in diesem Fall dafür ein, dass das Kind wieder zu seinem Recht kommt. Sie weist darauf hin: „Moment, dieses Haus gehört dem Kind und nicht dir“. Sie versucht, dass das Kind das Haus zurückbekommt und bei einem Verwandten unterkommt, der es gut mit ihm meint oder in einer Familie, die es aufnimmt. Das sind lange Prozesse, die hier ablaufen. Aber das Ziel ist immer dasselbe: Den Kindern ihr Eigentum wieder zurückzugeben, ihnen eine Perspektive zu geben und sie wieder in die Gemeinschaft einzubinden. Wenn man mit den Kindern, die dort wohnen, spricht und sie nach ihrem größten Wunsch fragt, antworten sie, dass sie zuhause bleiben wollen, dass sie dort heiraten möchten und dort ihre Kinder zur Welt bringen wollen. Sie möchten wirklich dort bleiben. Diese Wurzeln, dieses „in der Gemeinschaft getragen zu sein“, ist dort viel, viel, viel tiefer als bei uns. Das spüren die Menschen und darum möchten sie nicht von dort weg. Deshalb muss man versuchen, sie dort wieder zu integrieren.

 

Meiers Begeisterung am Entdecken neuer Länder

In welche Kontinente reisen Sie am liebsten?

Was mich grundsätzlich immer wieder fasziniert, ist Afrika. Afrika ist so ein Kontinent, dessen Gegenden und Menschen mich sehr beeindrucken: Diese Ursprünglichkeit, dieses Natürliche. Man merkt, dass die Menschen dort einen viel größeren Bezug zur Natur haben. Sie leben viel mehr aus dem Bauch heraus. Sie spüren das, weil sie es noch nicht verlernt haben. Die Natur selbst gefällt mir und zum Teil diese Stille, das „man selbst sein und in sich ruhen“. Auch das Asiatische fasziniert mich. Wenn ich eine Reihenfolge meiner Lieblingskontinente machen müsste, wäre Afrika auf jeden Fall auf Platz 1.

Welche Länder mögen Sie am Meisten?

Das waren eigentlich immer die, die ich noch nicht kannte. Ich möchte immer wieder etwas Neues erleben. Dieses Kennen lernen neuer Länder finde ich super. Das Problem ist ja oft: Du hast eine Vorstellung, eine Meinung, die vertreten wird – ob dies durch die Medien ist oder ob das deine Freunde sagen – aber du hast das nicht selbst erlebt. Das selbst erleben, selbst fühlen, selbst spüren und zu sagen „wow“, das ist das Spannende. Es ging mir damals mit Südafrika, Kenia und Tansania so. Nordafrika ist zum Beispiel etwas, das zwar näher an meinem Wohnort in Spanien liegt. Dennoch würde ich eher nach Zentralafrika, Ost-, West- oder Südafrika fliegen, weil ich mich dort eher aufgehoben fühle. Ich finde einfach: Die Welt ist so spannend, so vielfältig. Dieser Vielfalt möchte ich mich nicht verschließen und sagen, dass ich nur da oder da hingehe. Nach Osteuropa zu reisen fand ich während meiner Zeit als Schiedsrichter sehr spannend. Länder wie Armenien, Georgien oder auch Lettland, Estland und Albanien waren toll. Albanien war unglaublich. Das war damals im Prinzip zu. Du konntest nur als Schiedsrichter, als Sportler einreisen. Als wir das erste Mal in Albanien waren, hatten wir das Gefühl, wir seien fünfzig Jahre zurück. Wenn du nur aufs Land gefahren bist, hattest du das Gefühl, du hättest eine Zeitreise gemacht. Das war schon etwas Besonderes.

Vielen Dank, dass Sie sich so viel Zeit für das Interview genommen haben, Herr Meier.

Bitte, sehr gerne.