Jens Lehmann: „Der Sport steht allgemein für das Gute im Leben“

Jens Lehmann in Essen
Jens Lehmann im Essener Audimax. Foto: Schatz

Am Freitag, 26. Februar, fand der 1. Kinder- und Jugendsportkongress in Essen statt. Ex-Nationalspieler Jens Lehmann hat hierfür die Schirmherrschaft übernommen. Weshalb? Einer der ausschlaggebenden Aspekte war, dass Essen seine Heimatstadt ist. Darüber hinaus fungiert er als Botschafter des Projekts „Kicking Girls“ (vorher: „Mädchen mittendrin“) bei der Laureus-Stiftung (mehr dazu hier), das der Kongressleiter, Professor Dr. Gebken, ins Leben gerufen hat. Die Stiftung widmet sich dem Sport und wendet „sich dort vor allem an Kinder, die teilweise einen Migrationshintergrund haben, finanziell benachteiltigt sind oder teils auch Behinderungen haben“, so Jens Lehmann. Nach den Eröffnungsreden und der Podiumsdiskussion nahm sich der frühere Nationaltorhüter Zeit und beantwortete mir einige Fragen.

Herr Lehmann, was ist Ihres Erachtens das Wichtigste, das den Kinder und Jugendlichen im Sport vermittelt werden sollte? Welche Werte sollten im Vordergrund stehen?

Erstmal ist es für sie wichtig, den eigenen Körper kennen zu lernen, mit allen möglichen Bewegungsformen und sich darin wohl zu fühlen, auch nach der Anstrengung. Darüber hinaus ist es von Bedeutung, dass sie dieses Gefühl spüren, dass Sport dem Körper gut tut. Was natürlich ganz wichtig ist, ist Teamgeist und was ich vor allen Dingen in Essen gelernt habe, als ich hier aufgewachsen bin: Toleranz. Wenn man mit Leuten zusammen spielt, die von zu Hause aus eine Menge haben oder aber auch mit Spielern, die von zu Hause aus nichts haben. Gerade bei Laureus ist es natürlich so, dass die Kinder mit migrativem Hintergrund meistens von zu Hause aus nichts haben. Dies sind Werte im Sport, die man auch auf das Leben übertragen kann. Frau Kampmann hat vorher gesagt, dass ihr diese Werte auch in der Politik helfen. Das kann ich auch mal ausprobieren (lacht). Ja, das sind die Dinge, die der Sport bringt. Ich glaube, der Sport steht allgemein für das Gute im Leben.

Wie wichtig ist Querdenken in Ihrem Beruf als Fernsehkommentator und als Redner oder auch im sozialen Engagement?

Was ich als Sportler gelernt habe, ist, dass schnell denken sehr hilft. Der Sport entwickelt Schnelldenker und kombiniert mit Schule kann man da lernen, sehr schnell zu denken. Und was ich glücklicherweise in der Bild-Zeitung gelesen habe, ist, dass meine zweite Leidenschaft, nämlich Schokolade zu essen, schlau macht (lacht). Und da war ich doch sehr glücklich (lacht nochmal).

Welche neuen Eindrücke und Perspektiven auf das Fußballspiel haben Sie als TV-Kommentator gewonnen, wenn Sie diese Arbeit mit Ihrer Karriere als Spieler vergleichen? Gab es nochmal neue Einblicke, konnten Sie Ihr Wissen erweitern oder verstehen Sie die Journalisten dadurch besser?

Ich verstehe die Arbeit der Journalisten besser. Nichtsdestotrotz betrachte ich mich nicht als Journalist, sondern mehr als jemanden, der den Fußball beschreibt und wenn es schnell geht, auch gut beschreiben kann mit dem, was ich erlebt habe. Für mich ist es jetzt keine große Herausforderung, aber eine schöne Beschäftigung.

Was macht Ihnen derzeit am meisten Spaß, die Arbeit als TV-Kommentator oder die im sozialen Bereich?

Das soziale Engagement macht mehr Spaß, weil ich da natürlich – nicht so wie heute – meistens bei Projekten bin, bei denen die Kinder auch vor Ort dabei sind. Es ist toll, wenn sie große Augen machen, wenn sie glücklich sind. Wenn solche Aspekte in den Vordergrund treten.

Sie haben 2011 zusammen mit Oliver Kahn den Trainer-Kompaktkurs absolviert. Haben Sie noch Kontakt zu ihm?

Ich sehe ihn noch ab und zu in München, aber ich habe jetzt keinen engen Kontakt zu ihm.

Vielen Dank für das Interview, Herr Lehmann.

Bitte.

Wolfgang Schlosser: Träumer, ausgelacht. Ziel erreicht, das Unmögliche möglich gemacht.

Was schreibe ich nur über einen Menschen, über den man eine ganze Buchreihe verfassen könnte? Über jemanden, den ich inzwischen jahrelang kenne und ins Herz geschlossen habe? Über einen Macher, der zur „alten Garde“ gehört und sein Leben dem Fußball widmet? Über einen Weltbürger, der neugierig ist, interessiert an anderen Kulturen, der begeistert, mitreißt, Respekt und Fairplay als höchste Werte ansieht und der den Fußball verkörpert, so wie er sein sollte? Nun ja, eine – wie ich finde – echt schöne Story, die es nur dank ihm zu erzählen gibt…

Zur Information: Diese Geschichte ist kein Märchen. Sie ist zu 100% wahr. Ja, das IST verrückt.

Es ist nun fast neun Jahre her, dass eine ziemlich verrückte Fußball-Mail-Freundschaft entstanden ist. Ich hab ca. vierzig E-Mails in alle Welt verschickt: auf Englisch, Deutsch und Französisch. Er war einer von denjenigen, die mir geantwortet haben: Wolfgang Schlosser. Anfangs meinte er, dass er bestimmt viel älter sei als ich. Aber er wusste auch, dass „Fußball verbindet, über alle Grenzen hinweg. Da spielt das Alter keine Rolle“. Inzwischen sind wir gute Freunde. Vor wenigen Wochen feierte er seinen 87. Geburtstag und das ist wohl Grund genug, seine coole Geschichte aufzuschreiben. Die Fußballwelt kann derzeit Vorbilder brauchen…

Was ich damals noch nicht ahnte: Dieser Mann hat so viel für den deutschen und internationalen Fußball getan wie kaum ein anderer. Meiner Meinung nach ist Wolfgang Schlosser einer der größten im Fußball überhaupt. Und einer der verrücktesten.

Klamotten und ein Ball – das Tor zum neuen Zuhause

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kam Schlosser, nur mit Klamotten am Leib und einem Fußball unterm Arm, nach Breidenbach. Der Fußball war damals noch so einer, den wir heute nur noch aus den Museen kennen: Eine Lederkugel, die sich bei Regen richtig vollsog und irre schwer zu spielen war. Dieser Ball war sein „Türöffner“. Zu neuen Freundschaften, einem neuen Lebensabschnitt. Er ist also sozusagen die Integration durch Fußball in Person. Schlosser hatte Glück: Das hessische Breidenbach war ein Fußballdorf. Ein Dorf, in dem bald eine wunderbare Geschichte beginnen sollte…

Der fußballverrückte Jugendliche schloss sich dem dortigen Fußballverein an: FV 09 Breidenbach. Er fuhr zu vielen Spielen, quer durch Deutschland: mit dem Moped zu den Heim- und Auswärtsspielen des 1. FC Kaiserslautern, dem damaligen Topteam Deutschlands. Wenige Jahre später stand das Vereinsjubiläum vor der Tür. Die Verantwortlichen wollten ein großes Sportfest organisieren. Fußball hatte im Nachkriegsdeutschland – vor allem nach der WM 1954 – einen enormen Stellenwert. Wolfgang Schlosser hatte eine super Idee für das 50-jährige Jubiläum. Er meinte, er würde den 1. FC Kaiserslautern nach Breidenbach holen. Aber er wurde ausgelacht. Der 1. FC Kaiserslautern, das war damals das Team um Kapitän Fritz Walter, eines des Helden von Bern. Und der FV 09 Breidenbach, das war ein kleiner hessischer Verein mit einem Hartplatz am Waldrand.

Doch wenn ein Wolfgang Schlosser sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann wollte er das auch machen. Da er so viele Spiele der Lauterer besucht hatte, kannte ihn Fritz Walter bereits vom Sehen. Wieder mal in Kaiserslautern, traf Schlosser den Fußballprofi zufällig in einem Café und erzählte ihm einfach ein bisschen von sich. Wenige Zeit später nahm Schlosser wegen des Vereinsjubiläums Kontakt zu ihm auf. Und machte das Spiel klar. Einfach so.

Wenn das Unmögliche möglich wird

Im Sommer 1959 war es dann soweit. Fritz Walter und seine Mannschaftskollegen vom 1. FC Kaiserslautern kamen ins „Fußballdorf Breidenbach“. Schlossers Augen glänzen, wenn er heute davon spricht. 2008 hat er mich dorthin mitgenommen. Auf den Hausbergsportplatz, wo sich 1959 knapp 8.000 Menschen (konzipiert war das Gelände für 4.000!) ansammelten, um einige der Helden von Bern kicken zu sehen. Ja, kicken schreib ich. Der Fußballplatz: Ein Hartplatz. Die Tribüne: Aus Holz. Die Eintrittskarten: In der Mitte durchgerissen, weil es nicht genug gab.

Der Schiri wollte das Spiel nicht anpfeifen, weil die Zuschauer auf den Außenlinien saßen. Die Menschen standen auf den Bäumen und Zäunen. Unglaublich, aber wahr. Ich hab die Bilder gesehen. Wenn man den Platz betritt und die Hintergrundgeschichte kennt, spürt man jetzt noch diese Magie. Diese Magie von damals. Crazy, aber wahr. Wenn man auf die schwarz-weißen Fotos blickt, kann man sich alles ziemlich gut vorstellen. Keine Smartphones, kein Fußball-Managerspiel. Staub wirbelt durch die Luft, die lederne Kugel rollt über den Boden und unzählige Menschen bestaunen die „Jungens“, wie Schlosser sagt, die wohl der Inbegriff des „neuen Deutschlands“ nach dem Krieg sind.

Die Spieler wurden bei verschiedenen Familien im Dorf untergebracht. Heute kaum vorstellbar. Vorstellbar, das ist das Stichwort. Als Wolfgang Schlosser seinen Vereinskollegen von seiner Idee, Fritz Walter und sein Team zum Vereinsjubiläum des FV 09 Breidenbach nach Hessen holen zu wollen, erzählt hatte, konnten sie sich das auch nicht vorstellen, dass die Weltmeister von 1954 bei ihnen auflaufen würden. Den Rest der Geschichte kennt ihr ja… Drei Tage waren sie dann da. Der kleine FV 09 hatte den großen FCK zu Gast. Verrückt. Fritz Walter freundete sich am Abend nach dem Spiel bei einem Bier mit Wolfgang Schlosser an. Die Verbindung hielt bis zum Tod der Fußballlegende an.

Schlossers Tipp an die Jugend von heute

Schlosser war immer ein Macher und ist dabei stets ein Denker geblieben. „Immer den Kontakt zur Basis halten“, das war und ist ihm wichtig. Und das ist auch das, was er jungen Nachwuchskräften im Fußballbereich, egal in welchem Amt, mit auf den Weg gibt (das schreib ich nicht nur, damit es gelesen wird ;-)).

Mit diesem Text hoffe ich, dem lieben Wolfgang aus Hessen eine kleine Freude zu bereiten und zugleich möchte ich euch alle dazu ermutigen, für eure Träume zu kämpfen! Egal, wie verrückt sie sind. „Man muss sich einfach trauen. Wenn man eine Idee hat, muss man sie verwirklichen“, hat Schlosser mir einmal gesagt. Ich weiß nicht, ob es diesen Blog geben würde, hätte ich diesen faszinierenden fußballaffinen Menschen nicht getroffen. Jedenfalls gäbe es diese Zeilen nicht.

Mich hat Herr Schlosser durch diese Geschichte mit dem 1. FC Kaiserslautern (und einige andere…) auch schon zu manch anderer verrückten Aktion motiviert. Einige davon konnte ich tatsächlich umsetzen, obwohl ich das oft selbst vorher nicht erwartet hatte. Also, los, ab nach draußen! 🙂