Fußballbuch-Update Nr. 16: Von Mario Bast zu Jason von Juterczenka

Es war Herbst als ich mit einem Kumpel im Kino saß. Das Fußballbuch lag bei mir daheim. Wir schauten den Film „Wochenendrebellen“ an und dieser hat mich sehr geflashed! Die Geschichte ist wahr, echt und handelt von einem Autisten, der mit seinem Vater auf die Suche nach seinem Lieblingsverein ist. „Bähm!“ machte es in meinem Hirn. Diesen Jungen hätte ich gerne bei uns im Projektteam. Und ja: Es hat geklappt! Lest nun im Folgenden mein Interview mit ihm und lasst euch gerne auch so positiv beeindrucken wie ich mich begeistern habe lassen. Viel Spaß auf euren gedanklichen Reisen.!

Servus und herzlich Willkommen liebe Fußballfans!

Ich sitze hier mit Jason von Juterczenka in München und er ist Teil unseres Fußballbuchprojektteams. Vielen Dank, dass du mitmachst, Jason. Du darfst bitte gleich mit deiner Geschichte loslegen .

Ich bin Jason und ich bin seit 2012, also jetzt seit 13 Jahren eigentlich, mit meinem Papa unterwegs, in den Stadien in Deutschland und Europa und es geht darum, meinen Lieblingsverein zu finden. Ich denke, viele müssen ihren Lieblingsverein gar nicht wirklich finden, aber als ich zum ersten Mal ein Fußballspiel gesehen habe und mich gefragt habe, was hat es mit diesen Fans auf sich? Wie funktioniert das? Wieso fiebern dort Menschen für eine Sache mit, wo sie doch eigentlich gar nicht mitspielen? Was hat das damit zu tun?

Ich bekam die Möglichkeit, Fußballbuchprojekt-Teammitglied Jason von Juterczenka in München zu interviewen.
Bildrecht: Lisa Schatz.

„Ich möchte auch wissen, wie es ist, Fan von einem Verein zu sein“

Dann haben mein Papa und mein Opa mir erklärt, was Fans eigentlich sind. Dass die meisten Menschen diese Entscheidung gar nicht bewusst treffen, sondern dass sie Fan von dem Verein werden in der Stadt, in der man geboren ist oder Fan des Lieblingsvereins der Eltern. Und gleichzeitig haben sie auch gesagt, das ist total wichtig und das bleibt fürs Leben. „Passt das zusammen?, habe ich mich gefragt. Auf der einen Seite ist es eine wichtige Entscheidung für immer, auf der anderen Seite überlässt man sie dem Zufall. Das erschien mir nicht logisch. Ok, ich möchte das auch. Ich möchte auch wissen, wie es ist, Fan von einem Verein zu sein. Aber diese Entscheidung muss auf Fakten basiert getroffen werden. Deswegen haben wir uns auf die Suche gemacht.

Wie seid ihr an das ganze rangegangen? Hattet ihr da eine Struktur, habt ihr gelost?

Das Losen aus dem Film wurde aus der Realität, unserem Podcast entnommen, weil da losen wir die Themen. In der Realität – tatsächlich – sind wir die Stadien der ersten Ligen so durchgegangen. Irgendwann war es dann so, dass wenn mein Papa irgendwo vom Stadion bei der Arbeit war, haben wir geguckt, was sind die nächsten Spiele? Deshalb wurden es oft die Spiele der vierten, fünften oder der unteren Ligen. Gar nicht nur der ersten drei.

Einmal im Jahr geht’s mindestens ins Ausland, weil die ersten drei Ligen sind dann irgendwann voll in Deutschland und dann muss man halt woanders gucken.

Wenn Herthino zum Umarmen kommt

Du hast vorhin von Kriterien gesprochen. Was waren deine Kriterien, was ist dir wichtig?

Die Kriterien sind – ich würde sagen – sechs. Könnte man so zusammenfassen. Wichtig ist, dass es kein Maskottchen gibt. Diese Regel ist dann später bei Hertha BSC entstanden als Herthino mich umarmen musste und ich wegrennen musste. Dann darf der Verein keinen Spielerkreis machen, indem sich die Spieler anfassen. Wegen des Körperkontakts hauptsächlich. Der Verein muss ökologisch und auch sozial engagiert sein. Ein häufiges Ausschlusskriterium sind zum Beispiel Einweg-Plastikbecher, weil die halt auch überall rumliegen. Das ist ein Kriterium. Das Stadion muss in irgendeiner Form eine interessante Skurrilität haben. Es muss irgendetwas geben, was das Stadion auszeichnet.

Hast du da ein Beispiel?

Eine coole Skurrilität ist in Babelsberg, die Flutlichtmasten, die man so einknicken kann. Das hat mir sehr gut gefallen. Oder die Anzeigetafel bei Union Berlin, wo die Schilder dranhängen. Die durfte ich auch mal bedienen, neulich, tatsächlich. Das waren definitiv Skurrilitäten, die gezählt hätten, so. Und dann gibt’s noch einen Kreis.

Das Ganze muss mit dem Zug erreichbar sein, die Fanszene muss politisch stabil sein. Das sind – würde ich sagen – so die Kriterien.

Was hat dich auf deinen bisherigen Reisen am meisten beeindruckt? Kannst du da ein bisschen was herausgreifen? Hm, was ich am Spannendsten finde… Oder was macht dir am meisten Freude? Auch die Zeit mit deinem Dad zu verbringen?

Durch die ganzen Fankurven, in denen ich halt war, und die ich gesehen habe. Ja, ich würde definitiv sagen, dass das ein Punkt ist. Außerhalb der Wochenenden haben wir gar nicht so viel Zeit zusammen. Ich bin in der Schule oder habe mit einem Projekt im Forschungszentrum zu tun. Mein Papa muss in der Regel arbeiten. Daher waren die Wochenenden die einzigen Zeitpunkte eigentlich aber die dafür sehr intensiv. Über die gesamten zwei Tage, wo dann auch so viel passiert. So viele Ereignisse treten auf, die meinen Papa dann zum Beispiel in eine Situation bringen, in der er sich dann mit beschäftigen muss oder mit mir eine Lösung suchen muss. Dadurch waren das besonders intensive Zeiten. Am Fußball, würde ich sagen, ich mein, das ganze ging ja mehr oder weniger los, weil ich nicht verstanden hatte, was es mit den Fans auf sich hat bei meinem ersten Stadionbesuch. Ich würde auch bis heute nicht sagen, dass ich es nicht zu 100 % nachempfinden kann. Ich hab ja noch keinen Verein gefunden. Aber ich würde definitiv sagen, durch die ganzen Fankurven, in denen ich halt war und die ich gesehen habe, habe ich – ich konnte schon irgendwie besser verstehen, was die Faszination daran ist.

Ich kann dann besser einschätzen, was die Bedeutung dieses Vereins für die Menschen ist. Weil ich auch Menschen gesehen habe – wirklich, man hat es denen so angesehen im Gesicht. Wenn die jetzt verlieren, dann ist der Monat gelaufen. Die Bedeutung, dass sich das ganze Leben praktisch darum dreht . Das ist schon beeindruckend. Auch wenn ich nicht weiß, ob ich das möchte. Aber das ist beeindruckend.

Wenn du deinen Lieblingsverein finden solltest, was passiert dann? Ja. Warum hast du so viele Regeln? Was zeichnet dich aus?

„Regeln sind sehr wichtig“

Regen sind sehr hilfreich zur Bewältigung des Alltags, denn ohne Regeln wird ja alles kompliziert. Regeln vereinfachen sehr viel. Regeln sind praktisch anwendbare Kataloge, wo man nach einem vorgefertigten Muster das ganze abklären kann. Wenn es keine Regeln gibt, dann ist es wie eine Sprache zu lernen, wo es keine Regeln gibt. Wo man jedes Wort einzeln lernen muss. Wie wird das jetzt gebildet? Das wäre furchtbar. Niemand könnte diese Sprache sprechen. Ich glaube so ist es dann auch im Alltag. Wenn es bei der Person keine Regeln gibt. Wenn es in einer Menschengruppe keine Regeln gibt, wie soll man sich dort zurechtfinden? Wie soll man interagieren? Wonach richtet man sich in seinem Handeln? Es ist ja nicht so, dass dann alles ok ist. Es sind dann trotzdem Dinge nicht in Ordnung. Das ist nicht festgelegt. Man muss das alleine wissen. Das erscheint mir sehr unlogisch und Regeln sind deswegen richtig und ja, auch bei einer Suche nach einem Lieblingsverein. Damit das beste Ergebnis rauskommt. Ohne Regeln würde das nicht funktionieren. Und eine der Regeln ist zum Beispiel, dass Projekte nicht enden dürfen. Das ist einfach so. Aus dieser Regel wurde abgeleitet, dass wenn ich meinen Lieblingsverein gefunden hab, dann darf die Reise nicht vorbei sein. Das heißt, dann muss es weitergehen. Das bedeutet, dass zum Beispiel eine 34er-Saison. Dass mir mein Papa versprochen hat, dass wir zu allen Spielen in einer Saison fahren.

Jason hat auf einer seiner Reisen das Weserstadion besucht.
Foto: Jason von Juterczenka

Was natürlich sehr spannend ist, wenn du deinen Lieblingsverein im Ausland findest…

Ja. Mit dem Zug dann auch. Oder ins Trainingslager mit dem Verein zum Beispiel. Da gibt’s diverse andere Projekte, die danach dann folgen können. Mein Papa hat sich in die miese Bredouille ein bisschen dadurch gebracht, dass es mal eine Zeit gab, wo er versucht hat, mich von seinem Lieblingsverein zu überzeugen, von Fortuna Düsseldorf. Wo ich mir gedacht hab, wenn er mir das verspricht, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass ich auch bereit bin einen Verein zu finden. Wenn ich Angst davor hab, dass das Projekt dann endet, dann würd ich mich ja nie entscheiden. Aber jetzt hat der Papa das Versprechen gegeben und ich hab mich trotzdem nicht entschieden. Das ist ein bisschen daneben gegangen vermutlich.

Magst du vielleicht so ein bisschen von deinem Hintergrund erzählen? Damit die Leserinnen und Leser verstehen können – du bist Autist. Was es für dich, also aus deiner Perspektive, vielleicht auch so ein bisschen schwierig macht auf diesen Reisen?

Autismus ist letztendlich eine Neurodivergenz. Das ist eine andere Verschaltung des Gehirns, die mit einer anderen Wahrnehmung der Welt einhergeht, und diese Wahrnehmung ist häufig intensiver in Bezug auf Reize. Das bedeutet zum Beispiel, also Stadien sind eine sehr reizintensive Umgebung bezüglich der Lautstärke, bezüglich der Menschenmengen, die einen eventuell auch berühren könnten, die Lautstärke. Von daher ist es eigentlich, naja, kontraintuitives Denken, dass es mir in Stadien besonders gut gehen könnte. Als es losging haben wir gesagt das ist eine furchtbare Idee.

Aber du bist dran gewachsen letztendlich, oder?

Sie haben ja auch recht. Diese reizintensiven Umgebungen sind schwierig. Die werden auch nicht einfacher mit der Zeit. Es ist nicht so, dass man sich daran gewöhnen kann. Das ist es nicht.

Einfacher damit umzugehen, oder?

Es ist eine Abwägung dann, genau. Es ist einfach eine Abwägung, weil ja, es war schwierig. Es war auch beim ersten Mal sehr schwierig, aber es war halt auch sehr cool. Es hat mir gleichzeitig sehr gut gefallen. Was überwiegt jetzt? Der positive oder der negative Aspekt?

Wenn die positiven Aspekte überwiegen und ja, wenn ich diesen Ausflug hatte. Ja, es war schwierig, aber es hat mir gefallen und es hat mir eben mehr gefallen als dass es eine Herausforderung oder eine Belastung war, dann fällt die Nutzungsbilanz ja positiv aus und dann wiederholt man das.

Ja, sehr cool. Lass uns vielleicht so ein bisschen wieder eine Brücke zum Fußballbuch schlagen. Was hat dich dazu bewogen, mitmachen zu wollen? Du hast dich ja ziemlich schnell entschieden.

Grundsätzlich bin ich ein Fan von solchen Projekten oder von solchen Ideen. Fast ne Idee, die hätte ich auch haben können, hab ich mir gedacht. Und mir war recht klar, dass die Geschichte ziemlich gut passt. Du hast mir erzählt, wofür das so gedacht, was die Idee darin ist und das hat da sehr gut reingepasst. Ich fand die Idee irgendwie cool, wo geht das Buch danach hin? Ich weiß nicht, wie das dann bei den Leuten ist, aber als ich das Buch bekommen habe, habe ich mir alles davor durchgelesen. Vielleicht lesen dann auch andere, die das Buch bekommen, meine Geschichte. Von daher wollte ich da auch mitmachen.

Du stehst ja auch für Internationalität, indem du viel reist, wie das Buch auch. Wo willst du denn als nächstes hin? Wenn du dir ein Land aussuchen könntest, was würdest du als nächstes machen wollen? Vielleicht auch ein Ziel, dass ein bisschen weit ist?

Ein Versprechen, das schon sehr sehr alt ist, von meinem Papa – ich glaub das ist das allererste Versprechen, das er mir gegeben hat, ist, dass wir mal Shinkansen fahren, weil ich total zugbegeistert bin. Irgendetwas im ostasiatischen Raum könnte ich mir vorstellen, weil dort auch die Stadien sehr, sehr skurril sind, weil man viele Vereine erleben könnte. In Singapur gibt es zum Beispiel ein Stadion, das liegt praktisch auf dem Wasser. Diese Skurrilität hatte etwas, das dieses Kriterium wieder voll erfüllen würde. Auch so, wenn man dort recherchiert, gibt es sicherlich auch viele kleinere Vereine, die man sich dort auch anschauen könnte. Von daher: Da müssen wir ja eh nochmal hin, das ist ja ein Versprechen. Und auf dem Weg dahin, gibt es sicherlich auch vieles, was man sich anschauen kann. Ansonsten im europäischen Ausland liegt sicherlich die Slowakei, Tatran Čierny Balog, wo zwischen Spielfeld und Tribüne eine Zugstrecke verläuft. Das liegt auf jeden Fall noch an.

Wie schaut’s mit Luton Town aus?

Jason und sein Vater sind hier im Estadio de San Mamés in Bilbao zu sehen. In England waren sie noch nicht auf Grund des Fußballs, doch dies steht natürlich noch auf dem Plan.
Bildrecht: Jason von Juterczenka

England fehlt uns noch komplett als Land. Das steht definitiv auch bald an. Was dann in England wird – ja, da könnte man natürlich kombinieren. Es gibt die Forest Green Rovers, wie mir alle erzählen, weil die sehr ökologisch sind, womit das Kriterium zumindest abgehakt wäre. Es gibt Luton, worüber wir gesprochen haben. Dass man durch ein Wohnhaus muss, um in ein Stadion zu kommen, das ist perfekt. Das erfüllt dieses Skurrilitätskriterium genau. Klar, es gibt in England noch so viele andere Vereine, wo man eigentlich unbedingt mal hin muss. Von daher, ja, auch das ist definitiv fest geplant.

Gibt es ein paar Anekdoten oder besondere Reisen – klar, du erlebst immer wahnsinnig viel, es sind wahnsinnig viele Einflüsse? Du lernst wahrscheinlich auch viele Menschen kennen auf den Reisen, in den Zügen, kommst ein bisschen in Gespräche, aber gibt es irgendwas, das dir mal besonders aufgefallen ist, was dir besonders in Erinnerung geblieben ist oder ist das schwierig, weil das jetzt schon so viele? Wie viele Kilometer habt ihr ungefähr zurückgelegt? Oder wie viele seid ihr ungefähr im Schnitt unterwegs?

Wir hatten 150 Spiele, müssten es ungefähr gewesen sein. Es gab Spiele in Sarajevo, wo das 1.500 oder 2.000 Kilometer waren. Bei anderen waren es vielleicht nur 100 Kilometer. Ich weiß nicht, mit welchem Durchschnitt man da rechnen könnte. Aber das sind alles Statistiken, die wir erstellen wollen, wenn wir mal die Zeit dafür haben. Ich würde sagen, was bis jetzt, was immer ein bisschen ironisch ist – wo mein Papa und ich auch sehr gegensätzliche Ansichten darüber haben, das war ein Versuch beim VfR Aalen. Wenn mein Papa hier sitzen würde, würde er ganz anders darüber sprechen. Er würde mir widersprechen. Für ihn war das der Tiefpunkt. Es war mitten im Winter und ich hatte an einem Spieltag freie Auswahl, wo es hingehen sollte. Ich hab dann entschieden, wir fahren zu VfR Aalen gegen SV Sandhausen. Das hatte uns noch gefehlt. Das war damals zweite Liga. Deswegen sind wir da hingefahren. Es sind sieben Stunden Regionalbahnanreise. Das gefällt mir natürlich auch. Mit Schnee. Normalerweise ist die Überkommerzialisierung des Fußballs ein Ausschlusskriterium, aber beim VfR Aalen wurde das so auf die Spitze getrieben, dass es schon wieder skurril war. Die Eckbälle wurden von der Jimbo Autowäsche präsentiert. Die Autowaschanlage wirbt mit einem Elefanten, der mit seinem Rüssel Autos sauberspritzt.

Was natürlich in der Realität nicht stattfindet…

Bei jedem Eckball wurde ein extrem lautes Elefantengeräusch abgespielt. So richtig alte kratzige Lautsprecher. Es waren echt viele Eckbälle.

Das ist natürlich schwierig mit der Lautstärke.

Ich fand das vergleichsweise unfassbar lustig. Das war echt die skurrilere Marketingaktion. Noch skurriler: Die Apotheke sponsort die Ansage der verletzten Spieler oder, was wir einmal bei Karlsruhe hatten, war: Die Aufstellung der Gästemannschaft wurde von der Trauerhilfe gesponsert. Das ist extremst makaber, aber auch möglichst skurril. Sowas bleibt natürlich in Erinnerung. Der ganze Ausflug war einfach ein Fiebertraum. Ich sehe selber, dass die Überkommerzialisierung problematisch ist. Aber wenn ich nicht den Verein betrachte, sondern nur diesen Tag, dann hat es mir unglaublich gut gefallen, weil es einfach lustig war. Für meinen Papa war es die Hölle. Das bleibt sehr gut in Erinnerung.

Gibt es etwas, dass du zum Abschluss sagen willst – zum Projekt vielleicht?

Ich denke es wird noch eine Weile so weitergehen. Und noch ein bisschen dauern. Ja, ich weiß noch nicht genau, ob ich meinen Verein jemals finden werde, und das wäre sogar ok. Normalerweise wäre ich sehr nervös, wenn ich nach zwölf Jahren, nach Beginn eines Projektes das Ziel immer noch nicht erreicht habe. Aber das ist hier irgendwie anders, weil ich so ein bisschen vielleicht auch Fan davon geworden bin einfach, einen Verein zu suchen.

Der Weg ist das Ziel.

Ja, so könnte man es sagen. Deswegen: Ich wäre nicht traurig, wenn wir gar keinen Verein finden und wenn wir doch einen finden, dann wäre es auch lustig. Und mich würde es nicht wundern, wenn ich in 30, 40 Jahren meinen Papa im Rollstuhl ins Stadion schiebe, in der vierten lettischen Liga. Das wäre auch eine Aussicht, mit der ich sehr gut leben könnte. Von daher wird es noch viele, viele Erlebnisse geben, von denen wir berichten können im Podcast und im Blog, in weiteren Büchern vielleicht. Das ist glaube ich eine unendliche Geschichte.

Das ist ein super schönes Schlusswort. Ich wünsche euch weiterhin gute Reisen und vielen Dank nochmal, dass du Teil unseres internationalen Fußballbuch-Projektteams bist!

Funfact in der Nachspielzeit

Nach unserem Interview gingen wir in Richtung Münchener Hauptbahnhof und sahen den Mannschaftsbus des BVB. Das passte thematisch natürlich super, um ein Bild zu machen. Da wollte Borussia Dortmund wohl einen Beitrag zum internationalen Fußballbuchprojekt leisten…?! 😉

Nicht nur das Fußballbuch reist, sondern auch die Fußballspielerinnen und Fußballspieler gemeinsam mit ihrem Staff. International. Auf dem Bild, das Jason nach unserem Gespräch von mir gemacht hat, seht ihr mich mit dem Buch vor dem Teambus von Borussia Dortmund. Das Bild, das das Cover darstellt, hat Felix Schneider gemalt, und das, das auf der Rückseite zu sehen ist, stammt von Johanna Busch. Beide haben diese Kunstwerke zu ihrer Schulzeit gemalt! 😊
Foto: Jason von Juterczenka

Christian Heidel über seine Schlaganfälle, Reha-Erfahrungen und einen Fußballkurztrip mit Übernachtung am Flughafen

Christian Heidel geht offen mit seinen Schlaganfällen um – auch, um anderen Menschen dadurch zu helfen. Foto: Bernd Legien

Nun ein ziemlich krasser Schnitt, ein totaler Themensprung. Zu dir selbst. Zu deinem Schlaganfall 2019. Du gehst ja sehr offen damit um. Inwiefern lebst du seitdem anders oder bewusster?

Ich gehe da sehr, sehr offen mit um. Auch, weil ich den Leuten da gerne helfen würde. Dass ihnen das, was ich da erlebt habe, möglichst erspart bleibt. Und das kann ich auch gerne sagen: Ich habe die Ratschläge der Ärzte nicht so ganz ernst genommen, weil wir es mir eigentlich recht gut ging. Das Einzige, was ich hatte, war ab und zu ein Vorhofflimmern oder Herzrhythmusstörungen. So, und dann wirfst du ein Tablettchen ein und glaubst dann ist alles gut. Es ist auch meistens wieder gut nach einer halben Stunde. Wie ich das das erste Mal hatte, hab ich gedacht ich sterbe und habe schon überlegt. Ich war gerade in Wiesbaden und mein größtes Problem war: „Wie komme ich ganz schnell mit dem Krankenwagen nach Mainz? Weil: Ich will in Mainz sterben und nicht in Wiesbaden sterben.“ (lacht)

Das war damals wirklich so, also das war völlig verrückt. Meine Frau ist bald durchgedreht damals. Und dann kamen drei Krankenwagen angefahren und unseren Mannschaftsarzt hab ich auch angerufen. „Mein Puls – ach du lieber Gott!“ Da war für mich klar: „Ich sterbe jetzt. Aber ich will nach Mainz!“ Dann hat sich der Krankenwagen noch verfahren, weil die eigentlich nicht nach Mainz fahren dürfen. So und dort hat sich herausgestellt, dass ich so ein bisschen Herzrasen hatte, also Vorhofflimmern, und das haben sie schnell in den Griff bekommen. Das Problem war, dass das immer wieder kam. Auf einmal. Von heute auf morgen kam das. Ich habe dann Tablettchen eingeworfen und habe zweimal versucht, es mit einer kleinen Operation wegzubekommen.

Wie hast du das eigentlich gemerkt?

Das ist ganz schwer zu beschreiben. Es ist nicht so, dass du Herzrasen bekommst, sondern das Herz schlägt nicht mehr im üblichen Rhythmus. Das macht mal: Dapp-dapp, dapp-dapp-dapp-dupp, dapp-dapp. Einfach ein bisschen verrückt. Das ist sehr unangenehm. Du merkst, dass du nicht mehr so diese Kraft hast. Also diese Power fehlt dir auf einmal. Zum Beispiel, wenn du das hast und gehst Treppen hoch, da läufst du wie ein alter Mann, weil das Herz das in diesem Rhythmus irgendwie nicht hinbekommt. Aber das Hauptproblem ist: Nach einer Zeit ist das normal. Also, wenn ich jetzt mal irgendwo eine Rede gehalten habe, und das hat angefangen… Es war sau unangenehm. Du stehst da vor den Leuten und merkst „Orrrrhhh“. (verzieht das Gesicht) Mit einer Tablette hat es meist eine halbe Stunde gedauert, bis das wieder weg war. Aber ich Idiot hab mich halt irgendwie dran gewöhnt. Die Ärzte hatten schließlich zweimal eine sogenannte Appladierung [Dies ist der Fachbegriff für das Veröden von krankhaften oder überzähligen Leitungsbahnen / Erregungsherden am Herzen mit Hilfe eines Katheters. Ziel ist die Beseitigung von Herzrhythmusstörungen; Anm. von LS] gemacht. Das hat nicht funktioniert. Es kam immer wieder. Also habe ich gedacht: „Okay, dann lebe ich halt damit“. Was mir nicht so bewusst war: Wenn du das auf Dauer hast, ist das Risiko eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts viel, viel größer. So. Hätte mir das vorher mal jemand deutlich gesagt! Ich bin ja eh der größte Hypochonder, also ich habe immer alle Krankheiten. Ich kann im Fernsehen keine Krankenhausserie gucken, da muss ich sofort umschalten, sonst hab ich das gleich alles.

Hätte mir das jemand deutlich gesagt, hätte ich mich wohl mehr drum gekümmert. Das habe ich nicht gemacht. Und dann: Aus dem Nichts, ohne jegliche Vorwarnung, in der Türkei im Urlaub, gehe ich völlig ausgeruht mit meiner Tochter am Strand spazieren und auf einmal hab ich gedacht, mir fährt grad ein Laster durch die Birne! Keine Schmerzen, gar nix. Aber so „rrrrrrrrrrrrrrratz“ hat’s gemacht und anschließend habe ich nur gemerkt: Ich muss umgefallen sein. Mir war schwindelig, irgendwas stimmte nicht. Aber ich konnt‘s gar nicht beschreiben. Dann bin ich zu unserer Liege und habe zu meiner Frau gesagt: „Ich glaube, ich hatte einen Schlaganfall eben“. Panik. Ich wusste ja gar nicht, wie sich sowas anfühlt, ein Schlaganfall. Es war irgendwie so ein Gefühl. Die Ärzte kamen und ich wurde ins Krankenhaus gebracht. Dort haben sie es leider bestätigt. Ich hatte leider sogar zwei Schlaganfälle. Und ja, dann liegst du da in der Türkei im Krankenhaus. Wenn du das von außen gesehen hättest: „Ach du lieber Gott!“ Aber ich hatte einen überragenden Arzt. Der kam zu mir: „Mein Name ist Emerly Türkeliy“. Da hab ich erstmal gedacht: „Oje“. Aber das war ein Schweizer, der von der Schweiz in die Türkei ausgewandert war. Er war super, super! Ich war in den allerbesten Händen und bin zwei Tage später mit Hilfe von Clemens Tönnies mit dem Flieger nach Mainz gebracht worden und war dann hier zehn Tage in der Uniklinik. Nach elf Tagen war ich wieder auf Mallorca. Also das ging ratzfatz.


Schlaganfall oder Tumor – „Ich glaub, noch nie hat sich jemand so über einen Schlaganfall gefreut.“

Und jetzt zu der eigentlichen Frage: „Was hat sich geändert?“. Als ich im Krankenhaus gelegen habe… Da kommst du ins MRT, wirst in diese Röhre reingefahren, und dann kommen die Ärzte raus und sagen dir: „Ja, Sie haben da zwei dunkle Stellen im Gehirn“. Ich hab gesagt: „Ja, prima, und was heißt das jetzt?“. Sie müssten das genauer untersuchen, aber: „Schlaganfall oder Tumor“. Also ich hab mich noch nie so über einen Schlaganfall gefreut, als die Diagnose kam. Das erste, was ich gemacht habe: Ich habe noch in der Nacht meinen Notar in Mainz angerufen und erstmal mein Testament gemacht. Weil für mich wieder klar war: Ja, das war’s jetzt. Habe also für mich völlig, ganz merkwürdige Entscheidungen getroffen. Und dann redet man mit sich selber: „Also, wenn das alles gut geht, das machst du alles nimmer, und das machst du jetzt“. Und ich habe gesagt, „ich gehe jetzt in den Dom anschließend und ich spende“ und „Du veränderst dein Leben. Nimmer so hektisch alles.“ Also ich hab mir alles selbst versprochen und am Anfang fast alles eingehalten. Da war ich sehr geläutert, weil ich froh war, dass ich noch lebe und dass das ich das gut überstanden habe.

Und dann geht es leider los: Je länger dieses Ereignis zeitlich nach hinten rückt, ertappst du dich dabei, dass du vieles wieder über Bord wirfst. Aber ich glaube, wie ich mich verändert habe, ist, dass ich nicht mehr alles so dramatisch nehme. Das ist so, weil ich jetzt einfach mitbekommen habe, was wirklich dramatisch ist. Ich habe inzwischen starke Probleme mit dem Begriff „Schicksalsspiele“. Wir reden immer noch über Fußball, über Sport. Also Schicksal ist etwas anderes. Es gibt Menschen, die es viel härter getroffen hat als mich. Aber ich habe das auf einmal so ein bisschen gespürt, also wie schnell etwas aus dem Nichts beendet sein kann, und ich hatte das große Glück, dass es bei mir ja überhaupt keine Folgeerscheinungen gab. Ich habe ein ganz kleines Problem mit einem Auge, weil das eine Ding in die Sehrinde reingeknallt ist, aber das merke ich im normalen Leben nahezu gar nicht. Ich hatte null Sprachprobleme, Mobilitätsprobleme. Im Vergleich zu anderen hatte ich sehr viel Glück. (wirkt nachdenklich und dankbar)

Und, das ist auch eine ganz nette Geschichte: Ich habe in Mallorca eine Reha gemacht. Eigentlich hat die Krankenkasse gesagt, dass ich gar nicht in eine Reha müsste, weil ich fit sei. Ich meinte aber, dass ich eine Reha machen möchte, dass ich ein bisschen was für mich selbst tun möchte. In Mallorca habe ich dann gesucht und ein Krankenhaus gefunden. Durch eine riesige Glasscheibe konntest du von dort aus direkt aufs Meer schauen. Was ich nicht gewusst hab: Da war kein einziger Deutscher drin, sondern nur Spanier. Und mein Spanisch umfasst maximal die Speisekarte. (lacht) Dort waren alle Schlaganfallpatienten, die wieder aufgebaut wurden. Jetzt muss ich dazu sagen, dass ich derjenige war, der am wenigsten hatte. Ich hab auch ein solches Programm gemacht mit einem Trainer, also Fahrrad fahren usw. Ich hatte am Anfang große Probleme mit den Augen. Mit der rechten Seite habe ich nicht richtig gesehen. Das wurde so ein bisschen bearbeitet. Irgendwann war das auch wieder weg. Sonst war ich viel auf dem Laufband, auf dem Ergometer, immer unter ärztlicher Aufsicht.

Dann waren da schon viele Leute mit Mobilitätsproblemen, mit Sprachproblemen, einige waren halbseitig gelähmt. Da habe ich gemerkt, wie gut es mir wieder ging. Aber das lustige war: Sie haben immer geglaubt, ich sei ein Arzt, weil ich als einziger herumgelaufen bin als ob ich nichts hätte. Ich war vier Wochen dort und mit der Zeit habe ich sie alle kennengelernt. Ich wusste ihre Namen und ich habe immer viel Spaß mit ihnen gemacht, obwohl wir gar viel nicht miteinander reden konnten. Irgendwie bekam ich den Spitznamen „Doctore“. Ich habe ihnen zum Teil geholfen. Zum Beispiel gab es dort Manolo. Der hat den ganzen Tag nichts anderes gemacht als die Wasserflaschen von dem einen Wasserkasten in den anderen Wasserkasten umzusortieren. Wenn der zweite Kasten voll war, ging das wieder andersherum. Er musste das trainieren. Ich hab also einen Spaß gemacht und gefragt, weshalb er denn keinen Bierkasten nehme. Und dann sagte er immer „Cerveza, cerveza“ [=“Bier“ auf Spanisch] und wir haben uns wieder totgelacht. Da habe ich so ein richtiges Verhältnis zu allen aufgebaut und bin dann auf einmal jeden Morgen da hin. Ich musste eigentlich nur alle zwei Tage kommen. Jeden Morgen bin ich also da hingefahren und habe meist zwei, drei Stunden mit den anderen gearbeitet.

Dann habe ich diese Reha freiwillig auf eigene Kosten verlängert. Ich hätte gar nicht mehr hingehen müssen, aber mir hat das richtig Spaß gemacht. Ich habe es selbst bezahlt, die Krankenkasse wollte das nicht mehr. Insgesamt war ich drei Monate dort. Es waren viele ältere Menschen, aber auch junge Menschen, die das Schicksal da erlitten haben… Irgendwann kam der letzte Tag und sie haben das alle gewusst: Also, der „Doctore“ kommt jetzt. Und das war so süß! Ich wusste schon: Die hecken irgendetwas aus, da war so eine komische Stimmung. Man hat dort schon ein bisschen gearbeitet. Ich bin also duschen gegangen. Als ich rauskam, standen sie alle Spalier. Jeder hat mir ein kleines Geschenk gegeben. Ich habe Rotz und Wasser geheult. Da gehst du da durch und alle klatschen. Also du hast da echt so ein Gefühl mit denen dort aufgebaut. Ab und zu bin ich dann noch hingefahren, aber mit der Zeit waren sie dann zum Glück auch alle entlassen.

Hast du dort auch Freunde gefunden, wenn sie auch aus der Gegend waren?

Ja, mit zwei, drei Leuten treffe ich mich ab und zu…

Manolo?

Nein, Manolo kam aus Ibiza. Der musste wieder dorthin zurück. Mit ein paar Leuten treffe ich mich im Lokal auf ein Glas Wein. Den meisten geht’s jetzt besser, aber bei vielen wurde es nicht mehr hundertprozentig so wie vorher. Es war eine sehr, sehr nette Zeit, angenehme Zeit, aber auch eine bewegende Zeit, die mir persönlich viel gebracht hat. Du gehst dann raus und denkst nicht darüber nach: „Wieso das Auge? Wieso fehlen dir da zehn Prozent?“ Das interessiert dich überhaupt gar nicht, wenn du siehst, was wirklich Schicksale sind. Es war eine sehr, sehr gute Entscheidung, dort hinzugehen. Heute geht es mir gut, ich habe gar nichts mehr. Also ich hatte da riesiges Glück und da bin ich auch wirklich sehr, sehr dankbar, dass ich das so gut überstanden habe.


 Über die Bedeutung seiner Familie, Fußballreisen und eine spontane Nacht- und Nebelaktion

Hast du eine Art Bucket List, wovon heutzutage immer wieder gesprochen wird? Also, was du unbedingt nochmal im Leben machen willst – vielleicht gibt es noch einen Ort, an den du reisen willst?

Hm, das hört sich blöd an, aber ich bin eigentlich sehr, sehr glücklich und zufrieden, so wie es ist. Ich hab mir meinen Traum, Teile meines Lebens im Warmen zu verbringen, also auf Mallorca, erfüllt. Das war schon immer etwas Besonderes für mich. Das hat auch gut geklappt. Wir haben jetzt zwei Lebensmittelpunkte. Das Problem ist, dass wir die meiste Zeit leider nicht zusammenleben. Meine kleine Tochter, sie ist acht Jahre alt, und meine Frau, leben jetzt in Mallorca. Vier Wochen bevor ich nach Mainz zurück bin, sind wir gerade innerhalb von Mallorca umgezogen. In ein neues Haus und das ist jetzt noch nicht mal komplett eingerichtet. Daran erkennt man, dass das alles ganz anders geplant war. Wir haben dort wirklich einen schönen Lebensmittelpunkt mit tollen Freunden gefunden und fühlen uns da total wohl. Für mich ist schon längst beschlossen: Wenn das Kapitel Mainz 05 irgendwann beendet ist, dann werde ich wieder fest nach Mallorca gehen, weil das Leben dort schon einfach viel lockerer ist. Du hast schönes Wetter, du sitzt im Freien. Das ist einfach etwas ganz Besonderes. Und was die meisten Leute überhaupt nicht verstehen, ist: Da redest du über Mallorca und dann fangen sie alle mit dem Ballermann an. Also ich war noch nie auf dem Ballermann – ok, als junger Kerl war ich jedes Jahr am Ballermann. Aber nicht heute.

Mallorca ist viel mehr als Ballermann. Also wir haben mit dem Ballermann überhaupt nichts zu tun, sondern wir leben da! Man lebt, wenn man dort wohnt, anders, als wenn man dort in den Urlaub fährt. Die Leute glauben jetzt: Du bist in Mallorca und morgens holst du das Handtuch raus und legst dich dort auf eine Liege. Ich hab in zwei Jahren vielleicht zehn Mal auf einer Liege gelegen. Das machst du gar nicht, weil du da ganz normal deinen Tagesablauf hast. Das Einzige ist: Du gehst am Abend öfter als wenn du hier in Mainz bist, schön essen, gehst ans Meer, isst Fisch. Das ist einfach ein anderes Leben. Aber ansonsten machst du das gleiche, als ob du in Deutschland leben würdest. Nur in einem wesentlich angenehmeren Ambiente. Auch wenn Mainz sehr schön ist – ich liebe diese Stadt – also das will ich nicht schlecht machen. Deswegen habe ich mir diesen Wunschtraum erfüllt und wenn es irgendwann in Richtung Lebensabend – ich hoffe das dauert noch ein bisschen – gehen sollte, würde ich das gerne mit der Familie auf Mallorca machen.

Für meine Tochter ist das ihr Zuhause, sie hat alle ihre Freunde auf Mallorca. Sie spricht inzwischen fließend Deutsch, Spanisch und Englisch und das nach drei Jahren Schule. Sie ist dort auf einer überragenden internationalen Schule. Sie spielt Klarinette, spricht mehrere Sprachen, lernt jetzt in einem Sonderfach noch Chinesisch, entwickelt sich einfach überragend und deswegen bleibt die Familie auch auf Mallorca. Wir haben lange darüber diskutiert: „a) Mache ich das überhaupt mit Mainz?“, und „b) Wenn ich es mache, wie machen wir das?“ Aber ich hätte ein ganz, ganz schlechtes Gewissen gehabt, hätten wir jetzt entschieden, wir gehen wieder komplett nach Mainz und die Kleine muss die Schule verlassen. Sie ist dort glücklich und deshalb kann ich das nicht machen. Deswegen jetzt diese räumliche Trennung. Ja, ich habe auch gesagt, dass ich jede Woche komme. Da war aber der Wunsch Vater des Gedanken. Ich versuche zweimal im Monat für drei Tage hinzufliegen, aber das klappt nicht immer. Das Problem ist, dass sie nie nach Mainz kommen können, weil meine Tochter Schule hat. Sie haben im Sommer drei Monate Schulferien und dann haben sie gar keine Ferien mehr bis zum Winter. Da gibt es also keine Möglichkeiten und die Schule steht jetzt im Vordergrund. Deswegen ist das das Einzige, was mir im Moment am Leben nicht ganz so gut gefällt, aber das haben wir natürlich gewusst. Da müssen wir durch.

So, jetzt zu den Reisen. Ich war fast auf der ganzen Welt und zwar, muss ich sagen, nicht als Funktionär von Mainz 05, sondern als ganz normaler Fußballfan, weil ich hier einen sehr netten und guten Freundeskreis habe. Wir fliegen und fahren seit Mitte der 80er Jahre eigentlich zu jeder Fußball-EM und Fußball-WM. Wir waren in Spanien, Mexiko, Italien, in den USA, in Frankreich, Japan und in Deutschland sowieso. Wir waren überall unterwegs und haben bis auf wenige Teile der Welt alles kennengelernt. Ich war auch öfters in Asien, in China, Singapur, also ich bin überall rum, in Afrika, Südafrika. Auch bei der WM in Südafrika waren wir. Ich habe sehr viel erlebt. Ich war nicht in Australien, aber ich muss jetzt nicht unbedingt nach Australien. Ich will irgendwann nochmal einen USA-Ausflug machen. Aber da hab ich jetzt nichts, worüber ich sage: Also das muss ich jetzt noch erleben. Ich habe zum Glück die Möglichkeit gehabt sehr, sehr viel zu sehen und jetzt geht’s mir einfach darum, irgendwann mal wirklich ein schönes Leben zu haben, die Dinge zu machen, die mir Freude bereiten. Wenn ich irgendwann auf die Idee komme, dass ich mal nach Australien muss, hoffe ich, dass ich dann in der Lage bin, mir diesen Wunsch zu erfüllen. Ansonsten: Ich habe zwei erwachsene Kinder, die ich sehr, sehr vernachlässigt habe. Als sie klein waren, war ich nie mit ihnen im Urlaub.

Nie? (überrascht)

Sie sind immer mit ihrer Mutter allein in den Urlaub gefahren. Ein oder zwei Mal war ich im Urlaub mit dabei. Bei dem einen Mal war ich mit ihnen auf Mallorca. Wir hatten an diesem Wochenende aber ein Spiel in Lübeck, das weiß ich heute noch, mit Mainz 05, Trainer Wolfang Frank – ich hatte meiner Familie versprochen, dass wir in den Urlaub fahren und ich mal ich nicht zum Spiel gehe. Doch es kam wirklich zu einer Nacht- und Nebelaktion. In der Nacht zum Samstag konnte ich nicht schlafen und habe beschlossen, dass ich doch abhaue. Dann habe ich meiner Frau wirklich erzählt, dass ich joggen gehe, habe aber in der Nacht schon mein Täschchen gepackt, und bin wirklich gejoggt, aber nur bis zum Taxistand, und bin zum Flughafen gefahren. Meine Frau, die hat schon gewusst: Der geht joggen, dann trifft er jemanden, geht in die Kneipe… Ich habe dann wirklich drei Stunden später aus Hamburg angerufen. Denn ich wollte nicht mit ihr diskutieren in der Zeit, als ich noch auf Mallorca war, weil es einen Aufstand gegeben hätte. Also hab ich mich erst wieder aus Hamburg gemeldet. Als ich ihr gesagt habe, ich sei in Hamburg, naja, da hat das Telefonat nicht so lange gedauert…

Und dann habe ich noch den Rückflug verpasst. Deshalb musste ich noch einen Tag in Hamburg am Flughafen verbringen. Ich war von Hamburg nach Lübeck und dann wieder nach Hamburg gereist und habe eben dort den Flieger verpasst. Als ich zurück kam, war der Urlaub nicht mehr ganz so schön… Ich habe da vieles falsch gemacht, als ich noch sehr jung war, und habe gedacht ich müsse überall dabei sein, und habe die Kinder schon sehr vernachlässigt. Wir haben heute ein überragendes Verhältnis, aber ich habe heute ab und zu ein schlechtes Gewissen. Wenn ich jetzt mit meiner kleinen Tochter zusammen bin, dann überlege ich: „Wie habe ich das eigentlich mit den großen gemacht?“ Das will ich jetzt nicht noch mal falsch machen, ja und was mache ich? Ich hau ab und bin in Mainz und sie sind auf Mallorca. Das will ich aber wieder gut machen, ja, das ist mir extrem wichtig, da steht Familie schon sehr im Vordergrund. Wenn das hier mal erledigt ist, dann wird sich glaub vieles um meine Familie drehen.

Vielen Dank für deine Zeit, Christian.

Gerne, hat Spaß gemacht.

England 2013 – part II

12.8.2013

Bonjour à tous!

Maintenant, je suis dans le train EUROSTAR, irgendwo zwischen Bruxelles and Lille bzw. Londres, London. Wagen 17. Platz 18. Am Fenster. Check-In etc. war ganz spannend. Von wegen „Ich fahr mal eben nach England…“. Kontrollen wie auf einem Flughafen. Perso herzeigen, Ticket vorlegen, Trolli und Rucksack durch den Screen. Und: WELCOME TO BRITAIN! Bitte lächeln:-).

Wenige Minuten später…

Now, it’s 15:05 Uhr (englische Zeit), ich sitze im EUROSTAR und fahre gerade durch den EUROTUNNEL. Next to me, there’s a woman, born on the SouthCoast in England, living in Oxford. She gave me a few tipps for my trip. Her daughter is living in Liverpool… 🙂

So. I’m really looking forward to having a nice journey with good football-matches, great moments with people from all over the world and a beautiful landscape and wonderful experiences in Great Britain, above all in London and the Lake District and on the way between those two places. See you again, my lovely travelbook;-).

Einige Stunden später…

Dear reader!

…and WELCOME TO LONDON! Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll mit dem Schreiben. Da ich langsam müde werde: Kurzfassung. Die Check-In-Leute in Brüxelles (ja, das habe ich 2013 tatsächlich so geschrieben; Anm. von LS) waren cool drauf. Ob ich Japanisch spreche? No, just English and German and a little bit French. Die Antwort: „That’s more than I do“. Wir lachen.

Irgendwann saß ich dann drinnen. Im EUROSTAR nach London – St. Pancras International! Auf dem Weg. Lille. Eine nette ältere Dame steigt ein. Wir unterhalten uns gut. Sie hat in Oxford an der Uni gearbeitet. Hat Englisch-Spanisch-Wörterbücher verfasst. Wohnt immer noch in Oxford. Ist an der Südküste geboren und hat sich heute mit Freunden in Frankreich getroffen.

Calais. Bei den Schtis. Und ich dachte nur „Hä?“ (Diese Sätze können nur diejenigen von euch verstehen, die den Film gesehen haben…; Anm. von LS). Dann der berühmte Tunnel. Und: Arrival at 4 p.m. on the rollingstairs (nee, eigentlich war’s so ne Art Laufband ;-)) am Bahnhof. Zur tube. Ticket gekauft. Ausstieg am Upton Park. Welcome to… a new world! Ich wurde „erschlagen“. Eindrücke. JUST FEELIN‘ IT. Mit vielen Menschen gesprochen. Das Stadion im Blick. WEST HAM UNITED. That’s it.

And that’s… That’s…the hostel?! Yes, it is… Mehr dazu in den nächsten Morgen- oder Abendstunden tomorrow…

Lisa