Teil II des Interviews mit Armin Wolf

Wie versprochen folgt nun der zweite Teil des Interviews mit Sportreporter Armin Wolf…

Zu seinen Erlebnissen mit den Regensburger Vereinen

uwekrupp
Sportreporter Armin Wolf (li.) beim Interview mit Ex-Eishockey-Bundestrainer Uwe Krupp (re.). Foto: Armin Wolf

Themenwechsel. Welche waren Ihre tollsten Momente als Sportreporter ?

Auf alle Fälle die Interviews mit Franz Beckenbauer, Ottmar Hitzfeld sowie Uwe Krupp. Dazu gehörten natürlich viele, viele Tore – sei es beim Fußball oder beim Eishockey – vor allem die in letzter Minute oder Sekunde. Legendäre Tore: Sechs Sekunden vor Schluss, zwei Sekunden vor Schluss, tolle und spannende Übertragungen, worauf ich riesen Feedbacks bekommen habe.

Welche waren Ihre prägendsten Auf- und Abstiege oder dramatischsten Momente?

Einer der dramatischsten Momente war sicherlich, als der SSV Jahn in der zweiten Liga 2:0 in Köln geführt, und dann das 2:1 bekommen hat – und in den letzten beiden Minuten das 2:2 und 2:3. Das war der moralische Knacks damals und mit ausschlaggebend für den Abstieg. Diese zwei Tore zu schildern war schon brutal.

Die schwärzeste Minute, die ich als Sportreporter erlebt habe, war eine, in der ich bei einem Live-Kommentar einen Fehler gemacht habe. Der EV Regensburg hat in Wolfsburg gespielt, ich saß damals ganz oben, in der letzten Reihe unterm Dach. Von dort aus konnte ich das Tor, auf das das Penaltyschießen erfolgte, nicht richtig sehen. Auch den Stadionsprecher konnte ich dort nicht verstehen. Ich hab den letzten Penalty der Regensburger nicht richtig gesehen und dachte, dass es vorbei sei, wenn der Wolfsburger treffen würde. Ich hatte auf Grund der schlechten Sicht die falschen Schlüsse aus dem Schuss des Regensburgers zuvor gezogen. Dieser Penalty war ein Tor. Der Wolfsburger traf nicht und das Spiel war beendet. Ich musste mich also korrigieren. Das war meine schwärzeste Stunde. Ich habe nächtelang vor Ärger nicht geschlafen. Im Endeffekt hatte ich mich richtig korrigiert. Aber dennoch war das meine schlimmste Reporterstunde. Daran hatte ich lange zu leiden.

Welche waren Ihre schönsten Erlebnisse mit den Vereinen aus Regensburg und der Umgebung?

Sicherlich das Tor des EVR gegen Bayreuth in den letzten Sekunden vor Schluss in der regulären Spielzeit vergangene Saison. Dazu gibt es auch ein Video, worauf mein O-Ton  gespielt wurde. Das wurde daraufhin in der DonauArena als Intro gezeigt, online gab es dazu viele Kommentare. Aber ansonsten – es ist einfach immer toll, wenn ich jemanden bei den Läufen ins Ziel bringe. Was noch schön war, waren die Europapokal-Auswärtsreisen mit dem TSV Abensberg. Wenn du da aus Russland vom Judo-Europapokal Sambo Moskau gegen TSV Abensberg eine Live-Übertragung für Radio Charivari machst – das war einfach super (strahlt). Diesbezüglich habe ich auch viele Rückmeldungen von den Judofans aus Abensberg erhalten.

Inwieweit hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Sportvereinen und den JournalistInnen verändert?

Sehr stark. Den Ausdruck „Mixed Zone“ konnte vor dreißig Jahren wohl noch niemand schreiben. Ich bin früher in der Donau-Arena und im Jahnstadion durch die Katakomben gegangen. Das gibt’s heute nicht mehr in der Art. Nur noch beim Eishockey. Da bin ich sehr verwurzelt und die Spieler haben Respekt vor mir. Aber beim Jahn ist es nicht mehr wie damals und dort gibt es kaum Ausnahmen. Die Mitarbeiter sind inzwischen alle besser geschult. Früher gab es das Internet nicht in dem Ausmaß wie heute und damit auch nicht den Liveticker. Das bedeutet, dass ich damals neben meinem Kollegen von der Mittelbayerischen Zeitung der einzige Berichterstatter war. Heute gibt es mehrere Liveticker und Kamerateams. Da spiele ich als Radioreporter eine untergeordnete Rolle. Vor mir als Lokalreporter kommen immer noch Antenne Bayern und der Bayerische Rundfunk. Deshalb bin ich da weit hintendran. In Regensburg hilft mir dann mein „Bekanntheitsgrad“, sodass das kein Problem für mich ist. Insgesamt ist die Arbeit im Medienbereich in den verschiedenen Vereinen professioneller geworden.

Welche Lieblingsclubs haben Sie oder möchten Sie sich da nicht festlegen?

Den EVR, SSV Jahn, die Buchbinder Legionäre und den TSV Abensberg – das sind die Vereine, mit denen ich das größte sportliche Leid, aber auch ganz, ganz schöne Momente erlebt habe.

 

Querdenken durch Vernetzung von Eishockey und Baseball

In welchen Situationen ist Querdenken in Ihrem Beruf wichtig?

Das mache ich meines Erachtens automatisch. Für mich ist eine Fußballübertragung nicht nur eine Fußballübertragung, sondern es bedeutet auch, das einfließen zu lassen, was der Trainer vorher gesagt hat. Außerdem ist folgendes wichtig: Wie bringe ich meine eigenen Trainingseindrücke in die Übertragung ein? Das geht alles über eine normale Übertragung hinaus. Haben die Spieler viel Konditionstraining absolviert? Deshalb bin ich ja auch im Trainingslager dabei. Ich schaue mir das Eishockeytraining an und das Baseballtraining. Letztens war ich begeistert, als mir meine Baseballer erzählten, dass sie kürzlich eine Stunde Yoga mit einer Yogalehrerin gemacht hätten. Ich lasse mir erklären, wie Philipp Pflieger trainiert, höre mir an, was Herr Dr. Möckel sagt, wie die Eishockeyspieler trainieren sollten und was sie nicht machen sollten. Ich finde diese Vernetzung zwischen dem EVR und den Buchbinder Legionären genial: Dadurch, dass mir beide Sportarten sehr am Herzen liegen, habe ich immer versucht, sie miteinander zu kombinieren. Ein Beispiel ist der Aufruf an die Eishockeyfans, die Baseballer zu unterstützen. Wer eine Eishockeykarte hatte, kam umsonst zum Baseball. Aber nochmal allgemein: Wenn ich im Fernsehen etwas sehe – wie zum Beispiel Life Kinetik – dann integriere ich das auch.

 

Zum sozialen Engagement des Sportreporters

Sie engagieren sich sehr stark im sozialen Bereich. Für welche Projekte setzen Sie sich ein und welche haben Sie selbst initiiert?

Vor allem organisiere ich viele Aktionen für Kinder. Wenn man jetzt ein paar Schwerpunkte setzt: Mir ist es wichtig, Kinder und – soweit es möglich ist – Menschen mit Behinderung zum Sport zu bringen. Ich war im Juli beim Inklusionssporttag, an welchem es darum ging, Menschen mit und ohne Behinderung zusammenzubringen. Wir unterstützen viele kleine karikative Einrichtungen, für die 300 Euro sehr viel Geld sind. Dazu gehört beispielsweise „Mukoviszidose e.V. Regensburg“, welcher sonst um die 3000 Euro im Jahr zur Verfügung hat. Wir haben 350 Euro für ihn gespendet. Wobei wir in den vergangenen Jahren am meisten für die Leukämiehilfe getan haben. Dadurch, dass meine Schwester an Leukämie gestorben ist, liegt mir das besonders am Herzen. Ich bin seit Juni Botschafter der Leukämiehilfe. Man bekommt unwahrscheinlich viel zurück.

Ich würde gerne auf zwei der Projekte verstärkt eingehen. Und zwar auf die Flüchtlinge, für die Sie sich einsetzen, und auf die DKMS-Aktion für Herrn Klinger von der Albert-Schweitzer-Realschule Regensburg.

Zunächst zu den Flüchtlingen: Ich habe im Thomas-Wiser-Haus angerufen und zufällig erfahren, dass es die „Gruppe Sindbad“ gibt, die aus zehn Jugendlichen besteht. Diese sind auf Grund ihrer Vergangenheit traumatisiert. Wir haben mit ihnen Fußball gespielt. Durch einen Zufall habe ich dem Präsidenten vom FC Bayern-Fanclub Nabburg von den Jugendlichen erzählt, woraufhin sich dieser erkundigt hat, ob sie genug zu essen hätten: eines seiner Ehrenmitglieder hätte gute Kontakte zu einem Milchproduktehersteller. Sie haben gemanagt, dass die Flüchtlinge neue Kühlschränke und jede Menge zu essen bekamen. Da hat sich unglaublich viel drumherum entwickelt. Die Jungs selbst wollten unbedingt boxen. Afghanistan ist ja eine Boxregion. Ich habe mit Boxfit einen Deal bezüglich der Mitgliedsbeiträge gemacht. Darüber hinaus haben wir sie in unser Laufteam integriert. Sie begegnen uns mit sehr großem Respekt. Es gab nie Probleme, das ist eine wirklich schöne Sache. Ihre Sorgen bekommen wir ab und zu mit und wir versuchen zu helfen. In unserer Gegenwart sind sie immer freundlich und sprachlich haben sie sich auch super entwickelt – Wahnsinn, toll (wirkt kurz nachdenklich und ist sprachlos).

 

Armin Wolf holte Profisportler an einem Spieltag (!) zur Typisierung

typisierung01
Armin Wolf holte die Profis des EV Regensburg an einem Auswärts(!)-Spieltag zur Typisierungsaktion in die Albert-Schweitzer-Realschule Regensburg. Foto: Günter Staudinger

Dann der zweite Punkt. Zur Spendersuche für den damals an Blutkrebs erkrankten Lehrer Herrn Klinger. Sie haben die Aktion sehr stark unterstützt und es sogar geschafft, dass Eishockeyprofis, die am selben Abend ein Auswärtsspiel hatten, zur Typisierung gekommen sind.

Wir haben schon mal eine Aktion dieser Art gemacht. Von Herrn Klinger hatte ich gelesen und wir hatten auch im Radio darüber berichtet. Daraufhin habe ich zu Alexandra (Ehefrau von Armin Wolf; Anm. von LS) gesagt, dass das „eine Sache wäre, in die wir uns nochmal richtig hineinknien könnten – auch, wenn wir diesen Menschen noch gar nicht kennen, da stellen wir einen Kontakt her“. Dann hat sich noch herausgestellt, dass unser Kontaktmann ein riesen Eishockeyfan war. Zum EVR haben wir gesagt, dass das eine tolle Sache sei, zunächst Blut zu spenden und dann am Abend zum Spiel zu fahren – und eine riesen Werbung für die DKMS. Die meisten Jungs hatten die falsche Vorstellung: „Blutentnahme? Da kann ich ja am Abend nicht mehr spielen, Armin“. Letztendlich waren fast alle dabei. Da hat alles wunderbar zusammengepasst. Der Tag der Aktion war sehr günstig, da auch meine Baseballer alle Zeit hatten.

Nun ein großer Schwenk. Fällt Ihnen eine Frage ein, die Ihnen noch nicht gestellt wurde?

Was ich schon ganz lange nicht mehr gefragt wurde, ist, warum ich in Regensburg geblieben bin. Die Antwort ist einfach: Weil ich wahrscheinlich in einer anderen großen Großstadt eingegangen wäre wie eine Primel. Ich brauche mein Umfeld. Ich brauche meine Familie, meine Freunde, meine Frau. Aber ich brauche auch den Armin Zimmermann (Vorstandsvorsitzender der Buchbinder Legionäre Regensburg; Anm. von LS; macht eine Pause). Das brauche ich. Ich brauche meine Vereine, meinen EVR, kurze Wege.

Ist Regensburg für Sie die schönste Stadt der Welt?

Regensburg ist einfach meine Heimat. Ich kann es nicht beurteilen, weil ich kein Städtereisender bin. Es mag schönere geben, aber ich war bei der Siegerehrung des Challenge und im Anschluss daran sind wir an der Donau entlang gegangen. Da hab ich zu meiner Frau gesagt: „Du, wir leben doch eigentlich im Paradies, oder? Wennst da siggst: Die Donau fließt da dahi – die Bäume, die Sträucher – toll!“.

Welche Ziele haben Sie – sportlich, beruflich, privat?

Also sportlich ist das nächste Ziel, im kommenden Jahr mit gut strukturiertem Training beim Triathlon besser zu werden. Ich bin jetzt das 500. Mitglied im Biketeam. Dort werde ich mich der schlechtesten Gruppe anschließen. Ich habe überall noch Potenzial. Wenn ich nicht mehr so viel Angst habe, abwärts zu fahren, dann wird das besser. Beruflich sag ich mir, ich kann eigentlich nichts mehr erreichen. Ich weiß nicht, was da auf mich zukommt. Ich schreibe jetzt wieder mehr, mache viel für die Sonntagszeitung der Mittelbayerischen Zeitung. Meine KollegInnen sind dort total begeistert – warum auch immer. Ich war da zunächst mal vorsichtig, weil ich nicht wusste, ob ich das kann. Frau Sigl, die das macht, meinte, dass ich einen so eigenen Stil hätte. Mir ist es wichtig, ganz genau zu recherchieren. Inzwischen habe ich dort eine kleine Eishockeyseite und schreibe Portraits über Sportler.

Privat ist mir die Gesundheit am Wichtigsten. Wenn man so viel mit kranken Menschen und Menschen mit Behinderung zu tun hat, dann verspürt man umso mehr, wie gut es einem geht. Meine Eltern sind jetzt beide 86 Jahre alt und es wäre super, wenn sie noch lange gesund bleiben. Wir sind von schweren Schicksalsschlägen im Moment verschont. Ob ich jetzt 1 Stunde und 49 Minuten schwimme oder 1 Stunde und 50 Minuten ist egal – Hauptsache, ich hab’s geschafft!

 

Armin Wolf über die „Armin-Wolf-Arena“

Seit 1998 steht in Regensburg die nach Ihnen benannte Armin-Wolf-Arena. Bitte beschreiben Sie, wie Sie das empfinden.

Ich bin stolz darauf, Namensgeber zu sein. Das mögen manche Leute kindisch finden – ich finde das super. Aber ich habe auch für die Namensgebung immer gerne meine Pflicht und Schuldigkeit getan, was den Sponsorenbereich angeht. Die Eröffnung war natürlich total bewegend, das ist klar. Es gibt ein Stadion, das ist nach dir benannt: Armin-Wolf-Arena. Bewegende Momente. Du weißt dann eigentlich nicht: Sollst du jetzt weinen oder total professionell schauen? Sollst du dich jetzt freuen oder nicht? Die richtig große Freude kommt dann erst danach – vor allem Jahre danach, wenn man sieht, wie begeistert die Menschen bei den Spielen im Stadion sind. Und die Krönung ist jetzt, wo das Leistungsinternat steht, in der Nacht vorbeizufahren und es steht in großen Lettern beleuchtet „Armin-Wolf-Baseball-Arena“ drauf. Ich mein: Das ist eigentlich nicht zu fassen. Und es beeindruckt Menschen. Es gibt sicherlich welche, die sind neidisch, ok. Oder es gibt Leute, die sagen, dass ich narrisch (Hochdeutsch: verrückt; Anm. von LS ) bin. Das muss man auch akzeptieren. Aber wenn so jemand wie Heiko Herrlich, den ich sehr schätze, sagt, dass er so etwas einfach toll finde und er wisse, dass man sich so etwas auch erst verdienen muss, finde ich das sehr schön.

Was bedeutet das Internat für Sie?

Damit ist ein Traum für mich in Erfüllung gegangen! Dass dreißig Baseball- und Eishockeyspieler von zweien meiner Lieblingsvereine unter einem Dach leben, finde ich großartig. Das habe ich mir immer gewünscht, dass das einmal so wird und das finde ich klasse.

Zum Schluss des Interviews stelle ich Ihnen noch drei Entscheidungsfragen. Strand und Meer oder Städtereisen mit Sehenswürdigkeiten?

Strand und Meer überhaupt nicht – nein, nein – das wäre mein Tod. Ich bin der Burgen- und Schlossreisende! Wir schauen immer: Wo ist eine Burg, wo ist ein Schloss, wo können wir was angucken? Und das wird dann mit Sport verbunden. Ich bin quasi immer im Trainingslager (lacht).

Olympia oder Fußball-Weltmeisterschaft?

Poh, poh (überlegt), total schwer. Eher Olympia, wegen der Vielseitigkeit.

Altehrwürdiges Jahnstadion oder Continental Arena?

Altehrwürdiges Jahnstadion, auf jeden Fall. So viele Erinnerungen, Emotionen und Erlebnisse.

Vielen Dank, dass Sie sich so viel Zeit für das Interview genommen haben, Herr Wolf.

Bitte, gerne.

Integration durch Fußball beim ESV Neuaubing

ESV Neuaubing und Centro Argentino
Das Integrationsteam des ESV Neuaubing (li.) traf in seinem ersten Pflichtspiel auf Centro Argentino (re.). Foto: Christian Brey

„Mehr leben, mehr genießen, mehr Verantwortung übernehmen. Vielleicht bei der Aktion Sternstunden und darüber regelmäßig mit Kindern Fußball spielen“, diese Zeilen schrieb der Journalist Olaf Butterbrod am Ende seines zehnwöchigen Afrika- Aufenthaltes im Jahre 2011. Im vergangenen Mai traf er auf Christian Brey, der auf der Suche nach Spielern für den ESV Neuaubing war. Die beiden gründeten das erste Flüchtlingsteam Bayerns, wodurch sich Butterbrod zugleich seinen Traum verwirklichen konnte. Im Herbst ging das deutschlandweit durch die Presse, nachdem sich herausstellte, dass sie „neben Babelsberg die ersten in Deutschland waren, die eine Flüchtlingsmannschaft auf die Beine gestellt haben“, so Brey. Ich wollte von den beiden wissen, wie es zur Gründung der Mannschaft gekommen ist, welche Hürden sie anfangs zu überwinden hatten, wie sich das ganze entwickelt hat und vor allem auch, wie es weitergeht. Außerdem hat mich interessiert, welche Eindrücke Ismat Maidin und Till Eichstaedt, beide Spieler, in dieser Mannschaft gesammelt haben.

 

DER BEGINN DER ERFOLGSGESCHICHTE

Wie ging es weiter, nachdem ihr euch kennen gelernt habt?

Christian Brey: Vergangenen Mai haben wir ein Training auf den Neuaubinger Plätzen vereinbart. Danach war uns sofort klar: ‚Das funktioniert, das probieren wir auf jeden Fall – eine Mannschaft muss gehen!‘. Mit rund zwanzig Spielern haben wir schließlich das Team gegründet. Dann ging’s los. Wir haben ein wöchentliches Training angesetzt und uns zunächst stundenlang hingesetzt und die Anträge für den Bayerischen Fußball-Verband ausgefüllt. Am 30. August hatten wir das erste Spiel, am 28. August waren die letzten Pässe da.

Wie genau ist der Medienrummel um eure Mannschaft entstanden?

Christian Brey: Nach der Anmeldung unseres Teams haben wir ein Pressegespräch organisiert. Somit war am 13. August die Süddeutsche Zeitung da und durch einen Artikel der SZ hat sich dann herausgestellt, dass wir neben Babelsberg die ersten in Deutschland waren, die das gemacht haben. Daraufhin ist das Interesse explodiert und wir waren auf allen Medienkanälen vertreten. Olaf wurde zum Beispiel ins aktuelle Sportstudio eingeladen, Blickpunkt Sport haben wir nach unserem ersten Spiel gegen Pasing besucht. Wir sind super in die Saison gestartet. Von den ersten acht Spielen haben wir sechs gewonnen und zwei Unentschieden gespielt. Also besser ging’s für den Anfang gar nicht. Als die Spieler, die den Verein zwischenzeitlich verlassen hatten, von der guten Organisation erfahren haben, sind sie zurückgekommen.

Inwiefern hat sich der ESV vor der Gründung der Flüchtlingsmannschaft mit den Themen Integration und Toleranz beschäftigt?

Christian Brey: Der Verein war seit 1936 schon immer ein internationalisierter Verein, dessen Sportler teils sogar an den Olympischen Spielen teilgenommen haben. Die Ringer zum Beispiel sind schon im Alter von 15 Jahren zum Austausch in die Türkei gefahren und haben die Sportler dort zu uns eingeladen. Insofern hatte sich der Club schon länger mit diesen Themen befasst.

 

WENN FUßBALL ALS GEMEINSAME SPRACHE DIENT

Welche Nationalitäten sind im Integrationsteam vertreten?

Olaf Butterbrod: Die Jungs kommen zum Beispiel aus Afghanistan, Irak, Iran, Syrien und Eritrea.

Christian Brey: Wir sind eine bunt gemischte Gruppe. Ötzi ist türkischer Abstammung, wurde in Deutschland geboren und spricht das wohl beste Deutsch von uns allen. Er ist ein gebildeter Typus. Dann haben wir Ali dabei, der ein schwarzer türkischer Grieche ist. Er wurde in einem nicht griechisch sprachigen Teil Griechenlands geboren. Außerdem haben wir einen Bosnier in der Mannschaft, der als Busfahrer arbeitet. Lauter coole Leute eigentlich, komplett unterschiedlich. Inzwischen haben wir eine zweite Mannschaft angemeldet, weil wir über fünfzig Spieler haben. Einer der Jungs ist Sozialpädagoge, der hilft uns auch sehr. Auch ein aus Brandenburg stammender gelernter Bauer spielt bei uns. Wir haben also eine unglaublich bunte Mischung an Leuten da. Das passt super. Fußball hält zusammen.

Wie sieht es mit der Verständigung aus? Würdest du sagen, dass die Jungs die deutsche Sprache durch den Sport lernen?

Christian Brey: Ja. Die Kabinensprache ist Deutsch. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit. Es ist dann doch so, dass auch viel Farsi, Afghanisch etc. gesprochen wird. Wir sprechen fast nur Deutsch mit ihnen. Allerdings haben wir über die Zeit festgestellt, dass es ohne Deutschkurse nicht geht und deshalb einen Deutschlehrer engagiert. Über Facebook haben wir Lehrer gefunden und auch über eine Schule, an der ich ein Mädchenfußballteam trainiere. Diese geben unseren Jungs jetzt Sprachunterricht. So vernetzen wir das langsam.

 

BESONDERHEITEN DES INTEGRATIONSTEAMS

Inwieweit erkennst du einen Unterschied zwischen eurem gemischten Team und einem „typisch deutschen“ Team?

Christian Brey: Ja, die Jungs, die im Integrationsteam spielen, sind viel dankbarer, freundlicher und motivierter. Ich bin der Meinung, dass ein gemischtes Team sehr viel Potential hat. Wir sind auch in der Fairness-Tabelle ganz vorne.

Worin liegt deiner Ansicht nach – auf die Geflüchteten bezogen – das größte Potenzial in dieser Gruppe?

Olaf Butterbrod: Die Jungs profitieren erstmal in der Hinsicht, dass sie durch das Training ein Grundgerüst für die Woche haben. Zweitens bekommen sie dort die Erfolgserlebnisse, die sie anderswo nicht haben. Bei uns sind sie absolut gleichwertige Mitglieder des Mannschaft und können ihre Erfolge dadurch feiern, dass sie sie selbst sind. Dass nicht auf ihre Herkunft, ihre Hautfarbe oder ihre Religion geschaut wird, sondern darauf, dass sie nette Menschen und gute Fußballer sind.

Was ist das besondere an eurer Mannschaft? Was zeichnet das Team aus?

Ismat Maidin: Es macht einfach sehr viel Spaß, hier zu spielen und wir verstehen uns alle sehr, sehr gut. Im Fußball braucht man keine Sprache, der Fußball selbst ist eine eigene Sprache.

Till Eichstaedt: Das ist ein tolles Vorzeigeprojekt für unseren Verein. Es ist total egal, welche Nationalität die Spieler haben. Die, die am besten sind, spielen. Egal, ob Deutsche oder Türken oder was auch immer. Jeder darf mitkicken, unabhängig davon, wie gut oder wie schlecht er ist. In vielen Vereinen spielen nur die guten. In den Vereinen, in denen ich bisher gespielt habe, spielen dann doch eher Deutsche zusammen. Dort ist es nicht so, dass Integration so groß geschrieben wird wie bei uns jetzt. Ansonsten geht es hauptsächlich um den Spaß. Man hilft sich auch gegenseitig, das ist in anderen Clubs nicht unbedingt der Fall. Hilfe meint jetzt wirklich auch essentielles. Ich bin beispielsweise mit einem Iraker wegen seiner Duldung zum Amt gegangen. Oder wir helfen ihnen bei den Formalitäten. Die Amtssprache ist manchmal schon für uns Deutsche schwer verständlich, wie soll das dann jemand verstehen, der noch nicht richtig Deutsch kann? Vor allem Christian Brey und Olaf Butterbrod unterstützen die von Abschiebung bedrohten Spieler mit allem möglichen, das ist wirklich super.

Olaf Butterbrod: Die Leidenschaft, das Brennen für den Fußball. Aber ansonsten sind wir auch ein ganz normales Team. Es gibt Eitelkeiten, es gibt gute und schlechte Spieler. Auf dem Platz ist es egal, was der Sportler erlebt hat. Ich sehe da jetzt keinen Flüchtling vor mir, ich sehe da keinen bedauernswerten Menschen vor mir, ich sehe da kein Opfer vor mir. Ich sehe da einen Menschen. Da behandle ich alle gleich. Wir wollen Normalität, wir wollen sie nicht in eine „Flüchtlings-Schublade“ stecken. Das wissen die Spieler und das schätzen sie auch. Die Trainingsbeteiligung, woran man auch einiges ablesen kann, ist unfassbar. Es stehen oft dreißig Leute auf dem Platz, das ist Wahnsinn.

Was unternehmt ihr außerhalb der Trainingseinheiten und Spiele mit den Geflüchteten?

Olaf Butterbrod: Wir gehen zusammen ins Stadion, wir gucken zusammen Champions League, wir gehen zusammen Burger essen, gehen ins Theater oder ins Kino. Ich nehme sie auch oft mit, wenn ich etwas mit Freunden unternehme, damit auch ein Austausch stattfindet. Vergangene Woche haben wir bei einem großen Verband in Bayern für 120 Leute afghanisch gekocht. Das war wirklich eine tolle Sache. Bei solchen Aktionen können die Geflüchteten den Einheimischen auf Augenhöhe begegnen.

 

POSITIVE UND NEGATIVE ERLEBNISSE

Was macht dir bei deiner Arbeit den größten Spaß?

Olaf Butterbrod: Zu spüren, was es für die Jungs bedeutet, Fußball zu spielen, sich über den Sport zu identifizieren, auf andere Gedanken zu kommen. Natürlich ist es auch toll zu sehen, wenn über den Sport, über diese Mannschaft, ein Netzwerk entsteht und wir z. B. bei jemandem kochen dürfen. Wenn jemand bei dem Frisör, bei dessen Weihnachtsfeier unsere Spieler afghanisch gekocht haben, ein Praktikum machen kann. Zudem hat ein Spieler mit gelähmter Hand einen Praktikumsplatz als KFZ-Mechaniker bekommen. Das muss man sich mal vorstellen. Wenn Abschiebungen verhindert werden können und wenn ich sehe, wie glücklich die Menschen dann sind, ist das toll. Wenn Freundschaften entstehen und beispielsweise ein Eritreer mit einem Afghanen Arm in Arm geht und ich da eine totale Herzlichkeit erkennen kann, dann freut mich das sehr. Oder auch bei Facebook sehe ich, wie die Jungs miteinander agieren, das ist schon cool. Das Klischee des südländischen Temperaments konnte ich nicht erkennen. Null. Meine Spieler sagen inzwischen, dass sie sich als zu fair empfinden. Ich sage ihnen vor jedem Spiel, dass sie hier auch Botschafter sind. Wenn sie gefoult werden, entschuldigen sie sich inzwischen quasi schon beim Gegner. Aber lieber so, als wenn sozusagen das „Klischee des hitzköpfigen und unfairen Ausländers“ erfüllt wird. Für mich ist es ein Erfolgserlebnis. Es erfüllt, wenn man das Glück und die Zufriedenheit und auch Dankbarkeit spürt.

Was hast du durch deine Arbeit mit dem Integrationsteam gelernt?

Olaf Butterbrod: Ich lerne Demut. Es gibt nichts an Grausamkeiten, was es nicht gibt. Ich weiß nicht, wo ich da anfangen und wo ich aufhören soll. Ein ehemaliger Spieler hat ein Hörgerät, weil er zu nah an einem Bombenanschlag stand. Ein anderer hat seinen Bruder sterben sehen. Er selbst hat einen Bombensplitter in der Brust und kann seine Hand nicht mehr bewegen, weil seine Nerven durch den Bombensplitter durchtrennt wurden. Ein weiterer Spieler kann nicht laut sprechen, ich weiß nicht, was er erlebt hat. Mein Torwart, der Profi werden wollte, hat mir ein Handyfoto von seinem fast abgeschlagenen Arm gezeigt. Er wurde mit einem Schwert angegriffen, auf dem Bild waren seine Knochen zu sehen. Das geht mir schon nahe. Er spielt wirklich gut und vielleicht hätte er das Zeug zum Profispieler gehabt. Vergangene Woche war er zum Bundesliga gucken bei mir und konnte wegen der Verletzung die Pizza nicht schneiden. Das sind Dinge, die demütig machen. Ich bin inzwischen mehr Sozialarbeiter als Fußballtrainer. Das hat sich verlagert. Das mache ich lieber, als „Pseudo-Platzanweiser“ auf dem Fußballplatz zu sein. Das hat zwar bislang niemanden gestört. Es gibt eben Dinge, die sind wichtiger als Fußball. Noch wichtiger für die Jungs ist es, Deutsch zu lernen – auch, wenn einige von ihnen Fußball als das Wichtigste ansehen.

Ausflug in die Allianz Arena
Olaf Butterbrod (rote Jacke) besuchte zusammen mit den Spielern des Neuaubinger Integrationsteams und weiteren Geflüchteten das Spiel des TSV 1860 München gegen Fortuna Düsseldorf. Foto: Christian Brey

 

ZU DEN FOLGEN DER GENIALEN IDEE

Inwieweit hat sich euer Integrationsteam in den vergangenen Monaten verändert?

Olaf Butterbrod: Unsere Idee hat sich herumgesprochen. Die Stadt München und auch Trägerorganisationen wie die Caritas schicken mir Spieler vorbei. Es werden immer mehr und kaum einer geht freiwillig, weil es allen so gut gefällt. Wir hatten vergangene Woche am Samstag um 11.30 Uhr ein Training für die Flüchtlingsheime drumherum und um 15 Uhr ein Spiel. Am Sonntag hatten wir um 12.30 Uhr nochmal ein Training für die Flüchtlingsheime im Umkreis und um 14 Uhr ein Auswärtsspiel. Dann läuft gerade noch der Schnuppermonat. Das ist jetzt also nur eine Frage der fehlenden Man- oder Womenpower. Von mir aus können hier 200 Leute Fußball spielen – wenn wir die entsprechende Anzahl an Trainern und Trainingsmöglichkeiten hätten, gerne.

Wie geht’s jetzt beim ESV Neuaubing weiter?

Olaf Butterbrod: Ich habe mich zum Abteilungsleiter beim ESV wählen lassen unter der Bedingung, dass ein neuer Trainer eingestellt wird und ich sozusagen vom operativen wegkomme. Ich mache jetzt übergangsweise die Aufstellungen für die Spiele, damit der Trainer weiß, wer gut ist. Das muss sich einspielen. Das Training kann ich nicht mehr machen. Ich bin kürzlich am Knie operiert worden, werde im Sommer Vater und arbeite noch hauptberuflich bei einer Bank. Das Flüchtlingsthema hat auch für mich Ausmaße angenommen, mit denen ich vorher nicht gerechnet hatte. Mir ist die Integration über Bildung etc. am wichtigsten. Deshalb setze ich mich nun in dem Bereich mehr ein. Ich habe zum Beispiel einen Schnuppermonat, einen Sportmonat, organisiert. Wir haben derzeit 23 Abteilungen. Die anderen 22 habe ich angeschrieben und wir haben das zusammen auf die Beine gestellt. So können die Geflüchteten, die kein Interesse am Fußball haben, diesen Monat alle Sportarten der anderen Abteilungen ausprobieren.

 

TIPPS FÜR DIE TRAINER(-INNEN)

Wenn jetzt ein(-e) Trainer(-in) zu dir kommt, die bzw. der auch eine Integrationsmannschaft gründen möchte, welche Ratschläge hast du dann für sie bzw. ihn?

Olaf Butterbrod: Man sollte spätestens im April oder Mai starten. Es ist wichtig, dass man mindestens ein oder zwei Leute hat, die die Passbilder einsammeln und die Pass- sowie die Mitgliedsanträge ausfüllen. Der organisatorische Aufwand ist tierisch, aber er lohnt sich. Ein solches Team ist für jeden Verein, allein schon sportlich eine riesen Chance. Man sollte Kontakt zu den Flüchtlingsunterkünften aufnehmen und Testtrainings veranstalten. Dann wäre mein persönlicher Ratschlag, die schlechteren Spieler nicht auszuschließen, sondern miteinzubeziehen. Bei meinem vorherigen Verein waren auch nicht nur Maradonas und dergleichen unterwegs. Mein Hauptratschlag ist: Machen, offen sein und sich darauf freuen, dass es einen selbst unglaublich bereichert, sportlich und vor allen Dingen menschlich.