Rouven Sattelmaier: „Ich würde wieder nach England gehen“

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Rouven Sattelmaier nahm sich nach dem Training Zeit für ein Interview. Foto: Lisa Schatz

Bradford. Meinen diesmaligen Gesprächspartner, Rouven Sattelmaier, und mich verbindet eine kleine Geschichte. Von 2007 bis 2010 spielte Rouven für den SSV Jahn, von dem ich zu dieser Zeit selbst Fan war. Danach zog es ihn in die große Fußballwelt: Zum FC Bayern München. Es folgten die Stationen 1. FC Heidenheim und Stuttgarter Kickers. Inzwischen spielt er im englischen Bradford. Als ich meinen Englandurlaub plante, kam mir der Einfall, bei seinem Training vorbeizuschauen und ihn zu interviewen. Trotz meines 2008 im Fanschießen gegen ihn verwandelten Elfmeters erklärte er sich dazu bereit und erzählte mir von seinen Eindrücken des englischen Fußballs…

Rouven, wie hast du dich in Bradford eingelebt?

Im Verein ganz gut. Es gibt definitiv einen großen Unterschied zu Deutschland. Von der Lebensqualität und von der Lebensart her zwar kaum. Aber das Wetter! Was fehlt, ist die Sonne. Es ist oft grau hier. Der Winter war extrem mild, wir mussten nur dreimal auf Kunstrasen trainieren. Ansonsten hatten wir immer sechs, sieben, acht Grad.

Wie schnell wurdest du von der Mannschaft selbst integriert?

Das ging fix. Es ist auch wieder eine andere Art. In Deutschland geht man oft essen bei den kleineren Vereinen. Hier frühstücken wir gemeinsam: Toast, Cereals und Eier können wir uns selbst machen. Also nix besonderes. Dann haben wir Training und Mittag gegessen wird auch mit dem Team, das ist Pflicht. Da hat man dann schon Kontakt.

Wie gefällt dir die Stadt von der Kultur her, bekommst du da überhaupt etwas mit?

Von Bradford selbst wenig. Kein Spieler von uns wohnt in Bradford. Das ist eine ganz andere Mentalität als in Deutschland. Dort ziehen meist alle in den Ort, in dessen Verein sie spielen. Hier ist es aber so, dass so viele Vereine innerhalb einer Stunde Fahrtzeit erreichbar sind, sodass alle Spieler ihr eigenes Haus haben. Die meisten fahren rund eine Stunde zum Training. Drei Spieler von uns wohnen in Leeds: Tim (Timothée Dieng; Anm. von LS), Mark (Marshall; Anm. von LS) und ich. Alle anderen kommen aus Manchester, aus dem Norden. Sie denken: „Nee, ich habe ein eigenes Haus. Ich brauche hier keine Wohnung“. Sie sagen, dass es eben zwanzig Vereine innerhalb einer Stunde zur Auswahl gebe, weil die Städte so nah zusammen seien. In Deutschland kann man froh sein, wenn man mal vier Vereine innerhalb einer Stunde erreicht. Im Westen geht’s. Da hat man vier, fünf Clubs.

Was war für dich die größte Umstellung, als du nach England gekommen bist?

Definitiv die Sprache. Die habe ich komplett unterschätzt, gerade mit dem Akzent. Das habe ich mir viel einfacher vorgestellt. Ich dachte: „Ja, Englisch, kein Problem. Die basics habe ich in der Schule gelernt, danach auch noch und ich habe die Sprache immer wieder im Urlaub angewandt“. Aber wenn man hier ist, hat das mit dem gelernten Englisch gar nichts mehr zu tun. Die Menschen haben einen so krassen Akzent und sie reden deutlich schneller. Es ist wirklich gar kein Oxford-Englisch, wie man es kennt. In den Staaten ist es einfacher, die Menschen zu verstehen.

Was gefällt dir hier gut, was eher nicht?

Die Stadt Leeds ist schon schön. In Manchester war ich auch schon, in Liverpool nur zu den Spielen. Aber Leeds ist wirklich extrem busy. Dort leben knapp 60.000 Studierende. Da ist immer was los. Stellenweise ist die Stadt zu voll, aber zum Leben ist es dort echt super, wenn man so eine Stadt mag. Was nervt, ist der Stau. Ab zwei Uhr ist alles dicht. Wenn wir länger oder zweimal am Tag trainieren und ich danach heimfahre, brauche ich fast eine Stunde. Es ist echt besser, mit dem Zug zu fahren, da ist man gleich in der Innenstadt von Leeds (22 Minuten; Anm. von LS). Das ist aber nur nach dem Training so. Die Hinfahrt morgens ist super, da brauche ich zwanzig Minuten.

„Im vergangenen Jahr habe ich gelernt, wie dreckig der Fußball sein kann“

Wenn man sich deine Laufbahn anschaut: Du bist von Regensburg zum FC Bayern München gewechselt, von dort aus nach Heidenheim und zu den Stuttgarter Kickers. Im Anschluss ging’s nach England. Wie hast du dich an den einzelnen Stationen charakterlich weiterentwickelt?

Ich glaube, man nimmt von überall etwas mit: Von den Trainern, von vielen Mitspielern. Oder auch, was in der nahen Vergangenheit passiert ist: Ich glaube, dass das vergangenen Jahr für mich von extremen Höhen und Tiefen geprägt war. Also, was da abging! Da habe ich nochmal sehr viel gelernt im Fußball. Vor allem auch nochmal, wie dreckig das Geschäft sein kann. Das natürlich auch. Das war echt vogelwild. So wie meine letzte Saison in Deutschland lief – das hört sich jetzt vielleicht hart an – aber es war vielleicht gerecht, dass wir mit den Stuttgarter Kickers abgestiegen sind, auch wenn es nur wegen eines Tors war und wir eigentlich eine super Rückrunde gespielt haben und sich die Mannschaft den Klassenerhalt verdient gehabt hätte. Aber wenn man’s im Nachhinein betrachtet, sollte es einfach nicht sein. Wenn man so absteigt, also mit einem Tor, ist das schon bitter. Und das wirklich in der letzten Sekunde. Und wenn man dann sieht, wie viele klare Torchancen wir das ganze Jahr über hatten und die nicht genutzt haben! Wenn man überlegt: Nur ein Tor in 34 Spielen, ist das eigentlich Wahnsinn. Aber: Das ist Fußball.

„Ich würde definitiv wieder ins Ausland gehen“

Würdest du jedem Spieler raten – wenn er die Chance hat – ins Ausland zu gehen?

Eine ganz schwierige Frage. Viele haben mir geschrieben: „Oh, super, cooler Wechsel, würde ich sofort machen“. Manche haben mir mitgeteilt: „Junge, was ist mit dir los? Wie kannst du das machen?“. Es war komplett unterschiedlich. Man muss der Typ dafür sein. Ich war sofort derjenige, der wusste, ich mache das, weil ich das schon immer irgendwie wollte. Ich weiß nicht warum, aber ich wollte schon immer in England Fußball spielen. Weil es eben doch irgendwie magnetisiert. Ich würde es definitiv wieder machen.

Worin sich der englische Fußball vom deutschen unterscheidet…

Was hast du in Bradford nochmal mitbekommen, inwiefern sich der Fußball hier vom deutschen Fußball unterscheidet? Vielleicht auch dahingehend, was du an der Anfield Road mitbekommen hast?

Die Premier League kann man mit der League One gar nicht vergleichen, aber ich glaube, dass die Championship auch nochmal ein riesen Unterschied zu den beiden ist. Wir spielen einen sehr einfachen Fußball in Bradford, wenn das ein deutscher Fußballfan anschauen würde. Wir versuchen das Spiel – wie im deutschen Fußball – auf Ballbesitz zu halten und wir dominieren ihn mit einfachen Mitteln. Die anderen Mannschaften – es ist wirklich kick and rush – haben super Plätze, da wären die deutschen Vereine neidisch. Aber es wird halt trotzdem nur Langholz gespielt. Selbst, wenn der Innenverteidiger frei ist, interessiert das keinen. Der Torwart haut das Ding vor, am besten soweit es geht, am besten noch in die gegnerische Box. Und wenn der gegnerische Torwart den Ball abfängt, applaudiert der Trainer noch und sagt: „Super langer Ball“. Da würde sich ja jeder Trainer in Deutschland an den Kopf fassen und sagen: „Junge, wenn du das noch zweimal machst, dann nehm ich dich raus, weil wir sonst jeden Ball verlieren“. Aber das ist eine andere Mentalität. Bei den anderen Mannschaften ist auch viel auf die Körpergröße ausgelegt. Bei uns weniger, weil wir versuchen zu spielen. Aber uns fehlt der Killerinstinkt. Also, wir haben zwar viel im Ballbesitz dominiert. Wir hatten gar kein Spiel, in welchem wir keine Chance gehabt hätten. Aber uns fehlt es einfach, den Ballbesitz, den wir mehr haben, in Tore umzusetzen. Das war das ganze Jahr über unser Problem und das sind auch die Punkte, die uns fehlen.

Inwieweit oder hat sich überhaupt dein Blickwinkel auf den Fußball verändert, seitdem du in England bist? Hier ist der Fußball ja eher „Religion“…

Er ist hier schon anders. Es ist schwer zu erklären. Ich glaube, man muss einfach mal eine Zeit lang in England sein und sich die Spiele angucken, um das zu verstehen. Das ist etwas ganz anderes. Auch von den Fans her. Im Vergleich zu Deutschland ist die Stimmung in den Stadien hier schlechter. Bei einem 0:0 oder in einem Spiel, bei dem es wenig Chancen gibt, ist die Atmosphäre hier furchtbar. Das erste Spiel, das ich mir in Liverpool angeschaut habe, war Liverpool gegen ManU. Das war grauenhaft. Erstens war es ein schlechtes Spiel, was ja mal vorkommen kann, aber auch von den Fans her… Hier fehlen die Ultras. Aber wenn ein Spiel gut läuft und es auf einer Seite sehr viele Chancen gibt, wie beim 4:1 von Liverpool gegen Stoke, dann gehen alle 60.000 im Stadion mit. Bei uns sind’s halt dann 18.000 Zuschauer, die mitjubeln. In Bradford gibt es einige ultraorientierte Fans, aber das ist kein Vergleich zu Deutschland. Sie versuchen zwar durchwegs Stimmung zu machen, aber es ist wirklich extrem abhängig vom Spielgeschehen, wie sie reagieren oder wie sie drauf sind. Sie kommen sehr kurzfristig vorm Spiel ins Stadion, am besten fünf Minuten davor. Wenn der Schiedsrichter abpfeift, ist das halbe Stadion oder mehr bereits leer. Das ist einfach eine komplett andere Mentalität. Auch bei den Spielern. Wir gehen nur ganz selten nach den Partien zu den Fans. Also nicht so, wie man das in Deutschland kennt: Wenn man gewinnt, läuft man zu den Vereinsanhängern.

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Rouven Sattelmaier unterhielt sich am Ende der Saison 2008/2009 mit einem Jahnfan. Foto: Lisa Schatz

Findest du das in Deutschland besser?

Das kommt natürlich darauf an: Wenn man gewinnt, macht man das gerne. Wenn man verliert, weniger (lacht). Ich bin der Meinung: Einerseits gehört’s dazu, aber die Engländer kennen’s halt einfach nicht. Die Fans fordern das somit gar nicht. In Deutschland wird’s ja erwartet: „Bedankt euch mal bei den Fans, die bezahlen hier Eintrittsgelder!“. Hier in England sind die Fans ja sofort weg. Da geht man zum Auslaufen und mindestens das halbe Stadion ist leer.

 

46 Spiele plus 3 Cups

Wie findest du das Training hier?

Es ist auch anders. Wir trainieren deutlich weniger, weil wir etliche Spiele übers Jahr verteilt haben. Es gab eine Zeit, da hatten wir sechs englische Wochen am Stück. Da kann man gar nicht trainieren. Man kann die Mannschaft im Endeffekt gar nicht mehr stark verändern oder umstellen oder irgendetwas Taktisches einüben, weil es schlichtweg nicht möglich ist. Weil man gar nicht die Zeit dafür hat. Dann ist es wirklich nur noch trainieren, regenerieren und dann ist man schon wieder unterwegs. Ich glaube das ist ein riesengroßer Unterschied zu Deutschland. Es gibt ja auch keine Winterpause. Für mich war das interessant. Meine Teamkameraden kennen es gar nicht anders, die sind es gewohnt. Ich bin bislang nicht in meiner Heimat gewesen, es gab zeitlich keine Möglichkeit, weil wir nicht frei hatten. Wir haben jedes Wochenende gespielt, plus die englischen Wochen. In der Liga hatten wir 46 Spiele plus drei Cups. Das war Wahnsinn. Wir haben teils freitags oder samstags und am je darauf folgenden Montag gespielt. So etwas würde es in Deutschland nicht geben.

Nun zum Leben an sich in Leeds. Wie lief die Phase des Einlebens?

Wie gesagt: Ich habe über den Club schnell Leute kennen gelernt. Da hat man es in der Branche schon einfacher, als wenn man im Büro sitzen würde. Bradford ist schon eine reine Arbeiterstadt. Nach dem, was ich gehört habe, war es vor einigen Jahren sehr schwierig in der Stadt. Ihr und dem Verein ging’s gar nicht gut. Jetzt ist es besser, alles befindet sich gerade im Aufbruch. Bradford verändert sich, es wird investiert und der Verein entwickelt sich auch weiter. Das sieht man jetzt an den schon mehr als 17.000 verkauften Dauerkarten für die kommende Saison.

Leeds ist eine super Stadt. Man hat alles: Etliche Restaurants und Bars. Die Mentalität der Menschen ist ein bisschen anders. Sie gehen mehr nach draußen. Was ganz extrem ist und was mir jeder gesagt hat: Anfang des Monats ist die Stadt immer rappelvoll, weil alle ausgehen, sobald sie Geld bekommen. Da gehen sie alle essen. Zum Ende des Monats merkt man: „Oh, jetzt wird’s knapp“ und es ist nicht mehr so viel los. Wenn man um 17 Uhr durch die Stadt läuft, ist es in den Pubs irre voll. Wenn man in meiner deutschen Heimatstadt durch die Innenstadt geht, sind vielleicht sechs, sieben Pubs in einer Straße. In Leeds sind alle nebeneinander und diese sind alle voller Leute. Ja, so eine Ausgehmentalität ist schon vorhanden.

„Im Fußball gewöhnt man sich an alles sehr schnell“

Wie war die Umstellung für dich? Du kamst vom FC Bayern nach Heidenheim und nach Stuttgart. Jetzt bist du bei einem kleinen englischen Verein. Wie schnell konntest du dich anpassen?

Die Umstellung von Regensburg zum FC Bayern war wirklich extrem, weil ich damals wirklich in das Business reingekommen bin. Da ist der Fußball dann echt nur noch Business. Da zähle nur noch ich selbst. Fertig, aus. Das war – ganz ehrlich – am Anfang auch mein Problem, weil ich das aus Regensburg nicht gewohnt war. Dort waren wir eine Mannschaft, haben uns gegenseitig geholfen, ob privat oder beruflich. Dann kam ich zum FC Bayern und dort zählte nur ich. Einzelkämpfer. Aber im Fußball gewöhnt man sich an alles schnell. Man gewöhnt sich daran, dass man jede Woche vor 3.000 Menschen trainiert. Das geht extrem schnell. Genauso schnell habe ich mich jetzt hier an England und die Art hier gewöhnt. Ich meine, das liegt an mir selbst, wie ich bin. Andere haben da vielleicht größere Probleme, aber ich hatte da jetzt nie ein Problem damit: Mich zu motivieren – beim Wechsel vom FC Bayern nach Heidenheim zum Beispiel. Eigentlich gar nicht. Heidenheim war wieder eine neue Herausforderung, weil wir aufsteigen mussten. Das ist immer wieder etwas anderes.

Wie hast du die Zeit in Heidenheim erlebt und was hast du daraus mitgenommen?

Der 1. FC Heidenheim ist ein top geführter Verein, wenn nicht einer der am besten geführten Vereine in ganz Deutschland. Ich bin auch felsenfest davon überzeugt, dass der Verein immer weiter erfolgreich sein wird und immer seinen Weg gehen wird, weil dort einfach jeder Hand in Hand arbeitet. Dort gibt’s niemanden, der aus der Reihe tanzt oder sowas in der Art, sondern da wird immer alles dem Erfolg untergeordnet. Das ist extrem und ich glaube, dass es das selten gibt, dass wirklich jeder Einzelne im Verein alles für diesen gibt. Da gibt’s eine ganz klare Hierarchie, die niemand bricht. Wenn sie jemand brechen würde, wäre das Thema für denjenigen erledigt, dann wäre er gleich raus. Und deswegen funktioniert das da auch. Es ist ein wirklich kleiner Verein und eine kleine Stadt, aber was die Menschen da auf die Beine stellen, das zollt absolut hohen Respekt. Das sage ich ganz ehrlich. Für mich war’s definitiv eine tolle Zeit dort.

Warum Sportpsychologen Rouven eher verwirrten…

Jetzt möchte ich auf das Thema Mentaltraining zu sprechen kommen. Wie sind dahingehend deine Erfahrungen, wie war das hier und auch bei deinen früheren Vereinen? In welchen Clubs hast du mit Sportpsychologen zusammengearbeitet?

Beim FC Bayern hatten wir damals den Philipp Laux. Aber er hat mich als jungen Spieler, wenn er mich angesprochen hat, ein bisschen verwirrt. Ich dachte halt: „Jetzt macht er einen auf Psycho“. Wenn das jetzt der Fall wäre, würde ich ganz anders darüber denken. Dann wäre ich viel relaxter und würde einfach mal über meine aktuelle Situation reden, fertig, aus. Aber damals fragte ich mich: „Stimmt jetzt irgendetwas nicht mit mir oder was passt jetzt nicht?“. In dem Moment hat es mich echt verwirrt. Ich bin aus dem Gespräch herausgekommen und habe mir Gedanken gemacht. Aber je älter man wird (lacht)… Ich glaube, je früher man mit der Thematik in Kontakt kommt, umso mehr ist man daran gewöhnt. Für mich war das damals das allererste Mal. Ich hatte noch nie zuvor mit einem Psychologen Kontakt.

Ich würde das jetzt nicht nur auf Psychologen reduzieren. Wenn du an Elfmeter denkst: Die kannst du ja nicht richtig gut trainieren, aber man kann ja mit Mentaltraining arbeiten…

Ich find’s sehr schwer, einen Spieler dahingehend zu ändern. Vielleicht gibt’s da einen Trick, aber da kenn ich mich wirklich zu wenig aus…

Ich habe mal gelesen, wie das funktioniert mit dem Mentaltraining. Es heißt, wenn man die Augen schließt und an eine saure Zitrone denkt, hat man den Geschmack im Mund. Probier’s mal aus (Rouven schließt kurz die Augen und verzieht das Gesicht; Anm. von LS). Und, schmeckst du’s, dass es sauer ist?

Ja, so leicht (lacht). Aber gut, das machen ja viele. Oder allgemein viele Spieler sprechen davon, dass sie visualisieren. Was wir oft hatten: Also, ich hatte die und die Spielszene schon mal im Kopf. Das gibt’s natürlich schon. Aber wenn man es dann erzwingt, weiß ich es auch nicht. Also, ich glaube, das ist ein ganz, ganz schwieriges Feld im Fußball. Wie gesagt, mich hat es damals eher ein wenig verwirrt (lacht).

In Heidenheim und Stuttgart hatten wir so etwas gar nicht. Es war auch nicht so, dass es geheißen hätte: „Ja, jetzt kommt ein Mentaltrainer für zwei Wochen“. Ich finde, dass das nochmal mehr verwirrt. Dann wird man umso mehr daran erinnert: „Oh, jetzt läuft da irgendetwas schief“, oder: „Wir machen irgendetwas falsch“. Wenn man es gewohnt ist, also vielleicht die jungen Spieler, die jetzt in der U18 oder U19 bei größeren Vereinen spielen, ist das anders. Ich glaube schon, dass der Kopf viel beeinflusst. Man merkt auch bei sich selbst: Man hat eine gute Fähigkeit oder fühlt sich sogar besser als vor zwei, drei Wochen und auf einmal läuft’s nicht: „Ja, warum?“. Dann denkt man: „Hä, ich fühl‘ mich körperlich besser, ich habe doch auch mehr trainiert. Warum läuft’s nicht? Wie ist das möglich?“. Es kann ja nur der Kopf sein, der da entscheidet. Und da die richtige Stellschraube zu finden ist glaub ich echt schwer.

Zukunftspläne

Was hast du für die Zeit nach deiner aktiven Karriere geplant? Hast du einen „Plan B“, studierst du?

Ich hatte ein Fernstudium begonnen und abgebrochen. Bei der Euro-FH. Europäische Betriebswirtschaftslehre. Aber das war wirklich zu krass. Allein das Problem: Ok, ich gehe morgens in die Uni, setze mich von 8 Uhr bis mittags hinein und haue dann ab zum Training. Aber wenn man sich morgens hinsetzt und anfängt, schreibe die ersten Teamkameraden: „Was machst du? Gehen wir Kaffee trinken? Komm früher, gehen wir in den Kraftraum…“. Dann war das Thema durch. Zudem bestand das Problem mit den Prüfungen. Diese waren immer in Duisburg und die offiziellen fanden sogar samstags statt. Es gab Ersatztermine, aber ich hatte genau da zum Teil Spiele. Dann war ich mit dem Lernstoff fertig und musste warten, bis ich den Test schreiben konnte. Ich fing mit dem zweiten Lernstoff an und vergaß wieder einen Teil des ersten. Während meiner Zeit in Heidenheim habe ich entschieden, dass das nicht geht: „Jetzt aktuell ist es unmöglich, da irgendetwas zu machen, um offen und ehrlich zu sein“.

Was planst du für danach oder hast du noch keine konkrete Idee?

Ich strecke meine Fühler ein bisschen aus. Ich lege mich nicht auf den Fußball fest, halte meine Augen und Ohren für alles offen. Es wäre vermessen zu sagen: „Ja, ich werde Trainer“. Wenn man sieht, wie es da läuft… Wenn ich denken würde: „Ach, der nimmt mich dann schon mit, wenn er geht“. Darauf kann man sich nicht verlassen. Wenn es dann passiert, ja, gut. Aktuell könnte ich mir nicht vorstellen, auf die Schnelle einen Trainerschein zu machen.

Danke für die interessanten Ausführungen, Rouven.

Gerne.

Interview mit Gerd Dais, Trainer des SV Waldhof Mannheim

Mannschaftspraesentation SV Sandhausen
Gerd Dais fungierte von 2011 bis 2012 als Cheftrainer des SV Sandhausen. Foto: EIBNER-PRESSEFOTO

Trainerwesen. Gerd Dais war lange Zeit als Cheftrainer des SV Sandhausen (2008-2010 und von 2011 bis 2012; Anm. von Lisa Schatz) tätig. Im November 2012 wurde er freigestellt, Anfang 2013 hatte er nochmal ein kurzes Gastspiel bei den Stuttgarter Kickers. Im April diesen Jahres hat er nach einer vereinslosen Zeit den Trainerposten des FC Nöttingen übernommen und mit dem kleinen Verein den Aufstieg in die Regionalliga Südwest geschafft. Der Club entschied sich dafür, dass der A-Jugend-Trainer in der kommenden Saison sein Amt übernimmt. Seit 7. Juli ist Gerd Dais nun Cheftrainer beim SV Waldhof Mannheim. Im Interview hat er mir erzählt, wie er mit der Situation umgegangen ist, als er knapp drei Jahre in keinem Verein gearbeitet hat, welche Hobbies er betreibt und wie er in seiner Zeit beim SV Sandhausen die Gegner analysiert hat…

Herr Dais, wie haben Sie die knapp zwei Monate bis zum Aufstieg beim FC Nöttingen erlebt?

Ich war schon mehrfach beim FC Nöttingen tätig. Den Aufstieg in die Regionalliga zu bewerkstelligen war eine interessante Sache, vor allem die Spiele in Hauenstein, wo wir kurzfristig mit 4:3 zurückgelegen sind. So spielt der FC Nöttingen 2016/2017 in der Regionalliga Südwest. Aber ohne mich. Wobei man sagen muss, das der FC Nöttingen ein kleiner Verein ist und wirtschaftliche Probleme hatte. Daher hat man sich entschlossen, den Etat, der ursprünglich in der Oberliga vorhanden war, nochmal um einen fast sechsstelligen Betrag zu kürzen. Und man hat auch schon entschieden, den A-Jugend-Trainer als neuen Cheftrainer der ersten Mannschaft zu verpflichten.

Sie haben kürzlich den Posten als Cheftrainer des SV Waldhof Mannheim übernommen. Wussten Sie in den Wochen nach Ihrem Aufstieg mit Nöttingen, wie es für Sie beruflich weitergeht?

Zunächst gab es in der Kürze der Zeit in der Hinsicht keine neuen Möglichkeiten. Es galt halt wieder zu warten. Aber so ist die Situation, wenn man diesen Job ausübt und das habe ich schon des Öfteren erlebt. Es ist nicht so, dass mir das schlaflose Nächte bereitet hätte.

Bleiben wir beim Thema Vereinslosigkeit. Bitte beschreiben Sie, was Sie zwischen 2013 und 2016 gemacht haben.

Ich wurde 2013 von den Stuttgarter Kickers beurlaubt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch einen Vertrag für ein Jahr. In den drei Jahren hat sich der ein oder andere Verein bei mir gemeldet, aber das war nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Ein intensiveres Gespräch hatte ich Anfang diesen Jahres, als der SSV Jahn Regensburg auf mich zugekommen ist. Das Gespräch war sehr positiv, jedoch hat sich der Verein für Heiko Herrlich entschieden. Es war nur noch die Frage: Entweder Heiko Herrlich oder meine Person. Ansonsten habe ich mich auf dem Laufenden gehalten, was die Ligen angeht: Ob das jetzt die Regionalliga oder die Dritte Liga war. Zudem habe ich mich beim Bund Deutscher Fußball-Lehrer fortgebildet und mich selbst wieder sehr dem Sport gewidmet, da in meiner Zeit als Cheftrainer diesbezüglich keine Zeit vorhanden war, und habe die drei Jahre eben so genutzt.

In welchen Bereichen haben Sie sich beim BDFL weitergebildet? Von der taktischen Ausbildung bis hin zum Auftreten vor der Mannschaft deckt der Bund ja viele verschiedene Bereiche ab.

Es gibt ja regionale Veranstaltungen. Ich bin in der Verbandsgruppe Baden-Württemberg beheimatet. Jedes Jahr gibt es den Jahres-Kongress, der kürzlich in Mannheim stattgefunden hat. Den habe ich besucht. Zudem werde ich beim nächsten Kongress in Fulda  (25.7.-27.7.2016; Anm. von Lisa Schatz) anwesend sein. In Fulda wird natürlich die Europameisterschaft aus taktischen Gesichtspunkten betrachtet und dahingehend, was sonst noch aufgefallen ist. Auch die regionalen Veranstaltungen habe ich zum Teil besucht. Hier ging es um den Umgang mit der Mannschaft, um die eigene Körpersprache und Rhetorik sowie andere interessante Themenblöcke wie z. B. Sportmedizin. Das war alles sehr vielfältig.

Sie meinten vorher, dass es Ihnen keine schlaflosen Nächte bereitet habe, von 2013 bis 2016 und auch derzeit vereinslos zu sein. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? Es müsste ja eine riesen Umstellung sein, wenn plötzlich vom einen Tag auf den anderen die Medienanfragen wegfallen und die Fans nicht mehr ständig versuchen, mit einem ins Gespräch zu kommen.

Die letzte Station in Stuttgart war damals ziemlich kurz. Das war Mitte April, als ich gefeuert wurde.

Und wenn Sie jetzt an Ihre Zeit in Sandhausen denken, wo Sie länger Trainer waren?

Die Zeitspanne, als ich mit Sandhausen als Zweitligatrainer ausgestiegen bin, bis zu den Stuttgarter Kickers war nicht so lange. Das war im November und im Januar ging es weiter. Wie gesagt, ich komme aus der Region. Ich bin gebürtig aus Heidelberg. Sandhausen ist nur fünf Kilometer von meinem Wohnort entfernt. Ich habe selbst von 1985 bis 1987 in Sandhausen gespielt, wodurch natürlich hier schon eine engere Bindung vorhanden war als bei meinem Gastspiel bei den Stuttgarter Kickers. Ich kenne hier sehr viele Leute – egal, ob ich ins Fitnessstudio gehe oder andere Sachen unternehme. Da werde ich natürlich immer wieder darauf angesprochen, ob sich im Fußball etwas tut und ob ich wieder etwas mache. Nach meiner Zeit bei den Stuttgarter Kickers hat sich auch der ein oder andere aus dem Rhein-Neckar-Kreis gefragt, was ich mache und wie es weitergeht. Aber natürlich war das nach der Sandhäuser Beurlaubung bedeutend mehr. Beim ersten Mal bzw. als ich in der Dritten Liga in Sandhausen beurlaubt worden bin, sind wir auf dem siebten oder achten Platz gestanden und man wollte ja mit aller Gewalt aufsteigen. Später habe ich den SV Sandhausen vor der Regionalliga gerettet. Wenn ich damals nicht verpflichtet worden wäre, wäre der Verein wahrscheinlich abgestiegen und alles, was wir in den Jahren zuvor aufgebaut hatten – die Aufstiege von der Oberliga in die Regionalliga und Dritte Liga – wäre dann kaputt gewesen. Wir haben uns gerettet und den Schwung mitgenommen und sind dann mit dem VfR Aalen und dem SSV Jahn Regensburg in die zweite Bundesliga aufgestiegen.

Würden Sie sagen, dass es von 2013 bis 2016 nicht ohne Fußball gegangen wäre? Haben Sie in den drei Jahren Hobbies nachgeholt – wie z. B. eine Reise, die Sie lange aufgeschoben hatten, unternommen? Oder stand der Fußball wirklich immer noch im Vordergrund?

Ich habe in der Zeit natürlich wirklich viel im Fußball mitverfolgt. Ich muss schon sagen, dass die Endphase 2012 in Sandhausen auch wirklich viel Kraft gekostet hat. Vielleicht wäre es im Nachhinein besser gewesen, wenn ich den Trainerposten in Stuttgart nicht übernommen hätte. Aber manchmal ist man hinterher schlauer oder man kann es sich gar nicht aussuchen, was das Angebot betrifft. Ich war damals positiv gestimmt, aber im Nachgang wäre es anders besser gewesen. Ich habe eine gewisse Zeit gebraucht, um Abstand zu gewinnen. Sicherlich habe ich das ganze nach wie vor aus der Ferne verfolgt und was die Hobbies angeht, habe ich mich mehr dem Sport gewidmet. Ich habe dann Tennis gespielt und bin Fahrrad gefahren. Was das Reisen angeht – ich bin eher der Typ, der lieber zu Hause ist und im Urlaub nicht gerne wegfährt.

Haben Sie schon einmal mit einem Trainerberater zusammengearbeitet?

Es gab Anfragen, „Kann ich etwas für dich tun?“. Den ein oder anderen losen Kontakt gibt es, aber ich arbeite in dieser Hinsicht nicht fest mit jemandem zusammen.

Wenn Sie an Ihre Zeit als Cheftrainer zurückdenken, wie wichtig finden Sie die Zusammenarbeit mit den Medien, mit Sportpsychologen und mit Mentaltrainern?

Mit den Medien hatte ich eigentlich nie Probleme – ob es jetzt in Sandhausen oder in Stuttgart war. Mit Mentaltrainern habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. In Sandhausen haben wir vor einer Saison eine Teambuildingmaßnahme durchgeführt, Laganda (Übersetzung: Gemeinschaftssinn; Anm. von Lisa Schatz). Das war immer sehr positiv und natürlich habe ich mit Arno Schimpf zusammengearbeitet. Er war auch in der Anfangsphase in Sandhausen mit dabei. Später hat er die Spieler dann je nach Wunsch individuell betreut. Wer wollte, konnte seine Hilfe in Anspruch nehmen.

Was halten Sie von Life Kinetik?

Im Profibereich kann man das sicherlich ins Training integrieren. In Nöttingen war das natürlich etwas anderes, da wir nur zwei- oder dreimal pro Woche Training hatten. Da gibt es wichtigere Dinge als Life Kinetik. Aber im Profifußball ist es durchaus eine wichtige Geschichte, aber es sollte dann auch von Nachhaltigkeit geprägt sein. Es bringt nichts, wenn man so etwas einmal macht und zwei Wochen später nochmal. Dies sollte dann schon Kontinuität haben. Die Spieler sind diesbezüglich sehr wissbegierig und wollen da wirklich das Beste herausholen. Wie gesagt, es ist eine gute Sache. Wenn man Life Kinetik einmal pro Woche in ein halbstündiges Aufwärmprogramm integriert, ist das meiner Meinung nach ganz gut.

Inwiefern beschäftigt sich ein Cheftrainer mit der Geschichte eines Vereins?

In Sandhausen war das ein spezieller Fall. Die räumliche Trennung zu Sandhausen war relativ gering. Als ich ein Kind war, hat Sandhausen mit am höchsten gespielt und ich habe das damals verfolgt. Als ich dann selbst gespielt habe, waren wir noch in einer Amateurliga und da hatte ich nach den Spielen auch persönlichen Kontakt zu den Fans. Wir waren mit ihnen zusammen im Vereinsheim, haben dort etwas getrunken. Als ich später in der Oberliga Trainer war, war auch die ganze Mannschaft im Clubhaus und einige von den Spielern waren zuvor selbst Fans. Da hat man sich also gekannt und es gab keine Berührungsängste. In Nöttingen war es ähnlich, da der FCN auch ein ländlicher Verein ist. Bei den Stuttgarter Kickers bin ich wenig mit den Fans in Berührung gekommen, da das im Gazi-Stadion schwieriger war und wir auf Plätzen trainiert haben, wo relativ wenige Fans anwesend waren. Wenn es bei einem Traditionsverein nicht läuft, wird das ein oder andere meines Erachtens manchmal überkritisch gesehen.

Dann zu Ihrer Arbeit an sich. Welchen Anteil nahmen Spielanalysen in Ihrer Tätigkeit als Cheftrainer ein, wenn Sie auf Ihre Zeit beim SV Sandhausen denken?

In Sandhausen, bei den Stuttgarter Kickers und auch in Nöttingen habe ich mit einem Scout zusammengearbeitet. Er hat die Gegner, auf die wir getroffen sind, immer unmittelbar vor den Spielen beobachtet. Er hat das dann zu Papier gebracht und teilweise auch Bilder zu Standardsituationen gemacht. Das bin ich durchgegangen und wenn es zeitlich möglich war, habe ich mir deren Spiele persönlich angeschaut, um mir selbst auch nochmal ein Bild zu machen. In der Anfangszeit war das alles relativ begrenzt, was Videoanalysen angeht. In Nöttingen und bei den Stuttgarter Kickers haben wir keine Videoanalysen gemacht. Beim SV Sandhausen war es schwierig. Dort hat der Co-Trainer immer das zusammengeschnitten, was gut und was nicht so gut war. Letztendlich war das alles in diesem Bereich.

Wie war das in der Saison 2011/2012? Hatten Sie in dieser Zeit auch wirklich nur einen Scout und den Co-Trainer, die in dieser Hinsicht Informationen aufbereitet haben?

Der eine Scout hat wirklich alles abgedeckt. Es war also alles ganz, ganz klein gestrickt. Wenn wir gespielt haben, hat er wirklich den unmittelbaren Gegner angeschaut und ich habe die gegnerischen Teams beobachtet, gegen die wir zwei, drei Wochen später spielten, sofern es der Spielplan erlaubt hat. Wir haben schon versucht, alles optimal abzudecken, was nicht immer einfach war.

Dann noch kurz ein Rückblick auf die EM-Zeit. Haben Sie sich alle Spiele angeschaut oder nur die Deutschlandspiele? Haben Sie die Partien auch gedanklich analysiert? Sind Sie eher der Typ, der sich solche Spiele zusammen mit Freunden oder Bekannten anschaut oder alleine?

Ich schaue mir viele Spiele an, aber natürlich nicht alle. Die Deutschlandspiele habe ich immer geguckt. Dabei habe ich mir auch Gedanken gemacht, aber, dass ich das zu Papier gebracht hätte, war nicht der Fall (lacht). Manchmal habe ich mir die Partien zusammen mit Freunden angeschaut, das war ganz unterschiedlich. Jedoch habe ich nicht gemeinsam mit anderen Fußballtrainern geguckt, um danach zu diskutieren.

Vielen Dank für das Interview, Herr Dais.

Gerne.