Almuth Schult: Profi mit klaren Forderungen für den Fußball

In der Saison 2022/2023 spielte Almuth Schult für den Angel City FC. [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung]
Foto: Angel City FC

Mit dem VfL Wolfsburg hat sie die Deutsche Meisterschaft, den DFB-Pokal und die Champions League gewonnen. Mit dem Nationalteam wurde sie Europameisterin, U20-Weltmeisterin und Olympiasiegerin: Almuth Schult. Doch vor allem ist sie eine starke Persönlichkeit mit klaren Forderungen und Ansichten, die sich auch abseits des Platzes für die Fortschritte im Fußball einsetzt. Sei es als Teil der Initiative „Fußball kann mehr“ oder als Trainerin der Bambinis in ihrer Heimat. Sie hat viel erlebt und eine Menge zu sagen. Almuth zeigt uns eine Vielzahl an aktuellen Themen auf. Dieses Gespräch kann uns alle zum Nachdenken anregen: Warum wurde das WM-Eröffnungsspiel in ein anderes Stadion verlegt? Welche Potenziale wurden im Fußball noch nicht genutzt? Warum lässt die VDV keine Frauen als aktive Mitglieder zu – und dies im Jahr 2023? Weshalb arbeitet keine Sportdirektorin im Profifußball der Männer?
Doch es gibt noch deutlich mehr Fragen, die wir uns stellen können. Das Interview ist sehr umfangreich geworden, weshalb ihr Almuths Ausführungen in zwei Teilen nachlesen könnt. Denn hier gibt es den Raum für solch relevante Themen. Die zweite Hälfte findet ihr hier. Und jetzt „Anpfiff für die erste Interviewhalbzeit…“

Kommen wir gleich zur Weltmeisterschaft. Wie groß ist deine Freude hinsichtlich der WM – auch, wenn du diesmal auf Grund eines schönen Grunds [Almuth Schult ist schwanger; Anm. von LS] nicht mitspielst? Wie verfolgst du die Spiele? Was ist dein Plan? Der kann sich ja eventuell ein bisschen anders entwickeln (lacht)?!

Ich bin sehr gespannt. Natürlich werde ich versuchen, so viele Spiele wie möglich zu verfolgen. In der Vorbereitung haben die Spiele ein paar überraschende Ergebnisse gebracht. Wenn wir uns Deutschland gegen Sambia angucken. Aber auch Haiti oder Marokko haben ein bisschen aufhorchen lassen. Es war mal die Frage: Können die „Kleinen“ denn auch mithalten? Von den Vorbereitungsspielen her würde man sagen: Ja. Und jetzt ist man gespannt, was bei der WM herauskommt. Von daher: Gucken wir mal. Es ist nur ein bisschen komisch, dass die Spiele am Vormittag laufen, das sind wir Europäer oftmals anders gewohnt Auf jeden Fall ungewöhnlich für die Spielerinnen sind die Temperaturen vor Ort, denn es ist Winter am anderen Ende der Welt.

Zumindest ist die Ausrichtung in Australien und Neuseeland besser als ein Stattfinden in Katar, wenn man auf die WM 2022 zurückblickt…

Das auf jeden Fall. Stattdessen würde man sich mit dem, was dahintersteht, vielleicht eine WM in Frankreich wünschen, bei welcher die Anstoßzeiten zur Primetime wären.

„Die Verlegung eines WM-Eröffnungsspiels hat es zuvor noch nie gegeben“

Was wünscht du dir von dem „Drumherum“, wenn du jetzt auf die EM 2022 zurückblickst, wie du sie erlebt hast? Gerade wie sich der Fußball der Frauen entwickelt. Wie denkst du kommt die Euphorie, die Atmosphäre in Australien und Neuseeland an, und was wird sich unabhängig vom Abschneiden des deutschen Teams bei uns im Land tun?

In Australien und Neuseeland ist das ein riesen Ding. Schon seit Jahren, seitdem die Vergabe dort hingegangen ist. Die Matildas [Bezeichnung für das australische Nationalteam; Anm. von LS] bemerken eine 100-prozentige Steigerung, also es wird wohl letztendlich eine 400-prozentige Steigerung von Zuschauern sein, die da in den letzten Jahren stattgefunden hat. Da ist ein großer Hype, was auch gut so ist. Und das hat man ja schon im Vorfeldgesehen: Die Verlegung des Eröffnungsspiels – das hat es so bei einer WM noch nie gegeben! Das hab‘ ich auch bei den Männern noch nie gehört, dass das passiert ist: Dass man einfach gesagt hat: „Ok, dann gehen wir in ein größeres Stadion und passen uns an die Potenziale an.“ Das finde ich super und es zeigt, dass sie bedarfsgerecht agieren und nicht so festgefahren sind als Organisator, sondern diese ganze Sache leben und sich zudem gesellschaftspolitisch eingemischt haben. Das Organisationskomitee hat Saudi-Arabien als Sponsor abgelehnt. Das ist meines Wissens nach das allererste Mal gewesen, dass das ein Ausrichter eines Großsportereignisses gemacht hat. Von daher sehe ich eine super Grundlage für ein tolles Turnier. Auch von der Stimmung her. Das Einzige, was man sieht: In Neuseeland, gerade auf der Südinsel, ist das Wetter nicht WM-gerecht. Es können 4 Grad herrschen, plus Regen.

Mit einer dicken Jacke im Stadion zu sitzen – da stellt man sich dann doch etwas anderes vor. Die Mädels können  froh sein, dass sie rund um Sydney unterwegs sind, dass dann vielleicht mal ein T-Shirt- und kurze-Hosen-Wetter aufkommt. In Deutschland liegt trotzdem ein Fokus auf diesem Turnier. Das haben auch die Spielerinnen gemerkt: Hinsichtlich des Presseaufkommens und der Sponsoren. Ich hoffe, dass wieder dieser Funke von der Mannschaft überspringt. Der war in den beiden Vorbereitungsspielen leider noch nicht komplett da. Aber letztes Jahr bei der EM konnten sich die Menschen mit der Art und Weise, wie wir auf dem Platz auftreten, wie wir als Mannschaft auftreten, identifizieren. Und diese Identifikation ist das, was vielen in der Bevölkerung irgendwie ein bisschen fehlt. Sowohl mit der Männer-Nationalmannschaft als auch zum Teil mit der Männer-Bundesliga. Obwohl diese Saison durch das Schwächeln der Bayern etwas spannender war – aber diese Identifikation… Es wäre schön, wenn wir die in Deutschland wieder spüren würden. Dann wäre es ein erfolgreiches Turnier. Dann kann das wieder ein Schritt nach vorne sein in der Sportart.

Nach eurer Rückkehr von der EM in England haben einige von euch gesagt, dass sie das von England aus ganz anders wahrgenommen haben, also welche Euphorie ihr in Deutschland entfacht habt. Ihr wart wieder hier und habt diese Begeisterung erlebt. Inwieweit ihr danach zu den Vereinen an der Basis Kontakte und gesehen, was sich dort bewegt hat im Hinblick auf die steigenden Zahlen an Mädels, die in die Vereine eintreten wollten? Als der DFB „ach so überrascht war“ und wohl auch komplett überrollt wirkte, dass so viele Mädels Fußball spielen wollten und m. E. ziemlich überfordert wirkte oder war dies eher so: „Ok, man hat es ein bisschen über die Medien mitbekommen“. Wie hast du das wahrgenommen?

Ganz unterschiedlich natürlich. Es gibt Spielerinnen unter uns, die Kontakt in die Heimatregion haben und diese sehr engagiert ist und dort etwas entstanden ist. Genauso gibt es welche, die das nicht mitbekommen haben. Es gibt Vereine, die sagen: „Bei uns ist überhaupt nichts angekommen. Alle reden immer vom Aufschwung, aber bei uns ist das eigentlich rückläufig und es werden Mannschaften abgemeldet“. Das stimmt leider ebenso. Das würde ich überhaupt nicht bestreiten. Es ist nicht in jeder Region so, sondern es kommt auf den Landesverband an. Es ist davon abhängig: Wie engagiert sind Kreisverbände? Es ist vielleicht auch durch das Engagement von Sponsoren bedingt, von denen ein Antrieb kommen kann. Und von den handelnden Personen in den Vereinen. Deshalb gibt es Regionen, die einen richtigen Aufschwung erlebt haben, und es gibt leider welche, in denen der Trend fortgesetzt wurde und noch weniger Frauen und Mädchen am Spielbetrieb beteiligt sind.

Aktuelle Effekte im Fußball der Frauen

Ich habe es durch die neu gegründete Bambinigruppe bei mir im Heimatverein, die ich mittrainiere, am eigenen Leib erfahren. Dort ist der Mädchenanteil sehr hoch, 50/50 schätze ich. Das kann vielleicht damit zusammenhängen, dass ich Trainerin bin. Das weiß ich nicht. Aber hier sieht man, dass es nicht nur einzelne Mädels sind, die Fußball spielen wollen, sondern dass sich wirklich eine ganze Gruppe zusammenfindet und es den Kindern vollkommen egal ist, ob es Jungs oder Mädchen sind. Die wollen einfach zusammen Sport machen und Spaß haben. Und man sieht es genauso auf anderen Ebenen: Wenn man auf die Landesverbandsebene geht. Ich war ganz begeistert von den Aufstiegsspielen Regionalliga / 2. Bundesliga, wie viele Zuschauer vor Ort waren. Bei Viktoria Berlin genauso wie beim Hamburger SV. Dass beide Heimspiele ausverkauft waren. Gladbach hat im Borussiapark gespielt, Elversberg hatte ein volles Stadion. Dann kommen dazu auch Landespokalfinals. Also Hamburg beispielsweise mit St. Pauli war einfach mit 3.882 Zuschauern ausverkauft beim Landespokalfinale. So etwas hat’s vorher noch nicht gegeben. Da sehe ich auch einen Effekt. (freut sich) Diese Effekte gibt es auf verschiedenen Ebenen, aber noch nicht überall. Ich bin froh, dass es sie gibt und hoffe, dass es so weitergeht. Aber es tut mir auch immer leid um die Vereine, die selbst sagen, sie spüren den Effekt nicht.

Oder so ein Fall wie Turbine Potsdam…

Ja, aber das mit Potsdam lag nicht an der Europameisterschaft, sondern Jahre zurück, wie die Weichen dort gestellt bzw. nicht gestellt worden sind. Das hat sich dann angekündigt. Eigentlich war die Saison davor mit der Fast-Qualifikation für die Champions League eine Überraschung.

Für Andernach und Potsdam ist das schon schwierig… Da die Balance zu finden.  

(Almuth lacht, winkt und blickt an der Kamera vorbei)

Sind deine Zwillinge grad draußen unterwegs?

Nein, meine Mutter, die durch den Garten läuft. (wir lachen)

Wenn du Bayern, Wolfsburg, Frankfurt und Hoffenheim anschaust: Ich sehe diese Lücke zu den anderen Vereinen und bin gespannt, wie sich das entwickelt.

Frankfurt hat sehr aufgeschlossen. Sie haben die Saison letztendlich auf einem guten Platz abgeschlossen, haben sehr viele Punkte gesammelt und entwickeln sich infrastrukturell stark weiter. Da bin ich gespannt, was noch an Transfers passiert. Man hat jetzt einige Nachrücker, die gerne noch etwas machen wollen, die es vielleicht ernster nehmen, also beispielsweise mit Leipzig. Ich bin gespannt und habe eher das Gefühl, dass der Abstand geschlossen wird. Du hast immer zwei Vereine, die vornewegmarschieren. Es gab Zeiten, wo es Potsdam und Frankfurt waren. Dann waren es Potsdam und Duisburg. Aber es gab stets zwei Vereine, auch vor Bayern und Wolfsburg, die unter sich den Titel ausgemacht haben. Vielleicht maximal drei. Und jetzt sehe ich Potenzial, dass sich die Liga ein bisschen auffächert. Dass es spannender wird. Weil Hoffenheim schon mal in der Champions League mitgespielt hat. Und jetzt hat man mit Frankfurt jemanden – mit dem man – nicht bis zum letzten Spieltag, aber davor – stark konkurriert hat. Bei anderen Vereinen wie bei Leipzig oder Köln sehe ich Potenzial, dass diese Bemühungen langfristig bleiben könnten.

Ich meinte jetzt eher auf die Bundesligaclubs Sand, Andernach und Potsdam bezogen – die jetzt da nicht derart die Möglichkeiten haben mit den Vereinen, bei denen die Männerteams schon lange in der Bundesliga spielen, in der nahen Umgebung…

Ja, das ist so. Aber man muss sagen: Da fehlte vielleicht auch der Mut, zu investieren. Klar haben sie einen anderen Hintergrund als die Lizenzvereine. Aber auch bei Essen merkt man, dass sie etwas tun wollen, dass sie im Austausch sind, um sich hinsichtlich neuer Trainingsanlagen und eines Leistungszentrums mit der Stadt abzustimmen. Potsdam hatte jahrelang Vorsprung vor Bayern, Wolfsburg und Co. Allein mit ihrem Internat. Sie haben nun im Nachhinein nicht genug aus diesen Möglichkeiten gemacht und man kann bei Potsdam nicht sagen, dass sie die Sponsoren in der Region nicht gehabt hätten. Sie haben schon vor zehn Jahren infrastrukturell und vom Gehalt her Dinge geschaffen, die viele erst aufholen mussten. Sie sind bloß einfach in ihrer Entwicklung stehen geblieben und waren eher mit Auseinandersetzungen beschäftigt – auch mit Babelsberg –  anstatt vielleicht lösungsorientiert zu handeln. Das ist schade. Aber man darf sich nicht immer nur dahinter verstecken: Ja, die Lizenzvereine. Man hat das mitunter selbst in der Hand.

Auch der 1. FFC war so weit vorneweg in Frankfurt. Da sind vielleicht ein paar Investitionen in die falsche Richtung gelaufen. Ansonsten hätte man das gar nicht aufholen können. Ich meine: Fast die ganze Nationalmannschaft hat beim 1. FFC Frankfurt gespielt. Wenn man das schon mal gehabt hat, verschwindet das nicht auf einen Schlag. Es hat nicht am Geld gelegen, sondern daran, dass sich infrastrukturell nichts bewegt hat..

„Für einen professionellen Spielbetrieb braucht es ein Mindestgehalt“

Fußballprofi Almuth Schult fordert: Für einen professionellen Spielbetrieb braucht es ein Mindestgehalt“. Foto: DFB

Wo siehst du generell noch Potenzial? Was würdest du dir vom DFB wünschen für den Fußball der Frauen, oder von den Landesverbänden und von den Vereinen?

Für den Profibereich müssen sie einfach mal Lizenzauflagen erstellen, die einen professionellen Spielbetrieb gewährleisten. So wie es in England oder in den USA der Fall ist. Dass Regularien erlassen werden über ein Mindestgehalt, über höhere Mindestanforderungen, über eine gewisse  Infrastruktur an die Vereine. Auch mit einer guten Qualität. Das ist wichtig.

Im Hinblick auf die Landesverbände etc.: Es geht um eine gleichberechtigte Förderung von Mädchen und Jungen in allen Bereichen. Egal, ob das in den Stützpunkten ist. Egal, ob es in den Auswahlmannschaften ist. Es darf nicht passieren, dass man bei der Kreisauswahl bei den Jungs Fahrgeld gibt und bei den Mädchen nicht. Oder dass irgendwo bei den Mädchen keine Trainingsklamotten zur Verfügung gestellt werden. Dass die Vereine darauf schauen, dass jeder Trainer eine Aufwandsentschädigung bekommt und nicht nur die der männlichen Teams. Man sollte den gemeinnützigen Auftrag der Vereine auch in dem Zusammenhang leben und nicht nur nach der Generierung von Profit gehen.

(Fehlende) Frauen im Profifußball der Männer

Der Bayerische Fußballverband fördert aktuell Trainerinnen. So wurde ein B-Lizenz-Lehrgang für Frauen von der UEFA und vom Verband finanziert. Wenn du jetzt ein bisschen die Perspektive wechselst: Wie nimmst du das wahr, dass vielleicht auch Frauen in Managementpositionen kommen könnten?
Was mir in der Medienwelt fehlt: Es wird meist über die Trainerinnenpositionen geschrieben. Aber dass Frauen im Profifußball der Männer auch in Managementpositionen vorangehen? Mir hat das immer gefehlt. Bis auf Katja Kraus…

Man muss jetzt einmal unterscheiden zwischen Management, Sportdirektion und Geschäftsführung. Im Management an sich, im Teammanagement sind ein paar Frauen. Bei Bayern etc.
Es ist bloß wirklich so: Die GeschäftsFÜHRUNG ist vakant. Da gibt es soweit ich weiß keine Geschäftsführerin in der 1. und 2. Liga. Mittlerweile gibt es Präsidentinnen oder weibliche Aufsichtsräte. Aber in der Geschäftsführung an sich oder vor allem auch in der sportlichen Leitung gibt es keine Frauen. Das meinst du wahrscheinlich damit?

Ja, genau.

Das wäre wichtig, das sehe ich auch so. Ich hoffe, dass mal ein Verein den Mut hat und sagt: „Jo, ich stelle jetzt mal eine Geschäftsführerin ein“.
Bisher gibt es nur solche Plätze wie Finanzvorstand etc., die von einer Frau besetzt werden. Zum Beispiel bei Schalke…

Und bei Darmstadt 98.

Aber diese wirklich leitende sportliche Position ist noch nie von einer Frau im Profifußball der Männer besetzt worden.

Denkst du, dass dahingehend Hürden bestehen? Mein Eindruck ist, dass es oft diese Bedenken gibt – jetzt sind wir beim Thema: „Teilzeit und Kinder“…
Ich persönlich habe das Gefühl, dass hier mehr als 100 Prozent erwartet werden. Also quasi mehr als 24/7 nur für den Verein. Da fliegt man dann auch mal mitten im Urlaub für ein Spiel [s. Beispiel im Interview mit Christian Heidel] zurück. Dass das noch in den Köpfen „dieser Generation Männer“ drinnen ist? Wobei da ja Jüngere nachkommen.

Ganz sicher! Man sucht als Mensch zwangsläufig immer – wenn man von sich selbst überzeugt ist, dass man einen guten Job gemacht hat – nach jemandem mit dem gleichen Profil. Wenn die Männer dies tun, dann fällt halt das andere Geschlecht schon mal raus. Da ist die Frage: Wer bestimmt die Nachfolge und wie ist sie gestaltet? Da sind wir doch in einem sehr konservativen Prozess im Fußball. Und da müssen einem vielleicht die Augen geöffnet werden: Manchmal sind es Kleinigkeiten, sind es Erfahrungen, die dann helfen, etwas zu ändern. Ich hoffe darauf. Man merkt, dass ein kleiner Wandel stattfindet. Auch im Fußball. Obwohl der Fußball in vielen Dingen noch nicht so weit ist, wie er immer selber denkt.

„Die VDV lässt keine Frauen als aktive Mitglieder zu. Und das im Jahr 2023.“

Nun ein kleiner Bruch. Ich habe dich über die Plattform „Fußball kann mehr, Wir können mehr“ kontaktiert. Was hältst du von Initiativen wie dieser? Soweit mir bekannt ist, gab es von euch Spielerinnen einen Zusammenschluss. Was hat sich diesbezüglich bewegt? Welche Punkte wollt ihr angehen? Wünscht ihr euch mehr Mitbestimmung?

Zusammenschlüsse können viel bewirken „Fußball kann mehr“ hat auch schon ein bisschen was bewegt. Selbst wenn’s nur die Wahrnehmung in so manchem Verband oder Verein ist.

In Richtung Spielerinnen: Es ist nun mal so, dass wir im internationalen Vergleich deutlich hinterherhinken. Nahezu jedes Land hat eine Spielerinnengewerkschaft, Spielerinnenvereinigung, wie auch immer man dies nennen möchte – also eine Players‘ Union. Und das auf allen Ebenen: sowohl auf der der Liga als auch auf der der Nationalmannschaft. Wir haben das in dem Sinne nicht. In Deutschland wird immer kolportiert, dass die VDV [Vereinigung deutscher Vertragsfußballer; Anm. LS] da ist. Aber die VDV lässt keine Frauen als stimmberechtigte Mitglieder zu. Und das im Jahr 2023. Was ziemlich peinlich ist. Wir waren mit der VDV im Austausch. Dies hat aber nicht zu einer fruchtbaren Partnerschaft geführt. Aus diesem Grund sind wir jetzt dabei uns selbst zu organisieren, auch mit der Erfahrung, die man in anderen Ländern gesammelt hat. Weil wir Spielerinnen haben, die international gespielt , und gesagt haben, DIE Gewerkschaft ist die Stimme der Spielerinnen, die etwas transportiert, die sich für Sachen einsetzt und die genau diesen Effekt von einer gemeinsamen Meinung abbildet. Wenn man einzeln losgeht, kann man einzeln bestraft werden und vielleicht wird man dann auch nur einzeln gehört. Das soll nicht der Fall sein. Jemand muss sich für die Belange der Spielerinnen einsetzen. Das ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten wirklich zu kurz gekommen.

Den zweiten Teil des Interviews mit Almuth Schult findet ihr unter diesem Link.

Vorgestellt: Die Uwe-Seeler-Stiftung

UWE Seeler
Stiftungsgründer Uwe Seeler. Foto: Werner Treimetten

Guter Zweck. Uwe Seeler galt als einer der besten Mittelstürmer der Welt. Der gebürtige Hamburger war schon damals nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz sehr engagiert. Ihm war es wichtig, „denen zu helfen, die infolge ihres körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes auf die Hilfe anderer angewiesen“ sind. Er legte vor allem Wert darauf, Kinder und Menschen mit Behinderung, „die in unserer Leistungsgesellschaft einen besonders schweren Stand haben und oftmals nur wenig Anerkennung und Akzeptanz finden“, zu unterstützen. So gründete er 1996 die Uwe-Seeler-Stiftung.

 

Zu den Tätigkeitsbereichen der Stiftung

Die Uwe-Seeler-Stiftung unterstützt Menschen in Not in den unterschiedlichsten Bereichen. Sie bietet ihnen u.a. Hilfe zum Lebensunterhalt. Im Jahr 2015 beispielsweise konnte sie mit mehr als 180.000 Euro u.a. finanziell in Not geratenen Familien helfen und Reparaturkosten übernehmen. Darüber hinaus beteiligte sie sich an den Kosten, die für Therapien für Kinder mit infantiler Cerebralparese entstanden sind. Auch wurden in Kooperation mit anderen Stiftungen Operationen schwerstkranker Menschen aus Kriegsgebieten ermöglicht. Daneben förderte die Uwe-Seeler-Stiftung behinderten gerechte Umbaumaßnahmen und spendete 25.000 Euro an mehrere Hospize in Hamburg und auch deutschlandweit. Zudem beteiligte sie sich an der Finanzierung von Spezialrollstühlen und neuen behinderten gerechten Fahrzeugen. Damit die Kinder in besonders bedürftigen Familien ein schönes Weihnachtsfest feiern konnten, erhielten diese mitunter Lebensmittelgutscheine im Wert von insgesamt 2.850 Euro.

Im Gründungsjahr der Stiftung kamen rund 37.000 Euro für den guten Zweck zusammen, seit 2001 bewegt sich die Summe, die jährlich gespendet wurde, kontinuierlich im sechsstelligen Bereich. 2015 wurde bereits mehr als eine halbe Million Euro an Bedürftige ausgeschüttet. Insgesamt hat die Uwe-Seeler-Stiftung seit ihrer Gründung beachtliche 4.243.765,72 Euro an Menschen in Not ausgezahlt.

 

Das Team der Uwe-Seeler-Stiftung

Der Vorstand der Stiftung setzt sich aus Uwe Seeler, Udo Bandow, Berthold Brinkmann, Gerhard Delling, Sven Lorenz, Frank Rost und Kerstin McGovern zusammen. Als Namensgeber und Gründer ist „Uns Uwe“ der Vorsitzende, Udo Bandow fungiert als sein Stellvertreter. Kerstin McGovern bildet das Herz der Geschäftsstelle: Bei ihr laufen alle Fäden zusammen. Auf Grund der Vielzahl an Anfragen erhält sie meist Unterstützung durch eine weitere Bürokraft. McGovern nimmt die Anträge entgegen, hört den Bedürftigen zu, und ist genauso Ansprechpartnerin für Presseanfragen. So ermöglichte sie mir ein Interview mit Vorstandsmitglied Gerhard Delling…

An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass Herr Delling sich extra nach dem Länderspiel in Dortmund (22.3.) einen Mietwagen genommen hat und direkt nach Hamburg gefahren ist, um mir am Donnerstagmorgen dieses Interview zu geben. Dies zeigt meines Erachtens, wie stark sich diese Menschen für die Stiftung engagieren.

 

Gerhard Delling über die Hintergründe der Stiftung

Herr Delling, wie ist die Idee von Herrn Seeler entstanden, eine Stiftung zu gründen?

Wer Uwe Seeler kennt, der weiß, dass er ein sehr empathischer Mensch ist, der wirklich am Leben anderer teilnimmt und das berührt ihn auch. So ist 1996 der Gedanke entstanden: „Was kann man tun, um denen zu helfen, die unschuldig in Not geraten sind?“. Dann kam die beste Idee mit der Stiftung.

Welche Ziele verfolgt die Uwe-Seeler-Stiftung hauptsächlich?

In erster Linie ist sie für Menschen da, die unverschuldet in Not geraten sind. Das ist bewusst so ausgedrückt, weil das Spektrum der Menschen, die Hilfe benötigen, sehr groß ist. Das merkt man an den Anfragen. Gerade in der heutigen Zeit, in welcher viele Menschen an der Armutsgrenze – oder sogar darunter – leben, gibt es unglaublich viele Notsituationen. In diesen Fällen kann man wirklich auch mit kleineren Taten und Zuwendungen sehr viel bewirken.

Wo wird geholfen?

Es gibt natürlich größere Geschichten, wie beispielsweise bei der ersten integrativen Schule in Hamburg. Dort ist die Uwe-Seeler-Stiftung engagiert. Es gibt – was auch unfassbar ist, dass es nötig ist – tatsächlich Essensgutscheine, für Menschen, die wirklich überlegen müssen, ob sie am nächsten Tag etwas zu essen haben. Es sind ganz viele Geschichten, bei denen die Krankenkasse nur bis zu einem gewissen Punkt greift und danach nicht mehr. Wo man vielleicht noch eine Behandlung braucht, die nicht abgedeckt wird. Das geht bis hin zu Heizkostenzuschüssen. Das Spektrum ist unfassbar groß. Es gibt so viele Details, aber das meiste geht in diese Richtung. Immer steht dahinter ein Mensch, der sich wirklich überlegen muss, wie er diese Aufgabe finanziell hinbekommt. Und der wendet sich dann in letzter Verzweiflung an die Uwe-Seeler-Stiftung. Ich glaube, auch wenn ich mich umhöre und umschaue, dass es nicht viele gibt, die sich genau um diese verzweifelten Menschen kümmern.

Woher kommen die meisten Anfragen?

Am häufigsten erhalten wir Anträge aus Hamburg und der Region. Aber auch bundesweit haben wir Fälle.

Wodurch werden die Menschen auf die Stiftung aufmerksam, gerade auch in den verschiedenen „Schichten“?

Das war wirklich ein Prozess über Jahre. Uwe leistet dahingehend grandiose Arbeit. Ich finde es toll, dass er sich so persönlich einsetzt und das wirklich lebt. Er macht das mit so einer Begeisterung, aus voller Überzeugung und mit Herzblut. Das ist er, das ist nicht gespielt. Das hat er alles alleine aufgebaut und unser Anteil ist wirklich entsprechend gering. Man kann sich gar nicht vorstellen, auf wie vielen Veranstaltungen Uwe pro Jahr unterwegs ist und bis heute – obwohl er ja auch nicht jünger wird – derart engagiert ist. Das ist wirklich er. Es sind ganz viele persönliche Kontakte, die er aufgebaut hat, oder eben Menschen, denen es gefällt, wie er so ist. Er ist ja eine Art „Ronaldo von früher“. Man könnte sich gar nicht vorstellen, dass Ronaldo hier durch die Gegend läuft, zu einem Golfturnier fährt und wie Uwe – der im Augenblick nicht mehr spielen kann – den ganzen Tag von Flight zu Flight (Gruppe von Spielern; Anm. von Lisa Schatz) fährt und fragt, ob alles in Ordnung sei. Bei so einem Turnier bringt er Getränke vorbei und ist den ganzen Tag auf Achse, um danach freudestrahlend einen Scheck für den guten Zweck entgegen nehmen zu können.

 

Ohne die Unterstützung Ehrenamtlicher läuft nichts

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Gerhard Delling sprach mit mir über die Hintergründe der Uwe-Seeler-Stiftung. Foto: Lennart Westphal

Wie wird die Uwe-Seeler-Stiftung „gestemmt“?

Wir sind alle, Frau McGovern und eine weitere Arbeitskraft ausgenommen, ehrenamtlich aktiv. Das Ziel ist ja, möglichst geringe Ausgaben zu haben und möglichst viel für den guten Zweck zusammenzubekommen. Die Veranstaltungen werden meist von Menschen organisiert, die Uwe Seeler kennen oder von der Stiftung gehört haben und dann die Einnahmen spenden. Axel Lange aus Berlin beispielsweise, der zusammen mit Uwe bei den Schneeforschern ist, veranstaltet jährlich ein Turnier in Fleesensee. Dabei kamen an einem Wochenende immer Summen im sechsstelligen Bereich heraus. Dort waren Uwe oder ich oder wir beide in den vergangenen Jahren stets anwesend. Menschen wie Axel Lange sind der Stiftung sehr nahe gewachsen, sie haben sie über Jahre hinweg begleitet und massiv unterstützt. Es gibt viele weitere Unterstützer.

Das ist ja klasse, wenn man schon vieles planen kann auf Grund der regelmäßigen Turniere…

Ja, genau. Zum einen ist eine große Verlässlichkeit vorhanden und zum anderen entstehen zahlreiche Freundschaften und es wird viel für den guten Zweck getan. Das finde ich auch wichtig bei der Uwe-Seeler-Stiftung. Die Stiftung ist keine, die mit großen Werbeplakaten oder Werbung nach außen geht und sagt: „Schickt mir mal euer Geld“. Sondern meist war es bisher so, dass wirklich jemand persönlich vor Ort war und erklärt hat, worum es genau geht und welche Ziele man hat, und versucht, die Menschen zu überzeugen, einen Beitrag zu leisten.

Welche Menschen helfen ehrenamtlich mit?

Derjenige, der ein Turnier veranstaltet – wie zum Beispiel Axel Lange (s.u.; Anm. von Lisa Schatz) – stellt das zusammen mit seinen Mitarbeitern auf die Beine und organisiert das nebenbei. Dort wirken ganz viele Helfer und Helfershelfer mit, die sich der Sache verschrieben haben und dahinter stehen und das mitleben. Viele Dinge kann man gar nicht bewerten. Das würde gar nicht funktionieren, wenn nicht jeder seinen kleinen Teil dazu beitragen würde. Das große Ganze ist eben für den Erfolg verantwortlich. Dies ist hier so. Es geht nicht, wenn nicht ganz viele Menschen das auch wollen und sich damit identifizieren und sagen, dass sie das gut finden.

Inwiefern wird mit anderen Organisationen kooperiert?

Wir arbeiten viel mit der Franz-Beckenbauer-Stiftung zusammen. Diese ist schon größer, funktioniert aber ähnlich. Wir tauschen uns aus und wenn es einen Fall gibt, der nicht ganz klar ist, kann man sich noch einmal absichern, ob der jeweils andere schon einen solchen hatte. Da gibt es eine enge Verdrahtung.

 

Woher die Spenden kommen und wohin sie gehen

Seit Beginn der Uwe-Seeler-Stiftung wurden mehr als vier Millionen Euro Spenden gesammelt. Im Jahr 2015 kamen rund 450.000 Euro zusammen. Haben Sie damit gerechnet, dass die Stiftung eine solche Größenordnung an Spendensummen erreicht?

Am Anfang nicht. Im ersten Jahr waren es rund 38.000 Euro, die ausgeschüttet wurden. Das hat sich stetig weiterentwickelt und verfestigt. Es wird natürlich nicht einfacher, Spenden zu akquirieren, aber dieses Niveau kann man meines Erachtens halten und eventuell können wir noch mehr erreichen. Nicht nur im Fußball werden die Summen immer größer. Zugleich ist es so, dass Geld dort, wo es ist – zumindest gefühlt – immer inflationärer wird. Ich glaube, dass die Entwicklung weitergeht. Aber zu Beginn war wirklich nicht damit zu rechnen.

Woher kommen die meisten Spenden?

Das meiste kommt von den Veranstaltungen. Neben denjenigen, die die Events organisieren und Geld spenden, gibt es dort auch viele andere Menschen, die einen gewissen Betrag spenden oder etwas ersteigern oder einfach nur vorbeikommen kommen und eine Teilnahmegebühr zahlen, welche auch für den guten Zweck ist. In den vergangenen Jahren hat sich zudem der HSV sehr erkenntlich gezeigt. Und natürlich der Deutsche Fußball Bund, der auch immer wieder großzügige Spenden beisteuert. Man muss ein bisschen kreativ sein, wenn es darum geht, an bestimmte Institutionen und Menschen heranzukommen und die Kontakte dann eben auch herstellen. Das ist in erster Linie unsere Aufgabe.

Wie wird entschieden, wer wie viel Geld erhält?

Von dieser Detailarbeit sind wir befreit. Das sind so extrem viele Anträge. Das ganze Jahr hat Kerstin McGovern da unglaublich viel mit zu tun. Das sind so viele kleine Anfragen – und das ist meines Erachtens auch das Besondere an dieser Stiftung: Es gibt hier und da auch immer wieder größere Projekte. Aber hier geht’s meist wirklich um Kleinstsummen. Diese sind so elementar wichtig für diese Menschen, weil dort, wo sie wirklich gar nicht mehr vorhanden sind, wo sie absolut fehlen, ist die Not dermaßen groß – das ist wohl mit der „Welt, in der wir leben“, gar nicht zu vergleichen. Es ist natürlich eine riesen Aufgabe zu prüfen, dass alles seine Richtigkeit hat und dass das Geld wirklich dort ankommt, wo es gebraucht wird. Allein im vergangenen Jahr wurden über 1.100 verschiedene Anträge bewilligt. Bei 365 Tagen im Jahr kann man sich vorstellen, dass sie alle sehr schnell und genau gecheckt werden mussten.

 

„Die Anzahl Bedürftiger ist frappierend“

Inwiefern bekommen Sie etwas von den Einzelfällen mit? Gab es bei den Sitzungen zum Beispiel einen Fall, den Sie besprochen haben und der Sie besonders schockiert hat?

In erster Linie fand ich diese Anzahl an Menschen, denen es wirklich schlecht geht, im traurigen Sinne überwältigend. Es ist frappierend: Wir in einem so wahnsinnigen Überfluss. Dass es wirklich so viele Menschen gibt, die Unterstützung in dieser Form nötig haben und brauchen, ist unserem Stand der Entwicklung nicht würdig, wenn man ehrlich ist. Somit empfinde ich den Einsatz der Stiftung als sehr positiv. Natürlich kann man das Leid jeden Tag beklagen, aber das bringt einen nicht weiter. Dennoch gibt es so viele Bedürftige. Das ist für die Gesellschaft eigentlich nicht tragbar, da müsste dringend etwas geändert werden. Und hier wird schon vieles getan.

Wir hatten zum Beispiel vor einigen Jahren den Fall, dass jemand dringend einen Blindenhund brauchte, weil seiner verstorben war. Der Mann war völlig verzweifelt, weil Blindenhunde generell sehr teuer sind. Wenn ein solcher Hund gut ausgebildet ist, bewegen sich die Kosten für ihn schon im fünfstelligen Bereich. Von derartigen Fällen bekommt man schon etwas mit. Als ich gelesen habe, dass wir das finanzieren konnten, fand ich das toll.

Gab es noch andere Fälle neben dem Blindenhund, die Sie erwähnen möchten?

Ich finde es erschreckend, dass jemand eine Krankschreibung hat und eigentlich zum Arzt muss, es aber gewisse Leistungen gibt, die nicht übernommen werden. Und derjenige weiß nicht, wie er dort hinkommt. Die einzige Chance für ihn ist es, sich ein Taxi zu nehmen und wir reden hier über dreißig oder vierzig Euro. Das Volumen ist wohl etwas größer, weil er mehrmals fahren muss. Aber dass so etwas einen Verwaltungsprozess auslöst, ist schon heftig. Viele würden sagen: „Ich fahr dich schnell hin“. Aber das gibt’s: Dass Menschen allein sind, ganz auf sich gestellt, und kein Geld haben. Also, diese Menge an kleinen Zuwendungen, die dabei sind, finde ich extrem.

 

Zum Alleinstellungsmerkmal der Uwe-Seeler-Stiftung

Was macht die Stiftung besonders, was grenzt sie von anderen Stiftungen ab?

Sie ist schon relativ groß, und trotzdem vom Umfang und von den handelnden Personen her sehr klein. Wir sitzen stets in einer kleinen Runde zusammen, in der sich jeder kennt. Zudem gibt es keinen festangestellten Geschäftsführer oder dergleichen. Die Ausgaben sind sehr gering. Natürlich gibt es ein, zwei Kräfte, die diese ganze Flut an Anfragen bearbeiten. Zudem ist es so, dass – vor allem Frau McGovern – nicht nur die Fälle bearbeitet, sondern auch als eine Art Sorgentelefon dient. Viele Menschen rufen bei ihr an, die nicht nur in finanzieller Hinsicht eine Zuwendung brauchen, sondern zugleich nach Aufmerksamkeit suchen. Das sind Dinge, die dort miterfüllt und abgefedert werden. Aber der administrative Part ist doch sehr bescheiden und klein gehalten, damit dort relativ wenig Geld verpufft.

Haben Sie auch jemanden in der Stiftung, der als psychologischer Ansprechpartner für die Anfragenden dient?

Nein, dafür ist die Stiftung von der personellen Besetzung her zu klein. Das würde neue Kosten auslösen. Aber umso bemerkenswerter ist es, dass Frau McGovern dies alles übernimmt.

Hat sich Frau McGovern selbst komplett in die Materie eingearbeitet oder hat sie auch eine psychologische Ausbildung absolviert? Ich kann mir vorstellen, dass manche Fälle schon echt hart sein können – gerade die psychologische Betreuung, die die Menschen brauchen.

Das stimmt. Ich weiß nicht, ob sie da eine Ausbildung hat. Aber als Persönlichkeit ist sie sehr empathisch. Trotzdem ist es so, dass es nicht mehr händelbar wäre, wenn man das zu seinem eigenen Schicksal machen würde. Sie hat natürlich mittlerweile eine riesen Erfahrung in dem Bereich. Sie engagiert sich hier seit rund zwanzig Jahren. Ich denke, sie bräuchte nicht mal ein Diplom in der Richtung.

 

Delling über seinen Einsatz für die Stiftung

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Gerhard Delling neben der von Brigitte Schmitges umgesetzten Fuß-Skulptur von Uwe Seeler. Foto: Lisa Schatz

Was hat Sie dazu bewogen, sich für diese Stiftung zu engagieren?

Ich kenne Uwe schon lange. Ich muss dazu sagen, dass ich auch in der Bürgerstiftung in Hamburg bin und auch dem Eagles Charity Golf Club sowie der Alexander Otto Sportstiftung angehöre. Wenn es zeitlich möglich ist, ist man meiner Meinung nach dazu verpflichtet, sich Gedanken zu machen und ein bisschen zu engagieren. Als die Anfrage von Uwe kam, musste ich gar nicht lange überlegen, weil ich ihn über die vielen Jahre so gut kennen gelernt habe, dass ich wusste, wie integer das Ganze ist. Ehrlich gesagt war es sogar eher andersherum: Ich dachte, dass es eine große Ehre ist, dass er mich fragt. Er und Udo Bandow, der schon immer mit die treibende Kraft in der Stiftung gewesen ist. Zwei, die ich mit gewissem Stolz mittlerweile als Freunde auch an meiner Seite weiß!

Wie bringen Sie sich genau ein und welche Aufgaben haben Sie?

Mein Anteil ist verschwindend gering. Wir haben natürlich unsere Stiftungsratssitzungen. Dort besprechen wir vor allem, was während des Jahres geschehen ist. Zudem geht es darum, wie das Geld, das reinkommt, am besten verwaltet werden kann, sodass es …. nicht weniger wird, sondern am Ende des Tages eher noch ein paar Zinsen abwirft, die man dann ausschütten kann. Das ist im Augenblick mit eine der schwersten Aufgaben. Daneben gibt es Veranstaltungen, zu denen ich gehe. Bei den meisten allerdings ist Uwe vor Ort. Und eines muss ich betonen: Es ist unfassbar, was er da für ein Programm abreißt. Wenn er irgendwie kann, ist er immer am liebsten selbst dabei. Das sind z. B. Golfturniere, bei denen er dann den Scheck übernimmt.

Welches war Ihr schönstes Erlebnis in der Zusammenarbeit mit Herrn Seeler und den anderen Vorstandsmitgliedern?

Wenn wir uns in regelmäßigen Abständen treffen, ist es immer sehr harmonisch und schön. Es gab so viele tolle Turniere, bei denen wir zusammen vor Ort waren. Anfang dieses Jahres beispielsweise waren wir in Spanien bei der Uwe-Seeler-Trophy, einem Benefiz-Golfturnier in Marbella. Dort haben ehemalige Fußballprofis gegen Journalisten gespielt. Das waren drei wunderbare, lustige, unterhaltsame Tage und zugleich wurde wieder ein großer Scheck über 50.000 Euro an die Stiftung übergeben.

Wie laufen die Sitzungen ab?

Wir besprechen zunächst, was seit unserer letzten Begegnung alles passiert ist. Dann geht es an das Zahlenwerk. Das ist sehr wichtig: „Was ist rausgegangen und was kommt herein?“. Zudem diskutieren wir, welche Veranstaltungen neue Einnahmen bringen könnten und welche eventuell wegfallen. Es geht aber tatsächlich ums Geld: Wo legen wir es an? Wie geht es weiter, Aktienmarkt oder Anleihen? Was ist möglich und was nicht? Früher war es einfacher, weil es da Termingelder gab und wenn eine Stiftung konservativ mit möglichst geringer Aktienquote trotzdem Geld generieren wollte, hat man versucht, ein gutes Geschäft mit der Bank zu machen und gesagt: „Komm, wir machen relativ langfristig Termingelder“. Das war sehr sicher. Diese Form der Finanzierung ist mittlerweile komplett ausgefallen. Da muss man schon kreativ sein. In der Hinsicht ist Herr Gollub von Aramea mit dabei, der wirklich jedes Mal en detail sagt: „Die und die Sachen haben wir gemacht und die anderen aus diesem und jenem Grund nicht und wir sind jetzt bei einem Plus in der Höhe von XY Euro“. Man muss ihm hoch anrechnen, dass wir stets in einem Plus waren. Frau McGovern erzählt im Anschluss von ihrer Arbeit und speziellen Fällen, die schwieriger waren oder ihr besonders ans Herz gegangen sind.

Wie würden Sie die Atmosphäre innerhalb der Stiftung beschreiben?

Es ist ein sehr kleiner, familiärer Kreis und dadurch sehr kameradschaftlich. Wir befinden uns alle immer in regem Austausch. Uwe ist ja am glücklichsten, wenn er am Tisch sitzt, seine Freunde oder Menschen, die positiv und wohlgesonnen sind, um sich herum hat und diese gerne über Gott und die Welt reden mögen. Man sitzt auch mal mit Ex-Fußballprofis und aktuellen Profis auf der Jahresabschlussfeier zusammen, dann wird das Schifferklavier herausgeholt und gesungen…(lacht)

Vielen Dank für das Interview, Herr Delling.

Das habe ich gerne gegeben, bitte.

-> Weitere Informationen zur Uwe-Seeler-Stiftung findet ihr unter http://www.uwe-seeler-stiftung.de/.

-> Hiermit möchte ich mich auch für die gute Kooperation beim Hamburger SV bedanken, der mir ermöglicht hat, das Interview mit Herrn Delling im Volksparkstadion zu führen.

Torwarttrainer Marco Kostmann: „Querdenken ist Alltag“

Marco Kostmann
Marco Kostmann fungierte von 2006 bis 2008 als Torwarttrainer der ivorischen Fußball-Nationalmannschaft. Foto: Stefan Meisel

Hamburg. Marco Kostmann, vielen Arminen als ehemaliger Torwarttrainer des DSC bekannt, arbeitet inzwischen als Torwarttrainerkoordinator und U23-Torwarttrainer beim HSV. Allerdings war er bislang nicht nur auf Vereins-, sondern auch auf Verbandsebene tätig. Von 2006 bis 2008 hat er die Torhüter der Elfenbeinküste und von 2010 bis 2013 die der deutschen U20-Nationalmannschaft gecoacht. Im Interview hat er mir von seiner Arbeit mit den Profis in Afrika erzählt und beschrieben, welche Eigenschaften ein guter Torwarttrainer mitbringen muss…

Herr Kostmann, was haben Sie aus Ihrer Zeit als Torwarttrainer der Elfenbeinküste mitgenommen?

Das, was ich aus dieser Zeit mitgenommen habe und auch heute noch in meinen Jugendteams bespreche, ist die unfassbare Professionalität von absoluten Fußballstars. Da waren Didier Drogba und die Touré-Brüder. Das war das Beeindruckendste, dass sie sich so schnell mit nicht so guten Platz-, Hotel- und Reisebedingungen arrangiert haben. Ihre Begründung lautete: „Wenn kein anderer Platz da ist, dann spielen wir auf diesem Platz. Wenn ein anderer Platz da wäre, dann würden wir auch meckern. Aber es gibt nichts zu meckern, weil kein anderer Platz da ist. Also verschwenden wir keine Energie“. Ich fand es sehr bemerkenswert, dass sich diese Superstars total auf diese Bedingungen eingestellt haben. Sie wussten, was auf sie zukommt und haben das alles professionell durchgezogen. Und bei ihnen ging es nicht darum, dass sie immer wieder froh sind, für ihr Vaterland spielen zu können oder zu Hause sind oder Ähnliches. Ich habe festgestellt: Sie treibt wirklich das Spiel an, sie haben wirklich Lust darauf, miteinander Fußball zu spielen. Manchmal haben sie es auch übertrieben und hatten Lust, für sich Fußball zu spielen. Dadurch haben die vielen Einzelkönner nicht zu einer Mannschaft gefunden, die Weltmeister werden konnte. Auf Grund der Einzelkönner hätten sie es gekonnt. Aber das war wirklich das Eindrucksvollste dort: Wie professionell sie sich auf die Spiele und auf das Training eingestellt haben. Ein bisschen demütig Uli Stielike (damals Cheftrainer des ivorischen Nationalteams; Anm. von Lisa Schatz) gegenüber, absolut respektvoll mir gegenüber, dem gesamten Staff. Ob das jetzt ein Zeugwart war oder ein Vereinsmitarbeiter – wir wurden alle gleich respektvoll behandelt und das fand ich toll.

Wie würden Sie die damaligen Trainingsbedingungen an der Elfenbeinküste beschreiben?

Ich habe neben den Nationaltorhütern auch Torhüter in der Akademie von ASEC Mimosas (international als ASEC Abidjan bekannt; Anm. von LS) trainiert. Das war natürlich schon ein Unterschied. Die Bedingungen bei der Nationalmannschaft waren sicherlich nicht ganz vergleichbar mit europäischen Standards, aber es war schon in Ordnung dort. Manchmal mussten wir auf den Bus warten. In Mitteleuropa wäre das undenkbar für eine Mannschaft, die sich beispielsweise auf eine EM vorbereitet. Und manchmal war der Platz nicht gewässert oder gekreidet oder nicht gemäht, aber das war alles noch im Maße im Vergleich zu dem, was bei den Jugendmannschaften los war. Da war es sehr chaotisch: Die Spieler hatten zum Teil nicht ausreichend Bälle zur Verfügung und keine richtigen Schuhe.

Weshalb die Faszination am Fußball? – „Perfekte Einstellung und Boxermentalität“

Was genau gefällt Ihnen so gut am Fußballsport? Es klingt immer so logisch: „Er ist Trainer und macht das und das“. Aber was genau fasziniert Sie an dem Spiel?

Meine Position, also die des Torhüters, weil jede Aktion spielentscheidend ist. Jede verdammte, kleine Aktion ist spielentscheidend: Jeder Rückpass, jeder Abwurf, jede Antizipation beim Schuss. Also, das Fußballspiel im Prinzip durch unsere Aktionen zu stören. Das ist das, was mich antreibt und was mich fasziniert. Dass man perfekt eingestellt sein und diese Boxermentalität haben muss, sobald angepfiffen wird. Ein Torhüter kann nicht abwarten, wie seine Mannschaft ins Spiel kommt in einer Situation – vielleicht kommt nur eine und die ist schon spielentscheidend. Da kann er nicht sagen: „Ach, mach nochmal“. Wenn der erste Pass nicht gelingt – beim Mittelfeldspieler ist es meist kein Gegentor –, aber bei uns ist meist ein Gegentor die direkte Konsequenz.

Jetzt zu Ihrem Beruf. Wo liegen die größten Herausforderungen für einen Torwarttrainer?

Im professionellen Bereich ist es am wichtigsten, in einer Torwartgruppe die Balance zu finden. In jeder Mannschaft besteht eine direkte Konkurrenzsituation: Die Torhüter trainieren mit mir und sind dabei Konkurrenten. Meine Aufgabe ist, dass der erste Torwart erster bleibt und der zweite Torwart erster wird. Das ist eigentlich die größte Herausforderung. Dass man allen Seiten Exklusivität bietet und sie auf dem Niveau fordert und fördert, auf das sie hinwollen. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass man sich nicht nur um den ersten Torwart kümmert und den zweiten links liegen lässt oder sich nur um den zweiten kümmert, damit dieser stärker wird. Diese Balance zu finden, jedem Spieler die größte Exklusivität zu bieten, das ist das Wichtigste.

Welche Eigenschaften sind für einen Torwarttrainer am wichtigsten?

Die Eigenschaft zu erkennen, welchen Charakter man vor sich hat, ist entscheidend. Relativ schnell zu erkennen, wie der Torhüter aktuell drauf ist. Es gibt Tage, an denen wir ein bisschen auf die Befindlichkeit eingehen können. Wir müssen versuchen das Trainingsziel zu erreichen, auch wenn der Spieler mal nicht so gut drauf ist. Ich will das natürlich nicht erzwingen, sondern ich versuche das zu kanalisieren, was aus ihm raus will. Empathie, Einfühlungsvermögen, das Erkennen der einzelnen Situation sind ganz wichtige Eigenschaften, unabhängig von den fachlichen Dingen. Dann geht es natürlich darum, dass unsere Torhüter mit einer starken Mentalität ins Spiel gehen. Das muss ich vorleben und das muss ich versuchen irgendwie in sie hineinzuprojizieren, um dann zu sehen, ob sie in der Lage sind – wenn man jetzt einen Torhüter im Jugendbereich beim HSV als Beispiel nimmt – Torhüter im Spitzenfußball zu werden. Torwarte ohne Mut und intrinsische Motivation kann ich nicht gebrauchen, diese werden es auf keinen Fall schaffen. Und das herauszukitzeln ist schon auch eine Herausforderung – neben dem korrigierenden Auge. Das korrigierende Auge ist dann schon das fachliche. Also, jetzt nicht zu sagen: „Der hält den Ball unten rechts nicht“, sondern sich zu fragen: „Warum kriegt er den Ball unten rechts nicht?“ und vor allem: „Wie bekomme ich den Kerl dahin, dass er den unten rechts hält?“.

Mit welchen Themen beschäftigen Sie sich im Büro?

Ich lese viel über Stressresilienz, also über den Umgang mit Stress. Wir bekommen den Stress ja nicht weg, der ist da. Es geht somit um die Frage, wie wir mit ihm umgehen. Damit befasse ich mich äußerst stark. Demzufolge beschäftige ich mich hauptsächlich mit Trainingsformen und Stress: „Wie bekomme ich im Training spielnahe Situationen hingebastelt und das nicht nur von der Situation der Spieler her, sondern auch bezogen auf die Stressbewältigung?“ Ich möchte, dass wir den Stress im Training möglichst spielnah darstellen können.

-> COMING SOON… In Teil 2 des Interviews (erscheint am 24.6.2016) berichtet Marco Kostmann davon, ob und wie er seine Jungs auf Elfmeter trainiert, welche Hobbies er hat und warum querdenken so wichtig für ihn ist…