Almuth Schult über die Elternzeit im Profifußball, das Pendeln zwischen Spielen und Hochschule sowie die DFB-Trainerausbildung

Almuth Schult äußert: „Ich würde mich darüber freuen, wenn ein Mann sagen würde er geht jetzt in Elternzeit, um einfach ein Zeichen zu setzen. Foto: DFB

Aktuell bist du vereinslos. Wie ist die Situation für Spielerinnen mit Kind bzw. Kindern? Du warst ein paar Monate in den USA. Wenn du dahingehend einen Vergleich ziehst – oder wenn wir uns Chelsea anschauen, sie sind da schon sehr weit mit ihrem „Rundumpaket“: Sie bieten einen Tarifvertrag und viele Zusatzleistungen an, auch für die Büromitarbeitenden. Was sollte sich in der Hinsicht in Deutschland möglichst schnell ändern? Es ist wichtig, dass sich etwas tut. Du hast mehrfach erwähnt, dass man sich als Spielerin durchrechnen muss, was man sich leisten kann. Viele Bundesligaspielerinnen sind noch nebenberuflich tätig. „NEBENbei!“

Das ist so. Als Spielerin hat man in Deutschland, wenn man blauäugig herangeht, erstmal keine Ahnung, was man verdienen kann. Was man verdienen sollte. Welche Hintergründe und Rechte es gibt. Klar hat man in Bezug auf Deutschland die üblichen Arbeitnehmerrechte, wenn man angestellt ist und Mindestlohn verdient. Das heißt es gibt klare Regeln in Richtung Mutterschutz usw. Auf der anderen Seite ist immer noch die Frage: Wie funktioniert die Reintegration?

Und die Kinderbetreuung,…

Ja, es gibt eben keinen Übergang. Man hat nach der Geburt die acht Wochen Mutterschutz und theoretisch müsste man danach wieder voll ins Training einsteigen.

Was nicht geht, von Null auf Hundert…

Genau. Das ist normalerweise nicht möglich. Dafür muss eine Lösung gefunden werden. Natürlich möchte der Arbeitgeber keine volle Kraft bezahlen, wenn sie nicht voll arbeiten kann. Aber wie soll es gehen? Sagt man, man setzt jedes zweite oder dritte Training aus und bekommt nur 50 Prozent des Gehalts?

Es existieren noch viele Fragen. In manchen Ländern ist das tarifvertraglich geregelt. In den USA gibt es sogar noch einen extra Topf, aus dem die Mütter für die Kinderbetreuung Geld erhalten. Also jede Mutter hat Anspruch auf einen monatliche bzw. jährliche Auszahlung. Zusätzlich. Man verdient in dem Sinne mehr Geld. Was richtig ist, weil Kinder einfach viel Geld kosten und ohne Betreuung geht’s nicht. Man kann als Profisportlerin nicht auf eine Kinderbetreuung in der Kita oder im Kindergarten hoffen. Das kann zwar einen Teil abdecken, wenn man vormittags trainiert, aber sagen wir mal: Man hätte um 15:30 Uhr Trainingsstart und die Kita macht um 15:00 Uhr oder 14:00 Uhr dicht…

Oder im Fall von Champions League-Spielen…

Ja, oder am Wochenende: samstags oder sonntags. Das ist die Hauptarbeitszeit, man ist unterwegs, auch zu den Auswärtsspielen. Das sind unregelmäßige Arbeitszeiten. In Deutschland ist es sehr verpönt, privates und berufliches zu vermischen – egal in welchem Beruf. Das ist also im Profisport sehr, sehr schwierig. In den USA ist das gewachsen, dass Kinder überall mithindürfen. Dass sie vor dem Spiel in der Kabine sind, dass sie mit dem Mannschaftsbus zum Stadion fahren. Das ist nach meiner Erfahrung kein Problem. In Deutschland wäre das undenkbar. Das kann sich selbst ein Fan nicht vorstellen, dass das in Deutschland gemacht würde. In den USA ist es normal und sie gucken dich eher an, wenn du sagst: „Ach echt, darf man das hier?“ – „Ja, warum denn nicht?“. Da sind die Kinder ein Teil der Fußballfamilie. Von daher gibt es noch ein bisschen was zu tun, um Kompromisse und Lösungen zu finden. Der Fußball in Deutschland ist sehr männlich geprägt. Er ist über die Männerstruktur gewachsen. Da ist es normal gewesen, dass Kinder kein Teil davon sind. Auch die Sportwissenschaft ist so gewachsen, dass sie sich hauptsächlich auf Männer konzentriert. Das fängt schon damit an – das ist immer das Thema: zyklusbasiertes Training. Aber es geht auch darum: Bis wann kann man trainieren? Wann darf man nach einer Geburt wieder trainieren? Wie trainiert man? Welche Übungen macht man, worauf muss man achten? Da herrscht nicht viel Erfahrung. Diese muss erst aufgebaut werden. Da sind andere Länder schon weiter. Es wird auch immer der Faktor Geld angesprochen: Dass man sagt, dass Mütter einfach mehr Geld kosten. Ja. Auf der anderen Seite wollen wir immer gerne Nachwuchs gewinnen für unsere Sportart.

Man kann prominente Beispiele aufzählen von Profispielern und deren Kindern. Nehmen wir Kasper Schmeichel. Vielleicht wäre er niemals Fußballtorwart geworden, wenn sein Vater das nicht gewesen wäre. Er ist es selbst auf Weltklasseniveau geworden. Man kann noch weitere Spieler benennen, die ihre Kinder in Akademien haben. Die prominentesten sind vielleicht Messi und Ronaldo, aber auch welche aus Deutschland. Beispielsweise die Söhne von Klinsmann oder Kirsten. Auch die Jungs haben es irgendwie geschafft, in den Profisport reinzukommen. Vielleicht sollte man dies als Investition in die Zukunft betrachten.

Ich bemerke es an meinen Kindern: Dass sie vermutlich im Alter von drei Jahren an Fußball so interessiert sind wie wenige Gleichaltrige. Dass sie auch schon gegen den Ball treten und die Spielerinnen kennen, weil sie mit ihnen zusammen Zeit verbracht haben.

Ich glaube, dass da ein Umdenken stattfinden sollte. Dass man sich die Situation ganzheitlich anschaut und guckt, was dabei herauskommt. Aber es ist schon mal ein Schritt gemacht, weil für dieses Thema in den letzten Jahren eine Sensibilisierung stattgefunden hat. Auch von Seiten der FIFA: Sie hat ihre Regularien so geändert, dass beispielsweise der Mutterschutz für alle Ligen gilt. Das ist gut. Es geht voran. Aber es gibt noch sehr, sehr viel zu tun, um auch Müttern – oder sagen wir mal Frauen – die Angst zu nehmen, dass sie sich für Kind oder Karriere entscheiden müssen. Natürlich will man niemanden unter Druck setzen. Jede Frau sollte das handhaben, wie sie das möchte. Es sollte einfach nur die Möglichkeit geben. Und auch die Möglichkeit mit einem vernünftigen Gefühl.

„Ich würde mich darüber freuen, wenn ein Mann sagen würde er geht jetzt in Elternzeit, um einfach ein Zeichen zu setzen.“

Es ist aber auch krass, wenn man den Fußball der Männer anschaut. Wenn ich aus eigener Erfahrung spreche: Ich übe hauptberuflich einen Bürojob aus und natürlich gehen Männer in diesem Umfeld in Elternzeit. Wenn wir uns die Bundesliga der Männer anschauen: Das ist m. E. in Deutschland in den Köpfen undenkbar, dass jetzt ein Spieler mehrere Monate fehlen würde, um auf sein Kind aufzupassen.

Ich kann’s ja auf der anderen Seite auch verstehen. Sie haben gar keinen Bedarf daran. Sie verdienen so viel Geld, dass sie sich Tagesmütter leisten können. Man muss sehen, von welchen Gehaltseinbußen sie leben würden. Wenn man jetzt ein „normales Gehalt“ von – sagen wir mal 3.000 Euro netto hätte – und man würde in der Elternzeit auf diese 1.500 Euro fallen, dann sag‘ ich: „Hey, ich kann das vielleicht verkraften“. Aber wenn ich netto ein Monatsgehalt von 40.000 Euro hätte und würde auf 1.500 Euro fallen, dann überlegt sich jeder normale Mensch, ob er das macht oder nicht..

Meiner Meinung nach sammeln die männlichen Profis über die Jahre schon sehr viel Geld an, also im Vergleich zu einer hohen Anzahl anderer Berufe. Sie sind dann einen gewissen Lebensstandard gewohnt, dass sie wohl auch anders leben.

Es ist ja auch für die Zukunft: Es geht dann nicht nur um einen Prozent der kompletten Arbeitszeit bis zum Alter von 67 Jahren, sondern es kann jeden Monat vorbei sein. Man kann sich jederzeit verletzen und es läuft vielleicht auf ein Karriereende hinaus. Man weiß, dass es eine natürliche Altersgrenze gibt. Klar gibt es einen japanischen Profi, der mit 56 Jahren immer noch spielt. Normalerweise ist zwischen 30 und 36 Jahren Schluss. Das kann man sich dann ausrechnen. Jeder normal denkende Mensch würde sagen: „Puh, wenn ich bis zu dem Zeitpunkt noch 500.000 Euro mehr scheffeln kann, die ich mir als Privatier auf die Seite lege“ – also, wenn sie es überhaupt machen – würde sich jeder dafür entscheiden. Deswegen ist es nachvollziehbar. Aber natürlich würde ich mich darüber freuen, wenn ein Mann sagen würde er geht jetzt in Elternzeit, um einfach ein Zeichen zu setzen. Weil er es sich leisten kann für zwei, drei Monate.

Wir hatten über die USA [1. Teil des Interviews siehe hier; Anm. von LS] gesprochen. Wie ist das: Ein Teil der Einnahmen des Angel City FC wird an soziale Zwecke gespendet?

Almuth Schult (3. von links) während ihrer Zeit in den USA. [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung] Foto: Angel City FC

Beim Angel City FC ist es so, dass zehn Prozent aller Sponsoreneinnahmen in soziale Projekte fließen müssen. Die Sponsoren können sich aussuchen, wohin. Es muss aber regional sein, also z. B. nicht in New York, sondern wirklich direkt in Los Angeles. Dadurch haben sie einen Mehrwert für die Region.

Wenn man sich vorstellen würde: Real Madrid, Manchester United und Bayern würden zehn Prozent ihrer Sponsoreneinnahmen nehmen und diese in soziale Projekte stecken, dann kämen Millionenbeträge zusammen. Das ist eine Eigenschaft von Angel City, die ich sehr bewundert habe.

War das ausschließlich in LA oder kennst du ähnliche Beispiele anderer Clubs in den USA?

Ich habe das das erste Mal bei Angel City gehört. Mir ist nicht bekannt, ob es schon Nachahmer gab. Aber dadurch, dass sie sich neu gegründet hatten, konnten sie Konzepte erstellen. Wenn du von Anfang an nur mit 90 Prozent planst, fehlt dir nichts im Haushalt. Aber du kannst dich noch einmal anders mit der Region identifizieren und wirst vermutlich auch nochmal eine andere Unterstützung aus der Region bekommen, weil die Menschen wissen: Mit jedem einzelnen Sponsor tun wir etwas für die Region. Und du willst ja immer eine Identifikation mit dem Verein haben.

Das kommt sehr sympathisch rüber. Hast du vor Ort etwas vom Kansas City FC erfahren – dass sie ein Stadion bauen? Sie wollen dort Stillräume integrieren und alles sehr modern gestalten.

Hab‘ ich mitbekommen. Sie haben noch nicht angefangen zu bauen, aber das Stadion ist in Planung. Dahinter steckt ein großer Investor. Sie haben bereits das Trainingsgelände gebaut. Das habe ich gesehen. In den USA ist es so, dass man bei Auswärtsfahrten immer beim Heimteam trainieren darf. Das wäre in Deutschland nicht möglich – dass plötzlich Dortmund kommt und sagt: „Ja, wir würden gerne an der Säbener Straße [Trainingsgelände des FC Bayern München; Anm. von LS] trainieren“. In den USA ist es im Tarifvertrag inkludiert, dass man den Heimtrainingsplatz für die Auswärtsteams zur Verfügung stellen muss, damit gleiche Bedingungen herrschen. Man muss dazu sagen: Es ist schön, dass das passiert. Aber es sollte auch mit Sinn und Verstand sein. Auf dem Trainingsgelände des Kansas City FC sind manche Dinge nicht funktional für den Fußball gewesen, weil es jemand geplant hat, der da nicht so dringesteckt hat. Ich bin gespannt, wie das Stadion letztendlich aussehen wird und hoffe, dass sie Fehlplanungen vermeiden.

Wie meinst du das im Detail?

Dass Räume nicht so groß waren, dass man sie für den Zweck nutzen konnte, der angedacht war. Was passieren kann, wenn das jemand außerhalb einer Mannschaft plant. Ich kenne Stadien, in denen der Physiobereich für die Mannschaft vergessen wurde und dies erst hinterher aufgefallen ist. Das gibt’s überall. Auch bei anderen Bauunternehmungen. Fehlplanungen wie vielleicht bei Stuttgart 21.

Aber so ein Physiobereich ist ja eigentlich ein Standard…

Es wird immer mal was vergessen, wenn ein Architekt damit keine Berührungspunkte hat. Es ist gut, wenn man das vorher abfragt. Deswegen, ja, Kansas City – aber sie sind ja nicht die einzigen. Man merkt, dass die neuen Lizenzen verkauft sind, dass die Liga auf 14 Mannschaften aufgestockt wird, und da stehen wieder Großinvestoren dahinter: Dort, wo in der Liga in den USA etwas neu gebaut wird, ist ein richtiger Boom. Es ist allerdings noch unterschiedlich, wenn man die Ost- und Westküste betrachtet. Gerade an der Westküste hat man das Gefühl, dass die Sportart richtig angekommen ist. Dort sind die Stadien nahezu immer ausverkauft.

In Orlando sind hingegen nicht viele Zuschauer. In North Carolina kommt es immer darauf an, welches Auswärtsteam zu Gast ist. Aber wenn man das mit Portland vergleicht, mit San Diego, mit Los Angeles, ist das ein ganz anderes Level.

Als Nächstes eine ganz allgemeine Frage: Was bedeutet Fußball für dich, wenn du es in drei Worten ausdrücken müsstest?

Zum einen ist Fußball für mich eine Gemeinschaft, was ich toll finde. Es wird nie langweilig, weil jedes Spiel anders ist und damit ist es immer etwas Neues. Und er ist auch immer Emotion. Das kann man nicht ausklammern. Ob man jetzt hier im Garten mit den Kindern spielt oder mit den Nachbarn auf dem Dorfplatz. Man wird immer Emotionen finden, das Spiel ist nie gleich und es ist immer ein Zusammenschluss von Menschen in kurzer Zeit. Wir haben im Urlaub erlebt, dass sich plötzlich innerhalb von ein paar Minuten ein Fünf gegen Fünf aufgetan hat, und wir dachten: „Hey, wir haben die Leute vorher nicht mal gekannt, wir können noch nicht mal ihre Sprache sprechen, aber wir können mit ihnen Fußball spielen.“ Das geht auch mit anderen Sportarten, aber der Fußball ist sehr leicht zu organisieren, weil man an sich keine Tore bräuchte. Man kann Schuhe oder Dosen oder Flaschen hinstellen und braucht nur einen Ball. Selbst in der Schule hat man mit einem Stein oder mit einer Dose gespielt. Es gibt an sich immer Möglichkeiten, Fußball zu spielen. Deswegen verbinde ich diese drei Begriffe damit.

Almuths Botschaft an fußballbegeisterte Mädchen: „Habt Spaß!“

Was würdest du jungen Mädels, die professionell Fußball spielen wollen – oder, ich will mich nicht darauf beschränken – Mädchen, die im Fußballbereich arbeiten wollen, mit auf den Weg geben wollen?

Das Wichtigste und was ich jedem auf den Weg gebe, ist immer, dass man Spaß haben muss. Man muss immer glücklich sein mit der Aufgabe, die man hat und mit dem, was man macht. Wenn man morgens aufsteht und sich schon quält – klar, gibt es auch solche Tage – aber wenn sich an 90 Prozent der Tage fragt: „Was mach‘ ich hier eigentlich?“, dann müsste man etwas verändern. Genauso sollte es im Fußball auch sein. Ob man dort arbeitet oder spielt: dass man seine Leidenschaft und seine Emotionen entwickelt und dann ist der Fußball als Familie normalerweise sehr dankbar.

Direkt nach den Punktspielen in Richtung Hochschule

Ist es richtig, dass du an der SpoHo [Deutsche Sporthochschule Köln; Anm. von LS] studiert hast? Wie konntest du das Studium und den Profifußball verbinden, weil du ja nicht durchgehend in Köln gelebt hast?

Almuth Schult stand beim VfL Wolfsburg im Tor. Nach ihren Spielen pendelte sie zur Deutschen Sporthochschule. [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung]
Foto: VfL Wolfsburg

Das stimmt. Ich habe während des Studiums zwei Jahre in Köln gewohnt. Danach bin ich gependelt. Zu der Zeit damals bin ich auch gependelt, weil ich nicht in Köln spielen konnte. In Köln gab’s da noch keinen Verein, der ein Frauenteam in der ersten Liga  hatte. Ich habe Sport und Leistung, also Trainingswissenschaft und Diagnostik, studiert bzw. ich muss noch meine Bachelorarbeit schreiben. Ich bin seit Jahren scheinfrei, aber ich habe mich noch nicht in die Bibliothek gesetzt. Es ist mein größtes Hindernis, mir mein Quellenverzeichnis herauszusuchen. Ich hasse das. Bis jetzt war es glücklicherweise noch nicht so, dass ich damit anfangen musste und es kamen viele andere Projekte rein, die spannend sind. Aber es ist noch nicht abgehakt, ich bin noch als Langzeitstudentin eingeschrieben. Das Studium an sich hatte ich relativ schnell fertig. In der Regelstudienzeit habe ich es dennoch nicht geschafft. Das hätte geklappt, wenn ich weiterhin in Köln gewohnt hätte. Aber mit meinem damaligen Verein Bad Neuenahr ging’s nicht weiter und somit bin ich von Wolfsburg aus gependelt. Ich habe auch vorher schon zwei Semester in Magdeburg studiert, konnte leider meine Credit Points nicht anrechnen lassen. Obwohl Bachelor und Master extra geschaffen worden sind: Kein Kurs wurde angerechnet, ich musste komplett von Neuem starten, weil die Sporthochschule sagte, dass bei ihnen die Prüfungen bestimmt schwerer seien.

Von Wolfsburg aus war es eine verrückte Pendelei für zwei bis drei Jahre. Da habe ich versucht, die Kurse abzudecken. Man hat an der Sporthochschule sehr viel Präsenzzeit, das heißt, man kann nicht sagen, dass man sich die Vorlesungen online anschaut oder nur durch die Papers durchgeht. Das funktioniert nicht. Ich bin zweimal pro Woche von Wolfsburg nach Köln zur Uni gependelt. Montags und donnerstags hatte ich Unitag. Das bedeutet: Ich bin immer im Anschluss an die Spiele, also jeweils am Sonntagabend von Wolfsburg oder Freiburg, oder wo auch immer das Auswärtsspiel war, direkt nach Köln gefahren. Dort war ich meist von 07:00 Uhr bis 19:30 Uhr. In die Mittagspause habe ich oft meine Regeneration oder mein Krafttraining reingelegt. Das durfte ich unabhängig von der Mannschaft am Olympiastützpunkt machen. Montagabends bin ich nach Hause gefahren, damit ich dienstags beim Training war. Mittwochs bin ich nach Champions League-Spielen auch nach Köln gefahren, um donnerstags einen halben, dreiviertelten Tag – meist bis 14:00 Uhr – in Köln zu verbringen und bin anschließend losgefahren, damit ich um 17:00 Uhr, 18:00 Uhr in Wolfsburg trainieren konnte. Freitags war ich wieder regulär im Training.

Wow. Richtig starke Sache.

Anders ging’s nicht. Bei einem Uniwechsel hätte ich vermutlich wieder von vorne beginnen müssen.

Das war noch nicht diese Fernstudienzeit, gell…

Überhaupt nicht. Es war so: Wolfsburg hat keine Uni, das nächste wäre Braunschweig, Magdeburg oder Hannover gewesen.

Welche Ziele hast du – wenn du auf die Zeit nach dem Profifußball blickst? Hast du schon etwas konkretes im Kopf? Vielleicht im Sportmedienbereich, weil du bereits einiges für das Fernsehen machst? Oder – da du aktuell die Kleinen im lokalen Verein trainierst – möchtest du eher eine Karriere als Trainerin einschlagen? Oder willst du dich noch nicht festlegen?

Ich bin da komplett offen, ich habe mich auf gar nichts festgelegt. Das würde ich nie machen. Ich habe einen Trainerschein und könnte jetzt in einem Nachwuchsleistungszentrum einsteigen. Zudem arbeite ich im Medienbereich, war oder bin ehrenamtlich tätig. Ich habe schon immer versucht, etwas neben dem Fußball zu machen. Auch als junges Mädchen. Im Alter von 14 Jahren habe ich meinen Schirischein gemacht und auch meinen ersten Trainerlehrgang.

Es gibt so viele andere Projekte, für die ich angefragt bin: Ob das jetzt „Fußball kann mehr“ ist oder eine Spielervereinigung, viele internationale Projekte. Mir wird nicht langweilig und ich bin froh, dass ich das jetzt in meiner vermeintlich fußballfreien Zeit Freiraum dafür habe. Aber wohin es geht, keine Ahnung. Vielleicht wird es ja noch etwas komplett anderes. Schauen wir mal.

DFB-Trainerausbildung: Als gemeinnützige Einrichtung muss man den Profi- und Amateurfußball abbilden

Zurück zum DFB. Wie siehst du die Entwicklung: Entfernt sich der DFB generell viel zu sehr von der Basis, vor allem mit diesem „Zurück an die Weltspitze“ – was m. E. eher aus dem Männerbereich kommt – oder findest du, dass er jetzt doch auch viel macht, mit der DFB-Akademie etc.? Ich sehe ehrlich gesagt die zwei Seiten der Medaille.

Jeder wird da seine subjektive Meinung haben, was vollkommen in Ordnung ist. Was man nicht abstellen kann in einer bunten Gesellschaft. Es gibt Menschen, die garantiert davon profitieren, dass sich der DFB umstrukturiert und dass er auch eine Akademie gegründet hat. Genauso wird es Menschen geben, die das total bescheuert finden.

Ich sehe manche Sachen, die ich echt gut finde, und es gibt Dinge, über die ich mich aufrege. Jetzt gerade gab es eine neue Diskussion in Richtung der Trainerausbildung: ein neu geschaffenes Punktesystem, was es für ehemalige Profispieler erleichtert in Trainerlehrgänge zu kommen. Allerdings ist es zweifelhaft für Menschen, die nicht so hoch gespielt haben, ob ihnen tatsächlich eine Chance gegeben wird. Wir haben für solche Menschen genug Beispiele in der Bundesliga. Der bekannteste ist wahrscheinlich Julian Nagelsmann. Er wäre mit dem Punktesystem vermutlich nicht derart eingestiegen in die Trainerlizenz. Das ist in gewisser Weise schade, weil der DFB sich irgendwie einen zweiten Zweig offenhalten muss, um die komplette Gesellschaft abzubilden.

Wie würdest du das regeln? Ich finde es brutal schwierig. Der DFB hat da ein Monopol inne, du musst die Lizenzen beim DFB absolvieren. Dann werden so wenige Leute in die Lehrgänge aufgenommen. Einen aktuellen Fall gibt es in Unterhaching: Der Verein ist in die Dritte Liga aufgestiegen. Marc Unterberger ist seit 2010 als Trainer bei der SpVgg Unterhaching tätig, hat von der U11 bis zur U19-Bundesliga bzw. U21 alles durchlebt. Er hat die A-Lizenz und identifiziert sich zu 100 Prozent mit dem Verein. Das erinnert ein bisschen an Julian Nagelsmann, der lange im Jugendbereich tätig war. Jetzt wird diskutiert, dass Marc Unterberger noch nicht einmal in den Fußballlehrer-Lehrgang aufgenommen ist. Der Verein ist seit Herbst 2022 in engem Austausch mit den Gremien des DFB und geht stark davon aus, eine gemeinschaftliche Lösung zu finden.

Das ist das Problem. Ich glaube, der DFB will gerne den Profifußball und den Amateurfußball abbilden. Von daher muss er auch zwei Zweige schaffen. Warum denn nicht? Du kannst ja zu einem Lehrgang eine gewisse Anzahl an ehemaligen Profis zulassen und dann hast du noch ein anderes Zulassungsverfahren für die „Amateure“ in dem Sinne. Dass man guckt: Wie lange arbeitet man schon im Verein, wie viele verschiedene Jugenden hat man trainiert? Was ist vielleicht auch als Rückmeldung von dem Verein als eine Art Zeugnis herausgekommen?

Man hat nicht umsonst in den vorherigen Lizenzlehrgängen Empfehlungen bekommen für eine vermeintliche höhere Lizenz oder nicht. Welche Punkte hat man erreicht? Das System war nicht komplett falsch. Sonst wären deutsche Trainer im Ausland nicht derart angesehen. Auf der anderen Seite muss man auch zu Gute halten: Natürlich ist es für einen Sportwissenschaftler leichter, Dinge in der Trainerlizenz zu adaptieren als für jemanden, der vielleicht eine BWL-Ausbildung hat. Aber wo ist da das Kriterium, wenn jemand etwas mit Leidenschaft macht? Und Fußballtalent in dem Sinne, dass du selbst spielst, das muss dir in die Wiege gelegt sein, weil es etwas Körperliches ist. Aber du kannst trotzdem einen Fußballverstand entwickeln und den sollte man nicht zu niedrigschwellig ansetzen.

Ich bin da auch sehr zwiegespalten und würde mir wünschen, dass der DFB es schafft, Amateure und Profis abzubilden. Das ist auch der Wunsch von vielen Vereinen: dass man auch als Amateur gehört wird, dass die Landesverbände gehört werden. Das darf der DFB definitiv nicht verlieren. Aber natürlich ist eine qualitative Auswahl immer mit mehr Aufwand und Ressourcen verbunden und dadurch schwieriger breit gefächert und gerecht zu gestalten.

Es sind viel zu wenige Plätze vorhanden, das ist definitiv ein Problem. Klar wird man nie alle reinbringen, weil einfach viel zu viele den Lehrgang machen wollen. Aber es sind extrem wenige Plätze… (nachdenklich)

Ja, und es ist mittlerweile wirklich teuer. Wenn du für die A-Lizenz 10.000 Euro bezahlen sollst – wer kriegt’s hin? Es gibt immer Verbesserungspotenzial und eigentlich ist es gut, wenn nicht die breite Masse meckert, sondern nur vereinzelte Leute. Man allerdings zur Zeit das Gefühl, dass  die breite Masse meckert. Hoffen wir mal, dass die Stimmung wieder besser wird, und der DFB seinen Auftrag als gemeinnützige Einrichtung erfüllt.

Vielen Dank für deine Zeit, Almuth!

Almuth Schult: Profi mit klaren Forderungen für den Fußball

In der Saison 2022/2023 spielte Almuth Schult für den Angel City FC. [unbezahlte Werbung wegen Markenerkennung]
Foto: Angel City FC

Mit dem VfL Wolfsburg hat sie die Deutsche Meisterschaft, den DFB-Pokal und die Champions League gewonnen. Mit dem Nationalteam wurde sie Europameisterin, U20-Weltmeisterin und Olympiasiegerin: Almuth Schult. Doch vor allem ist sie eine starke Persönlichkeit mit klaren Forderungen und Ansichten, die sich auch abseits des Platzes für die Fortschritte im Fußball einsetzt. Sei es als Teil der Initiative „Fußball kann mehr“ oder als Trainerin der Bambinis in ihrer Heimat. Sie hat viel erlebt und eine Menge zu sagen. Almuth zeigt uns eine Vielzahl an aktuellen Themen auf. Dieses Gespräch kann uns alle zum Nachdenken anregen: Warum wurde das WM-Eröffnungsspiel in ein anderes Stadion verlegt? Welche Potenziale wurden im Fußball noch nicht genutzt? Warum lässt die VDV keine Frauen als aktive Mitglieder zu – und dies im Jahr 2023? Weshalb arbeitet keine Sportdirektorin im Profifußball der Männer?
Doch es gibt noch deutlich mehr Fragen, die wir uns stellen können. Das Interview ist sehr umfangreich geworden, weshalb ihr Almuths Ausführungen in zwei Teilen nachlesen könnt. Denn hier gibt es den Raum für solch relevante Themen. Die zweite Hälfte findet ihr hier. Und jetzt „Anpfiff für die erste Interviewhalbzeit…“

Kommen wir gleich zur Weltmeisterschaft. Wie groß ist deine Freude hinsichtlich der WM – auch, wenn du diesmal auf Grund eines schönen Grunds [Almuth Schult ist schwanger; Anm. von LS] nicht mitspielst? Wie verfolgst du die Spiele? Was ist dein Plan? Der kann sich ja eventuell ein bisschen anders entwickeln (lacht)?!

Ich bin sehr gespannt. Natürlich werde ich versuchen, so viele Spiele wie möglich zu verfolgen. In der Vorbereitung haben die Spiele ein paar überraschende Ergebnisse gebracht. Wenn wir uns Deutschland gegen Sambia angucken. Aber auch Haiti oder Marokko haben ein bisschen aufhorchen lassen. Es war mal die Frage: Können die „Kleinen“ denn auch mithalten? Von den Vorbereitungsspielen her würde man sagen: Ja. Und jetzt ist man gespannt, was bei der WM herauskommt. Von daher: Gucken wir mal. Es ist nur ein bisschen komisch, dass die Spiele am Vormittag laufen, das sind wir Europäer oftmals anders gewohnt Auf jeden Fall ungewöhnlich für die Spielerinnen sind die Temperaturen vor Ort, denn es ist Winter am anderen Ende der Welt.

Zumindest ist die Ausrichtung in Australien und Neuseeland besser als ein Stattfinden in Katar, wenn man auf die WM 2022 zurückblickt…

Das auf jeden Fall. Stattdessen würde man sich mit dem, was dahintersteht, vielleicht eine WM in Frankreich wünschen, bei welcher die Anstoßzeiten zur Primetime wären.

„Die Verlegung eines WM-Eröffnungsspiels hat es zuvor noch nie gegeben“

Was wünscht du dir von dem „Drumherum“, wenn du jetzt auf die EM 2022 zurückblickst, wie du sie erlebt hast? Gerade wie sich der Fußball der Frauen entwickelt. Wie denkst du kommt die Euphorie, die Atmosphäre in Australien und Neuseeland an, und was wird sich unabhängig vom Abschneiden des deutschen Teams bei uns im Land tun?

In Australien und Neuseeland ist das ein riesen Ding. Schon seit Jahren, seitdem die Vergabe dort hingegangen ist. Die Matildas [Bezeichnung für das australische Nationalteam; Anm. von LS] bemerken eine 100-prozentige Steigerung, also es wird wohl letztendlich eine 400-prozentige Steigerung von Zuschauern sein, die da in den letzten Jahren stattgefunden hat. Da ist ein großer Hype, was auch gut so ist. Und das hat man ja schon im Vorfeldgesehen: Die Verlegung des Eröffnungsspiels – das hat es so bei einer WM noch nie gegeben! Das hab‘ ich auch bei den Männern noch nie gehört, dass das passiert ist: Dass man einfach gesagt hat: „Ok, dann gehen wir in ein größeres Stadion und passen uns an die Potenziale an.“ Das finde ich super und es zeigt, dass sie bedarfsgerecht agieren und nicht so festgefahren sind als Organisator, sondern diese ganze Sache leben und sich zudem gesellschaftspolitisch eingemischt haben. Das Organisationskomitee hat Saudi-Arabien als Sponsor abgelehnt. Das ist meines Wissens nach das allererste Mal gewesen, dass das ein Ausrichter eines Großsportereignisses gemacht hat. Von daher sehe ich eine super Grundlage für ein tolles Turnier. Auch von der Stimmung her. Das Einzige, was man sieht: In Neuseeland, gerade auf der Südinsel, ist das Wetter nicht WM-gerecht. Es können 4 Grad herrschen, plus Regen.

Mit einer dicken Jacke im Stadion zu sitzen – da stellt man sich dann doch etwas anderes vor. Die Mädels können  froh sein, dass sie rund um Sydney unterwegs sind, dass dann vielleicht mal ein T-Shirt- und kurze-Hosen-Wetter aufkommt. In Deutschland liegt trotzdem ein Fokus auf diesem Turnier. Das haben auch die Spielerinnen gemerkt: Hinsichtlich des Presseaufkommens und der Sponsoren. Ich hoffe, dass wieder dieser Funke von der Mannschaft überspringt. Der war in den beiden Vorbereitungsspielen leider noch nicht komplett da. Aber letztes Jahr bei der EM konnten sich die Menschen mit der Art und Weise, wie wir auf dem Platz auftreten, wie wir als Mannschaft auftreten, identifizieren. Und diese Identifikation ist das, was vielen in der Bevölkerung irgendwie ein bisschen fehlt. Sowohl mit der Männer-Nationalmannschaft als auch zum Teil mit der Männer-Bundesliga. Obwohl diese Saison durch das Schwächeln der Bayern etwas spannender war – aber diese Identifikation… Es wäre schön, wenn wir die in Deutschland wieder spüren würden. Dann wäre es ein erfolgreiches Turnier. Dann kann das wieder ein Schritt nach vorne sein in der Sportart.

Nach eurer Rückkehr von der EM in England haben einige von euch gesagt, dass sie das von England aus ganz anders wahrgenommen haben, also welche Euphorie ihr in Deutschland entfacht habt. Ihr wart wieder hier und habt diese Begeisterung erlebt. Inwieweit ihr danach zu den Vereinen an der Basis Kontakte und gesehen, was sich dort bewegt hat im Hinblick auf die steigenden Zahlen an Mädels, die in die Vereine eintreten wollten? Als der DFB „ach so überrascht war“ und wohl auch komplett überrollt wirkte, dass so viele Mädels Fußball spielen wollten und m. E. ziemlich überfordert wirkte oder war dies eher so: „Ok, man hat es ein bisschen über die Medien mitbekommen“. Wie hast du das wahrgenommen?

Ganz unterschiedlich natürlich. Es gibt Spielerinnen unter uns, die Kontakt in die Heimatregion haben und diese sehr engagiert ist und dort etwas entstanden ist. Genauso gibt es welche, die das nicht mitbekommen haben. Es gibt Vereine, die sagen: „Bei uns ist überhaupt nichts angekommen. Alle reden immer vom Aufschwung, aber bei uns ist das eigentlich rückläufig und es werden Mannschaften abgemeldet“. Das stimmt leider ebenso. Das würde ich überhaupt nicht bestreiten. Es ist nicht in jeder Region so, sondern es kommt auf den Landesverband an. Es ist davon abhängig: Wie engagiert sind Kreisverbände? Es ist vielleicht auch durch das Engagement von Sponsoren bedingt, von denen ein Antrieb kommen kann. Und von den handelnden Personen in den Vereinen. Deshalb gibt es Regionen, die einen richtigen Aufschwung erlebt haben, und es gibt leider welche, in denen der Trend fortgesetzt wurde und noch weniger Frauen und Mädchen am Spielbetrieb beteiligt sind.

Aktuelle Effekte im Fußball der Frauen

Ich habe es durch die neu gegründete Bambinigruppe bei mir im Heimatverein, die ich mittrainiere, am eigenen Leib erfahren. Dort ist der Mädchenanteil sehr hoch, 50/50 schätze ich. Das kann vielleicht damit zusammenhängen, dass ich Trainerin bin. Das weiß ich nicht. Aber hier sieht man, dass es nicht nur einzelne Mädels sind, die Fußball spielen wollen, sondern dass sich wirklich eine ganze Gruppe zusammenfindet und es den Kindern vollkommen egal ist, ob es Jungs oder Mädchen sind. Die wollen einfach zusammen Sport machen und Spaß haben. Und man sieht es genauso auf anderen Ebenen: Wenn man auf die Landesverbandsebene geht. Ich war ganz begeistert von den Aufstiegsspielen Regionalliga / 2. Bundesliga, wie viele Zuschauer vor Ort waren. Bei Viktoria Berlin genauso wie beim Hamburger SV. Dass beide Heimspiele ausverkauft waren. Gladbach hat im Borussiapark gespielt, Elversberg hatte ein volles Stadion. Dann kommen dazu auch Landespokalfinals. Also Hamburg beispielsweise mit St. Pauli war einfach mit 3.882 Zuschauern ausverkauft beim Landespokalfinale. So etwas hat’s vorher noch nicht gegeben. Da sehe ich auch einen Effekt. (freut sich) Diese Effekte gibt es auf verschiedenen Ebenen, aber noch nicht überall. Ich bin froh, dass es sie gibt und hoffe, dass es so weitergeht. Aber es tut mir auch immer leid um die Vereine, die selbst sagen, sie spüren den Effekt nicht.

Oder so ein Fall wie Turbine Potsdam…

Ja, aber das mit Potsdam lag nicht an der Europameisterschaft, sondern Jahre zurück, wie die Weichen dort gestellt bzw. nicht gestellt worden sind. Das hat sich dann angekündigt. Eigentlich war die Saison davor mit der Fast-Qualifikation für die Champions League eine Überraschung.

Für Andernach und Potsdam ist das schon schwierig… Da die Balance zu finden.  

(Almuth lacht, winkt und blickt an der Kamera vorbei)

Sind deine Zwillinge grad draußen unterwegs?

Nein, meine Mutter, die durch den Garten läuft. (wir lachen)

Wenn du Bayern, Wolfsburg, Frankfurt und Hoffenheim anschaust: Ich sehe diese Lücke zu den anderen Vereinen und bin gespannt, wie sich das entwickelt.

Frankfurt hat sehr aufgeschlossen. Sie haben die Saison letztendlich auf einem guten Platz abgeschlossen, haben sehr viele Punkte gesammelt und entwickeln sich infrastrukturell stark weiter. Da bin ich gespannt, was noch an Transfers passiert. Man hat jetzt einige Nachrücker, die gerne noch etwas machen wollen, die es vielleicht ernster nehmen, also beispielsweise mit Leipzig. Ich bin gespannt und habe eher das Gefühl, dass der Abstand geschlossen wird. Du hast immer zwei Vereine, die vornewegmarschieren. Es gab Zeiten, wo es Potsdam und Frankfurt waren. Dann waren es Potsdam und Duisburg. Aber es gab stets zwei Vereine, auch vor Bayern und Wolfsburg, die unter sich den Titel ausgemacht haben. Vielleicht maximal drei. Und jetzt sehe ich Potenzial, dass sich die Liga ein bisschen auffächert. Dass es spannender wird. Weil Hoffenheim schon mal in der Champions League mitgespielt hat. Und jetzt hat man mit Frankfurt jemanden – mit dem man – nicht bis zum letzten Spieltag, aber davor – stark konkurriert hat. Bei anderen Vereinen wie bei Leipzig oder Köln sehe ich Potenzial, dass diese Bemühungen langfristig bleiben könnten.

Ich meinte jetzt eher auf die Bundesligaclubs Sand, Andernach und Potsdam bezogen – die jetzt da nicht derart die Möglichkeiten haben mit den Vereinen, bei denen die Männerteams schon lange in der Bundesliga spielen, in der nahen Umgebung…

Ja, das ist so. Aber man muss sagen: Da fehlte vielleicht auch der Mut, zu investieren. Klar haben sie einen anderen Hintergrund als die Lizenzvereine. Aber auch bei Essen merkt man, dass sie etwas tun wollen, dass sie im Austausch sind, um sich hinsichtlich neuer Trainingsanlagen und eines Leistungszentrums mit der Stadt abzustimmen. Potsdam hatte jahrelang Vorsprung vor Bayern, Wolfsburg und Co. Allein mit ihrem Internat. Sie haben nun im Nachhinein nicht genug aus diesen Möglichkeiten gemacht und man kann bei Potsdam nicht sagen, dass sie die Sponsoren in der Region nicht gehabt hätten. Sie haben schon vor zehn Jahren infrastrukturell und vom Gehalt her Dinge geschaffen, die viele erst aufholen mussten. Sie sind bloß einfach in ihrer Entwicklung stehen geblieben und waren eher mit Auseinandersetzungen beschäftigt – auch mit Babelsberg –  anstatt vielleicht lösungsorientiert zu handeln. Das ist schade. Aber man darf sich nicht immer nur dahinter verstecken: Ja, die Lizenzvereine. Man hat das mitunter selbst in der Hand.

Auch der 1. FFC war so weit vorneweg in Frankfurt. Da sind vielleicht ein paar Investitionen in die falsche Richtung gelaufen. Ansonsten hätte man das gar nicht aufholen können. Ich meine: Fast die ganze Nationalmannschaft hat beim 1. FFC Frankfurt gespielt. Wenn man das schon mal gehabt hat, verschwindet das nicht auf einen Schlag. Es hat nicht am Geld gelegen, sondern daran, dass sich infrastrukturell nichts bewegt hat..

„Für einen professionellen Spielbetrieb braucht es ein Mindestgehalt“

Fußballprofi Almuth Schult fordert: Für einen professionellen Spielbetrieb braucht es ein Mindestgehalt“. Foto: DFB

Wo siehst du generell noch Potenzial? Was würdest du dir vom DFB wünschen für den Fußball der Frauen, oder von den Landesverbänden und von den Vereinen?

Für den Profibereich müssen sie einfach mal Lizenzauflagen erstellen, die einen professionellen Spielbetrieb gewährleisten. So wie es in England oder in den USA der Fall ist. Dass Regularien erlassen werden über ein Mindestgehalt, über höhere Mindestanforderungen, über eine gewisse  Infrastruktur an die Vereine. Auch mit einer guten Qualität. Das ist wichtig.

Im Hinblick auf die Landesverbände etc.: Es geht um eine gleichberechtigte Förderung von Mädchen und Jungen in allen Bereichen. Egal, ob das in den Stützpunkten ist. Egal, ob es in den Auswahlmannschaften ist. Es darf nicht passieren, dass man bei der Kreisauswahl bei den Jungs Fahrgeld gibt und bei den Mädchen nicht. Oder dass irgendwo bei den Mädchen keine Trainingsklamotten zur Verfügung gestellt werden. Dass die Vereine darauf schauen, dass jeder Trainer eine Aufwandsentschädigung bekommt und nicht nur die der männlichen Teams. Man sollte den gemeinnützigen Auftrag der Vereine auch in dem Zusammenhang leben und nicht nur nach der Generierung von Profit gehen.

(Fehlende) Frauen im Profifußball der Männer

Der Bayerische Fußballverband fördert aktuell Trainerinnen. So wurde ein B-Lizenz-Lehrgang für Frauen von der UEFA und vom Verband finanziert. Wenn du jetzt ein bisschen die Perspektive wechselst: Wie nimmst du das wahr, dass vielleicht auch Frauen in Managementpositionen kommen könnten?
Was mir in der Medienwelt fehlt: Es wird meist über die Trainerinnenpositionen geschrieben. Aber dass Frauen im Profifußball der Männer auch in Managementpositionen vorangehen? Mir hat das immer gefehlt. Bis auf Katja Kraus…

Man muss jetzt einmal unterscheiden zwischen Management, Sportdirektion und Geschäftsführung. Im Management an sich, im Teammanagement sind ein paar Frauen. Bei Bayern etc.
Es ist bloß wirklich so: Die GeschäftsFÜHRUNG ist vakant. Da gibt es soweit ich weiß keine Geschäftsführerin in der 1. und 2. Liga. Mittlerweile gibt es Präsidentinnen oder weibliche Aufsichtsräte. Aber in der Geschäftsführung an sich oder vor allem auch in der sportlichen Leitung gibt es keine Frauen. Das meinst du wahrscheinlich damit?

Ja, genau.

Das wäre wichtig, das sehe ich auch so. Ich hoffe, dass mal ein Verein den Mut hat und sagt: „Jo, ich stelle jetzt mal eine Geschäftsführerin ein“.
Bisher gibt es nur solche Plätze wie Finanzvorstand etc., die von einer Frau besetzt werden. Zum Beispiel bei Schalke…

Und bei Darmstadt 98.

Aber diese wirklich leitende sportliche Position ist noch nie von einer Frau im Profifußball der Männer besetzt worden.

Denkst du, dass dahingehend Hürden bestehen? Mein Eindruck ist, dass es oft diese Bedenken gibt – jetzt sind wir beim Thema: „Teilzeit und Kinder“…
Ich persönlich habe das Gefühl, dass hier mehr als 100 Prozent erwartet werden. Also quasi mehr als 24/7 nur für den Verein. Da fliegt man dann auch mal mitten im Urlaub für ein Spiel [s. Beispiel im Interview mit Christian Heidel] zurück. Dass das noch in den Köpfen „dieser Generation Männer“ drinnen ist? Wobei da ja Jüngere nachkommen.

Ganz sicher! Man sucht als Mensch zwangsläufig immer – wenn man von sich selbst überzeugt ist, dass man einen guten Job gemacht hat – nach jemandem mit dem gleichen Profil. Wenn die Männer dies tun, dann fällt halt das andere Geschlecht schon mal raus. Da ist die Frage: Wer bestimmt die Nachfolge und wie ist sie gestaltet? Da sind wir doch in einem sehr konservativen Prozess im Fußball. Und da müssen einem vielleicht die Augen geöffnet werden: Manchmal sind es Kleinigkeiten, sind es Erfahrungen, die dann helfen, etwas zu ändern. Ich hoffe darauf. Man merkt, dass ein kleiner Wandel stattfindet. Auch im Fußball. Obwohl der Fußball in vielen Dingen noch nicht so weit ist, wie er immer selber denkt.

„Die VDV lässt keine Frauen als aktive Mitglieder zu. Und das im Jahr 2023.“

Nun ein kleiner Bruch. Ich habe dich über die Plattform „Fußball kann mehr, Wir können mehr“ kontaktiert. Was hältst du von Initiativen wie dieser? Soweit mir bekannt ist, gab es von euch Spielerinnen einen Zusammenschluss. Was hat sich diesbezüglich bewegt? Welche Punkte wollt ihr angehen? Wünscht ihr euch mehr Mitbestimmung?

Zusammenschlüsse können viel bewirken „Fußball kann mehr“ hat auch schon ein bisschen was bewegt. Selbst wenn’s nur die Wahrnehmung in so manchem Verband oder Verein ist.

In Richtung Spielerinnen: Es ist nun mal so, dass wir im internationalen Vergleich deutlich hinterherhinken. Nahezu jedes Land hat eine Spielerinnengewerkschaft, Spielerinnenvereinigung, wie auch immer man dies nennen möchte – also eine Players‘ Union. Und das auf allen Ebenen: sowohl auf der der Liga als auch auf der der Nationalmannschaft. Wir haben das in dem Sinne nicht. In Deutschland wird immer kolportiert, dass die VDV [Vereinigung deutscher Vertragsfußballer; Anm. LS] da ist. Aber die VDV lässt keine Frauen als stimmberechtigte Mitglieder zu. Und das im Jahr 2023. Was ziemlich peinlich ist. Wir waren mit der VDV im Austausch. Dies hat aber nicht zu einer fruchtbaren Partnerschaft geführt. Aus diesem Grund sind wir jetzt dabei uns selbst zu organisieren, auch mit der Erfahrung, die man in anderen Ländern gesammelt hat. Weil wir Spielerinnen haben, die international gespielt , und gesagt haben, DIE Gewerkschaft ist die Stimme der Spielerinnen, die etwas transportiert, die sich für Sachen einsetzt und die genau diesen Effekt von einer gemeinsamen Meinung abbildet. Wenn man einzeln losgeht, kann man einzeln bestraft werden und vielleicht wird man dann auch nur einzeln gehört. Das soll nicht der Fall sein. Jemand muss sich für die Belange der Spielerinnen einsetzen. Das ist in Deutschland in den letzten Jahrzehnten wirklich zu kurz gekommen.

Den zweiten Teil des Interviews mit Almuth Schult findet ihr unter diesem Link.

Interview mit Kim Krämer und Uli Hofmann vom FC Bayern-Fanclub Rollwagerl 93 e.V.

In der aktuellen Ausgabe des BBAG-Magazins habe ich einen Artikel über den Rollwagerl 93 e.V. veröffentlicht. Da die Themen „behindertenfreundliche Stadionausstattung“ und „Tickets für Fans mit Behinderung“ sehr bedeutend und vielseitig sind, habe ich mich entschieden, noch ein ausführliches Interview mit dem aktuellen und ehemaligen Fanclub-Vorsitzenden Kim Krämer und Uli Hofmann zu führen. Im Folgenden erfahrt ihr also noch mehr über den Rollwagerl 93 e.V….

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Kim Krämer (l.) und Uli Hofmann sprachen mit mir über den Rollwagerl 93 e.V. und darüber, was andere Bundesligisten bzgl. ihrer behindertengerechten Stadioneinrichtung noch verbessern können. Foto: Lisa Schatz

Lisa Schatz: Servus Kim und Uli, in eurem zweiten Zuhause, der Allianz Arena. Bitte beschreibt zunächst einmal euren Fanclub. Was zeichnet den Rollwagerl 93 e.V. aus?

Kim Krämer: Unser Fanclub ist wie eine Familie. Man ist mittendrin statt nur dabei. Bei uns ist es so: Wenn jemand etwas machen will, dann versuchen wir, denjenigen ins Boot zu holen. Ersen Tekin, unser TV-Melder, wollte etwas machen. Wir haben also eine Seite auf unserem Internetauftritt installiert, auf der er eingeben kann, wann und wo die Spiele des FC Bayern bzw. deren Zusammenfassungen übertragen werden. Zudem sind wir einer der zwei größten Behinderten-Fußballfanclubs in Europa. Der MUDSA (Manchester United Disabled Supporters‘ Association) hat aktuell (Stand: 10.02.2019) auch ca. 900 Mitglieder.

Uli Hofmann: Der Rollwagerl 93 e.V. ist eine wichtige Ergänzung in der Fanszene und für den FC Bayern an sich, weil die Damen und Herren dort nicht wissen können, worauf es ankommt. Wenn irgendetwas gemacht werden muss, was die Rollstuhlfahrer betrifft, kannst du fragen, wen du willst beim FC Bayern: Jeder verweist mittlerweile auf uns. Da halten sie sich komplett raus. Das ist ein guter Vertrauensbeweis.

Lisa Schatz: Könntest du bitte ein konkretes Beispiel nennen, um das den Leser*innen genauer zu verdeutlichen, Uli?

Uli Hofmann: Bis hin zum Klopapier haben wir uns um alles gekümmert. Diese Haltebügel links und rechts an den Behindertentoiletten mit dem angebauten Klorollenhalter haben den Vorteil, dass sie mit einer einzigen Hand bedient werden können, ohne dass das Papier herunterfällt und wegrollt. Diese Klorollenhalter wurden angebracht, da manche Menschen mit Behinderung Einschränkungen in der Fingerfunktion haben. Zwischendurch wurden große „Turborollen“ verwendet, wie sie auf den Standard-Toiletten üblich sind. Diese zeichnen sich jedoch durch einen großen Durchmesser und passen nicht auf diese speziellen Klorollenhalter. Diese Rollen kann man auf den gängigen Toiletten hernehmen, nicht aber auf den Behindertentoiletten. Die zuständigen Bediensteten haben anfangs gefühlte sieben Kilometer abgerollt, bis die jeweilige Rolle zunächst darauf passte. Das nutzte aber nichts, weil die inliegende Papprolle einen größeren Durchmesser hatte als die Steckvorrichtung. Somit konnten die Menschen mit der entsprechenden Einschränkung das Klopapier nicht einhändig abrollen. Außerdem fiel die Rolle mangels Halt ständig auf den Boden. Wir haben dann erfolgreich das Gespräch mit den Entscheidungsträgern gesucht. Heute wird nur noch geeignetes Klopapier (d.h. Standard-Rollen) dafür verwendet.

Lisa Schatz: Wie ist es mit den anderen Stadien?

Kim Krämer: Mit der „Toilette für alle“ sind in Deutschland nur die Allianz Arena, die Wirsol Rhein-Neckar-Arena und die Mercedes-Benz Arena ausgestattet. Wichtig für uns ist natürlich auch die Sicht aufs Spielfeld und die Anzahl der Plätze. In Hoffenheim beispielsweise wäre eigentlich alles in Ordnung, aber dort sitzen Menschen direkt vor dir. Sie stehen oft auf und dann sieht man nichts mehr. Ein großes Problem ist zudem: Wenn bei Auswärtsfahrten die zehn-Prozent-Regel gilt, dann stünden uns in Hoffenheim nur vier Tickets zu. Deshalb müssen wir immer mit dem jeweiligen Behindertenfanbeauftragten sprechen, ob man nicht noch Tickets dazu nehmen kann. Es wäre schließlich schwierig, eine Fahrt mit einem Reisebus zu machen, und nur vier oder fünf Rollifahrer mitnehmen zu können. Da ist Berlin natürlich erste Sahne. Im dortigen Olympiastadion sind alle Rollstuhlfahrerplätze im Block der Gastmannschaft. Das heißt, da bekommt Bayern dann an die 30. Berlin ist für uns also immer ganz toll. Dorthin haben wir schon Fahrten mit zwei Reisebussen gemacht. Die Planung ist immer enorm aufwendig für vier Tage. Auch finanziell, wo wir inzwischen ein super Netzwerk zu Sponsoren und zum Sozialreferat aufgebaut haben. Der FC Bayern und die Allianz Arena sowie der AUDI-Fanclub FC Bayern und Rehability sponsern uns. Zudem zahlt unser langjährigster und größter Unterstützer Raimond Aumann auch noch einen Bus. In einen Bus passen zehn bis elf Rollifahrer, je nachdem, wie er ausgestattet ist.

Uli Hofmann: In Bezug auf die Sicht aufs Feld sind wir in München wirklich Vorreiter.

Wenn man nach Dortmund blickt: Dort wurde immer wieder nachgerüstet. Zum Beispiel für die WM 2006. Damals wurden neue VIP-Zonen und eine neue Ebene für die Presseplätze errichtet. Aber für Rollstuhlfahrer ist immer alles gleich geblieben. Das Stadion hat 81.000 Sitzplätze, davon sind 72 Rolliplätze. Das sind weniger als 0,1 Prozent. Ein Armutszeugnis.

Oder auch Schalke. Das Stadion in Gelsenkirchen ist noch relativ neu. Darin sieht ein Rollifahrer aber nichts, wenn die Fans vor ihm aufspringen. Es herrscht nach wie vor sehr viel Nachholbedarf, egal, wohin man blickt.

Lisa Schatz: Wie sieht es mit Hoffenheim aus?

Uli Hofmann:. Dort ist die Situation ähnlich wie in Berlin. Obwohl Dietmar Hopp sozial engagiert ist und auch eine Stiftung hat, wurde beim Neubau des Stadions einiges versäumt: Man sieht auch hier nichts vom Spielgeschehen, wenn die Zuschauer vor einem kollektiv aufspringen! Bei unserer ersten Auswärtsfahrt dorthin habe ich nichts vom Tor gesehen. Wenn da ein Tor gefallen ist, und die Fans vor mir aufgesprungen sind, habe ich nur den Jubel gehört. Ich war total frustriert. Beim nächsten Mal hat deren Behindertenbeauftragter persönlich mit den Fans in der Reihe vor uns Kontakt aufgenommen und sie gebeten, sitzen zu bleiben, damit wir etwas sehen. Das hat sehr gut funktioniert.

Lisa Schatz: Lasst uns zu eurem Fanclub kommen. Wer kann bei euch Mitglied werden und wie funktioniert das?

Kim Krämer: Bei uns kann jeder Mitglied werden, inzwischen sogar online. Man kann eine Online-Maske ausfüllen und ist dann direkt im System registriert. Im Anschluss erhält man eine Benachrichtigung per E-Mail.

Lisa Schatz: Nun zu eurem Ticketingsystem. Wie wurden die Tickets früher vergeben und wie hat sich das Ganze entwickelt?

Kim Krämer: Unser Fanclub wurde ja auf Grund der schlechten Kartenverteilung gegründet. Das erste Ticketingsystem von Peter Czogalla war rein telefonisch. Das war eine Katastrophe für seine Frau, weil das Telefon den ganzen Tag klingelte. 2005 hat Uli Hofmann den Vereinsvorsitz und das Ticketing übernommen. Er hat eingeführt, dass die Bestellung der Tickets nur noch per Anrufbeantworter, Fax, E-Mail und Post läuft. Ich habe das Ganze dann 2008 fortgeführt. Zunächst habe ich nichts verändert,  dann jedoch an einem Konzept gearbeitet, dass wir online und automatisiert Tickets anbieten können. Das steht jetzt. Wir sind nun der erste Fanclub eines Bundesligisten, der Online-Ticketing speziell für Menschen mit Behinderung anbietet. Auch keiner der Bundesligavereine selbst macht dies.

Lisa Schatz: Wie läuft euer Online-Ticketing im Detail ab?

Kim Krämer: Die Bestellfrist startet einen Monat vor dem Spieltag und endet zwei Wochen vor dem Spieltag. In diesen zwei Wochen kann man sich online bewerben.  Wer Mitglied ist, muss einfach auf unsere Ticketingseite gehen, dort seinen Namen und seine Mitgliedsnummer eingeben. Wenn man seine Bestellung abgeschickt hat, erhält man direkt im Browser eine Nachricht: „Ihre Auftragsnummer ist XY. Sie werden rechtzeitig informiert“. Der Kunde sitzt am PC, schickt seine Bewerbung ab, und wir haben zeitgleich die Anfrage als Kundenauftrag im System. In dem Ticketingsystem „add on“ von SAP Business One, das 5.500 € gekostet hat, sind alle Heimspiele verzeichnet mit jeweils 50 Tickets auf der Ost- und auf der Westseite in der Allianz Arena. Ich kann diese dann zuweisen und sehe direkt, ob jemand die letzten drei Heimspiele schon gesehen hat, oder zwei davon. Umso mehr jemand von den vergangenen drei Heimspielen gesehen hat, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass derjenige eine Absage für das folgende bekommt. Hat man im vergangenen Spiel eine Absage erhalten, ist es in der Regel so, dass man für das darauf folgende Spiel wieder eine Zusage bekommt. Es sei denn, es geht auf das Ende des Jahres zu, und Dortmund und Real Madrid spielen beispielsweise hintereinander in der Allianz Arena. Die Karten für diese Gegner sind sehr gefragt. Dann kann es passieren, dass jemand zwei Absagen hintereinander erhält. Das System wird sehr gut angenommen: Aktuell kommen noch ca. fünf Bestellungen pro Spiel per E-Mail, der Rest macht alles online.

Lisa Schatz: Wie viele Anfragen habt ihr in etwa pro Spiel vorliegen und wie viele Plätze könnt ihr vergeben?

Kim Krämer: Wir sind immer ausgebucht. Sollten einmal nicht alle Tickets an unsere Mitglieder vergeben worden sein, so stehen wir mit Einrichtungen in Kontakt, von deren Seite Interesse besteht, und an die wir die Tickets dann verteilen. Insgesamt gibt es in der Allianz Arena 227 Plätze für Menschen mit Behinderung. Davon hat der Rollwagerl-Fanclub 100. Den Rest verwaltet der FC Bayern.

Lisa Schatz: Unternehmt ihr auch Fahrten zu Auswärtsspielen?

Kim Krämer: Wir versuchen immer, wenn es finanziell machbar ist, mehrtägige Auswärtsfahrten zu machen und im Rahmen der Reisen ein Kulturprogramm anzubieten. Das ist uns sehr wichtig: Nicht nur Fußball, sondern auch Kultur. Wir haben Mitglieder, die im Heim wohnen, in der Lebenshilfe. Für sie sind die Fahrten von großer Bedeutung, um aus ihrem Alltag und der Isolation herauszukommen, und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken. Auf den Fahrten können sie sich gemeinsam freuen und auch zusammen trauern. Das ist zudem ein prägender Punkt hinsichtlich unserer Gemeinnützigkeit. Allein durch die Vergabe von Heimspieltickets wird man nicht gemeinnützig, sondern wegen solchen Auswärtsfahrten.

Lisa Schatz: Wo wart ihr bislang und wie lief das Ganze ab?

Kim Krämer: Unsere erste inklusive Auswärtsfahrt haben wir nach Hoffenheim gemacht. Zuvor hatte ich eine Schulung zum Thema „Kompetent für Inklusion“ begonnen und wir hatten den Auftrag, eine Projektarbeit zu machen. Hier entstand die Idee. Wir hatten schon Erfahrung mit Auswärtsfahrten, aber noch nicht mit inklusiven. Bei dieser Fahrt hatten wir Gehörlose dabei und eine syrische Familie – ein ganz schwerer Fall – mit Folter. Für die Gehörlosen hatten wir eine Dolmetscherin, die immer abends zu unserer Gesprächsrunde ins Hotel kam. Wir waren auch im Technikmuseum in Sinsheim und hatten zudem ein Treffen mit dem integrativen Fanclub der TSG Hoffenheim im alten Dietmar-Hopp-Stadion. Daran haben auch Raimond Aumann und zwei Profis von Hoffenheim teilgenommen. Seitdem machen wir ausnahmslos inklusive Auswärtsfahrten. Unser nächstes Ziel ist Düsseldorf.

Lisa Schatz: Wie viele Auswärtsfahrten macht ihr pro Saison?

Kim Krämer: In der Regel zwei. Auf Grund der Softwareeinführung haben wir jetzt zwei Jahre hintereinander jeweils nur eine gemacht und eine Tagesfahrt. Die Tagesfahrten sind immer abhängig von Stuttgart und Nürnberg. Wenn die nicht in der Liga sind, können wir keine Tagesfahrten machen.

Lisa Schatz: Welche Schwierigkeiten oder Hürden sind bisher hinsichtlich eurer Auswärtsfahrten aufgetreten?

Kim Krämer: Bei uns ist immer alles ins Detail geplant. Während den Fahrten ist meist alles in Ordnung. Jedoch gestaltet sich die Planung als schwierig: Man muss sich direkt an dem Tag, an dem der Spielplan herauskommt, die Spiele heraussuchen, zu denen man auswärts fahren will. Dann wird gleich das Hotel angefragt. Damit ist der Großteil erledigt. Anschließend werden die Einladungen verschickt, die Rückmeldungen ausgewertet und die jeweiligen Zu- und Absagen versandt. Daraufhin werden das Essen bzw. die Restaurants organisiert oder reserviert. Im Anschluss stelle ich das Programm zusammen. Was auch wichtig ist: Zu prüfen, ob an dem Spieltag eine Messe in der Stadt stattfindet. Wichtig sind vor allem auch unsere 20 bis 25 ehrenamtlichen Helfer, die uns auch bei den Auswärtsfahrten, beim Einkaufen und Brötchen schmieren für die Busfahrt usw. unterstützen.

Lisa Schatz: Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem FC Bayern, wie sieht die Unterstützung durch den Bundesligisten aus?

Kim Krämer: Vor dem Bau der Allianz Arena wurden wir auf unsere Nachfrage hin zu einem runden Tisch eingeladen. Damals haben wir gemeinsam mit Peter Czogalla, Uli Hofmann und Jürgen Muth, dem Geschäftsführer der Allianz Arena, eine Begehung gemacht. Wir haben die Plätze begutachtet und Tipps gegeben, dass man hier doch investieren sollte und darauf achtet, dass die Rollis freie Sicht aufs Spielfeld haben, auch wenn die Fans vor ihnen aufstehen.

Bezüglich der Sicht ist Folgendes zu sagen: Auf unserer Seite im Westen befinden sich die Presseplätze. Die Journalisten stehen sowieso nicht auf, da gibt es kein Problem. Aber im Osten wurden zwei Sitzplatzreihen herausgebaut und ein L-Block gebildet. Das heißt: Wenn die Fans in der Reihe vor den Rollifahrern aufstehen, sind deren Köpfe auf Höhe der Füße der Rollifahrer. Ohne diese Maßnahme gäbe es dort zwei Reihen mehr: Das sind auf 10 Jahre gerechnet Einnahmen in der Höhe von ca. 10 Millionen Euro, auf die der FC Bayern verzichtet, damit die Rollstuhlfahrer freie Sicht haben.

Bezüglich unserer Auswärtsfahrten haben wir mit dem FC Bayern vereinbart, dass wir immer das volle Kontingent an Rolli-Tickets bekommen, dazu 4 Tickets zusätzlich für Begleitpersonen. Das klappt seit Jahren sehr gut.

Lisa Schatz: Gibt es noch eine Geschichte, die du erzählen möchtest, Kim?

Kim Krämer: Unser Mitglied Martin Bauer habe ich auf der Auswärtsfahrt nach Hannover kennen gelernt. Wir waren zweimal in einer Autobahnraststätte beim Pause machen – auf der Hin- und auf der Rückfahrt, in der gleichen wie Martin. Wir sind ins Gespräch gekommen. Eine Woche später kam Martin in den Rollwagerl Shop und wurde Mitglied. Er unterstützt uns finanziell, unseren Soli. Das ist bei uns sozusagen das „Sozialticket“. Denjenigen, die sich keine Tickets bzw. Auswärtsfahrten leisten können, werden die Fahrten und Karten durch unseren sog. Solitopf ermöglicht. Normalerweise liegt der Eigenanteil an Auswärtsfahrten bei 80 € – Fahrt, Ticket für das jeweilige Spiel und Übernachtungskosten inbegriffen. Martin unterstützt uns immer und hinterlegt auch ArenaCards, damit sich die Mitglieder, die es sich sonst nicht leisten können, auch hier etwas zu essen und zu trinken kaufen können. Bei uns ist das Sozialticket ein fester Bestandteil. Maximal dreißig Mitglieder nehmen es in Anspruch. Auch dreißig Tickets werden aus dem Solitopf bezahlt. Zudem gibt es ermäßigte Beiträge für die Mitgliedschaft. Diese Gruppe zahlt den halben Preis, um Mitglied zu sein. Früher waren die Auswärtsfahrten „Jugendherberge und McDonalds“, ohne Kultur. Jetzt übernachten wir in barrierefreien Hotels und haben ein Kulturprogramm. Uns war es wichtig, das alles zu verbessern. Die Sponsoren sollen auch sehen, dass wir eine gute Arbeit leisten. Das hat irgendwann eine Eigendynamik entwickelt. Uns ist Zuverlässigkeit absolut wichtig.

Lisa Schatz: Vielen Dank, dass ihr euch so viel Zeit für das Interview genommen habt.

Kim Krämer und Uli Hofmann: Natürlich gerne.

Weitere Informationen für einen barrierefreien Stadionbesuch sind – auch in leichter Sprache und mit Hörservice – unter https://www.barrierefrei-ins-stadion.de/ zu finden.